Claudia Knepper

Harmonie, Gehorsam und Strafe

Ivo Saseks Lehre von der Kindererziehung

Ivo Sasek, der Begründer und Leiter der „Organischen Christus Generation“ (OCG), vertritt ein perfektionistisches und rigoristisches Christentum. Seine Lehre ist von Endzeitvorstellungen geprägt. Er tritt mit einem prophetischen Sendungsbewusstsein auf, von Gott berufen zu sein, das Christentum wiederzubeleben bzw. den christlichen Gemeinden eine Gerichtsbotschaft zu bringen. Er ist die eine unangefochtene Autorität in der Bewegung der OCG. Im deutschsprachigen Raum gibt es schätzungsweise etwa 1000 Anhänger, die sich verbindlich zur OCG halten und regelmäßig an Veranstaltungen bei Ivo Sasek in Walzenhausen in der Schweiz teilnehmen. In den letzten fünf Jahren scheint es kein Wachstum der Gemeinschaft gegeben zu haben.1Die ernsthafte und kompromisslose Weise, in der Sasek seinen christlichen Glauben lebt und vertritt, spricht besonders Christen an, denen Lehre und Leben in herkömmlichen Landes- und Freikirchen zu lau erscheinen. Darüber hinaus zeigten sich vor allem Familien beeindruckt von der Harmonie und dem Glaubensleben in Saseks Familie mit elf Kindern. Andere christliche Großfamilien haben sein Familienbild angenommen und vermögen offenbar ebenfalls ganz ähnlich wie Familie Sasek aufzutreten und durch ein erstaunlich konfliktfreies Zusammenleben und überzeugendes Glaubensleben zu beeindrucken. Allerdings geriet Sasek vor allem wegen seiner Äußerungen zur Kindererziehung wiederholt in die Kritik. Im Folgenden soll seine Lehre zur Erziehung dargestellt werden; dabei werden auch wesentliche Aussagen seiner Theologie zur Sprache kommen.Ivo Saseks Lehre zur Kindererziehung liegt in seiner 200 Seiten umfassenden Schrift „Erziehe mit Vision!“ vor. Sie erschien zuerst 2001 im Eigenverlag. Eine zweite, erweiterte Auflage folgte 2006. Zudem hat Ivo Sasek im Jahr 2000 ein Buch mit dem Titel „Mama, bitte züchtige mich!“ herausgegeben. Es enthält Texte seiner drei ältesten Kinder. Simon (geb. 1984), David (geb. 1986) und Loisa (geb. 1988) waren beim Erscheinen des Buches 16, 14 und 12 Jahre alt.In den 1980er und 1990er Jahren verbreitete Sasek den Kassettenkurs „Die christliche Familie“. Auf der 10. Kassette dieses Kurses äußerte er sich zum „Züchtigen mit der Rute“. Diese Kassette wird heute nicht mehr verbreitet; allerdings hat sich Sasek bisher nicht von den dort vertretenen Vorstellungen distanziert. In seiner Schrift „Erziehe mit Vision!“ entfaltet er systematisch seine rein theologisch begründete Lehre der Kindererziehung.2 Eine „menschliche“ – das heißt nach seiner Unterscheidung „nicht schöpfungsgemäße“ – Erziehung lehnt er ab. Entsprechend finden zum Beispiel psychologische Erkenntnisse zur Entwicklung von Kindern keine Beachtung.

