John Dickie

Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt

Von jeher hat der ethische Männerbund die schriftstellerische Fantasie beflügelt: In der fiktionalen Literatur sind Freimaurer ein beliebtes Objekt für Verschwörungstheorien, für angebliche dunkle Machenschaften und Deckmantel heimlich verübter Verbrechen. Wer sachliche Informationen über die Freimaurer sucht, hat die Qual der Wahl. Inzwischen liegt eine Vielzahl von Büchern vor, jedoch von unterschiedlicher Qualität. Viele davon stammen von Freimaurern selbst, die das Selbstverständnis darlegen möchten. Ein zweites Genre umfasst Sachbücher von Autoren, die Historiker und Freimaurer sind, was letztlich zu einem Rollenkonflikt führen muss, da sie als Logenmitglieder der Diskretion unterworfen sind und damit als befangen gelten. Daneben gibt es auf dem Buchmarkt eine nicht enden wollende verschwörungstheoretische Literatur aus christlich-fundamentalistischer und rechtsesoterischer Perspektive, die von einer stark ausgeprägten Anti-Haltung zum Bruderbund gekennzeichnet ist.

Insofern ist die innerhalb kurzer Zeit erschienene vierte Auflage der deutschen Übersetzung des 2020 publizierten Buches des englischen Historikers John Dickie eine große Bereicherung, weil es viele Fakten liefert. Dickie arbeitet am University College London und hat den Bestseller „Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia“ verfasst. Für ihn steht fest: „Die Geheimniskrämerei ist der Schlüssel zur Geschichte der Freimaurer“ (12). Wie es zu diesem Buch kam, ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. In einem Radiointerview hatte Dickie die Mafia als „Freimaurer für Kriminelle“ bezeichnet. Daraufhin lud ihn eine Freimaurerloge zum Gespräch. Dies gab für Dickie den Anstoß, sich auf eine historische Entdeckungsreise zur „Königlichen Kunst“ zu begeben. Er versteht es hervorragend, den Leser an die historischen Orte und Zeiten mitzunehmen, um dem Rätsel der Freimaurerei auf die Spur zu kommen. Sein Zugang zur Darstellung der masonischen (freimaurerischen) Geschichte ist originell: So wählt er rund 15 Schauplätze, beginnend mit Lissabon über Edinburgh, London, Paris, Neapel, Washington, Rom, Paris, Hamburg, München bis New York. An diesen Orten geschehen Weichenstellungen, treten wichtige Protagonisten der Königlichen Kunst, ihre Bewunderer und Gegner auf. Dabei taucht der Autor bewusst „in besonders signifikante Zeiten und Orte rund um die Welt“ ein (21), um das Wechselspiel zwischen Freimaurerei und jeweiligen gesellschaftlichen Strömungen zu schildern. So ergibt sich ein interessantes geschichtliches Panorama der Freimaurerei. „Der mächtigste Geheimbund der Welt“: M. E. ist dieser Untertitel der deutschen Ausgabe im Vergleich zum englischen Original („How the Freemasons Made the Modern World“) nicht ganz glücklich gewählt, da er gängige Klischees bedient.

Das Buch ist nicht ohne Sympathie für den Bruderbund geschrieben. Aber Dickie wahrt die wissenschaftliche Distanz, schildert Licht- und Schattenseiten und nimmt plausible historische Einordnungen vor. Dabei trägt er wichtige Fakten für die Hintergrundanalyse zusammen, die das von Mythen und Legenden überlagerte masonische Entstehungsnarrativ der Freimaurerei kritisch hinterfragen. Der Leser bekommt einen guten Einblick in die Symbolik und Ritualistik der „Königlichen Kunst“: So werden der Ablauf der drei grundlegenden freimaurerischen Rituale im Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad sowie die besonderen „Freimaurer-Griffe“ anschaulich beschrieben.

Derzeit gibt es nach Dickie in Großbritannien 400 000 Freimaurer, in den USA 1,1 Millionen und etwa 6 Millionen weltweit (15). Besonders spannend liest sich der Abschnitt über die Vorgeschichte der Freimaurerei. Der herkömmlich auf den 24.6.1717 datierte organisatorische Beginn in London hat eine interessante schottische Vorgeschichte. Dabei markiert der Vf. den eigentlichen Beginn am Renaissance-Hofe von Schottlands Hauptstadt Edinburgh. Die dortige höfische Kultur sollte sich für die geistige (Mnemonik) und zeremonielle Arbeit als prägend erweisen: „Die heutigen Freimaurerlogen sind Theater, in denen die Gedächtniskunst vorgeführt wird“ (47). Schauplatz London: Dort waren nach Meinung von Dickie die Jahre zwischen 1717 und 1723 „die wichtigsten in der gesamten Geschichte der Freimaurerei, und gleichzeitig sind sie die rätselhaftesten“ (63). Dort wurden nach dem großen Brand von 1666 viele Steinmetze zum Wiederaufbau geholt. Darunter waren auch Architekten, die zu den „Angenommenen Maurern“ zählten.

