Protest: Alevitische Jugend zieht sich vom ÖKT und Hamed Abdel-Samad aus der Deutschen Islam Konferenz zurück

Der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) hat am 20. Oktober 2020 seinen Rückzug aus der Vorbereitung des Ökumenischen Kirchentags (ÖKT) in Frankfurt 2021 erklärt. Deutschlands „größte Migrantenjugendselbstorganisation“, wie sie sich nennt, protestiert damit gegen die Beteiligung des „Islamrats“ und des „Zentralrats der Muslime in Deutschland“ (ZMD) an der Projektkommission „Forum Muslime und Christen“, die einen Programmteil des ÖKT vorbereitet.1

Der Protest richtet sich nicht gegen „individuelle Mitglieder der Kommission, sondern … die Verbände und die entsprechenden abwertenden und menschenfeindlichen Ideologien, die sie vertreten. Von diesen Verbänden geht eine Gefahr für Alevit_innen und andere Minderheiten in Deutschland aus.“2 Das Problem sind bestimmte Mitglieder der beiden Dachverbände. Die vermutlich größte Mitgliedsorganisation und Gründungsmitglied des ZMD ist die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB)3, die laut Verfassungsschutzbericht zum Spektrum der türkischen „Grauen Wölfe“ zählt. Zu ihren Feindbildern gehören Kurden, Armenier, Aleviten und Juden, sie geht von einer rassischen Höherwertigkeit der Turkvölker aus und gilt laut Bundeszentrale für politische Bildung als größte rechtsextreme Organisation Deutschlands.4 Im Islamrat wiederum ist ein wichtiges Mitglied die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ (dt.: „Nationale Sicht“). Sie vertritt in Teilen eine islamistische, antisemitische und antidemokratische Ideologie. Beide Mitgliedsorganisationen stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Der ÖKT hatte die beiden Dachverbände trotz seines Wissens um diese Hintergründe in die Dialog-Planungskommission berufen. Vom BDAJ hierauf angesprochen, hatte der ÖKT erklärt, bei der Gremienzusammensetzung habe man auf „Vielfalt“ und auf „Geschlechter- und Generationengerechtigkeit“ geachtet. Die beteiligten Vertreter des ZMD und des Islamrats seien fest in der Landschaft des christlich-muslimischen Dialogs verankert, das heißt, auch die Kirchen führen ihren Dialog mit ihnen. Der BDAJ kam zum Schluss: „Offenbar gibt es [beim ÖKT] ein Bewusstsein dafür, dass die genannten Verbände ‚problematisch‘ sind. Ziel der Projektkommission sei es aber, ‚Vielfalt‘ darzustellen. Das Projekt an sich zähle und solange sich in Rahmen der Projektkommission niemand falsch verhalte, würde an den Partnerorganisationen festgehalten.“ Aus der Sicht des BDAJ ist die „Zusammenarbeit mit den genannten Organisationen … kein Ausdruck von Weltoffenheit oder Antirassismus. Antirassismus bedeutet im Gegenteil, politische Akteure … ernst zu nehmen und sich entsprechend zu positionieren – und nicht per se als integrationsbedürftige oder integrationswürdige ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ einzubeziehen.“ Außerdem werde beim ÖKT „mit zweierlei Maß gemessen“, da eine Zusammenarbeit mit vom Verfassungsschutz beobachteten deutschen Rechtsextremisten ausgeschlossen sei.5 Der ÖKT hatte Auftritte von AfD-Mitgliedern beim ÖKT ausgeschlossen.

