Kai Funkschmidt

Die Neuapostolische Kirche führt die Frauenordination ein

Am 20. September 2022 verkündete in einer weltweit ausgestrahlten Ansprache der leitende Geistliche der Neuapostolischen Kirche (NAK), Stammapostel Jean-Luc Schneider, die Einführung der Frauenordination ab dem 1. Januar 2023.1  Die Entscheidung fiel nach Beratungen mit den rund 330 Aposteln.

„Das Apostolat – die Apostel in der Einheit mit dem Stammapostel – entscheidet, dass Frauen aufgrund der Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit der Geschlechter mit Amtsvollmacht betraut werden können.“

Sie gilt für alle Ämter und Amtsstufen, womit neuapostolische Frauen und Männer im Zugang zu den geistlichen Ämtern künftig völlig gleichberechtigt sind.

Langer Anlauf – plötzlicher Absprung

Die Entscheidung ist Teil eines längeren Prozesses, in dem sich die Kirche beziehungsweise ihre Bezirksapostelversammlung Klarheit über ihr eigenes Amtsverständnis verschaffte und die „nur ansatzweise“ geklärten Regelungen zum Amtsverständnis im Katechismus von 2012 konkretisierte.2  Als Ergebnis war 2019 zunächst die Ämterstruktur reformiert und die traditionell barocke Ämtervielfalt auf drei Amtsgruppen reduziert worden. Seitdem gibt es Ordinationen in ein diakonisches, priesterliches oder apostolisches Amt. Seit 2014 war klar, dass auch die Frauenordination auf der Tagesordnung stehe, ab etwa 2018 wurde dies intensiv angegangen. 2020 hatte sich als Ergebnis einer Befragung auf dem Internationalen NAK-Jugendtag in Düsseldorf die Basis-Initiative Junia heute gegründet, die für die Frauenordination trommelte.3

Wirklich überraschend ist die jetzige Entscheidung nicht, allenfalls kommt sie früher als erwartet. Schon lange waren europäische Amtsträger einschließlich des Stammapostels erklärtermaßen für die Einführung der Frauenordination offen. Als hauptsächlicher Hinderungsgrund wurde stets die kulturell bedingte Zurückhaltung in Afrika genannt, wo 80 % der Mitglieder leben. Ein Alleingang der europäisch geprägten Kirchenbezirke könnte, so wurde befürchtet, zu Spannungen führen.

Stammapostel Schneiders theologische Begründung

In seiner Ansprache ging Schneider nun ausführlich auf den Entscheidungsfindungsprozess ein. Früh war klar: Das Amt war bislang Männern vorbehalten, aber eine lehrmäßige Begründung dafür war in den neuapostolischen Schriften nicht enthalten. Wichtig war ihm zu betonen, dass diese Entscheidung

„nichts mit Geschlechterdebatten zu tun [hat], die international sowieso unterschiedlich ausfallen. Vielmehr war die Kirche in der Fortschreibung ihrer Lehre auf jeden Fall an dem Punkt angekommen, wo die Frage zu beantworten war: Wer kann ein Amt tragen? … Denn Geschlechterpolitik oder Staatsverfassungen können theologische Fragen nicht beantworten.“

Zentral für die grundsätzliche Frage, ob Frauen ein Amt haben können oder nicht, sei also allein die Bibel gewesen. Noch vor 25 Jahren hätte man das in dieser Klarheit in der NAK kaum gehört – zu sehr lag die Betonung auf der gegenwärtigen Verkündigung lebender Apostel, die allemal aktueller und lebendiger schien als Buchstaben auf Bibelpapier.

Ausschlaggebend seien nun drei Fragen beziehungsweise Einsichten gewesen:

