Populismus

Die Rede vom Populismus hat gegenwärtig Hochkonjunktur in öffentlichen Diskursen – ob von einem „Nährboden für Populisten“, „populistischen Politikern“, „linkem und rechtem Populismus“, „populistischen Parteien und Bewegungen“, „populistischen Tönen“ oder noch allgemeiner von „den Populisten“ gesprochen wird. Der Begriff erfährt in solchen Verwendungszusammenhängen nur selten eine genaue Bestimmung und wird verkürzt als Chiffre für stark vereinfachende, einseitige, polarisierende und unsachliche Argumentationen verwendet und in dieser Eigenschaft auf Personen, Organisationen und Bewegungen bezogen. Dabei wird er in der Regel nicht als beschreibender Begriff angewendet, sondern mit einer starken (in Deutschland meist negativen) Bewertung versehen.

Der Populismusbegriff ist in Westeuropa in den 1970er Jahren mit der Entstehung und dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien wie den Fortschrittsparteien in Dänemark und Norwegen, dem französischen Front National (FN) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) aufgekommen. Die Forschung ist verstärkt seit den 1990er Jahren darum bemüht, die Merkmale der zahlreichen populistischen Phänomene in einer Definition zu bündeln und dabei auch kulturpolitische und systemische Besonderheiten einzubeziehen. Zwar hat sich bislang keine einheitliche Verwendungsweise des Populismusbegriffes etabliert, aber es lassen sich drei vorherrschende Definitionsansätze konstatieren: Populismus als Ideologie, Populismus als eine Strategie des Machterwerbs und Populismus als eine Diskurspraxis (vgl. Priester 2011, 185).

Die daraus resultierenden vielfältigen Verwendungs- und Bedeutungszusammenhänge führen dazu, dass der Populismusbegriff nicht ausschließlich in politikwissenschaftlichen Zusammenhängen auftritt, sondern in unterschiedlichen Disziplinen Relevanz besitzt. Dies wird beispielsweise an dem Buch „Populismus und Religion“ oder am EZW-Text „Rechtspopulismus und christlicher Glaube“ deutlich, in denen Berührungspunkte zwischen Christentum und Populismus ausgemacht und thematisiert werden (vgl. Lesch 2017 und Hempelmann/Lamprecht [Hg.] 2018).

Was ist Populismus?

Populismus leitet sich vom lateinischen Wort populus (Volk) ab. Historisch geht die Bezeichnung auf eine politische Protestbewegung in den USA Ende des 19. Jahrhunderts zurück. In diesem populist movement forderten vor allem Kleinfarmer aus dem Mittleren Westen und Südwesten der USA Reformen, da sie im Zuge des Eisenbahnbaus unter einer wachsenden Schuldenlast litten (vgl. Jörke/Selk 2017, 18). In diesem historischen Zusammenhang wird Populismus als Möglichkeit beschrieben, durch die Beteiligung des Volkes demokratische Ziele zu erreichen. Wird Populismus als politische Strategie des Machterwerbs definiert, versteht man heute darunter ein besonderes Stilelement von Politikern: einen Politikstil, mit dem Mehrheiten für die eigenen Ziele gewonnen werden (vgl. Jörke/Selk 2017, 80).

Am stärksten hat der Populismus die politische Geschichte in Südamerika geprägt. Dort hat er mehrere Jahrzehnte lang zum Teil die Politik dominiert. Die Forschung charakterisiert den südamerikanischen Populismus primär als eine Politik, die arme Bevölkerungsschichten einschließt – weshalb Populismus dort positiv konnotiert ist. Dies wirkt sich auch auf die Definition des Begriffes aus. So hat der argentinische Politiktheoretiker Ernesto Laclau Populismus als eine emanzipatorische Kraft der Politik beschrieben, die den Willen artikuliert, das Gemeinwohl neu zu definieren (vgl. Casula 2003). Auch die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe klassifiziert den Populismus als eine politische Kraft zum Umgang mit antagonistischen Konflikten, die nicht durch einen Konsens gelöst werden können. Mouffe betrachtet deshalb die Formierung eines Linkspopulismus als passende Antwort auf den Rechtspopulismus in Europa (vgl. Mouffe 2018).

