Säkularer Humanismus
Eröffnung einer Hochschule mit freidenkerisch-humanistischem Profil
Eröffnung einer Hochschule mit freidenkerisch-humanistischem Profil (letzter Bericht 6/2021, 433-435). Im November 2022 hatte die Wissenschaftsverwaltung des Berliner Senats nach dem erfolgreichen Abschluss eines Konzeptprüfungsverfahrens die staatliche Anerkennung der 2021 gegründeten „Humanistischen Hochschule Berlin“ (HHB) ausgesprochen. Damit war für den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg (HVD BB) eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Verwirklichung des lange verfolgten Projekts einer eigenen Hochschule mit freidenkerisch-humanistischem Profil genommen – der ersten in Deutschland. Zum Wintersemester 2023/24 hat nun der Studienbetrieb an der HHB begonnen.
Viele Jahre hatte sich der HVD um eine stärkere Präsenz im Wissenschaftsbetrieb bemüht. Dabei war jedoch intern umstritten, ob man sich in die bestehenden Universitäten und Fachhochschulen eingliedert oder eher die Gründung eigener, privatrechtlicher Einrichtungen verfolgt. Die Ausgangslage wurde vor mehr als 25 Jahren in einer Schrift des HVD mit gewisser Polemik beschrieben:
Besonders gravierend ist die Diskriminierung der Konfessionsfreien im Bildungssektor. Es gibt in Deutschland dreißig staatlich alimentierte kirchliche Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen. Der Staat unterhält zahlreiche Theologische Fakultäten. Nicht einmal bei der „Seelsorge“ und beim „Lebenskundlichen Unterricht“ in den Kasernen der Bundeswehr gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung weltanschaulicher mit religiösen Gemeinschaften. Allein für die Ausbildung von Geistlichen und Religionslehrern gibt die Bundesrepublik jährlich viele Millionen Mark aus. Dagegen ist es bis heute in Deutschland zu keinem einzigen humanistischen Lehrstuhl gekommen, auf dessen Besetzung die Organisationen der Konfessionsfreien einen Einfluß bekommen hätten.1
Zu den politischen Bemühungen, die nach der Jahrhundertwende forciert wurden, gehörten zum Beispiel einige Tagungen, die der HVD in den Jahren 2002 bis 2004 zum Thema „Humanistik“ durchführte. Damit verbunden waren auch die Versuche der säkularen Szene, den Begriff „Humanistik“ als „wissenschaftliche und (aus)bildende Beschäftigung mit (säkularem) Humanismus“2 zu etablieren. Höhepunkt dieses Engagements war 2016 das Erscheinen eines Handbuchs zu den Grundbegriffen des Humanismus im Verlag de Gruyter.3 Der etwas gewöhnungsbedürftige Begriff orientiert sich am Namen der 1989 in Utrecht (Niederlande) gegründeten Universiteit voor Humanistiek. Dort werden humanistische Berater bzw. Beraterinnen und Lehrpersonal für den Lebenskundeunterricht ausgebildet.
