Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen (Hg.)

Naturliebe und Menschenhass. Völkische Siedler*innen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern

Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen (Hg.): Naturliebe und Menschenhass. Völkische Siedler*innen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern, 2020, 64 Seiten.1

Kaum ein Tag vergeht im Moment, so scheint es, ohne dass ein neues rechtes Netzwerk in Polizei- und Sicherheitsbehörden aufgedeckt würde. Die größte Aufmerksamkeit des Bundesverfassungsschutzes gilt zwar weiterhin dem Thema „Islamismus“, mittlerweile ist man dort wie auch der Bundesinnenminister selbst allerdings zu der Erkenntnis gelangt, dass die eigentliche Gefahr für unsere offene Gesellschaft von rechts ausgeht. Einen Aspekt dieser rechten Bedrohung beleuchtet die von der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen veröffentlichte Studie „Naturliebe und Menschenhass. Völkische Siedler*innen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern“.

Anlass zu diesem Sammelband, der neben journalistischen Artikeln und Interviews auch aktivistische Appelle sowie wissenschaftliche Beiträge vereint, bot die Beobachtung, dass sich im ländlichen Raum Deutschlands in den letzten Jahren scheinbar unabhängig voneinander eine ganze Reihe von völkisch-nationaler Ideologie geprägte Organisationen etabliert haben. Eine Anknüpfung an vermeintlich „urdeutsche“ Traditionen versucht so etwa der thüringische Verein „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ mit seinen jährlichen Sonnenwendfeiern und der Verehrung germanischer Götter. In Hessen wiederum gibt es Bemühungen, die historische „Wandervogel“-Bewegung wiederzubeleben – einschließlich ihrer antisemitischen Bezüge. Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang immer wieder das Netzwerk um das rechtsextreme Verlegerpaar Ellen und Götz Kubitschek in Schnellroda (Sachsen-Anhalt).

In einem der prägnanten Beiträge widmet sich Matthias Pöhlmann, langjähriger EZW-Referent und derzeit Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der rechts-esoterischen „Anastasia-Bewegung“. Diese auf eine fiktive Erzählung des russischen Autors Wladimir Nikolajewitsch Megre zurückgehende Glaubensgemeinschaft hat stark antisemitische Züge und ist nicht allein deshalb für völkisch-nationales Denken besonders anschlussfähig. Dem Vorbild der namensgebenden Protagonistin der Buchreihe folgend verwirklichen die AnhängerInnen des sogenannten „Anastasianismus“ sozial-utopische Siedlungsprojekte, streben nach einer ursprünglichen Lebensform jenseits „westlicher Dekadenz“ und hoffen dadurch, ähnlich wie Anastasia in Megres Erzählung, übernatürliche Kräfte zu erlangen. Das dahinterstehende weltanschauliche Gerüst besteht in einer kruden Mischung aus antidemokratischen Verschwörungsmythen, Parawissenschaften und Antisemitismus, die unter den oftmals Russland-begeisterten Rechten zunehmend Anklang findet. Verbindungen unterhalten einzelne der Anastasia-Siedlungen in Deutschland etwa mit der Reichsbürgerszene oder der „Identitären Bewegung“.

Die in der Heinrich-Böll-Veröffentlichung versammelten Schlaglichter auf völkisch-nationalistische Netzwerke im ländlichen Raum entwerfen ein zugleich erhellendes und erschreckendes Bild demokratie- und menschenfeindlicher Ideologien und Gruppierungen, deren politischer Arm inzwischen bis weit in die Landesparlamente und den Bundestag hineinreicht.


Alexander Benatar, 01.01.2021

Anmerkungen

  1. Die Publikation kann u. a. über die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen (Erfurt) bezogen werden. Kostenoser Download unter www.boell.de/de/2020/10/05/voelkische-siedlerinnen-eine-herausforderung-auch-fuer-die-politische-bildung.