Erziehungskampf gegen die Sünde

Nach Saseks Lehre ist es die Bestimmung des Menschen, „vollkommen mit Gott zusammengeleibt“ zu werden. Die Kehrseite dieser Bestimmung ist die Überwindung des Bösen. Kindererziehung konzentriert und beschränkt sich bei Sasek deshalb auf zwei Ziele: Heiligung des Lebens und Überwindung der Sünden. In der Erziehung der Kinder geht es dabei um nichts weniger, als die Seelen der Kinder vor dem Höllengericht zu retten.Die Kindererziehung steht bei Sasek in einem großen heilsgeschichtlichen Rahmen und hat über das individuelle Leben der Kinder hinaus Bedeutung. Nach Sasek ist die Erde seit Beginn einerseits von „guten Geistern“ – dazu gehören Engel – und andererseits von „Heerscharen unreiner Geister, Teufel und Dämonen“ bevölkert. Der Mensch wurde als „Rivale Satans“ geschaffen, der seine Bestimmung als erste Schöpfung Gottes verfehlt hatte. Der Mensch soll als zweite Schöpfung nun der Bestimmung gerecht werden, Gottes Leib zu sein. Da der Satan nichts anderes im Sinn habe, als die Vereinigung des Menschen mit Gott zu vereiteln, so Sasek, gehöre zur Berufung des Menschen entscheidend „die totale Beherrschung und Untertretung aller teuflischen Mächte“.Heute, so Sasek, leben wir in der Zeit eines unmittelbar bevorstehenden heilsgeschichtlichen Epochenwechsels. In dieser Zeit intensiviere sich der Kampf zwischen himmlischen und teuflischen Mächten. Zum einen erwartet Sasek die Geburt bzw. das Kommen einer „Erlöser-Generation“. Mit dieser werde „Christus vollendet“, der dann sein tausendjähriges Reich auf Erden errichten werde. Gleichzeitig versuche der Teufel die Geburt der Erlösergeneration zu verhindern. An dieser Stelle denkt Sasek vor allem an Abtreibungen. Eine andere Taktik des Satans sei es, die neue Generation durch „Kindesvergötterung“ zu verderben. „Fast sämtliche derzeitigen Angebote für Kinder“ wirkten „diametral dem Reich Gottes entgegen“.Ivo Sasek deutet die in der Tradition des Volkes Israel verankerten Feste Passah, Wochenfest und Laubhüttenfest heilsgeschichtlich. So wie sich das Passahfest in der Kreuzigung Jesu Christi erfüllt habe und das Wochenfest in der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten, so stehe für unsere Zeit unmittelbar die Erfüllung des Laubhüttenfestes bevor. Bei diesem „Epochenwechsel“ „soll unser Leib von der Versklavung an die Diesseitigkeit erlöst werden“. Die Metapher der Laubhütte stehe für ein Haus, das nur noch kurze Zeit Bestand hat. Um auf den Epochenwechsel vorbereitet zu sein, gelte es, die eigene Familie in die engere Gemeinschaft einer solchen Hütte zu führen. Dafür hat Sasek das Bild und die Praxis des „Familienaltars“ und der „Ruhe ringsum“ gefunden, was unten näher erläutert werden wird.Damit Eltern ihre Kinder das Erkennen und Überwinden der Sünde lehren können, müssen sie selbst ununterbrochen „im Strom des göttlichen Lebens stehen“ und sich darin üben, frei von Sünde zu leben. Das Böse bzw. der Teufel müsse im Kleinsten der Familie bekämpft werden, damit es auch im kosmisch Großen besiegt werden kann. Schlüssel für das Training im „Überwinden der Sündenmacht“ ist für Sasek der Wille des Kindes, denn im Kern sei Sünde „Eigenwille“. „Das Brechen des Willens des Kindes ist daher die fundamentalste Grundlage und zugleich wichtigste Aufgabe einer gottgemässen Kindererziehung und Bewältigung der Sündenmacht.“ Der Erziehungskampf gegen die Sünde beginne unmittelbar nach der Geburt in den allerersten Lebenstagen eines Kindes. Die Eltern sollen bereits die „Kleinsten das Widerstehen lehren. Dies tun wir, indem wir sie beständig den Unterschied zwischen gut und böse, erlaubt und nicht erlaubt spüren lassen und in allem klare Grenzen setzen. Dies tun wir, indem wir ihren Willen von den ersten Lebenstagen an dem unseren und nicht unseren Willen dem ihren anpassen.“ Aus eigener Erfahrung mit seinen Kindern berichtet Sasek, dass es gleich am Anfang darauf ankomme, dass die Eltern dem Kind sowohl den Stillrhythmus als auch den Schlafrhythmus vorgeben.

