Alexander Benatar

Yoga

Yoga ist gesund, Yoga hält fit, Yoga kann man in der Gruppe machen oder allein, auf dem Wohnzimmerfußboden oder im Freien, Yoga kann schweißtreibend sein oder entspannend, Yoga ist weltweit bekannt und sozial anerkannt. Kurz: Yoga ist aus dem Leben vieler Menschen kaum mehr wegzudenken. Nach einer Umfrage des „Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland“ aus dem Jahr 2018 haben 16 Prozent der Befragten schon einmal in ihrem Leben Yoga praktiziert, 5 Prozent tun dies nach wie vor – Tendenz steigend.1 Gerade in den „Lockdown“-Phasen der Corona-Pandemie 2020/21 erlebten zahlreiche YouTube-Kanäle diverser YogalehrerInnen international einen veritablen Boom. Vor allem in einem jüngeren, städtischeren Kontext mag die Aussage „Ich mache jeden Tag Yoga“ zuweilen weniger Erstaunen hervorrufen als der Satz „Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche“. Aber ist beides vergleichbar? Handelt es sich bei Yoga überhaupt um eine spirituelle Handlung – oder ist es Sport? Und lassen sich Kirchgang und Yoga nicht auch miteinander vereinbaren?

Was ist Yoga?

Der Begriff „Yoga“ entstammt der altindischen Sprache Sanskrit und wird vom Verb yuj, „verbinden“ oder auch „anschirren“, abgeleitet (s. u.). Im Rahmen der Hindu-Religionen bezeichnet Yoga einen möglichen Ansatz, Erlösung zu erlangen. Wie in den meisten Religionen werden auch in diesen spezifische Heilswege (marga) als Antwort auf das Bewusstsein der Begrenztheit menschlichen Lebens beschrieben. Der Hinduismus zeigt sich hierbei ausgesprochen ambiguitätstolerant und offen für Pluralismus. Er schreibt nicht den einen alleingültigen Weg zur Erlösung vor, sondern lässt eine Vielzahl verschiedener Heilslehren (darshana) gelten, die sich historisch und religiös mitunter stärker voneinander unterscheiden als etwa Christentum, Judentum und Islam. Die meisten dieser Lehren verbindet ein übergeordnetes Ziel: die Vereinigung von Atman (in etwa „Menschenseele“) und Brahman („Weltseele“).

Grob vereinfacht lassen sich drei hinduistische Wege unterscheiden, Erlösung durch eine solche Vereinigung (moksha) zu erreichen (Malinar, 242):

Der Weg der Tat (karma) zielt darauf ab, dass ein jedes Individuum möglichst pflichtgemäß die Rolle (dharma) erfüllt, die ihm nach der Ordnung der Welt zukommt, um dadurch im Kreislauf der Wiedergeburten (samsara) nach und nach das seinen Atman vom Brahman trennende Karma abzubauen.

Der Weg der Hingabe (bhakti) verfolgt das Ziel einer Erlösung durch religiöse Devotion und göttliche Gnade; er sucht dabei bisweilen auch eine Art Verschmelzung des Menschen mit Gott.

Auf dem Weg der Erkenntnis (jnana) soll durch Meditation und Versenkung (samadhi) das Wissen um die letztliche Einheit von Atman und Brahman verinnerlicht werden. In den Upanishaden, einer hinduistischen Schriftensammlung aus dem 1. Jahrtausend v. Chr., wird zur Veranschaulichung dieser Einheit das Bild vom Salz gewählt, das sich in Wasser auflöst und mit ihm vereint, ohne aber je mit dem Wasser identisch zu werden.

Beim Yoga soll die Erkenntnis der Einheit von Individualseele und Weltseele nun aber nicht allein durch stille Meditation gewonnen werden. Vielmehr wird der Körper zum Werkzeug, er wird wörtlich vom Geist „unters Joch genommen“ (yuj, „anschirren“), um die angestrebte Verbindung von Individuum und Gott zu realisieren. Bereits in der Bhagavad Gita, einem spirituellen Gedicht und zentralen Text des altindischen Epos Mahabharata, werden hierzu dienliche Körperhaltungen, Sitzpositionen und Atemvorschriften erwähnt. Die gedankliche Grundlage dieser betont körperlichen Meditationspraxis bildet die in der sog. Samkhya-Lehre entwickelte dualistische Trennung von Geist (purusha) und (Ur-)Materie (prakriti). Erst wenn der Mensch durch Konzentration und Meditation sein individuelles Bewusstsein (identifiziert als Purusha bzw. Atman) von der materiell-weltlichen Praktriti befreit, steht ihm der Weg zur Überwindung der schmerzlichen Trennung von Atman und Brahman offen.

