Neuapostolische Kirche

„Junia heute“ - Basisinitiative für Frauenordination in der Neuapostolischen Kirche gegründet

Im Februar 2020 gründeten in München 25 Gläubige die Basisinitiative „Junia heute“, die sich für die Frauenordination in der Neuapostolischen Kirche (NAK) einsetzt. Zunächst war als Gründungsort ein NAK-Gemeindehaus angekündigt worden, doch wurde die Veranstaltung dort kurzfristig durch die Bezirkskirchenleitung untersagt, weil keine Privatveranstaltungen in Gemeinderäumen möglich seien. Michael Koch, Betreiber des neuapostolischen Magazins „glaubenskultur.de“, weist allerdings darauf hin, dass sich regelmäßig private Initiativen in NAK-Gemeinden versammeln dürfen, darunter die „Initiative Schöpfungsverantwortung“ und die „Regenbogen-NAK“, Interessenvertretung der Schwulen und Lesben in der NAK. Stein des Anstoßes sei offenbar das Thema Frauenordination gewesen. Wenige Tage später legte der Gemeindeleiter des ursprünglich vorgesehenen Gründungsortes, Evangelist Manfred Schindler, sein Amt nieder.

Der Streit im Vorfeld erstaunt, scheint es doch, als stelle sich der zuständige Bezirksapostel Michael Ehrich damit gegen die eigene Hierarchie. Denn eigentlich sind die obersten NAK-Ebenen der Sache nicht abgeneigt. Wiederholt haben Amtsträger bis hinauf zum Stammapostel schon seit den 1990er Jahren angedeutet, dass die Öffnung geistlicher Ämter für Frauen denkbar sei. Inzwischen wurde Apostel Gert Opdenplatz für „Junia heute“ als Ansprechpartner der Kirchenleitung ernannt. Ausdrücklich betont Sarah Koppitz, eine der drei Initiatorinnen, im Gespräch den kooperativen Charakter des Unterfangens: „Wir wollen nicht konfrontativ auf die Kirchenleitung zugehen, sondern ihr unsere Unterstützung anbieten. Denn wir wissen, dass derzeit ohnehin in den Bezirksapostelversammlungen intensiv über Frauenordination diskutiert wird. Wir wollen den angestoßenen Prozess professionell begleiten und bewirken, dass Frauen in Entscheidungsfindungen der Kirche mit einbezogen werden.“

Die Bewegung entstand im Vorfeld des Internationalen Jugendtages 2019 in Düsseldorf. Dort führten die Gründerinnen – „Wir wollten endlich mal wissen, was eigentlich die Geschwister über die Frage denken!“ – eine Umfrage zur Akzeptanz der Frauenordination durch, die anschließend im Internet fortgesetzt wurde. Das Ergebnis findet sich auf junia-heute.de. Innerhalb von knapp drei Wochen hatte man 2000 Antworten (50 % M/F) – bei 350 000 NAK-Mitgliedern in Deutschland eine bemerkenswerte Quote, die zwar aus methodischen Gründen nicht repräsentativ, aber erstaunlich gleichmäßig auf die verschiedenen Altersgruppen verteilt ist. Diese unterschieden sich in ihren Antworten kaum voneinander – Frauenordination scheint keine Generationenfrage zu sein.

Naturgemäß fanden die Antwortenden das Thema mehrheitlich (sehr) wichtig. Dabei maßen sie der Frage umso mehr Bedeutung bei, je seltener sie den Gottesdienst besuchten. Erwartbar hoch lag mit 80 % die Zustimmung. Die Befürwortung fiel unter Amtsträgern und unter Männern höher aus als unter den Frauen. Weniger überraschend ist, dass die „Dafür“-Fraktion nach eigener Einschätzung („Wie wichtig ist Ihnen …?“) ihre Meinung entschiedener vertritt als diejenigen, welche zwar dagegen, aber hierin etwas entspannter sind. In der Praxis fühlen sich Frauen schon jetzt stark beteiligt: 72 % finden, dass sie auch ohne Amt seelsorgerische Aufgaben erfüllen (Männer: 75 %). NAK-typisch ist die große Loyalität der Mitglieder: 91 % würden jede Entscheidung der Kirchenleitung zum Thema mittragen. Dabei sind die Männer widerständiger: Sie machen zwei Drittel der übrigen 9 % aus, viele davon selbst Amtsträger.

Zur Begründung der Initiative für Frauenordination verlinkt „Junia heute“ auf externe feministisch-theologische Informationen zu Exegese und Kirchengeschichte (Jesus und die verschwundenen Frauen; arsfemina.de; bibelstudien-institut.de), die aber wenig überzeugen. Hier wird teilweise über eine Geliebte Jesu spekuliert, und in den Paulusbriefen werden „antifeministische Wertungen“ konstatiert, also die eigenen Werte und Begriffe zum Bewertungskriterium für 2000 Jahre alte Texte gemacht. Frauen spielen zwar in NT und früher Kirche wichtige, auch führende Rollen, aber die Ämterfrage ist damit noch nicht geklärt. Hauptsächlich führt die Initiative die namengebende Junia (im Original männlich Junias) aus Röm 16,7 ins Feld, da diese eine Apostelin gewesen sei. Das allerdings ist zwar grammatisch möglich (das Griechische ist hier ebenso doppeldeutig wie das Deutsche „angesehen unter den Aposteln“), aber historisch eher unwahrscheinlich.