Vom Brechen des Eigenwillens

Hinter Saseks Rede vom „Brechen des Eigenwillens“ steht seine Vorstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch, bei der es für den Menschen darauf ankomme, jeden Eigenwillen aufzugeben und ganz im Willen Gottes aufzugehen. Sasek unterscheidet dabei einen schlechten „Eigenwillen“ von einem guten „eigenen Willen“. „Durch das Brechen des Eigenwillens wird darum der naturgemässe gute Wille freigesetzt, um an dem vollkommenen Willen Gottes wieder funktionstüchtig angedockt zu werden.“ Dabei helfe es in der Erziehung nicht, an den guten Willen des Kindes zu appellieren. „Sobald wir nämlich das Böse gründlich genug austreiben, fliesst das Gute von selbst nach.“ In diesem Zusammenhang deutet Sasek körperliche Züchtigung an. Er erzählt, wie ihn seine Mutter als Kind mit dem Teppichklopfer geschlagen habe. „War mein Herz zuvor auch noch so böse, verstockt oder närrisch, hinterher war es jedes Mal wieder wie blank poliert.“ Sasek weist darauf hin, dass das Böse „fortlaufend beherrscht und draussen behalten“ werden müsse, weil es sonst „in kürzester Zeit“ zurückkehre. Man muss hier wohl von einer ständigen Disziplinierung und Gehorsamsübung ausgehen, die Sasek sowohl an sich selbst und seiner Familie übt als auch von seinen Anhängern einfordert. Dabei tritt er kompromisslos auf: „Auch ein hundertprozentiges, konsequentes Zurückstutzen und Anpassen an das Gesetz Gottes wird nie ein Problem sein, wohl aber das kompromissreiche Zurückstutzen.“ Lohn einer solchen Erziehung sei der „Segen des Gehorsams“.Sasek vertritt die Vorstellung einer großen, auch sozial verstandenen Einheit in Gott, der alles Individuelle fremd ist. Gott vereine und umfasse alles. In diesem Zusammenhang fällt einer der wenigen Sätze Saseks über die Liebe Gottes („Gott ist nicht nur eitel Liebe“), von der er nicht viel zu halten scheint. „Der Geist des Herrn erzieht uns hinein in ein Gesamtes, hinein in einen alle Äonen umfassenden Organismus. Um dieses grossen Endzieles willen ist es von allergrösster Wichtigkeit, dass wir unseren Kindern beständig ein organisches Gesamtbewusstsein vermitteln.“ Dazu gehöre auch das Wissen darum, dass, wenn ein Glied leide, alle Glieder des Organismus leiden. Als Beispiel für diese Wissensvermittlung nennt Sasek „Kollektivstrafen“, die er „gelegentlich“ über seine Kinder verhänge, „obgleich nur ein Einzelnes oder zwei, drei gesündigt haben“ (zum Beispiel den Verzicht auf einen geplanten Ausflug, gemeinsames Hausputzen statt gemeinsam zu spielen).