Wird Populismus als Ideologie bestimmt, werden ihm bestimmte Wesensmerkmale zugewiesen. Die Populismusforscherin Karin Priester konstatiert jedoch, dass der Begriff nur selten als ein reiner Substanzbegriff verwendet wird (vgl. Priester 2012a). Häufig wird die Definition des niederländischen Populismusforschers Cas Mudde rezipiert, der Populismus als eine „thin-centered ideology“ beschreibt (Mudde/Kaltwasser 2017, 6). Als eine „dünne Ideologie“ weist der Populismus zwar eigene ideologische Merkmale auf, tritt jedoch nur in Verbindung mit anderen Ideologien auf.

Als ein solches ideologisches Attribut beschreibt Mudde eine manichäische Denkweise, welche die Gesellschaft in zwei antagonistische und in sich homogene Gruppen einteilt – in das reine Volk und die korrupten Eliten. Da sich hieraus jedoch noch keine politischen Antworten und Konzepte ergeben, hefte sich die populistische Ideologie an andere Ideologien an. Deshalb sei der Populismusbegriff stark dehnbar. Der Definition von Mudde zufolge ist vor allem der Pluralismus ein direkter Gegensatz des Populismus. Diese Einschätzung teilt der Populismusforscher Jan-Werner Müller, indem er hervorhebt, dass populistische Positionen grundsätzlich antipluralistisch und durch eine moralisch aufgeladene Polarisierung geprägt seien (vgl. Müller 2016, 129).

Auch Karin Priester greift die manichäische Charakteristik des populistischen Denkstils auf, ergänzt bzw. konkretisiert ihn allerdings durch weitere Merkmale. Zusätzlich zu der Gegenüberstellung von Volk und Elite bestimmt Priester die Berufung auf das „unverfälschte Urteilsvermögen des Volkes“, die „Denunziation der Machenschaften von Eliten“, die Beschwörung einer Krise, die „Legitimationsbasis des ‚gemeinen Volkes‘ als ‚Stimme Gottes‘“, die Berufung auf eine „vorgängige, höhere Moralität“ und eine Moralisierung der Debatten als Merkmale populistischen Denkens (Priester 2012b, 42).

Neben den Bestimmungen des Populismus als einer Strategie des Machterwerbs und einer dünnen Ideologie prägt ein dritter Definitionsansatz die Populismusforschung. Dieser bestimmt Populismus als eine Argumentationsstrategie und löst den Populismusbegriff damit konsequent von einer konkreten Ideologie und Weltanschauung. So formuliert etwa Daniel-Pascal Zorn, der ein wichtiger Vertreter dieses Ansatzes ist, dass „ganz unabhängig vom Inhalt einer Weltanschauung darüber entschieden werden [kann], ob sie populistisch vertreten wird“ (Zorn 2017, 36). „Populismus“ wird hier zu einer deskriptiven Kategorie, zu einer „Kategorie der logischen Beschreibung bestimmter Formen von Argumentationen“ (ebd.). Die primäre Grundstruktur des populistischen Denkens definiert Zorn durch eine dogmatische Setzung, welche die eigene Perspektive, etwa durch einen Alleinvertretungsanspruch („Wir hier unten – gegen die da oben“), verabsolutiert. Diese primäre Grundstruktur ergänzt Zorn durch sekundäre Grundstrukturen wie das falsche Dilemma, das zwar in sich logisch ist, aber auf einer falschen Prämisse (z. B. Entweder-oder-Logik: „Entweder seid ihr für mich oder gegen mich“) basiert (vgl. Zorn 2017, 41). Eine weitere Figur populistischer Rede sieht Zorn im Bestätigungsfehler. Der Bestätigungsfehler folgt aus der dogmatischen Setzung, von der aus alles interpretiert wird („Weil wir hier unten und ihr da oben steht …). Da der Gehalt der dogmatischen Setzung im Vorhinein in Geltung gesetzt wird, neigt der Interpretierende dazu, aufzunehmen, was seine Annahme bestätigt, und jeden Widerspruch als Irritation oder Unterdrückung der Wahrheit auszublenden (vgl. Zorn 2017, 42f). Auf diese Weise erfährt die dogmatische Setzung fortwährend Bestätigung. Daran schließt Zorn eine dritte sekundäre Grundstruktur des populistischen Denkens an: den Exzess der Positionierung. Er bezeichnet damit den Versuch, durch endlose Wiederholungen den Wahrheitsgehalt der eigenen Position zu belegen.