In der Realität wird die Bewegung ohnehin nicht durch exegetische Überlegungen ausgelöst, sondern durch feministische Anliegen, für die im Nachgang exegetische Gründe gefunden werden. Das ist auch kein Spezifikum der Frauenordination oder der NAK, sondern gilt zu allen Zeiten für große Teile der kirchlichen Lehrentwicklung. „Junia heute“ redet denn auch überwiegend im Duktus von „Gleichberechtigung“, „Rechten“ und „Diskriminierung“. Auch die Forderung nach einer „Frauenbeauftragten“ in der Kirchenhierarchie steht im Raum. Man ist wie ca. 80 % der Umfrageteilnehmer der Ansicht, dass die Frauenordination vor allem eine Frage der Gleichberechtigung sei. Das ist zwar kein biblischer Begriff, doch finden 80 % der Befragten, diese sei Teil der Lehre Jesu gewesen. Es ist schwer, die ganze Fremdheit der Welt des Neuen Testaments mit ihren sozialen, religiösen und geschlechtlichen Schichtungen, mit ihren undemokratischen und sogar die Sklaverei bejahenden Facetten zu akzeptieren.

Eindeutiger ist das Zeugnis der neuapostolischen Geschichte. Noch 1938 taucht im Katechismus „Fragen und Antworten“ das Amt der Diakonissen auf (1952 abgeschafft). Sie wirkten in früheren Jahrzehnten auch in zentralen sakramentalen Vollzügen mit, etwa als „Amtskrippe“ (stellvertretende Empfängerin) im Entschlafenenabendmahl. Im Ersten Weltkrieg spendeten Frauen vereinzelt auch das Abendmahl, und bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es Prophetinnen. Da die NAK traditionell ihre Erkenntnisse nicht nur aus der Bibel bezieht, sondern sich als im 19. Jahrhundert wiedereingesetzte Urkirche betrachtet, dürfte diese historische Herleitung besonderes Gewicht haben: Die Frauenordination wäre kein Bruch, sondern könnte als Wiederanknüpfen an die Tradition verstanden werden.

Der Grund für kirchenleitende Zurückhaltung ist ebenfalls kein exegetischer, theologischer oder historischer, sondern ein praktischer, nämlich Sorge um die Kircheneinheit. In Afrika und Russland, wo über 80 % der Neuapostolischen leben, sei die Akzeptanz der Frauenordination, anders als in Europa, gering. Gesicherte Erkenntnisse darüber aber, wendet Sarah Koppitz ein, gebe es gar nicht. So würde man bei „Junia heute“ gerne hierüber etwas Verlässliches herausfinden. In der Tat gibt es auch in Afrika zahlreiche protestantische Kirchen und „African Instituted Churches“ mit Frauenordination. Allerdings können sich die Initiatorinnen von „Junia heute auch vorstellen, dass man uneinheitlich vorgeht und die NAK in Europa Frauen ordiniert und in Afrika vorläufig noch nicht. Als erstes sollen nun laut Sarah Koppitz sogenannte Botschafter und Botschafterinnen ausgebildet werden, die dazu anstoßen, „in den Gemeinden über das Thema Frauenordination zu sprechen. Nur so kann die Akzeptanz für dieses Thema gefördert werden.“ Die Frage ist, wann es so weit sein wird. Schon Mitte 2018 hatte der NAK-Pressesprecher Peter Johanning erklärt, es sei „stark davon auszugehen“, dass Frauen „bald“ auch in der NAK Ämter übernehmen können.


Kai Funkschmidt, 03.05.2020


Internetseite der Initiative: www.junia-heute.de  (Abruf der Internetseiten: 27.3.2020).

Michael Koch: NAK-Süd-Leitung reagiert auf Fraueninitiative, www.glaubenskultur.de , 12.2.2020, ders.: Ins Gespräch kommen und die Basis mitnehmen, www.glaubenskultur.de , 10.2.2020.

Helmut Obst: Apostel und Propheten der Neuzeit, Göttingen 42000, 88.

Guntmar Wolff: Interview mit Peter Johanning, in: Lippische Zeitung vom 12.6.2020, www.lz.de/lippe/horn_bad_meinberg/22163115_Neuapostolische-Kirche-will-fuer-Jesus-Christus-begeistern.html 

„Wir stellen unsere Kirche nicht auf den Kopf!“, https://nac.today/de/a/522978