Melanie Hallensleben

Yoga Vidya in der Kritik

Zur Debatte um Vergütung, Rassismus und den Religionsstatus

Die größte Yoga-Gemeinschaft Deutschlands, Yoga Vidya, sieht sich gegenwärtig mit verschiedenen Kritikpunkten und Vorwürfen konfrontiert, über die ein Team von Journalist:innen nahezu zeitgleich auf drei unterschiedlichen Medienplattformen berichtet hat. Der erste Beitrag erschien am 4. September 2023 auf der Homepage der „Tagesschau“: „Yoga – um welchen Preis“?1 Am selben Tag wurde ein weiterer Artikel unter der Überschrift „Immer schön dankbar sein“ in der Süddeutschen Zeitung publiziert.2 Tags darauf strahlte Das Erste die vom WDR produzierte Dokumentation „ARD Story: Cash & Karma“ aus?3 Es geht bei den Vorwürfen unter anderem um eine unzureichende Vergütung der Seminarhausbewohner:innen, einen nachlässigen Umgang mit rassistischen Seminarleiter:innen sowie die mangelnde Beachtung von Sicherheitsmaßnahmen bei einer umfangreichen Gebäudesanierung. Die Debatte wurde ins Rollen gebracht, nachdem eine frühere Seminarhausbewohnerin, Frau M., gerichtlich eine nachträgliche Zahlung des Mindestlohns von Yoga Vidya eingefordert hatte und Recht bekam. Wenige Monate nach dem Gerichtsurteil erhob die Klägerin in der genannten Fernsehreportage weitere Vorwürfe gegen ihre ehemalige Gemeinschaft. Yoga Vidya dementierte umgehend und wies sämtliche Anschuldigungen zurück.

Die Geschichte von Yoga Vidya begann vor rund dreißig Jahren, als der Leiter Sukadev Volker Bretz (geb. 1963) seine erste Yoga-Schule in Frankfurt am Main gründete. Mittlerweile ist Yoga Vidya der größte Anbieter von Ausbildungen zur Yogalehrerin oder zum Yogalehrer in Deutschland. Der Verein ist zugleich die größte Yoga-Gemeinschaft, die an ihrem Hauptsitz in Horn-Bad Meinberg das größte Seminarzentrum für Yoga und Ayurveda in Europa führt. In den vier Seminarhäusern (Ashrams) und rund achtzig Yoga-Schulen in Deutschland bietet Yoga Vidya schwerpunktmäßig Seminare rund um Yoga, Ayurveda und Meditation an. Gleichzeitig leben und arbeiten die „Sevakas“ genannten Gemeinschaftsmitglieder in den Ashrams. Sie werden von ehrenamtlichen Freiwilligen sowie von vierzig festen Mitarbeiter:innen unterstützt, die nicht Teil der religiösen Gemeinschaft sind.

Das Verfahren um den Mindestlohn und den Religionsstatus

In den Medien wurde kritisiert, dass die Ashrambewohner:innen bei Yoga Vidya statt des Mindestlohnes nur ein „Taschengeld“ bekämen. Nach Auskunft von Yoga Vidya sind die Sevakas regulär sozialversicherungspflichtig angestellt und erhalten zusätzlich kostenfreie, bio-vegetarische ayurvedische Verpflegung, ein Einzelzimmer für Einzelpersonen, Apartments für Paare etc. sowie weitere Dinge des täglichen Bedarfs wie Internetzugang usw. Darüber hinaus können sie jährlich zwei kostenlose Urlaubsreisen zu anderen Yoga-Vidya-Ashrams unternehmen und haben dreißig Tage im Jahr Urlaub bzw. sevafreie Zeit. Ein besonders starker Anreiz, dem Ashram beizutreten, besteht für viele darin, dass den Gemeinschaftsmitgliedern neben der Arbeit (Sevazeit) eine kostenlose Teilnahme an den verschiedenen Ausbildungen und Seminaren angeboten wird. Nach drei Jahren erhalten sie eine zusätzliche Altersversicherung und bei unvorhergesehenen größeren Kosten (z.B. Zahnersatz) gibt es finanzielle Unterstützung. Tatsächlich treten viele Interessierte der Gemeinschaft nur für ein paar Jahre bei und absolvieren in dieser Zeit eine kostenfreie Yogalehrer:innen-Ausbildung und andere Weiterbildungen. Andere wiederum bleiben zwanzig Jahre und länger im Ashram.