Im Yogasutra („Yogaleitfaden“), einem vom legendären „Vater des Yoga“ Patanjali verfassten Grundtext, wird die Erlösung durch körperliche Meditation als achtstufiger Pfad beschrieben:

Yama – äußere Selbstdisziplin, ausgedrückt in Gewaltverzicht (ahimsa), Wahrhaftigkeit, Keuschheit und Besitzlosigkeit.

Niyama innere Selbstdisziplin, die sich in Reinheit, Askese, Studium und Gottesverehrung äußert.

Asana – besondere Körperhaltungen und Sitzpositionen (etwa der „Lotossitz“).

Pranayama – bewusstes Ein- und Ausatmen sowie Regelung der Atemfrequenz.

Pratyahara – Lösung von den sinnlichen Eindrücken äußerer Objekte.

Dharana – Stillstand der Gedanken durch Fokussierung auf einen einzelnen Punkt.

Dhyana – Meditation und Versenkung durch Loslassen aller Gedanken.

Samadhi – Erleben einer vollkommenen Versenkung und der Vereinigung von individuellem und absolutem (göttlichem) Bewusstsein.

Formen und Schulen

Dieser im Yogasutra beschriebene klassische Weg, auch als Raja-Yoga („Königsyoga“) bezeichnet, war auch bei der Verbreitung des Yoga im Westen bedeutsam, wenngleich man ihn oftmals losgelöst vom Hinduismus selbst deutete. Raja-Yoga wurde dort vor allem durch den Inder Vivekananda (1863 – 1902) bekannt, der die „Ramakrishna-Mission“ begründete, den Hinduismus 1893 beim Weltparlament der Religionen in Chicago vertrat und für seine Wahrnehmung als „Weltreligion“ sorgte. Auch die hinduistische Bewegung „Brahma Kumaris“ betreibt Schulen, in denen der Raja-Yoga gelehrt wird (Wobbe, 44).

Daneben entwickelte Vivekananda die mit den drei genannten Heilswegen korrespondierenden Formen von Karma-, Bhakti- und Jnana-Yoga. Der von Sri Aurobindo Ghose (1872 – 1950) geprägte Integrale Yoga verbindet diese drei Spielarten miteinander. Auch der in Deutschland populäre Yoga Vidya („Wissen“, „Weisheit“) Sivanandas (1887 – 1963) versteht sich in dieser Tradition. Eine mit dem Raja-Yoga entfernt verwandte, für nicht-hinduistische Einflüsse durchaus offene Yogapraxis etablierte mit dem Kriya-Yoga auch Paramahansa Yogananda (1893 – 1952). Dieser betrat 1920 zum ersten Mal US-amerikanischen Boden und gründete zur Verbreitung seiner Lehre die sehr erfolgreiche „Self-Realization Fellowship“ (SRF). Yogananda schrieb nicht nur den spirituellen Bestseller „Autobiography of a Yogi“, sondern wurde bald auch zu einem Vorreiter späterer indischer „Pop-Gurus“, indem er die Nähe politischer und kultureller Kreise gleichermaßen suchte. Er beeindruckte die Musiker Elvis Presley, Ravi Shankar und George Harrison ebenso wie später den Apple-Gründer Steve Jobs.

Bei dem im Westen besonders weit verbreiteten Hatha-(„Kraft“-)Yoga handelt es sich um eine Ausprägung des Yoga, die ursprünglich nur zur Unterstützung der anderen Yogawege entwickelt wurde. Sie konzentriert sich auf die oben genannten Meditationsstufen Asana (Körperhaltungen) und Pranayama (Atemregelung). Heute hat sich diese Form der Yogapraxis weitgehend verselbständigt und ist für viele Praktizierende im Westen mittlerweile gleichbedeutend mit dem Yoga überhaupt geworden. Wer heute „Yoga macht“, widmet sich meist einer Abfolge verschiedener Asanas. Das bekannteste Beispiel einer solchen Abfolge ist wohl „Surya Namaskar“ – der sog. Sonnengruß. Die westliche Yogapraxis spiegelt insofern meist nur einen sehr beschränkten Teilaspekt der spirituellen Yogalehre des Hinduismus wider (vgl. auch Hummel, 7). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden einige Asanas zudem nach dem Vorbild altbekannter Gymnastikübungen entwickelt.

