Astrologie

Das Corona-Virus als Partner, Freund und Teil des Ich oder: Wieso Impfen nicht in den Sternen steht

Das Corona-Virus als Partner, Freund und Teil des Ich oder: Wieso Impfen nicht in den Sternen steht. In der ältesten noch erscheinenden deutschen Astrologie-Zeitschrift „Meridian“ befasst sich der Jurist und „DAV-geprüfte“ Astrologe Thomas Wolter aus astrologischer Sicht mit der Frage des Impfens in Zeiten der Pandemie.1 Seine Ausführungen geben einen Einblick in typische Motive der esoterischen Wahrnehmung der Corona-Krise und der derzeitigen Debatte um Impfungen, Impfskepsis und Impfpflicht.

Wolter bemängelt zunächst, es fehle angesichts von „Panik und Ängsten“, welche die Pandemie auslösten, eine „sachgerechte, nüchterne Analyse“. Damit ist markiert, was er zu liefern beansprucht. Ausgangspunkt ist die Annahme: „Uns kann immer nur begegnen, was wir selbst sind“, eine Sicht, die „spirituell denkenden Menschen in der Regel vertraut“ sein dürfte und die ausdrücklich auch für Negatives gilt. Denn Mensch und Welt, Subjekt und Objekt sind nur scheinbar getrennte Dinge, die allein die Illusionen unseres dualistisch geprägten Bewusstseins auseinanderreißen. In Wahrheit ist alles eins. Angst vor der Pandemie wäre daher so angebracht wie Angst vor dem eigenen Schatten. Wichtiger sei die Frage, was Corona mit mir selbst zu tun habe. Welcher „abgespaltene Archetypus“ könnte mir da in der Energie des Corona-Virus begegnen? Diese Deutung der Krankheit als Archetyp wurde unter anderen durch den Arzt und esoterischen Erfolgsschriftsteller Rüdiger Dahlke popularisiert.

Der Virus – hier kommt Wolter zum Kern seiner Analyse – verhalte sich typisch männlich. Dazu passe, dass im lateinischen virus der vir (Mann) stecke. Diese Verbindung ist zwar eher assoziativ als etymologisch stichhaltig, aber hier setzt eine Argumentationskette ein, die den Virus unter dem Blickwinkel des römischen Kriegsgottes Mars ergründet. Nomen est omen lautet nämlich dann die Devise für den Vir(us). „Männlich“ bedeutet hier hochaggressiv. Das „marsisch“-männliche Verhalten kenne keine anderen Ziele als das eigene Überleben und das Ausbreiten um jeden Preis. Abwertend sei das ausdrücklich nicht gemeint, erst einmal gelte es, dies zu verstehen und an sich heranzulassen, denn im Verständnis liege das Heilungspotenzial.

Zum kriegerisch-marsischen und männlichen Thema füge sich natürlich auch sehr passend das Angriffsziel des Virus, das Blut. Von schweren Covid-Verläufen seien vor allem Menschen betroffen, bei denen das Immunsystem, also der kämpferische Marsanteil, schon geschwächt sei. Auch die Beobachtung, dass Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck (schon wieder Blut!) Covid verschlimmern, sei in diesem Zusammenhang zu sehen. Denn diese seien ebenfalls Hinweise auf eine „Abspaltung des Mars … und eine Übergewichtung des Venustyps“, womit weibliche Schwäche und Verwundbarkeit gemeint zu sein scheinen.

Der springende Punkt dabei sei, dass in unserer Gegenwart wie schon zur Zeit der Spanischen Grippe (1918 – 1920) im „Menschheitshoroskop“ eine „Aktivierung des progressiven Mars“ zu beobachten sei. (Was das konkret heißt, bleibt freilich offen.) Kaum zufällig sei damals die Spanische Grippe von Soldaten verbreitet worden – schon wieder Mars! Ein Glück sei es immerhin, dass diesmal die Pandemie nicht zusammen mit einem Krieg auftrete.

Nach dieser astrologischen Situationsklärung steht nun die Frage im Raum, was jeder tun könne, damit „möglichst alle die Pandemie unbeschadet überstehen“. Da es sich um ein „marsisches Thema“ handelt, besteht die Antwort darin, dass „wir unseren Mars integrieren und nicht abspalten“, also einen „gesunden, ausgeglichenen Umgang mit unserer Marsenergie finden müssen“, das heißt, den „Archetyp Mars akzeptieren“. Daher solle man sein „Abwehrsystem … in Schuss bringen“.