Um Teil der Yoga-Vidya-Gemeinschaft zu werden, ist es in den meisten Fällen notwendig, einer Tätigkeit innerhalb der Seminarhäuser nachzugehen, sei es an der Rezeption, als Landschaftsgärtner:in oder im Lektorat. Nach einer Probezeit entscheiden die Ashrambewohner:innen selbst über die endgültige Aufnahme in den Ashram. Das Taschengeld beträgt zunächst 250 Euro und kann auf 450 Euro pro Monat steigen. Die Vereinsmitglieder entscheiden jährlich neu über die generelle Höhe des Taschengeldes. Der Sevadienst findet an fünf oder sechs Tagen in der Woche statt, was nach Aussage der eingangs erwähnten Klägerin einem Pensum von 42 Stunden entspricht. Der Autorin dieses Beitrags hat Yoga Vidya auf Anfrage mitgeteilt, dass die Arbeitszeit/Sevazeit etwa 25–30 Wochenstunden betrage und weitere Tätigkeiten wie Unterrichten, die Ausführung von Ritualen etc. hinzukämen. Die Arbeitszeit/Sevazeit werde weder erfasst noch kontrolliert und könne je nach Arbeitsplatz flexibel gehandhabt werden.4 Der Sevadienst bei Yoga Vidya wird – unabhängig von der Art der Tätigkeit – durch die Idee des „Sich-Hingebens an Gott“ und der eigenen Gottwerdung sakralisiert. Seva sei, so die vereinseigene Darstellung, ein „uneigennütziges Dienen“ im Ashram, ohne dafür einen Gegenwert oder ein Lob zu erwarten und sei Voraussetzung, um „Selbstverwirklichung“ zu erreichen. Damit sieht sich Yoga Vidya in der Tradition von Swami Sivananda und zieht zugleich eine Verbindung zu Jesus:

So wie Jesus gesagt hat, wer anderen gibt und dafür Lohn oder Ruhm erwartet, Lob erwartet, hat seinen Wert dahin (siehe Matth. VI 2). Du willst Gottverwirklichung erreichen. Du willst Selbstverwirklichung erreichen. Das geht, wenn du Seva übst, dienst.5

Als in Deutschland am 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn (damals 8,50 €/Std.) eingeführt wurde, wurden nach der Darstellung in der genannten TV-Reportage vorsichtshalber alle Formulierungen von der Yoga-Vidya-Homepage entfernt, die nach Erwerbsarbeit klangen.6 Dies geschah vor dem Hintergrund, dass Religionsgemeinschaften in Deutschland vom Mindestlohn befreit werden können. Yoga Vidya sah sich durch ein älteres Gerichturteil darin bestätigt, eine Religionsgemeinschaft zu sein: Im Jahr 1987 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Volker Bretz ein „Hindupriester der Sivananda Yoga Vedanta-Bewegung“ und somit vom Zivildienst befreit sei, da dies geistigen Leitern rechtlich zustehe.7 Im selben Urteil wird die Sivananda-Yoga-Vedanta-Bewegung als eine „Glaubensrichtung des zu den Weltreligionen gehörenden Hinduismus“ eingestuft. Nachdem Bretz die Sivananda-Yoga-Vedanta-Bewegung verlassen hatte, gründete er 1992 Yoga Vidya. Die beiden Gemeinschaften weisen große Ähnlichkeit auf, Yoga Vidya zeigt sich aber offener im Seminarbereich. So werden etwa Themen aus der zeitgenössischen Esoterik behandelt oder es werden neoschamanische Vorstellungen aufgenommen.

Dass die Arbeit der Sevakas bei Yoga Vidya trotzdem als reguläre Erwerbstätigkeit zu bewerten sei, entschied das Bundesarbeitsgericht 2023 in letzter Instanz, weil es den Verein nicht als Religionsgemeinschaft ansah: Frau M. hatte seit 2012 für die Dauer von fast acht Jahren unter dem spirituellen Namen Sumukhi im Ashram von Bad Meinberg gelebt und dort neben ihrem Sevadienst zahlreiche Ausbildungen absolviert, die 2020 in ihrer Weihe zur Priesterin mündeten. Zu ihrer Ausbildung gehörte es, täglich stattfindende Gottesdienste (Satsang), Feuerzeremonien (Homa) und Verehrungsrituale (Puja) durchzuführen.8 Als Volljuristin war sie bei Yoga Vidya in der Seminarplanung und anderen Bereichen tätig und hatte teilweise die Teamleitung inne. Ein halbes Jahr nach der Weihe verließ sie den Ashram, trat aus dem Verein aus und forderte rückwirkend die Zahlung des Mindestlohns ab 2017 (für die frühere Zeit war die Forderung verjährt). Vor dem Gericht erhielt sie damit Recht, so dass ihr nach dem Urteil 46.118,54 Euro plus Zinsen zustanden. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei Yoga Vidya wurden nicht verrechnet.9 Das Verfahren wurde an das Landesarbeitsgericht in Hamm zur Klärung zurückverwiesen. Auf Anfrage teilte Yoga Vidya der Autorin dieses Beitrags mit, dass der Verein „eine Anhörungsrüge beim Bundesarbeitsgericht und eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht“10 habe.