Gerade das Feld des Hatha-Yogas hat sich in den letzten Jahrzehnten in hohem Maße ausdifferenziert. Zu dieser im Rahmen von (Volks-)Hochschulangeboten auch als Ashtanga- oder Vinyasa-Yoga bezeichneten Form treten dort oftmals der ruhigere Yin-Yoga, aber auch „Power-Yoga“ bzw. „Acro-Yoga“. Deren Name ist Programm – sie werden daher von traditionsbewussteren YogalehrerInnen eher für eine Art „Aerobic“ gehalten als für moderne Adaptionen altindischer Heilslehren. Beim nicht minder schweißtreibenden Bikram-Yoga werden die Asanas in einem ca. 35 bis 40 Grad heißen Raum praktiziert. Der Hasya-(„Lach“-)Yoga strapaziert weniger die Gliedmaßen, dafür umso stärker Zwerchfell und Atemmuskulatur: Hier wird künstliches Lachen geübt, das später zu echtem Lachen werden soll.

Eine gewisse Bedeutung hat im Westen zuletzt auch der u. a. von Yogi Bhajan (1929 – 2004) propagierte Kundalini-Yoga erlangt. Ihm liegt die Vorstellung einer den Körper durchziehenden göttlichen Lebensenergie (Shakti) zugrunde, die wie eine zusammengerollte Schlange (Kundalini) am Beckenboden liegt. Mithilfe von Übungen soll die Kundalini geweckt werden und durch sieben Energiezentren (Chakren) entlang der Wirbelsäule bis zum Scheitel (Sahasrara) aufsteigen, wo sich die weiblich gedachte Shakti mit dem männlichen kosmischen Bewusstsein (Shiva oder auch Atman) vereinen kann (vgl. auch von Stietencron, 64f). Geprägt ist dieser Yoga von Mantren und sanften Asanas, die der Kundalini den Weg bereiten sollen.

Gemeinsam ist all diesen äußerst heterogenen Ausformungen der historischen und modernen Yogapraxis ihr monistischer Anspruch, ihr Streben nach einer „Befreiung durch Erkenntnis der Einheit in der Zweiheit, der Gleichheit von Geist und Materie und der Verschiedenheit von Seele und Materie durch die Identifikation der Individualseele mit Unsterblichkeit“ (Michaels, 295), in letzter Konsequenz also nach einer Auflösung des Selbst im Ganzen.

Wie verhalten sich Yoga und Christentum zueinander?

In seiner ursprünglichen Form handelt es sich beim Yoga um eine spezifische und dabei doch sehr vielfältige Form hinduistischer Religionspraxis. Ungeachtet vereinzelter Versuche etwa Yoganandas, Jesus und einige seiner Jünger im Nachhinein zu ihresgleichen zu erklären, um ihre Lehre in einer westlichen, christlich geprägten Umgebung kulturell anschlussfähiger zu machen, ist Yoga eigentlich kein Bestandteil der christlichen Religionspraxis. Allerdings wäre auch die Annahme verfehlt, seine Yogapraxis mache einen Menschen zwangsläufig zu einem Hindu. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil eine Konversion zum Hinduismus traditionell nicht vorgesehen ist, als Hindu wird man geboren. Manche Hindu-Organisationen kritisieren sogar die zunehmende westliche Vereinnahmung einer ursprünglich genuin indischen spirituellen Praxis. Der Grad an Übernahme von Hindu-Lehren ist bei den diversen Yoga-Schulen zudem sehr unterschiedlich. Eine intensive Auseinandersetzung mit hinduistischen Lehren ist z. B. bei Yoga Vidya oder dem Kundalini-Yoga zu beobachten.

Es gehört außerdem mehr dazu, Hindu zu sein, als sich mehr oder weniger regelmäßig Asanas und kontrolliertem Atmen zu widmen. Das Dharma als umfassendes Ordnungsprinzip der indischen Gesellschaft, das auch zur religiösen Begründung des indischen Kastenwesens dient, ist wie der Samsara auch für jene Hindus prägend, die eine Versenkung ihres Atman im Brahman mittels Yogatechnik suchen. Eine solche Orientierung am Dharma-Konzept oder die ihm zugrunde liegende Vorstellung eines Kreislaufs der Wiedergeburten ist aber nur für die wenigsten nicht-hinduistischen Yoga-Praktizierenden relevant. Auch wenn ChristInnen mit dem Yoga eine in ihrem Ursprung hinduistische Praxis ausführen, bleiben ihnen zentrale Bestandteile hinduistisch inspirierter Weltanschauung insofern weiterhin fremd.