Durch Strafen und Enthaltsamkeit zur vollkommenen Harmonie

An der perfektionistisch verstandenen Harmonie im Familienorganismus bemisst sich das, was Sasek unter Sünde versteht. Sünde ist alles, was von Gott trennt. Von Gott trennt nach Sasek alles, was „Unruhe“ macht. „Wir sind dazu berufen, unablässig in [Gottes, C.K.] Kraftstrom des Lebens zu wandeln und es in zunehmendem Überfluss zu haben. Es [das Leben, C.K.] ist in allem und jedem zu finden, wo Gott drin ist; und es weicht auf der Stelle von allem und jedem, wo Gott nicht drin ist.“ Für Sasek ist „das Leben Gottes“ das „Messorgan“ dafür, ob die eigene Lebensführung heilig ist oder nicht, ob etwas nach Gottes Willen und in seiner Gemeinschaft getan oder gedacht wird oder nicht. Dieses Messorgan wendet Sasek auf buchstäblich die gesamte alltägliche Lebenspraxis an. In seiner Familie wird regelmäßig die Frage gestellt, ob das Leben gerade „rauf“ oder „runter“ gehe. Diese Praxis lehrt Sasek auch seine Anhänger, und sie findet in den kollektiven „Bemessungen“ des rechten Glaubens Anwendung, die Sasek für Anhänger in Walzenhausen anbietet. Liegt ein (auch persönliches) Problem vor, wird die versammelte Familie bzw. die versammelte Gemeinschaft gefragt, ob Gottes Leben in dieser Sache sei oder nicht. Obwohl „schon bei der kleinsten Abweichung von der Vollkommenheit Gottes ... das Leben von uns zu weichen“ beginne, sei es doch möglich, „vollkommen in diesen Gott hineinverleibt zu werden, und zwar schon hier auf Erden“.Sasek spricht von der „formhaften“ und der „wesenhaften“ Erziehung. Unter der formhaften Erziehung versteht er Strafen, die die Kinder noch nicht verstehen müssen oder sollen. Hier geht es Sasek zum einen darum, Kinder dazu anzuhalten, selbst darüber nachzudenken, warum sie eine Strafe bekommen haben. Zum anderen sollen Kinder lernen, „bereits bei der ersten Anweisung zu gehorchen“. Sasek sieht darin eine Übung im Gehorsam gegenüber der „Stimme des Heiligen Geistes“. In der wesenhaften Erziehung bemüht sich Sasek um Strafen, die es den Kindern ermöglichen, das Wesen der Weisung, die sie nicht befolgt haben, zu verstehen. Als Beispiele nennt er: bei Faulheit den Fleiß, bei Gier den Verzicht, bei Undank, Unzufriedenheit oder Lustlosigkeit den Verzicht oder Arrest, bei Verschwendung den Mangel, bei Verantwortungslosigkeit die Pflicht. Er weist darauf hin, dass man Kinder, die dazu neigen, ihre Fehler und Sünden zu verheimlichen, dazu anhalten soll, regelmäßig Verfehlungen zu gestehen. „Verklagen“ sich dagegen Kinder, rate ihnen Sasek, sich z. B. „jeden Tag mindestens einmal bewusst etwas Gutes [zu] tun“. „Sind sie aber widerspenstig und böse oder entgegen der Ermahnung wild, unbändig und übermütig, so schone deine Rute nicht. Du gibst ihnen zwei, drei zünftige Streiche hinten drauf und schon ist der Wille wieder gereinigt, die Kammern des Leibes geputzt und die Narrheit vom Herzen des Knaben entfernt (Sp 20,30 / 22,15).“ Zuvor spricht sich Sasek für das rechte Maß im Strafen aus: „Da ist nichts mit stur angewandtem Rutengebrauch.