Das Urteil basiert hauptsächlich auf der bereits erwähnten Auffassung der Richter, dass Yoga Vidya keine Religionsgemeinschaft sei. In Deutschland gibt es keine staatliche Institution, die über die offizielle Anerkennung einer Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft entscheidet. Es besteht die Möglichkeit, den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ (KdöR) anzustreben, was jedoch nicht ausschließlich Religionsgemeinschaften vorbehalten ist. Auch Universitäten oder säkulare Verbände können eine KdöR bilden. Das Gericht sah sich durch die Klage von Frau M. veranlasst zu klären, ob Yoga Vidya tatsächlich eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist und kam in seinem Urteil zu folgendem Ergebnis:

Der Beklagte [sc. Yoga Vidya e.V.] ist weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft. Es fehlt das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Beklagte bezieht sich in seiner Satzung u.a. auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen. Aufgrund dieses weit gefassten Spektrums ist ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht hinreichend erkennbar.11

Mit der Feststellung, dass Yoga Vidya Elemente aus verschiedenen nichthinduistischen Religionen adaptiert hat, verweisen die Richter auf einen zentralen, kaum zu übersehenden Sachverhalt. Doch die weitergehende Beobachtung, dass dies zu keiner hinreichenden Systembildung führe, wirft Fragen auf. Ein religiöses System zeichnet sich dadurch aus, um es in loser Anlehnung an Niklas Luhmann12 zu formulieren, dass es mit sich selbst befasst ist bzw. kommuniziert, sei es in Form von Vorträgen, Büchern oder Handlungen. Es gibt bestimmte Sprachcodes, die innergemeinschaftlich verwendet werden (bei Yoga Vidya z.B. Begriffe wie Seva, Ashram, Karma etc.). Und es muss eine wie auch immer geartete Abgrenzung von der Umwelt erkennbar sein, die es erlaubt, die Zugehörigkeit einzelner Lehren oder Personen zum fraglichen System zu bestimmen. Schließlich muss ein religiöses System in der Lage sein, auf aktuelle Herausforderungen und Ereignisse zu reagieren. Aus dieser Perspektive ist eine Systembildung bei Yoga Vidya sehr wohl erkennbar.

Die Übernahme und Integration von Vorstellungen aus einer Vielzahl von Religionen steht nicht im Widerspruch zur Konstitution eines neuen religiösen Systems. Die damit verbundenen Aneignungsprozesse verlaufen nicht willkürlich, sondern haben ihre eigene Logik und entsprechende Grenzen: Es werden nur solche Vorstellungen aufgenommen, die mit dem bereits etablierten Gedankengebäude harmonieren und dessen Fortbestand nicht grundsätzlich gefährden. Insofern wäre es beispielsweise undenkbar, dass Yoga Vidya religiöse Praktiken wie eine koschere Ernährung oder eine Pilgerfahrt nach Mekka einführt; zudem gibt es kaum Übernahmen aus dem Islam und Judentum. Ebenso sind dem Einfluss des Hinduismus Grenzen gesetzt: Dass Yoga Vidya das Kastensystem übernimmt, wäre ebenso unwahrscheinlich wie die Haltung „heiliger Kühe“ oder die Einführung strenger asketischer Praktiken. Die angesprochenen Übernahmeprozesse werden in der Literatur oft mit dem Begriff des „Synkretismus“ beschrieben. Zu beachten ist dabei die pejorative Färbung dieses Begriffs,13 der gerne herangezogen wird, um andere, vor allem neue Religionen zu delegitimieren. Unberücksichtigt bleibt in solchen Beschreibungen, dass die Entstehung einer neuen Religion immer nur im Kontext ihrer jeweiligen Umgebung zu begreifen ist. Dabei spielen nicht nur religiöse Vorstellungen, sondern auch profane soziokulturelle Gesichtspunkte eine Rolle. „[K]eine Religion“, so Rainer Flasche, entsteht aus „dem Nichts […], sondern [ist] immer schon auch Reaktion auf bestehende Religion“14 und die Umgebung insgesamt. Die mit „Synkretismus“ bezeichneten Prozesse sind somit ein regulärer Bestandteil von religiösen Neubildungen, so Kurt Rudolph, ohne den sich letztlich keine der heute anzutreffenden Religionen adäquat erklären lasse.15