  • Was will Gott? Hier antwortet Schneider, Mann und Frau seien im gleichen Maße als Ebenbild Gottes geschaffen, von gleichem Wert und gleicher Würde sowie in gleicher Weise verantwortlich. Menschen sind unabhängig vom Geschlecht gleichermaßen heilsbedürftig. Warum sollten dann nicht auch beide gleich in der Heilsvermittlung dienen können? Wort und Sakrament, Amt und Kirche sind alle auf Christus ausgerichtet. „In Christus gilt nicht Mann oder Frau, sondern nur der Mensch“, beruft sich Schneider auf Gal 3,28.
  • Was sagt Jesus? „Leider nichts Konkretes.“ Er behandle Frauen zwar besser, als es die meisten Männer seiner Zeit taten, aber auch er berief nur Männer zu Aposteln. Frauen hätten das Evangelium wohl nicht in den Synagogen predigen können. Aber: „Weder Worte noch Taten Jesu liefern einen eindeutigen Grund dafür, warum wir dem eindeutigen Schöpfungswillen Gottes zuwider handeln sollten.“ Wollte man Jesus hier als Vorbild nehmen, müsste man auch schließen, dass nur Juden oder „nur diejenigen, die den Herrn begleitet haben, seine Apostel sein können. Daran gemessen wäre schon Paulus kein Apostel mehr gewesen. Und die Wiederbesetzung des Apostelamtes in den letzten 190 Jahren wäre komplett infrage gestellt.“
  • Was lehren die Apostel? Da sei das Neue Testament widersprüchlich. Mal sollen die Frauen im Gottesdienst prophetisch reden. Mal sollen sie in der Gemeinde schweigen. „Einzelne ablehnende Aussagen in neutestamentlichen Briefen sind keine hinreichende Begründung, Frauen vom Amt auszuschließen“, lautet hier das Fazit. Denn es habe sich dabei wohl um Rücksicht auf die Umgebungskultur gehandelt. Theologisch betrachtet waren Frauen immer schon befähigt und berufen, die gleiche Amtsverantwortung, die gleiche Vollmacht zu tragen wie Männer – aber es hatte keinen Sinn, sie damit zu beauftragen, wenn ihnen die praktische Ausübung ohnehin verwehrt geblieben wäre.

Schweigegebote für Frauen sind kulturell, nicht christlich motiviert

In ihren Erläuterungen für die Gemeinde, die sie auf der Webseite veröffentlichte, geht die NAK unter der Überschrift „Warum gilt das Schweigegebot aus 1. Timotheus nicht?“ explizit auf Bibelpassagen ein, die gegen die Frauenordination ins Feld geführt werden. Dabei geht man klassisch exegetisch vor, bringt die Bibel mit sich selbst ins Gespräch und stößt auf innere Widersprüche, die es abzuwägen gilt.

„Bibelstellen, auf die man Lehre aufbaut, müssen dem Evangelium entsprechen. In 1. Timotheus 2 gibt es Widersprüche. Die Begründung für das Schweigegebot sieht der Autor gemäß Vers 13+14 darin, dass Eva die Sünde in die Welt brachte. Dies widerspricht Paulus, der in Römer 5,12-21 erläutert, dass alle Menschen gleichermaßen gesündigt haben. Zudem widerspricht sich 1. Timotheus 2 noch selbst: Im Vers 4 erkennt der Autor, dass Gott alle Menschen retten will. Laut Vers 15 werden jedoch nur die Frauen gerettet, welche Kinder gebären. Und was ist mit Frauen, die keine Kinder bekommen können? Will Gott, der Schöpfer des Lebens etwa, dass sie nicht errettet werden? Wegen solcher Unklarheiten muss das Apostolat interpretieren, was mit dem Evangelium Jesu übereinstimmt. Dazu besitzt das Apostolat den Auftrag und die Vollmacht.“4

Schneider erinnert daran, dass es in der katholisch-apostolischen und der neuapostolischen Geschichte Diakonissen gab. Diese Praxis sei aus unbekannten Gründen in den 1950er Jahren verschwunden. Allerdings wissen auch NAK-Amtsträger, dass es sich nicht um eine echte Vorläufererscheinung handelt. Denn zwar ist das Diakonat eine neuapostolische Amtsstufe (die niedrigste), doch gibt es keine Hinweise darauf, dass Diakonissen damals ordiniert wurden, wahrscheinlich handelte es sich nicht um die weibliche Form des Diakonenamts.

An einer Stelle bezieht sich Schneider implizit auf die „Schlüsselvollmacht“ des Stammapostelamts, wenn er sagt: „[Z]um Petrusdienst gehört die Vollmacht des Stammapostels, auf biblischer Basis neue Erkenntnisse zu erschließen.“ Im NAK-Katechismus von 2012 heißt es dazu:

„Der Dienst des Stammapostels äußert sich in der Reinhaltung und Weiterentwicklung der Lehre, dem Erschließen neuer Erkenntnisse sowie der einheitlichen Ausbreitung des Glaubenszeugnisses … Diese Aufgaben machen die ‚Schlüsselvollmacht‘ des Stammapostelamts aus“ (§ 7.6.6).

Schlüsselvollmacht und Verantwortung für die Einheit der Kirche hängen also eng zusammen, und dementsprechend war der gesamte Beratungsprozess sichtbar vom Willen zu biblischer Begründung und zur Konsensualität unter den Aposteln gekennzeichnet.