Umgang mit Populismus in einer liberalen Demokratie

Durch die Beschreibung der variierenden Definitionen von Populismus deutete sich bereits die Komplexität der Beziehung zwischen Populismus und Demokratie an. Vor dem Hintergrund liberaler Demokratien, die Freiheits- und Minderheitenrechte durch Institutionen schützen, um eine Tyrannei der Mehrheit zu verhindern, ist der Mehrheitswille zwar zentraler Bestandteil, kommt jedoch nicht uneingeschränkt zur Geltung. In liberalen Demokratien wird populus nicht als homogene Einheit, sondern als intern pluralisiert begriffen. Mit einem solchen Volksverständnis kollidiert eine Entweder-oder- bzw. Wir-gegen-Sie-Logik, wie sie in allen Populismusdefinitionen als zentrales Merkmal formuliert wurde, jedoch zwangsweise. Durch eine häufig damit verbundene Elitenkritik kann Populismus zudem zu einer Aushöhlung demokratischer Institutionen und Strukturen führen. Populismusforscher beobachten zudem eine verstärkte Moralisierung von Politik, durch die Kompromisslösungen erschwert werden und politische Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird (vgl. Mudde 2017, 83).

Wird populistisches Argumentieren zum Markenzeichen von Politik, bedeutet dies das Ende der deliberativen Demokratie. Denn jede Annäherung an andere politische Positionen und jede Kompromisslösung widerspricht der populistischen Logik. Die Aufgabe liberal-demokratischer Politik, Grundfragen des Zusammenlebens durch Gesetze und andere Maßnahmen unter den Bedingungen von Machtgebrauch und Konsensbedarf fair zu regeln (vgl. Alemann 1994, 184), wird damit ausgeschlossen.

Neben diesen Gefahren für die liberale Demokratie eröffnet Populismus aber auch Wahrnehmungs- und Veränderungsräume. So weist die Zustimmung zu populistischen Argumentationen auf Repräsentationskrisen im demokratischen Staat hin. Werden diese von den etablierten Parteiensystemen als solche erkannt, können sie einen „gewissen Reinigungseffekt“ auf das repräsentative System ausüben (vgl. von Scheliha 2018, 347).

Populismus und Religion

Die EKD hat in ihrer einflussreichen Denkschrift zur freiheitlichen Demokratie 1985 formuliert, dass „das Streben nach Einmütigkeit und Eindeutigkeit und das menschliche Verlangen nach Harmonie … in Spannung zur Vielfalt und Konkurrenz der Meinungen und dem daher notwendigen politischen Streit [stehen]. Ihm muß um der Freiheit willen Raum gegeben werden“ (EKD 1985, 32). Diesem Bekenntnis zur Meinungspluralität gingen historische Erfahrungen des deutschen Protestantismus voraus, denen eine gewisse Nähe zu politischen Populismen zugewiesen werden kann. Diese Nähe resultierte dem evangelischen Theologen Arnulf von Scheliha zufolge vor allem aus der Bedeutung des Volksgedankens, wie er „im Zuge der Transformation des landesherrlichen Kirchenregiments in das moderne Staats- und Gesellschaftsdenken“ aufkam (von Scheliha 2018, 348). Zur näheren Erläuterung muss vom politischen Denken der Reformation ausgegangen werden, für welches die Lehre von den zwei Regimenten Gottes zentral ist. Das weltliche Regiment, in dem das gesellschaftliche Zusammenleben geordnet und der Friede hergestellt bzw. gewahrt wird, wird durch die politische Obrigkeit ausgeführt. Aufgrund der menschlichen Sündhaftigkeit ist diese Ordnungs- und Friedenssicherung dem reformatorischen Denken zufolge unverzichtbar – die politische Obrigkeit gilt deshalb als von Gott eingesetzt (vgl. ebd.).