Da lege sich, das erkennt auch Wolter, „nach schulmedizinischer Lesart“ der Gedanke der Impfung nahe. Es liege ja mit der invasiven Spritze offensichtlich schon in der reinen Form eine „Marsentsprechung“ vor. Hier stutzt der Leser – läuft es auf eine Impfempfehlung im esoterischen Kontext hinaus? Jedoch: „Ein solcher schulmedizinischer Weg entspricht nun keineswegs der oben angedachten spirituellen oder Alternativmedizin.“ Davon war zwar bisher nicht die Rede, doch den meisten Lesern dürfte vermutlich diese Assoziation und der Vorrang der Alternativmedizin tatsächlich vertraut und daher schlüssig erscheinen. Warum das so offensichtlich marsische Prinzip der Impfspritze nicht die richtige Antwort sei, bleibt aber dunkel. Offenbar ist dies durch das a priori gesetzte Verständnis von Alternativmedizin selbsterklärend.

Trotzdem beansprucht Wolter ausdrücklich, kein Impfgegner zu sein. Man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, zitiert er die Bibel – es geht also eher um Weichen vor dem Zwang als um Einsicht in medizinische Notwendigkeit. Dabei ist Wolter optimistisch: „Wenn und so weit mein Marssystem einigermaßen im Ausgleich ist, sollte es auch diesen Marsangriff [scil. die Impfung, K. F.] überstehen.“ Offen bleibt, wie sich diejenigen verhalten sollen, deren Marssystem vielleicht nicht so in Ordnung ist. Sie hätten logischerweise doch etwas zu befürchten – und zwar von der Impfung, nicht von der Krankheit, denn von der ist im ganzen Artikel kaum die Rede. Von dieser verklausulierten Impfwarnung kommt Wolter über eine kurze Regierungskritik – die „Kanzlerin mäandert von einer Impfpanne in die nächste“ – zu seinen Empfehlungen für die Aktivierung des „eigenen Mars“. Er empfiehlt mehr Bewegung und gesunde Ernährung. Dies, findet er, seien zwar für manche Menschen „unbequeme Vorschläge“, und womöglich erscheine es anderen als unerhörte Vereinfachung der Pandemie. Jedoch, beharrt der Verfasser, führe dieser Weg zu neuer Kraft und neuem Mut. Angst und Panik verwandelten sich in Stärke. „So wird am Ende das Virus zu unserm Partner und unserem Freund statt zu unserem Feind und Gegner.“

Der Artikel ist typisch für viele esoterische Äußerungen zur Impffrage. Vieles läuft darauf hinaus, dass die Krankheit vor allem ein mentales Problem sei, eine Illusion des Geistes, die vor allem auf geistig-spiritueller Ebene bekämpft sein will. Für die Corona-Impfung heißt das: Einerseits wird klar kommuniziert, dass sie ein Unglück ist, welches man allenfalls als Gesunder mit intaktem Marsanteil überstehen könne. Andererseits gibt man sich auch nicht die Blöße einer klaren Positionierung gegen die Impfung. Explizit wird vielmehr das Gegenteil behauptet und die Beschreibung als „Impfgegner“ abgelehnt – entgegen dem Duktus des ganzen Textes, der durchweg in Richtung Impfskepsis geht. Man kann, ja, man muss den Text vielleicht sogar so lesen, dass gerade die Geschwächten mit wenig Marsenergie sich nicht impfen lassen sollen, weil sie diesem Marsangriff weniger entgegenzusetzen haben. Das widerspräche diametral den offiziellen Empfehlungen der verpönten „Schulmedizin“, die die Impfung insbesondere für Risikogruppen empfiehlt.


Kai Funkschmidt, 01.01.2022


Anmerkungen

  1. Thomas Wolter: Das Virus und der Mars, Meridian 5/2021, 48f. Meridian erscheint sechsmal jährlich mit einer Auflage von knapp 3000 Exemplaren. Das Magazin entstand 1979 durch Verschmelzung zweier älterer astrologischer Zeitschriften und war lange Zeit das offizielle Organ des Deutschen Astrologenverbands e. V. (DAV), der 1947 gegründeten, mit ca. 600 Mitgliedern größten deutschen astrologischen Organisation. Regelmäßig beschäftigt sich die Zeitschrift mit aktuellen, oft mit kontrovers diskutierten Themen, neben Corona zum Beispiel auch mit der jüngsten Zulassung des Muezzinrufs in Köln.