Yoga Vidya ist im Kontext eines modernen Hinduismus/„Neo-Hinduismus“ und speziell des Neo-Vedanta einzuordnen. Ein prägender Vertreter dieser Richtung war Swami Vivekananda (1863–1902),16 der im Vedanta eine „unendliche Vielfalt im religiösen Denken“ erkannte: Verschiedene „Bekenntnisse und Religionen“ hätten demnach das Potential, individuell zum Selbst zu führen. Der Vedanta zeigt eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Elementen, die insbesondere aus dem Buddhismus, aber auch aus der Philosophie, der Psychologie und der Gnosis übernommen werden.17 Eine große Offenheit gegenüber anderen Religionen sowie der Wissenschaft und Psychologie ist auch in der mittlerweile veralteten Vereinssatzung von Yoga Vidya dokumentiert:

Der Yoga V[idya] e.V. steht in der Tradition des indischen Arztes und Yoga Meisters Swami S[ivananda]. […] Yoga ist ein […] offenes Übungssystem, das mit Techniken, Weisheitslehren, Philosophiesystemen und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen verbunden werden kann und wird. Dazu gehören insbesondere, aber nicht nur, Ayurveda, […] tibetische Medizin, Thai Medizin, Shiatsu, Tai Chi, […] westliche Psychotherapie und Psychologie […] spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen; Sport [und] universitäre Wissenschaften.18

Hier wird Yoga als ein „offenes“ und zugleich religiös konnotiertes „Übungssystem“ präsentiert, das mit unterschiedlichen religiösen Traditionen und wissenschaftlichen Disziplinen „verbunden werden kann“. Diese grundsätzliche Bereitschaft zur Adaption anderer religiöser Traditionen hat im Gemeinschaftsalltag von Yoga Vidya einen prominenten Platz. Im täglich zweimal stattfindenden Satsang wird vor der Lichtzeremonie, die Arati genannt wird, das allumfassende Gebet von Swami Sivananda rezitiert:

jaya jaya āratī jesus-gurave moses-gurave buddha-gurave // 11a //
Sieg, Sieg, Lichtzeremonie für den Guru Jesus, den Guru Moses, den Guru Buddha
jaya jaya āratī muhammad-gurave lao tse-gurave // 11b //
Sieg, Sieg, Lichtzeremonie für den Guru Muhammad, den Guru Laotse
samasta-gurubhyo namaḥ // 11c //
Allen Gurus Verneigung.19

Die Bezeichnung „Guru“ ist hier im Sinne von „schwer, wichtig, verehrungswürdig“ für einen „männlichen (oft spirituellen) Lehrer“ zu verstehen. Dieses Gebet veranschaulicht eine respektvolle Positionierung gegenüber den Stiftern oder bedeutenden Persönlichkeiten anderer Religionen. Zudem sind bei Yoga Vidya ikonografische Darstellungen von Jesus und Maria neben denen hinduistischer Gottheiten zu finden. So stehen auf dem Außengelände des Vereins in Bad Meinberg jeweils eine Jesus- und eine Marienstatue. Zudem hängt im Hauptsaal für den Satsang und andere Zusammenkünfte, dem Sivananda-Saal, ein großes Abbild von Jesu Gesicht, gestaltet nach Art des Turiner Grabtuchs.

Die TV-Dokumentation „Cash & Karma“

In der Dokumentation „Cash & Karma“ kamen neben Frau M. auch andere ehemalige Vereinsmitglieder zu Wort. Die Reportage sorgte in den sozialen Medien für einigen Wirbel. Viele Menschen, die mit Yoga Vidya in Kontakt standen – sei es als Gäste oder (ehemalige) Bewohner:innen eines Ashrams –, äußerten etwa auf Facebook Kritik an der Dokumentation, weil sie die Darstellung des Vereins als ungerechtfertigt empfanden. Dies bezog sich sowohl auf die Machart des Fernsehbeitrags als auch auf die Vorwürfe, die darin erhoben wurden. Ein kleiner Teil der Kommentator:innen kritisierte jedoch auch Yoga Vidya, wobei die meisten dieser Einwände eher vage blieben und sich auf Nebensächlichkeiten konzentrierten. Bei einigen Facebook-Posts fiel auf, dass die jeweiligen Autor:innen die Medien generell als unglaubwürdig betrachteten und dies in der Dokumentation nur noch bestätigt sahen.