Gründungsrektor der neuen Hochschule ist der emeritierte Philosophieprofessor und Kulturstaatsminister a.D. Julian Nida-Rümelin. Vorerst soll die HHB einen grundständigen Bachelorstudiengang („Soziale Arbeit“ mit 35 Studienplätzen) und zwei Masterstudiengänge („Angewandte Ethik“ mit 10 Studienplätzen sowie „Humanistische Lebenskunde“ mit 40 Studienplätzen) anbieten. Als Standort ist das Gebäude der früheren australischen Botschaft in der DDR im Berliner Stadtbezirk Pankow vorgesehen. Hier soll ein „Bildungscampus Grabbeallee“ entstehen, der neben der Hochschule auch eine Humanistische Kita und eine Humanistische Grundschule beherbergen könnte. Bis zur endgültigen Fertigstellung dieses Areals erfolgt der Studienbetrieb vorübergehend in Berlin-Mitte (Brückenstraße 5a). Zur Frage, was die Humanistische Hochschule von anderen Hochschulen unterscheidet, heißt es auf der Homepage:
Die HHB ist die erste Hochschule Deutschlands mit einem humanistisch-weltanschaulich geprägten Profil. Hiermit bildet sie eine Ergänzung zu bereits etablierten Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft und bereichert damit die deutsche Hochschullandschaft, indem sie zu ihrer Vielfältigkeit beiträgt.4
Man kann die Bereicherung des deutschlandweit größten Universitätsstandortes Berlin mit seinen 200.000 Studierenden durch knapp 100 weitere Studienplätze sicher unterschiedlich bewerten. Zu einem regelrechten Streitfall hat sich allerdings die Frage der Finanzierung der HHB entwickelt. Der HVD erwartet einen finanziellen Beitrag des Berliner Senats, der nach einem verwaltungsrechtlichen Gutachten im Haushaltsjahr 2022/23 in einer Höhe von 1,6 Millionen Euro vorgesehen war. Inzwischen gibt es jedoch ein weiteres Gutachten, das von Christian Waldhoff im Auftrag des Berliner Senats erstellt wurde und zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt. Waldhoff vertritt die Auffassung, der HVD habe nach gegenwärtiger Rechtslage keinen Anspruch auf staatliche Förderung. Er verweist dabei ausdrücklich auf die bescheidene Mitgliederzahl des Verbandes, der in Berlin und Brandenburg rund 14.600 Mitglieder zählt. Der HVD argumentiert hingegen mit dem regen Interesse an seinen Angeboten und nennt hierfür die erstaunliche Zahl von rund 300.000 Nutzern. Unabhängig von der leidigen Frage nach den Mitgliederzahlen untersagt das Berliner Hochschulgesetz ausdrücklich die Finanzierung privater Hochschulen; eine Ausnahme bilden die zwei staatlich anerkannten Berliner Fachhochschulen in kirchlicher Trägerschaft.
Trotz der offenen Fragen hat die HHB den Studienbetrieb zum Wintersemester 2023/24 aufgenommen. Die Eröffnung dieser Hochschule mit freidenkerisch-humanistischem Profil ist ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr sich die religiöse Kultur in Deutschland verändert. Der HVD war vor dreißig Jahren aus den seinerzeit eher bedeutungslosen Westberliner Freidenkern hervorgegangen. In den letzten drei Jahrzehnten hat er eine Fülle von Sozialeinrichtungen übernommen bzw. gegründet und sich im gesellschaftlichen Raum geschickt positioniert. Im Jahr 2017 wurde er in Berlin-Brandenburg als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anerkannt. Der HVD betont immer wieder, dass Religion und Weltanschauung und damit Kirche und freidenkerisch-humanistische Bewegungen gleichbehandelt werden müssen. Dieses Argument erweist sich einerseits als durchaus stichhaltig, weil es auf die Aussagen zur Religionsfreiheit aus dem Grundgesetz (Art. 4) abhebt. Andererseits verkennt es die gravierenden Unterschiede in der Mitgliederzahl und damit in der gesellschaftlichen Relevanz. Seit Studienbeginn zum Wintersemester 2023/24 lässt sich auf der Startseite der Homepage eine recht vollmundige Ankündigung lesen: „Als erste Hochschule Deutschlands gründen wir unsere Forschung und Lehre auf ethisch-humanistischen Überzeugungen.“5
Andreas Fincke, Erfurt, Dezember 2023
Anmerkungen
- Zitiert nach Horst Groschopp: Humanistik – Von der Utopie zur Wissenschaft?, humanismus aktuell 15 (2004), 4–13, 6.
- Zitiert nach Groschopp: Humanistik, 6.
- Hubert Cancik/Horst Groschopp/Frieder Otto Wolf (Hg.): Humanismus. Grundbegriffe (Berlin: de Gruyter, 2016). Vgl. die Rezension in MdEZW 80,2 (2017), 73–75.
- So unter den „Häufig gestellten Fragen“: Was unterscheidet die Humanistische Hochschule Berlin von anderen Hochschulen?, https://humanistische-hochschule-berlin.de/studium (abgerufen am 24.10.2023).
- „Über uns“, https://humanistische-hochschule-berlin.de (abgerufen am 24.10.2023).