“ Damit knüpft er an seine frühere Lehre von der Züchtigung mit der Rute an und mildert sie zugleich ab. In der erwähnten Predigt auf Kassette 10 des Kurses „Die christliche Familie“ hatte Sasek das Strafen mit der Rute biblisch (fragwürdig) begründet und massiv vertreten. Nur der Gebrauch der Rute – bis zu „blutigen Striemen“ – auch schon bei kleinen Kindern könne die Bosheit aus ihnen austreiben und sie letztlich vor der Hölle bewahren. In der Schrift „Mama, bitte züchtige mich“ berichtet der etwa 15-jährige Simon vom Gebrauch der Rute im Hause Sasek („ein Bambuszweig von etwa 70-80 cm Länge und 0,5 cm Durchmesser“, „das gefürchtetste Objekt des Hauses“), die er zum ersten Mal als Vierjähriger zu spüren bekam.3 Ivo Sasek erwähnt selbst, dass er zweimal wegen Kindesmisshandlung angezeigt wurde, 1993 und 2001, was jeweils zu einer Untersuchung, nicht aber zur Strafverfolgung führte.4Im Kapitel „Berufungsgemäßes Erziehen“ schreibt Sasek vom bevorstehenden heilsgeschichtlichen Epochenwechsel, seiner Erwartung einer Erlösergeneration und den Taktiken des Teufels gegen sie. In diesem Zusammenhang erwähnt Sasek, dass er seine Kinder nach dem alttestamentlichen Vorbild Gott geweiht habe, was er auch seinen Anhängern nahelegt. Entsprechend erziehe er seine Kinder nach den „Grundsätzen der Nasiräer“ im Alten Testament. Die Weisung aus 4. Mose 6,1ff, nichts vom Gewächs des Weinstocks zu sich zu nehmen, legt er radikal aus: „dem begehrlichen Wesen fernzubleiben, aller rivalisierenden Gaumen-, Ohren- oder Fleischeslust sowie jeglicher Leidenschaft bereits in den Ansätzen zu wehren“. Die dort ebenfalls erwähnte Weisung, sich keiner Leiche zu nähern, versteht Sasek so, dass die Gemeinschaft mit Menschen zu vermeiden sei, von denen „geistlicher Tod“ ausgehe. Sasek schreibt, dass seine Familie kein Weihnachten feiert und die Kinder enthaltsam auf den richtigen Partner warten sollen. In einem eigenen Kapitel betont er, es gehe ihm dabei nicht um Askese. Keineswegs meine er, dass den Kindern „stur jegliche Gaumenfreude vorenthalten, jeglicher Kontakt zu Ungläubigen“ untersagt werden solle. Festessen, ehelicher Verkehr und Alkoholgenuss seien nach dem Grundsatz erlaubt, dass sie aufbauen, „Leben wirken“ müssen. Alles habe seine Zeit, sein Maß und seinen Rahmen. Grundsätzlich steht Sasek aber weltlichen „Lüsten“ kritisch gegenüber, da diese aus seiner Sicht dem Reich Gottes im Wege stehen.Sasek äußert sich kritisch gegenüber der „Einmischung“ des Staates in die Erziehung „mittels gräulicher Philosophien“ und gegenüber der Psychologie, die den Menschen als rein weltliches („fleischliches“) Wesen betrachte. Er wendet sich gegen Schulsport (Sport habe den ersten Christen als „absoluter Götzendienst und Abfall“ gegolten), einen Religionsunterricht, der nicht Christus als den einzigen Weg des Heils unterrichte, sondern auch andere Religionen zur Geltung kommen lasse, und besonders deutlich gegen sexuelle Aufklärung in den Schulen.