Vorwurf: Umstrittener Seminarleiter wird fünf Jahre lang geduldet

Neben der unzureichenden Vergütung von Sevakas wurden in der Dokumentation weitere Vorwürfe thematisiert: Einem externen Seminarleiter, der öffentlich menschenfeindliche Positionen vertrat, aber nicht zur Gemeinschaft gehörte, sollen jahrelang Räume vermietet worden sein. Ähnliche Vorwürfe kamen bereits im April 2021 in der Süddeutschen Zeitung zur Sprache. Nachdem einige Sevakas Corona-Verschwörungstheorien aufgegriffen haben sollen, verließen sieben Mitglieder den Ashram in Bad Meinberg.20 Auf Anfrage teilte Yoga Vidya mit, dass sie zu der Entscheidung gekommen sei, Sevakas auszuschließen, die gegen die damals geltenden Hygienevorschriften verstoßen haben. Seminarleiter:innen, die Verschwörungstheorien verbreitet hätten, sei untersagt worden, weiterhin zu unterrichten.21

In der Dokumentation „Cash & Karma“ berichteten gleich mehrere ehemalige Vereinsmitglieder, dass unter den Ashrambewohner:innen Erzählungen über Echsenmenschen und ähnliche Themen (darunter z.B. die Behauptung, die Erde sei eine Scheibe) kursierten; auch antisemitische und rechtslastige Positionen seien offen vertreten worden. Zudem sei ein externer Seminarleiter den „Reichsbürgern“ zuzuordnen.22 In einem Fall lagen bereits seit 2017 Hinweise zu antimuslimischen Aussagen vor:23 Die Zusammenarbeit wurde jedoch erst fünf Jahre später beendet, als sich die Indizien nach Darstellung von Yoga Vidya „zu konkreten Beweisen“ für die „rechtslastigen Überzeugungen“ des betreffenden Lehrers „verdichtet“ hätten.24 Yoga Vidya betonte, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt habe.

Peter Fitzek, sogenannter „Reichsbürger“ und selbsternannter „König von Deutschland“, hatte bei Yoga Vidya eine Ausbildung zum Yogalehrer begonnen. Allerdings wurde er bereits am zweiten Tag aus dem Fortbildungsprogramm ausgeschlossen. Laut Fitzek habe dies zu einem Eklat unter den Ashrambewohner:innen geführt, in dessen Folge sich fünf ehemalige Sevakas dazu entschieden, fortan für Fitzek zu arbeiten.25 Die fünf Überläufer stellen zweifellos eine beachtliche Zahl dar, da deutschlandweit lediglich von 23.000 Anhänger:innen der sogenannten „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene ausgegangen wird (Stand 2022).26

Vorwurf: Unzureichende Schutzkleidung bei Gebäudesanierung

Ein weiterer schwerer Vorwurf gegen Yoga Vidya betraf die mangelnde Beachtung von Sicherheitsmaßnahmen bei der Sanierung eines leerstehenden Gebäudes auf dem Gelände des Ashrams in Bad Meinberg. Wie bei Yoga Vidya üblich, wurden bei diesen Arbeiten viele Aufgaben selbst übernommen, anstatt einen Dienstleister zu beauftragen. In der TV-Dokumentation wird der Vorwurf erhoben, dass die beteiligten Ashrambewohner:innen und ehrenamtlichen Helfer:innen während der Kernsanierung mit Asbest, Schimmel und Mineralwolle in Berührung kamen und dies bei Yoga Vidya bekannt war. Der Verein widersprach diesen Anschuldigungen und erklärte, dass die Arbeiten „nach unserer Kenntnis fachgerecht und den gesetzlichen Sicherheitsvorschriften entsprechend geplant und durchgeführt wurden. Das strikte Einhalten weiterer Arbeitsschutzmaßnahmen war für Helfer*innen in Risikobereichen verbindlich vorgegeben.“27

Im Filmmaterial von den Sanierungsarbeiten sind jedoch Menschen ohne Schutzmaske und/oder mit unzureichender Schutzkleidung zu sehen. Sie entfernen zwar keine Teppiche, Tapeten oder Deckenverkleidungen, doch ist in einer Szene erkennbar, wie eine Wandverkleidung abgerissen wird. Der Schadstoffexperte Jürgen Kratzheller wies im Film darauf hin, dass auch in den Heizungen Asbest enthalten sein könne. In den Filmaufnahmen ist zu sehen, wie zwei Männer eine Heizung mit einer Flex bearbeiten. Einer der Männer trägt seine Schutzmaske dabei um den Hals.28