Indem Schneider Jesu Entscheidung, keine Frauen zu ordinieren, als pragmatische Rücksichtnahme auf die Kultur jener Zeit deutet, leitet er eine Besonderheit in den Ausführungsbestimmungen der jetzigen Regelung ein. Der mit der Frauenordination „verbundene Amtsauftrag wird überall dort erteilt, wo es von der Gesellschaft und Gemeinde angenommen wird“. Das heißt, man bereitet sich auf eine Ungleichzeitigkeit vor, in der möglicherweise in einigen Gemeinden und Apostelbezirken Frauen ordiniert werden, in anderen nicht oder erst später. Das könnte dazu dienen, die befürchteten internationalen Spannungen durch Widerstand in Afrika zu mindern. Tatsächlich hielten sich die negativen Reaktionen in Grenzen: Nach Angaben der NAK gab es nur in einer Handvoll der 1700 Gemeinden in Kinshasa und in Sambia öffentliche Proteste mit wenigen Teilnehmern.

Die NAK-Leitung erklärt den Gemeinden die neue Praxis als Wirken des Geistes. Der langjährige NAK-Pressesprecher Peter Johanning erläutert:

„Wir sprechen ja immer selbstverständlich davon, dass der Heilige Geist die Kirche leite. Es wäre unangemessen anzunehmen, dass der Geist uns nicht auch gelegentlich auf neue und unerwartete Wege führt. Das bedeutet nicht, dass wir die Praxis früherer Amtsträger entwerten oder für falsch erklären.“5

Unterschiedliches Herangehen von NAK-Frauengruppen

Die jetzige Entscheidung wurde von ausschließlich männlichen Amtsträgern gefällt. Involviert war aber auch schWESTern@work, eine achtköpfige Koordinationsgruppe für Frauenanliegen. Das Gremium wurde aufgrund von Anregungen in einer Podiumsdiskussion zum Thema „Ungenutzte Potentiale“ auf dem ersten Internationalen NAK-Kirchentag 2014 gegründet. Es „setzt sich dafür ein, Wahrnehmung und Wertschätzung von weiblicher Mitarbeit zu fördern. Darüber hinaus vertritt schWESTern@work die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen gegenüber der Kirchenleitung.“6  Die Leiterin Verena Küpperbusch berichtet:

„Wir hatten zwar den Auftrag, spezifische Frauen betreffende Anliegen und Themen zu sammeln und in die Kirchenleitung zu kommunizieren. Bei unserem Auftrag ging es aber explizit nicht um die Frage der Frauenordination. Das sollte ein Thema der Kirchenleitung bzw. Apostelversammlung bleiben. Das haben wir respektiert, aber wir haben natürlich zumindest informell untereinander darüber gesprochen.“

In ihrem Kreis habe die deutliche Mehrheit auf die jetzige Entscheidung gehofft. Auch seien immer wieder entsprechende Fragen aus den Gemeinden an sie herangetragen worden, sodass sie der Kirchenleitung regelmäßig darüber berichteten. „Viele derer, die uns kontaktierten, wünschen sich weibliche Seelsorgerinnen.“ Die Anfragenden, die ebenfalls ganz überwiegend die Frauenordination befürworteten, seien etwa je zur Hälfte Frauen und Männer gewesen, darunter viele Amtsträger. Am kritischsten seien gegenüber der Frauenordination nach ihrem Eindruck Frauen der Generation ab 50 aufwärts gewesen.

Neben jener offiziell berufenen Gruppe gibt es seit 2020 die Basisinitiative Junia heute, welche die Einführung der Frauenordination forderte. Deren Reaktion auf die jetzige Entscheidung war enthusiastisch. Auf der Webseite hieß es am Tag nach der Verkündigung:

„Ab 1. Januar 2023 können Frauen ordiniert werden!!! Der Stammapostel hat es am 20.9.2022 weltweit verkündet. Es ist der Hammer, wir sind überglücklich und dankbar ... und feiern an allen Ecken und Kanten.“7

Schneider hatte vorsichtshalber versucht, bestimmten Erwartungen und dem Denken in Kategorien von Rechten, Quoten, Diskriminierung vorzubeugen:

„Für Mann und Frau gilt gleichermaßen: Gott ruft in das Amt, nicht der Mensch. Damit verbietet es sich, einen bestimmten Anteil für Männer und Frauen in den Amtsstufen festzulegen. Gottes Wille ist entscheidend, nicht der menschliche.“

Ob das gelingt? Junia heute, deren Mitglieder in der Vergangenheit auch schon mal in einer kleinen Schar vor einer Apostelversammlung demonstrieren gingen – und damit sicher weniger für ihr Ziel erreichten als die geduldig-beharrliche Stimme von schWESTern@work – will sich jedenfalls nicht auflösen, sondern die Umsetzung der Frauenordination „langfristig begleiten“. Auch in der evangelischen Kirche habe es lang anhaltenden Drucks bedurft, um nach Einführung der Frauenordination die Praxis der Theorie anzugleichen. Darauf stelle man sich angesichts des in der NAK verbreiteten „Sexismus“ und der langen „Diskriminierungsgeschichte der neuapostolischen Frauen“ auch in der NAK ein. Auch eine Entschuldigung angesichts des früheren „Unrechts“ hält man dort für angebracht, wie ein Mitglied erklärte. Das klingt nicht nach übermäßiger Harmoniesucht. Ganz auf Konfrontation will man aber auch hier nicht gehen. Die Mitgründerin und derzeitige Junia-Sprecherin Gertje Kollmann erklärte: „Gemeindevorsteher müssen halt erst einmal lernen umzudenken. Bisher haben sie ja nur bei den Männern hinschauen können, ob jemand für ein Amt geeignet ist. Solche Gewohnheiten verlieren sich nicht einfach von einem Tag zum andern.“ Dabei will sie groß träumen. Vielleicht könnte der Schritt der NAK weiteste Kreise ziehen?