Die Kirchen sind nicht die Einzigen, die zurzeit öffentlichkeitswirksam Gegenwind wegen ihres Umgangs mit dem politischen Islam bekommen. Am 10. November 2020 gab der Publizist Hamed Abdel-Samad in einem offenen Brief an Innenminister Seehofer bekannt, er trete nach zehnjähriger Mitgliedschaft aus der Deutschen Islam Konferenz (DIK) zurück.6

Im Interview erklärte Abdel-Samad, man habe kritische Stimmen wie ihn „sowieso nur eingeladen zur Zierde, um der Öffentlichkeit vorzutäuschen, dass diese Konferenz von allen Stimmen getragen wird. Aber das ist eigentlich eine Mogelpackung.“7 Die eigene Rolle dort beschreibt er rückblickend eher als „PR-Gag“. Gehört worden seien die Einwände der wenigen kritischen Vertreter nicht, Entscheidungen „hinter verschlossenen Türen“ seien fatalerweise immer im Sinne der Islamverbände getroffen worden.8 Ausschlaggebend für seinen Rücktritt war die jüngste Entscheidung des Innenministeriums, künftig diese Verbände trotz ihrer extremistischen Elemente in die Imam-Ausbildung in Deutschland einzubeziehen.

Die Absolventen der eigentlich zu diesem Zweck eingerichteten Fakultäten für islamische Theologie an deutschen Universitäten wurden von den Verbänden nicht akzeptiert. Abdel-Samad wirft der Bundesregierung vor, mit der genannten Entscheidung den Einfluss von Verbänden, die Extremisten in ihren Reihen dulden, auf die Imam-Ausbildung auszubauen: „Der Staat biedert sich den Vertretern des politischen Islam in dieser Konferenz an und ignoriert alle Warnungen und Vorschlägen [sic] der kritischen Stimmen. Bei der letzten öffentlichen Sitzung erklärte der DITIB-Chef, dass er Absolventen der Fakultäten für islamische Theologie der deutschen Universitäten nicht als Imame einstellen würde, weil diese die DITIB-Standards nicht erfüllen würden. Ich habe danach erwartet, dass die anwesenden Vertreter des Staates sich über diese Arroganz empören, doch dies ist nicht passiert. Stattdessen unterstützt der Staat nun, dass die DITIB und andere Vereine selbst ihre Imame ausbilden und zwar auf Kosten der Steuerzahler.“9 Allerdings wird zwar die Imamausbildung am neu geschaffenen „Islamkolleg“ in Osnabrück staatlich finanziert, doch ist hier nicht die DITIB, sondern der Zentralrat der Muslime (ZMD) beteiligt.

Abdel-Samad glaubt, die „Islamverbände erzählen den Politikern Märchen“. In Wirklichkeit arbeite der „politische Islam in Europa mit der gleichen Taktik, die den Islamisten in der Türkei zur Macht verholfen hat: Schleichend unterwandern Islamisten die staatlichen Strukturen.“ Der Staat finanziere das mit. Als Beispiel verweist er auf die mit staatlichen Millionen erbaute Moschee in Duisburg-Marxloh: „Der türkische Moschee-Verband Ditib bekam damals das Geld, nachdem er versprochen hatte, in der Moschee Sprachkurse für Frauen durchzuführen und Arbeitsplätze für junge Muslime in der wirtschaftlich schwachen Region zu schaffen. Doch kaum war die Moschee vollendet, entliess Ditib die Frauenbeauftragte und sagte die Sprachkurse ab; Projekte wurden keine realisiert.“10

Das Innenministerium betont in seiner Erwiderung auf Abdel-Samads Kritik, allein die Tatsache, dass überhaupt Imame in Deutschland ausgebildet statt aus dem Ausland importiert würden, sei ein Fortschritt. An den neuen Ausbildungsstätten würden auch die Absolventen der staatlichen Institute für islamische Theologie in Deutschland für eine weitere Ausbildung akzeptiert. Man erwarte nun, dass die Türkei künftig die Entsendung von Imamen nach Deutschland langsam reduziere.11