Yoga Vidya äußerte sich ausführlich zu den Vorwürfen und schilderte kleinteilig die Vorgehensweise. Zu den Videoaufnahmen von der Sanierung wurde festgestellt: „Zahlreiche in den Videos gezeigten Sanierungsarbeiten sind nicht in schadstoffbelasteten Räumen entstanden.“29 Interessant ist hier, dass von „zahlreichen“ Sanierungsarbeiten gesprochen wird und tatsächlich einige Video-Aufnahmen die Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften bestätigen. Somit ist es nicht ausgeschlossen, dass Anweisungen zur Schutzbekleidung gegeben wurden, einige Personen diese aber nicht eingehalten haben. Insofern kann die TV-Dokumentation in diesem Punkt nicht wirklich überzeugen. Sie zeigt zwar Menschen ohne angemessene Schutzkleidung, dies jedoch nur selten bei Tätigkeiten, die eindeutig zu einem direkten Kontakt mit Schadstoffen führen. Zudem ist unklar, ob sich der befragte Schadstoffexperte auf das Videomaterial beruft oder auf mündliche, oft nur schwer nachvollziehbare Aussagen. Insgesamt erweist sich der erhobene Vorwurf im dargestellten Ausmaß als nur schwer haltbar.

Nach dem Gerichtsurteil

Im Anschluss an das Gerichtsurteil im Fall von Frau M. und an die kritische Berichterstattung sind bei Yoga Vidya einige Neuerungen vorgenommen worden. Dazu gehören unter anderem eine stärkere Betonung der hinduistischen Herkunft sowie diverse Maßnahmen im Umgang mit extremistischem Gedankengut. In der neuen Vereinssatzung werden außer dem Hinduismus keine weiteren Bezugsreligionen genannt. In religionswissenschaftlich anmutenden Formulierungen wird auf die inklusivistische Ausrichtung von Yoga Vidya hingewiesen und betont, dass der Verein im Blick auf seine Lehren keinen Alleinvertretungsanspruch erhebe. Die Satzung beginnt mit einer Art Glaubensbekenntnis:

Wir, die Mitglieder des Yoga Vidya e.V., stehen in der heiligen Tradition von Swami Sivananda. Wir gründen uns auf der spirituell-religiösen Praxis von integralem Yoga auf Grundlage der monistischen Erlösungslehre des Advaitavedanta, kurz Yoga Vedanta genannt. Unsere Lehre gehört zu den modernen inklusivistischen und universalistischen Strömungen des Sanatana Dharma, des sogenannten Hinduismus. So vertritt Yoga Vidya keinen Alleinvertretungsanspruch.30

Auf dem Außengelände des Ashrams in Bad Meinberg wurde der Grundstein für einen kleinen Hindu-Tempel gelegt, den ersten seiner Art bei Yoga Vidya.31 Auch dies lässt sich als Betonung der dem Hinduismus entstammenden Traditionen verstehen, denen sich die Gemeinschaft zuordnet.

Die Gegendarstellung, die Yoga Vidya in Reaktion auf die Berichterstattung veröffentlichte, ist mittlerweile zwei Mal erweitert worden. Während in der ersten Version bezüglich der rassistischen und verschwörungstheoretischen Äußerungen etc. von einem „Einzelfall“ die Rede war, räumt Yoga Vidya in der letzten Version ein, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben: „Wir bedauern, dass wir in ca. zwei oder drei Fällen nach heutiger Kenntnis zu lange gebraucht haben, um die Zusammenarbeit zu beenden.“32