„Wenn nach und nach auch andere christliche Kirchen die Frauenordination einführen würden, dann wäre die Einigkeit der Christen ein starkes Signal an die Welt! Dann würden wir ein Beispiel auch für andere Religionen, damit Frauen endlich überall gleiche Rechte haben.“

Der Weg zur Umsetzung der Entscheidung

Wo und wie bald ab dem 1.1.2023 Frauen ordiniert werden, ist offen. Man kann sich um neuapostolische Ämter nicht bewerben, sondern gemeindliche Amtsträger schlagen geeignete Kandidaten und künftig auch Kandidatinnen vor, der zuständige Apostel beruft sie. Geeignete Frauen gibt es vermutlich genug. Denn traditionell haben viele Frauen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in der für die NAK wichtigen und angesehenen Chorarbeit Leitungserfahrung gesammelt. Auch an verfügbaren ordinierten Ämtern ist kein Mangel: Eine NAK-Gemeinde hat pro hundert Mitgliedern ungefähr einen Vorsteher, vier Priester und acht Diakone. Darüber gibt es noch einige übergemeindliche Ämter.

Verena Küpperbusch von schWESTern@work ist selbst gespannt, wie viele Frauen sich in Ämter werden berufen lassen. „Die praktische Umsetzung kann eine Herausforderung sein.“ Anders als Junia heute sieht sie den Grund aber weniger im Unwillen männlicher Amtsträger als in praktischen Gegebenheiten.

„Oft ist in den Familien, die kirchlich am aktivsten sind, deren Frauen also wohl besonders in Frage kämen, der Mann bereits Amtsträger. Da wird unter Umständen die Übernahme eines weiteren Amtes durch die Frau Zeitprobleme aufwerfen.“

Zwar fände sie langfristig eine geschlechterparitätische Verteilung der Ämter sinnvoll, sie geht aber gelassen davon aus, dass dies noch längere Zeit dauern kann.

Die neuapostolische Frauenordination ist übrigens nicht im Zusammenhang von „gleichen Karrierechancen“ zu fassen. Denn fast alle NAK-Ämter werden im Ehrenamt ausgeübt, die wenigsten sind mit institutioneller Macht ausgestattet, denn die Hauptaufgabe ist die Seelsorge. Nur einige der höchsten Leitungsämter (Apostel, Bischöfe) werden bezahlt, wenn sie zeitlich nicht mit einer Berufstätigkeit vereinbar sind. Hier jedoch haben die meisten derzeitigen Amtsinhaber erfolgreiche (und oft erheblich besser bezahlte) weltliche Karrieren aufgegeben, um dem Ruf ins geistliche Amt zu folgen. Pfründe gibt es in der NAK keine zu erhaschen.

Kai Funkschmidt, 7.11.2022


Anmerkungen

1  Die Ansprache: https://nac.today/de/home/1105801 (Film) oder https://nac.today/de/home/1105811 (Text in fünf Sprachen). Presseerklärung der NAK: tinyurl.com/4vvvcdy7 (Abruf der Internetseiten, wenn nicht anders angegeben: 5.11.2022).

2  Zum Katechismus vgl. Kai Funkschmidt: Bewahrung und Erneuerung. Ökumenische Analysen zum Katechismus der Neuapostolischen Kirche, EZW-Texte 228, Berlin 2013.

3  Vgl. Kai Funkschmidt: „Junia heute“ – Basisinitiative für Frauenordination in der Neuapostolischen Kirche gegründet, in: MdEZW 83/3 (2020), 219 – 222.

4  https://nak.org/de/faq. Auf 1. Kor 14,33-36 gehen die Erläuterungen nicht ein, obwohl man sich auch hier bezüglich der Rolle der Frau auf innere Widersprüche im 1. Korintherbrief berufen könnte.

5  Alle nicht eigens belegten Zitate in diesem Beitrag stammen aus Gesprächen mit dem Verfasser.

6  www.nak-west.de/kirche/gremien/frauen.

7  www.juniaheute.de/aktuelles (Abruf: 21.9.2022).