Abdel-Samad beansprucht, auch für andere kritische Stimmen in der DIK zu sprechen. Tatsächlich hatten sich ähnlich wie er schon vor zwei Jahren Bassam Tibi und Ali Ertan Toprak über die Nachgiebigkeit der Politik gegenüber den Islamverbänden geäußert, kurz nachdem die damalige Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt die Anerkennung von Islamverbänden als Religionsgemeinschaften gefordert hatte. Tibi nannte die Islamkonferenz rückblickend „eine Veranstaltung der Unehrlichkeit … In den offiziellen Diskussionen gaben sie [die Verbände] sich integrationswillig, verfolgt man dann während der Pausen die Diskussionen … untereinander, klang es ganz anders.“12 Toprak wiederum bemängelte, aufdem DIK-Treffen im November 2018 sei von einer ZMD-Vertreterin unter Beifall anderer islamischer Verbandsvertreter Protest gegen die Anwesenheit von Personenschützern im Raum gekommen (mehrere islamkritische Teilnehmer stehen seit Jahren unter dauerhaftem Polizeischutz). Er fand: „Die Frau hätte sagen müssen: Ich schäme mich als Muslimin, dass Menschen wegen ihrer Islamkritik geschützt werden müssen.“ Auch die Kirchen kritisierte Toprak damals scharf: „Vor allem die EKD hat da ja über Jahre eine fatale Rolle gespielt. Wenn es um Rechtsextremismus geht, sind die ganz weit vorne. Aber wenn es um den radikalen Islam geht, sind sie ganz zurückhaltend.“ Das Gewaltkriterium hielt er nicht für ausreichend. Die eigentliche Gefahr sei „der legalistische Islamismus, der als Krawattenträger daherkommt und so tut, als wäre er integriert. Diese Leute aber unterwandern unsere Gesellschaft mit ihrer Scharia-Politik noch viel gründlicher.“13
 

Kai Funkschmidt, 01.01.2021
 

Anmerkungen

  1. Vgl. die Erklärung: Austritt des BDAJ aus der Projektkommission „Forum Muslime und Christen“ zum Ökumenischen Kirchentag 2021, 20.10.2020,  tinyurl.com/y6sggbcv
  2. Ebd.
  3. Vgl. Friedmann Eißler: Islamische Verbände in Deutschland. Akteure, Hintergründe, Zusammenhänge, EZW-Texte 260, Berlin 2019, 18, 47. Dieser EZW-Text sei auch zum Weiterlesen über das Thema „Islamische Verbände“ empfohlen.
  4. Vgl. Kemal Bozay: Graue Wölfe – die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, 24.11.2017, tinyurl.com/y5pjbvsy.
  5. Erklärung: Austritt des BDAJ (s. Fußnote 1).
  6. Vgl. Hamed Abdel-Samad: Offener Brief an den Innenminister Seehofer, Facebook, 10.11.2020, tinyurl.com/y5npb6yh; ders.: „Wir haben Sie oft genug gewarnt!“(Offener Brief an Innenminister Seehofer), Emma, 10.11.2020, tinyurl.com/y5rlvxs8.
  7. Hamed Abdel-Samad: „Niemand hat die Islamisten mehr hofiert als die Grünen“ (Interview durch Antje Hildebrandt), Cicero, 11.11.2020, tinyurl.com/yynxtqub.
  8. Ebd.
  9. Abdel-Samad: Offener Brief an Innenminister Seehofer (s. Fußnote 6).
  10. Hamed Abdel-Samad: Die Islamverbände erzählen den Politikern Märchen, Neue Zürcher Zeitung, 26.11.2020, tinyurl.com/yxey3hsp.
  11. Vgl. Marcel Leubecher: Austritt aus Islamkonferenz. So verteidigt sich Seehofers Haus gegen Kritik von Abdel-Samad, Die Welt, 14.11.2020, tinyurl.com/y3lj2mz3.
  12. Bassam Tibi: „Deutschland kapituliert vor dem Islam“ (Interview durch Benedict Neff), Neue Zürcher Zeitung, 5.4.2018, 37, tinyurl.com/y69y4ayp.
  13. Ali Ertan Toprak: Warnung vor Gegengesellschaften! (Interview durch Alice Schwarzer), Emma, 30.11.2018, tinyurl.com/yxvm7tvw.