Resümee

Die TV-Dokumentation zeichnet sich durch eine professionelle Gestaltung und eine einwandfreie Recherche im Hinblick auf die Organisationsstruktur und Geschichte von Yoga Vidya aus. Einige Kritikpunkte, insbesondere jene, die sich auf die rechtsideologischen Vorfälle und die Verbindungen zu den „Reichsbürgern“ beziehen, sind nachvollziehbar und schlüssig dargestellt. Die betreffenden Zusammenhänge werden von mehreren Zeug:innen geschildert und durch Facebook-Posts, Mitschnitte von Fitzek und interne E-Mails untermauert. Die Vorwürfe, die sich auf die Sanierung und die angebliche Umgehung von Sicherheitsmaßnahmen beziehen, werfen hingegen Fragen auf. Ein weiterer, bisher nicht erwähnter Punkt, überzeugt kaum: Der Film enthält einige in Rishikesh (Indien) gedrehte Sequenzen, in denen die Journalist:innen einen Mönch im dortigen Shivananda Ashram nach der Vergütung der Mönche vor Ort befragen. Trotz einer ausweichenden Antwort wurde diese Szene in die Dokumentation aufgenommen. Die Reportage endet mit einem Interview, in dem eine Yogalehrerin aus Rishikesh betont, Yoga sei keine Religion und sollte aus eigenem Antrieb sowie ohne Druck praktiziert werden. Dies könnte im Filmzusammenhang als Kommentar zum Gerichtsurteil und zu den Berichten über stressige Arbeitsbedingungen verstanden werden. Insgesamt entspricht die Dokumentation dem Format einer Enthüllungsreportage, die bekannte Vorwürfe aufgreift, die neureligiösen Bewegungen häufig gemacht werden: extremes Profitdenken und Ausbeutung von Anhänger:innen. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch effektvoll eingespielte Musik und Zitate von Bretz, die in einem spöttischen Ton nachgesprochen werden.

Steht Yoga Vidya tatsächlich vor einem Rassismus-Problem? Die Bandbreite der Vorwürfe ist groß und richtet sich auf rassistische, antisemitische und antimuslimische Vorfälle, auf verschwörungstheoretische Ansichten und auf Überläufer:innen, die sich Fitzek und den „Reichsbürgern“ angeschlossen haben. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Ashrambewohner:innen, die Personen mit solchen Ansichten identifizieren und ihre Ideologien nicht akzeptieren wollen. Und es ist zu betonen, dass menschenfeindliche und verschwörungstheoretische Haltungen nicht exklusiv bei Yoga Vidya auftreten, sondern gesamtgesellschaftlich verbreitet sind. Der Umstand, dass sich betreffende Personen von Yoga Vidya angezogen fühlen, könnte mit der Nähe zur modernen Esoterik zusammenhängen, in deren Umfeld Verschwörungstheorien, Vorstellungen von Echsenmenschen und andere eher randständige Überzeugungen begegnen. Auch die Gemeinsamkeiten zwischen Yoga Vidya und den „Reichsbürgern“, die beide eine Art Aussteiger-Enklave bilden, könnten diese Nähe begünstigen. Für den weiteren Verlauf der Debatte dürfte entscheidend sein, wie Bretz und die Führungsebene des Vereins in Zukunft darauf reagieren.