Wenn Yoga also losgelöst von tiefergehenden Elementen hinduistischer Religiosität praktiziert werden kann, wäre es dann nicht denkbar, ihn auch für den christlichen Glauben fruchtbar zu machen? Vielfach wird moniert, gerade die evangelische Spiritualität habe den Körper weitgehend aus den Augen verloren. Auch mystische Traditionen (etwa die unio mystica als Ziel einer spirituellen Vereinigung des betenden Menschen mit Gott) spielen in der kirchlichen Gegenwart kaum mehr eine Rolle. Mit Verweis auf die paulinische Aufforderung „Prüft aber alles, das Gute behaltet“ (1. Thess 5,21) fragen daher manche, ob zur Bereicherung der evangelischen Glaubenspraxis nicht auch ein „christlicher Yoga“ begrüßenswert wäre (vgl. Hummel, 30f).

Tatsächlich sehen einige ChristInnen im Yoga eine Möglichkeit, „den eigenen spirituellen Reichtum mit den Herausforderungen der Körperorientierung in einen fruchtbaren Dialog zu bringen“ (Hahn, 18). Richtig adaptiert könnte Yoga dann zu einer neuen Ausdrucksform auch christlicher Religiosität werden, müsste dabei allerdings im Unterschied zu seinen hinduistischen Ursprüngen „von Gottes Befreiungshandeln getragen werden und zur Hoffnung auf ein befreites Subjekt führen“ (ebd., 39). So verstanden würden ChristInnen mit Yogaübungen eben nicht das hinduistische Ziel einer Auflösung der Individualseele in einer Weltseele verfolgen, sondern die christliche Hoffnung auf individuelle Erlösung bliebe ausdrücklich bestehen. Es ginge darum, „in das Innere zu schauen und sich so mit allen Sinnen auf Gott ausrichten zu können“ (Lang, 6). Im Rahmen christlicher Spiritualität könnte dem Yoga außerdem „auch eine vorbereitende religiöse Funktion zugeschrieben werden, nämlich als Hilfe zur Sammlung und zu jener Stille, in der der Christ wieder zum Hören, Bibellesen und Beten fähig wird“ (Hummel, 25). Vor diesem Hintergrund ist auch die immer wieder diskutierte Zulässigkeit von Yogakursen in kirchlichen Räumen nicht kategorisch auszuschließen.

Für viele Praktizierende tritt die spirituelle Dimension heute zudem nahezu vollständig in den Hintergrund. Yoga kann bei Schlafstörungen und Depressionen helfen sowie Rückenschmerzen lindern. Teilweise werden die Kosten für Yogakurse sogar von Krankenkassen übernommen, die den Nutzen von Yogaübungen zum Stressabbau und zur Prävention spezifischer Krankheiten anerkennen (gleichzeitig aber auch vor potenziell schädlichen Yogaübungen warnen, die im Extremfall etwa zu Bandscheibenvorfällen oder Hyperventilation führen können; vgl. Ott, 229). Manche Arbeitgeber bieten Yoga als Bestandteil der betrieblichen Gesundheitsförderung an. Der Anspruch, eine Verbindung von Geist und Körper zu fördern, oft mittels Abstimmung der Bewegungen auf den Atem, ist freilich auch in den populären, eher „meditationssportlichen“ Formen der Yogapraxis weit verbreitet.

Obgleich die „International Yoga Sports Federation“ (IYSF) regelmäßige „Yoga-Weltmeisterschaften“ ausrichtet, ist ein sportlicher Leistungsdruck dem Yoga eigentlich fremd, geht es dabei doch gerade darum, sich von solch weltlichen Ansprüchen zu lösen. Bei der 30-Tage-Challenge einer YouTube-Yogalehrerin kämpft man daher auch nicht gegeneinander, sondern vielmehr gegen seinen eigenen „Schweinehund“. Dennoch handelt es sich beim modernen Massenphänomen „Lifestyle-Yoga“, Auftreten und Selbstmarketing nach zu urteilen, häufig eher um einen Sport als um eine altindische spirituelle Praxis. Und in der Gruppe sucht man dann gelegentlich doch den athletischen Vergleich. Auch die Beweggründe zur Teilnahme an solchen (Online-)Yogakursen sind oftmals primär utilitaristisch: Man verfolgt Fitnessziele und Schönheitsideale, will dabei aber frei bleiben (oder zumindest wirken) von äußerem Erfolgsdruck (Rottenberg).