Die Zurüstung der Familie

Angesichts des bevorstehenden Epochenwechsels mahnt Sasek die Zurüstung des eigenen Hauses an. Er nennt diese Zurüstung „Familienaltar“. Nur wer sein Haus von den Feinden Christi gereinigt habe, überstehe das bevorstehende Gericht. Das Zentrum des „Familienaltars“, der nicht als Gegenstand, sondern eher als Zustand der Familie zu verstehen sei, ist für Sasek die Gemeinschaft mit Christus. Entsprechend sei die Hauptaufgabe des Familienaltars alles zu beseitigen, was dieser Gemeinschaft im Wege stehe. Da es Errettung nur auf gemeinschaftlicher, organischer Ebene geben könne, sei der Familienaltar unter der Führung des Vaters als Haupt der Familie Aufgabe der ganzen Familie. Praktisch bedeute das unter anderem, dass die Familie die in der Gemeinde gehörte Predigt „nachverdaue“. Bei Saseks würden zum Beispiel die Kinder bei jedem Mittagessen berichten, wie der Heilige Geist in ihren Versammlungen bzw. in ihrem Leben wirke.Die Familie ist nach Sasek zwei Kraftfeldern ausgesetzt, dem „Kraftfeld des Todes“ und dem „Kraftfeld des Lebens“. Eines dieser Felder hat unausweichlich Herrschaft über das Haus. Zu den „bösen Kräften“ zählt Sasek Streit, schlechte Laune, Eifersucht, Faulheit, Schwermut. Die „Kraft des Bösen“ ist die Kraft „der Unreinheit, der Spaltung, des Jähzorns und der Disharmonie“. Diese „Unruheherde“ gelten als die „Feinde“, die der Gemeinschaft mit Christus entgegenstehen und zu besiegen sind. Die „Kraft des Heiligen Geistes“ dagegen beschreibt Sasek als „Wesen des Friedens, des Lichtes, der Freude und der Vermögensmacht“. Für die christliche Familie gelte es, allein in dieser Kraft zu leben.Da es für die Familien ihrer Bestimmung gemäß als Leib Gottes darauf ankomme, allein in Gottes Kraftstrom zu leben, ist nach Sasek das Maß, nach dem das Familienleben und alle Aktivitäten des Lebens zu bewerten seien, der Friede des Reiches Gottes. Fehle der Friede, fehle das Reich Gottes. Aus dem Alten Testament leitet Sasek her, dass Gott schon immer für sein Volk „Ruhe ringsum“ von seinen Feinden gewollt habe. Für die Familie gelte es entsprechend, „vollständige Oberhand über sämtliche Unruheherde“ zu gewinnen. Jede Sünde – alles was den göttlichen Lebensstrom schwächt oder versiegen lässt – stellt im „Familienorganismus“ eine gemeinschaftliche Belastung dar. Sie muss „fachgerecht nach der Ordnung Gottes“ geahndet werden, weil sie sonst „zum tödlichen Geschwür“ auswächst. „Schone daher nie den Sünder!“ Ein Zeichen für die wahrhafte Bewältigung von Schuld sei das Zurückkehren des göttlichen Friedens.Sasek beschreibt ausführlich und praktisch zur Nachahmung, wie er mit seiner Familie gegen die „Unruheherde“ ankämpft. Dafür versammelt sich die Familie regelmäßig. Jeder schreibt alle persönlichen Unruheherde auf; diese werden dann geordnet (erst eigene Sünden, dann eheliche, dann familiäre Unruheherde, dann berufliche und außerfamiliäre, immer zuerst die „Sünde“, dann eher „technische Probleme“). Alle Unruhepunkte sollen gemeinsam angegangen werden. Sasek spricht hier von einem „Wandeln im Gleichschritt“ und dem „Einfügen in eine Gesamtordnung“. „Wie ein Mann soll jede Lebenszelle, jede Familie oder Wohngemeinschaft als Organismus zusammenwirken.“ Alles soll dem Gesamten dienen, nichts soll unter Druck geschehen. Kinder können, so schlägt Sasek vor, durch „Heldendienste“ motiviert werden. (Er nennt als Beispiel seinen zweijährigen Sohn, der darauf achtete, dass alle Geschwister ihre Hausschuhe anzogen). Sasek bietet für das Bekämpfen der Unruheherde einen eigenen Kurs an und praktiziert „Ruhe ringsum“ auch in seiner Gemeinde und der OCG. Eine Beispielliste zeigt, dass für Sasek alle Dinge des alltäglichen Lebensvollzugs zum Unruheherd werden können. Diese Arbeit der Familie an sich selbst nach innen und der daraus folgende Segen und die Ausstrahlung nach außen lassen jede erfolgreiche Familie zu einer „Missionszentrale“ werden. Sasek sieht in seiner Familie ein Vorbild, in der der Friede Gottes „das ganze Jahr über ein Normal- und nicht bloss ein Ausnahmezustand ist“.