Anmerkungen

  1. Nicole Rosenbach: Yoga – um welchen Preis?, Tagesschau, 4.9.2023, https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/yoga-vidya-verein-100.html (letzter Abruf aller in diesem Beitrag genannten Internetseiten: 5.11.2023).
  2. Lennart Glaser/Jana Heck/Lena Kampf/Nicole Rosenbach/Rainer Stadler: Immer schön dankbar sein, Süddeutsche Zeitung, 4.9.2023, https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/yoga-vidya-yoga-achtsamkeit-volker-bretz-geschaeft-e362917/?reduced=true
  3. Nicole Rosenbach/Jana Heck: ARD Story: Cash & Karma, 5.9.23, https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/ard-story/sendung/cash-und-karma-100.html
  4. Antwortschreiben der Pressestelle von Yoga Vidya an die Autorin, 27.10.2023.
  5. So unter dem Stichwort „Seva“ im Yogawiki von Yoga Vidya, https://wiki.yoga-vidya.de/Seva.
  6. Cash & Karma (s. Anm. 3), Min. 6:28.
  7. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.3.1987, Az. BVerwG 8 C 37.85, abrufbar unter https://research.wolterskluwer-online.de/document/9bc895d7-c1c2-45fb-a22b-ae343b641f87#.
  8. Vgl. die Angaben zu Inhalten der Priester:innenausbildung auf der Homepage von Yoga Vidya: Yoga Vidya Purohita, https://www.yoga-vidya.de/gemeinschaft/ausbildungen/yoga-vidya-purohita/.
  9. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.4.2023, Az. 9 AZR 253/22, https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9-azr-253-22/.
  10. Antwortschreiben der Pressestelle von Yoga Vidya, 27.10.2023.
  11. So in der Presseerklärung zum Urteil: Arbeitnehmerstatus eines Vereinsmitglieds im Yoga-Ashram, Bundesarbeitsgericht, 25.4.2023, https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/arbeitnehmerstatus-eines-vereinsmitglieds-im-yoga-ashram/
  12. Niklas Luhmann: Funktion der Religion (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1977).
  13. Ulrich Berner: Synkretismus. Begegnung der Religionen, in: Anton Quack/Joachim Georg Piepke (Hg.): Kultur und Religion in der Begegnung mit dem Fremden, Veröffentlichungen des Missionspriesterseminars St. Augustin 56 (Nettetal: Steyler, 2007), 47–74, 48f.
  14. Rainer Flasche: Religionswissenschaft-Treiben. Versuch einer Grundlegung der Religionswissenschaft (Marburger religionsgeschichtliche Beiträge 5) (Berlin: Lit 2008), 82.
  15. Kurt Rudolph: Synkretismus – vom theologischen Scheltwort zum religionswissenschaftlichenBegriff, in: ders. (Hg.): Humanitas religiosa. Festschrift für Haralds Biezais zu seinem 70. Geburtstag (Stockholm: Almqvist & Wiksell, 1979), 194–212, 206.
  16. Vgl. Angelika Malinar: Hinduismus, Studium Religionen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 112.
  17. Vgl. Svāmī Vivekānanda: Vedanta. Der Ozean der Weisheit. Eine Einführung in die spirituellen Lehren und die Praxis des geistigen Yoga in der indischen Vedanta-Tradition (Bern: Barth, 1989), 44–47, zitiert nach Malinar: Hinduismus, 103.
  18. So zitiert im Urteil vom 25.4.2023 (s. Anm. 9).
  19. Yoga Vidya Kirtanheft: Arati – Lyrics,Yoga Vidya, Yoga Vidya Community – Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda, 27.9.2008, https://mein.yoga-vidya.de/profiles/blogs/arati-lichtzeremonie-arati.
  20. Melanie Hallensleben: Yoga – Verschwörungserzählungen in der Yoga-Szene, ZRW 84,4 (2021), 300–303, https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/verschwoerungserzaehlungen-in-der-yoga-szene/.
  21. Antwortschreiben der Pressestelle von Yoga Vidya, 27.10.2023.
  22. Cash & Karma (s. Anm. 3), Min. 13:31–13:55.
  23. Cash & Karma (s. Anm. 3), Min. 33:56.
  24. So unter den „Statements“ auf der Vereinsseite: Statement zu den Vorwürfen hinsichtlich Rechtsextremismus, Yoga Vidya, 5.9.2023, https://www.yoga-vidya.de/statement/#c229170.
  25. Cash & Karma (s. Anm. 3), Min. 33:50–36:39.
  26. Im Gegensatz zur Verbreitung von Antisemitismus und Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist dies eine relativ kleine Szene, die mit diversen Straftaten, teils Kapitalverbrechen, in Verbindung gebracht wird; vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Reichsbürger und Selbstverwalter, https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/reichsbuerger-und-selbstverwalter/reichsbuerger-und-selbstverwalter_node.html. Fitzek selbst wurde im August 2023 wegen Körperverletzung zu acht Monaten Haft verurteilt. Da er Berufung einlegte, musste er die Haft jedoch nicht antreten; vgl. Johanna Daher: „Reichsbürger“ Peter Fitzek muss vorerst doch nicht ins Gefängnis, 19.7.2023, MDR, https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/dessau/dessau-rosslau/berufung-urteil-reichsbuerger-peter-fitzek-102.html
  27. So wiederum unter den „Statements“ auf der Vereinsseite: Statement zu irreführender Berichterstattung, Yoga Vidya, 5.9.2023, https://www.yoga-vidya.de/statement/#c227968. Ähnlich auch in der neuen Vereinsatzung: Satzung des Yoga Vidya e.V., Yoga Vidya, 8.8.2023, https://www.yoga-vidya.de/netzwerk/yogavidya0/vereinssatzung/.
  28. Cash & Karma (s. Anm. 3), Min. 25:00–25:42.
  29. So im ergänzenden Statement auf der Vereinsseite: Yoga Vidya e.V. zur kritischen Berichterstattung, Yoga Vidya, 18.10.2023, https://www.yoga-vidya.de/statement/#c229166.
  30. Satzung des Yoga Vidya e.V. (s. Anm. 26).
  31. Christian Althoff: In Lippe soll ein Hindu-Tempel entstehen, Westfalen-Blatt, 23.6.2023, https://www.westfalen-blatt.de/owl/kreis-lippe/horn-bad-meinberg/hindu-tempel-yoga-vidya-2780331?pid=true.
  32. So im ergänzenden Statement auf der Vereinsseite: Klare Ethikrichtlinien und sorgfältige Prüfung von Verstößen, Yoga Vidya, 18.10.2023, https://www.yoga-vidya.de/statement/#c229168.