Einschätzung

Der Art und dem Anspruch nach ist der Yoga eine viel zu heterogene und vielschichtige Gestalt von Religionspraxis, als dass sie sich mit einem Pauschalurteil bewerten ließe. Auch 30 Jahre nach ihrer Formulierung bleibt die folgende Problemanzeige zum Umgang mit Yoga unverändert aktuell:

„Yoga im Westen bewegt sich in beiden Sphären: als Gesundheits- und Entspannungs-Yoga in der säkularen Welt von heute, als Suche nach mystischer Erfahrung und nach Lebenssinn sowie im Kontext missionierender Gurubewegungen im religiösen Bereich. Die Übergänge zwischen beiden sind fließend. In beiden Sphären ist Yoga präsent, ob es der Kirche passt oder nicht“ (Hummel, 28).

Yogaangebote in den geschilderten gesundheits- oder sportorientierten Formen (vor allem im Fitnessstudio) haben nur sehr geringe weltanschauliche Relevanz. Vermutlich würden sich nur wenige YogalehrerInnen als „Gurus“ bezeichnen. Etwas anderes allerdings gilt für die etwa von Yoga Vidyaangebotenen, ebenfalls unter dem Rubrum „Yoga“ gefassten Einkehrtagungen (Retreats) in hinduistischen oder zumindest hinduistisch inspirierten Meditationszentren (Ashrams). In ihnen können die körperlichen Yogaübungen eine deutliche spirituelle Überformung erfahren, indem sie nicht nur in einen liturgischen Tagesablauf eingebettet, sondern auch mit einer ausgeprägten Guruverehrung, der Lehre von Reinkarnation und Karma sowie anderen, mit dem Christentum nicht zu vereinbarenden Glaubensinhalten verbunden werden (vgl. Hummel, 29).

Immer wieder kam und kommt es in solchen Gruppierungen vereinzelt zu Fällen spiritueller (und finanzieller) Abhängigkeit und zu sexualisierter Gewalt durch charismatische Führungspersonen, die das in der klassischen Yoga-Initiation unabdingbare, aber strukturell ungleiche Guru-Schüler-Verhältnis sowie ihre Machtstellung innerhalb verschwiegener Gruppen skrupellos ausnutzen. Auch wenn dies in der Sache leider nicht auf die Yogapraxis beschränkt, zudem dort äußerst selten anzutreffen ist und mit den körperlichen Meditationsübungen selbst meist wenig zu tun hat, entbindet dies nicht von der Mahnung zu äußerster Vorsicht im Umgang mit einschlägig bekannten Gurus. Ratsam erscheint es jedenfalls, verfügbare Informationen zu nutzen sowie der eigenen Intuition zu vertrauen und im konkreten Fall zu prüfen, ob die spirituelle Grundierung des gelehrten Yoga die angestrebte körperliche Betätigung überwiegt bzw. ob die Yoga-Praktizierenden in ihrer persönlichen Entfaltung eingeschränkt werden.


Alexander Benatar, 01.05.2021

Anmerkungen

  1. Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland: Repräsentative BDY-Studie zu Yoga in Deutschland, www.yoga.de/yoga-als-beruf/yoga-in-zahlen/yoga-in-zahlen-2018 (Abruf: 5.5.2021).

Literatur

Eliade, Mircea: Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit, Frankfurt a. M. / Leipzig 32016.

Hahn, Andreas (Hg.): Yoga und christlicher Glaube. Zwischen körpersensiblen Entdeckungen und synkretistischer Vereinnahmung, EZW-Texte 270, Berlin 2020.

Hummel, Reinhart: Yoga – Meditationsweg für Christen? Probleme einer christlichen Yoga-Rezeption, EZW-Information 112, Stuttgart 1990.

Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, München 32008.

Lang, Katharina: Yoga & Christentum, 2021, https://yogahimmelwaerts.de/yoga-christsein (Abruf: 27.4.2021).

Malinar, Angelika: Hinduismus, Göttingen 2009.

Michaels, Axel: Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998.

Ott, Ulrich: Yoga für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt die uralte Wahrheitslehre, München 2013.

Rottenberg, Tom: Yoga ist doch kein Sport!, Der Standard, 17.1.2021, www.derstandard.at/story/2000123302200/yoga-ist-doch-kein-sport  (Abruf: 27.4.2021). 

Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, München 42017.

Wobbe, Liane: Hinduismus. Geschichte, Inhalte, Transformationen, EZW-Texte 258, Berlin 2018.