Einschätzung

Zu würdigen ist Saseks Wille, den christlichen Glauben ernst zu nehmen. Seine Bereitschaft, an sich und vor allem an der Gemeinschaft, in der er lebt, zu arbeiten und die Früchte des Glaubens im Alltag sichtbar werden zu lassen, erinnert in der Tat an biblische Forderungen an die „Heiligen“, entsprechend „heilig“ zu leben. Sasek gelingt es dabei, ganz praktische Formen zu finden, wie Familien Konflikte gemeinsam bearbeiten und lösen können. Auffällig in Saseks Lehre ist das Fehlen der Rede von der Liebe Gottes, von Vergebung und Versöhnung. Nicht Gott kommt auch gegen Widerstände heilsam in das brüchige Leben der Menschen, sondern der Mensch muss selbst Heil und Frieden herstellen und damit einen heiligen Raum bereiten, den „organischen“ Leib Christi, in den Gott bzw. Christus einziehen kann. Jede kleine Unruhe wird als Widerstand und Hindernis in der Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott angesehen und muss ausgeräumt werden. Die Lehre Saseks, dass ein sündenfreies Leben nicht nur möglich, sondern auch geboten ist, kann Menschen erheblich unter Druck setzen, die mit ihren ganz normalen Alltagsproblemen, aber auch mit Krankheiten und Unglücksfällen konfrontiert sind. Verschärft wird der Druck durch Saseks Denken in Extremen, seine Kompromisslosigkeit, seinen Perfektionismus (immer, überall, vollständig) und den Dualismus, der Saseks gesamte Wirklichkeitssicht prägt. Alltägliche Handlungen, Stimmungen und Geschehnisse erfahren in seiner Deutung eine religiöse Überhöhung. Sie führen entweder zur Verdammnis oder stehen unter dem Segen Gottes. Die Strenge im Umgang mit alltäglichen Konflikten, mit den Schwächen und „Sünden“ seiner Anhänger kann als Härte und Lieblosigkeit erfahren werden. Aussteiger berichten von Depressionen, religiösen Wahnvorstellungen („Verdammnisgedanken“) und Suizidalität, die in einigen Fällen aufgetreten sein sollen.5 Anmaßend ist Saseks Anspruch, mittels regelmäßig angebotener „Bemessungen“ die Bußfertigkeit von Christen einzuschätzen und danach zu entscheiden, wer in die OCG aufgenommen werden kann oder wer ausgeschlossen werden muss.Problematisch kann sich in der Gemeinschaft um Ivo Sasek auch die starke Betonung des Gehorsams auswirken. So wie es für die Gläubigen darum geht, ihren Eigenwillen aufzugeben und ganz im Willen Gottes aufzugehen, sieht Sasek auch den sozialen menschlichen „Organismus“ streng hierarchisch geordnet: Kinder gehorchen ihren Eltern, die Frau gehorcht dem Mann, der Mann gehorcht seinem Vorgesetzten bzw. Leiter, alle gehorchen Gott. In irgendeiner Weise einen eigenen Willen zu haben oder zu behaupten, gilt als Sünde. Die Lehre Saseks, den eigenen Willen vollständig aufzugeben und allein Gottes Willen zu folgen, kann dazu führen, dass der eigene Wille mit dem Willen Gottes verwechselt wird. Diese Gefahr wird in Saseks Immunität gegenüber Kritik und seinem Anspruch deutlich, mit göttlich legitimierter Autorität aufzutreten.Saseks Lehre ist von Dualismus und Elitedenken geprägt. Er unterscheidet zwischen den wahren Gläubigen und den Ungläubigen, zu denen er letztlich alle anderen Christen zählt, und ebenso zwischen der Welt, die er von Dämonen beherrscht sieht, und dem wahren „Leib Christi“. Als weltlich und damit „gottlos“ gelten auch psychologische Erkenntnisse zur Entwicklung von Kindern und gesellschaftlich anerkannte Werte des Kindeswohls. Es ist damit zu rechnen, dass diese in der OCG abgelehnt und zugunsten der „geistlichen“ Lehre Saseks zur Kindererziehung aufgegeben werden. Unter OCG-Mitgliedern scheint die Bereitschaft vorhanden zu sein, auch schon kleine Kinder körperlich zu züchtigen. Interne Kritik an Sasek oder der OCG wird einem rebellischen oder dämonischen Geist zugeschrieben. Bedenklich ist dies gerade auch im Blick auf die Kindererziehung, wenn eigene Vorstellungen und Erfahrungen sowie die Vernunft zugunsten der Lehre Saseks zurückgestellt werden. Alle genannten Punkte, die darauf hinweisen, dass die Bewegung der OCG konfliktträchtige Seiten aufweist, können sich auf die Entwicklung von Kindern problematisch auswirken. Zu nennen sind hier vor allem: die strikte Gehorsamsforderung, die Abwertung des eigenen Willens und der Individualität, die Entwicklung eines ausgeprägten Sündenbewusstseins, die Nötigung zur Rechenschaft über das Geistwirken im eigenen Leben, die Drohung der Verdammnis im bevorstehenden Gericht Gottes bei einem nicht sündenfrei geführten Leben und die damit einhergehenden Ängste sowie das systematische und auch körperliche Abstrafen all dessen, was als „Störung“ des „Friedens“ bzw. als „Sünde“ empfunden wird. In weiten Teilen ist die Lehre Saseks biblischen Ursprungs und ihre Aussagen sind in der christlichen Tradition verankert und verbreitet. Was sie problematisch macht, ist die Einseitigkeit, in der sie bei Sasek bis ins Extreme vertreten werden. Statt im Zuspruch zu befreien, nimmt der Anspruch seiner Botschaft die Luft zum Atmen.


Claudia Knepper


Anmerkungen

1 Vgl. kritisch zu Sasek und der OCG: Harald Lamprecht, Organische Christusgeneration. Ivo Sasek und seine Bewegung, in: MD 4/2003,132-143; Georg Otto Schmid, Obadja, in: Informationsblatt, hg. von der Evangelischen Informationsstelle: Kirchen – Sekten – Religionen in Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Arbeitsgruppe „Neue religiöse Bewegungen in der Schweiz“, 3/1998, 7-12.

2 Alle im Folgenden aufgeführten Zitate und Aussagen sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen aus: Ivo Sasek, Erziehe mit Vision! Walzenhausen 22006 (abrufbar unter www.ivo-sasek.ch/buecher.html).

3 Simon, David und Loisa Sasek, Mama, bitte züchtige mich!, Walzenhausen 2000, 27f.

4 Ivo Sasek, Herr der Wandlungen, Walzenhausen 72009, 33f.5 Vgl. OCG – ein kommentierter Erlebnisbericht, www.schlarb.biz/sonstiges/ocg_bericht.pdf, abgerufen am 8.3.2011.