Ausführlich geht der Vf. auf die Geschichte und Hintergründe des sogenannten Taxil-Schwindels ein. Léo Taxil (1854 – 1907), Antikatholik und Polemiker, verbreitete über die Freimaurerlogen vielerlei „Fake News“, die zunächst auf offene Ohren stießen, insbesondere bei der katholischen Kirche. Die Behauptung, die Freimaurer würden in ihren Logen satanische Rituale vollziehen, erwies sich bald als „Taxil-Schwindel“.

Aus weltanschaulicher Sicht ist der Abschnitt über „Maurer und Mormonen“ (198 – 204) besonders interessant. In Teilen der USA (New York, Philadelphia) erhob sich in den 1820er und 1830er Jahren eine antimasonische Bewegung. Ausgelöst wurde sie durch Skandale um Einzelpersonen und nicht zuletzt durch die Verschwiegenheit der Logenmitglieder (195). So weist Dickie auf Passagen in Joseph Smiths Werk hin, etwa auf die Erzählung von den vergrabenen Goldplatten. Sie entstamme zum Teil der bei Freimaurern damals üblichen „Royal Arch Zeremonie“, die Smith der Beschreibung zeitgenössischer antimasonischer Almanache teilweise entnommen hatte (201). Smith selbst war 1842 aus unbekannten Gründen einer Freimaurerloge in Illinois beigetreten:

„Wir wissen nur, dass der Prophet von der reichen Symbolik und zeremoniellen Sprache der Freimaurer beeindruckt war und sie in seiner Kirche zur Anwendung zu bringen gedachte. Er arbeitete das masonische Ritual in eine Mormonenversion um – die Tempelzeremonie –, ein hochheiliger Segen, der schon bald auch Frauen offenstand. Die Wände der Mormonentempel sollten masonische Symbole zur Schau stellen, wie Winkelmaß und Zirkel und das allsehende Auge. Wer sich der mormonischen Tempelzeremonie unterzog, wurde mit neuer Leibwäsche präsentiert, die über der linken und der rechten Brust Winkelmaß und Zirkel aufwies“ (202).

Dickie verweist auf weitere Aspekte (Griffe, Umbinden von Schurzen, Geheimhaltungsschwüre). Dies führte auch dazu, dass viele Mormonen damals den Freimaurerlogen beitraten. Die Einflüsse der Freimaurerei auf das Mormonentum, so der Vf., würden von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage meist heruntergespielt oder dahingehend interpretiert, dass die Freimaurer „die Mormonen nachgeahmt hätten, nicht umgekehrt“ (204).

Das Buch bietet reichhaltige Informationen zur Geschichte der Freimaurerei in verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten. Die Zeit des Nationalsozialismus und das Verhalten der Freimaurerei zum totalen Weltanschauungsstaat kommen ebenso ausführlich zur Sprache wie der Skandal um die italienische P2-Loge und ihre Verbrechen. Besonderes Augenmerk richtet der Vf. auf den antisemitisch-antimasonischen Verschwörungskomplex und auf die Geschichte der Illuminaten. Dickie beobachtet aktuell zahlreiche antimasonische Akteure: So sieht er im Katholizismus noch immer eine „Heimat für religiös inspirierten Antimasonismus“, den er auch seit den 1990er Jahren bei US-amerikanischen evangelikalen Gruppen beobachtet. Diese würden die alten und haltlosen Vorwürfe von Taxil neu beleben:

„Ihre Propaganda unterstellte, dass Freimaurer in den höchsten Graden allesamt Baphomet anbeteten, die ziegenköpfige Inkarnation des Teufels, der angeblich von den Templern im vierzehnten Jahrhundert verehrt wurde, wie auch in Taxils fiktivem Palladianismus-Ritual im neunzehnten Jahrhundert. Albert Pike, Konföderiertengeneral und Guru des Schottischen Ritus während der Zeit des Sezessionskriegs, galt als der Antipapst der masonischen Antikirche“ (449).

Solche Unterstellungen werden noch heute von katholisch-traditionalistischer und christlich-fundamentalistischer Seite verbreitet. Der Vf. weist auch kritisch darauf hin, dass die Freimaurerei seit den 1960er Jahren aus nahezu der gesamten muslimischen Welt verschwunden ist. Seit 2019 ist die Königliche Kunst – außer im Libanon und in Marokko – verboten.

Fazit: Diese international orientierte historische Darstellung der Freimaurer bietet einen originellen Zugang zu einer verschwiegenen Bruderschaft und deren tragikomischer Geschichte. Das Verhältnis der verschiedenen christlichen Konfessionen zur Freimaurerei kommt dagegen kaum in den Blick. Doch das kann den Wert dieser beeindruckenden historischen Darstellung nicht schmälern. John Dickie ist ein eindrucksvolles Werk gelungen. Es ist flott und spannend geschrieben. Darüber hinaus enthält das ansprechend gestaltete Buch viele Grafiken und Abbildungen. Als besonders hilfreich erweist sich nicht zuletzt das umfangreiche Register.

Matthias Pöhlmann, München

Verlag S. Fischer, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 2020, 544 Seiten, 26,00 Euro.