Friedrich Schleiermacher griff die Annahme von der von Gott eingesetzten Obrigkeit auf und verband sie mit dem Willen des Volkes zu seiner Idee der „Volksmonarchie“. Er verstand darunter eine Politik, in der ein Monarch die Wünsche seines Volkes vertreten und in diesem Sinne möglichst volksnah sein solle (vgl. von Scheliha 2013, 162-164). Schleiermachers Kombination aus Obrigkeitslehre und Volksidee wurde vor allem mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 populär. Die evangelischen Christen waren dem Kaiserhaus eng verbunden und verstanden sich als Träger der Leitkultur (vgl. von Scheliha 2018, 351). Der Sonderweg des deutschen Protestantismus besteht nach von Scheliha darin, „die Einzelnen unter Berufung auf die reformatorische Obrigkeitslehre in die Volksgemeinschaft einzubinden und dort zu beheimaten“ (ebd., 352). Über diesen Gedankenweg erklärt sich dann auch die weitgehend ablehnende Haltung des deutschen Mehrheitsprotestantismus gegenüber dem Parteienwettstreit der Weimarer Republik sowie auch die Affinität zu einem charismatischen Führer, der sich als Bewahrer des Volkes verstand.

Die schon erwähnte wirkungsvolle Denkschrift der EKD „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“ dokumentiert den historischen Lernprozess des deutschen Protestantismus. Dieser kulminiert in der Zielsetzung der Denkschrift, „die Zustimmung evangelischer Christen zur demokratischen Staatsform des Grundgesetzes begründen“ zu wollen (EKD 1985, 11).

Einschätzungen

Die Verwendungsvielfalt des Populismusbegriffes macht deutlich, dass mit Populismus zwar bestimmte Merkmale verbunden sind, jedoch keine komplexe Weltanschauung beschrieben wird. Deshalb ist eine vorschnelle Einordnung von Bewegungen und Personen als „populistisch“ nicht unbedenklich – sie trägt häufig pauschale und unspezifische Züge und verschafft damit weder dem besseren Argument Gehör noch verhilft sie der demokratischen Verständigung zur Verwirklichung.

Der Diskurs sollte deshalb stärker die konkreten Verwendungsweisen von populistischen Argumenten untersuchen und diesen argumentativ begegnen. Die Widerspruchsgründe und -begründungen können vielgestaltig sein: Sie können formallogischer, politischer, rechtlicher, ethischer und religiöser Art sein. Für Christen wird sich beispielsweise eine Argumentationsweise, die ein homogenes „Wir“ unversöhnlich gegen „die Anderen“ in Stellung bringt, mit dem Universalgebot der Liebe reiben.

Ein expliziter Widerspruch wird vor allem dann erforderlich, wenn bei Personen, Bewegungen oder Parteien populistische Argumentationen das Denken und Handeln derart dominieren, dass die Argumentationsstrategie zu einer überformenden Ideologie manichäischen Charakters wird und ihr Verhalten totalitäre Züge annimmt, wodurch Kooperationen und Kompromisse unmöglich werden. Wenn sich diese Argumentationslogik gegen Minderheiten richtet und demokratische Grundwerte und Prozesse aushöhlt, müssen sie argumentativ sowie mit den Mitteln des Rechtsstaats verteidigt werden.

Hanna Fülling, März 2019


Literatur

Alemann, Ulrich von (1994): Grundlagen der Politikwissenschaft. Ein Wegweiser, Opladen

Casula, Philipp (2014): „Populismus“ bei Ernesto Laclau. Konzepte zur Analyse der nationalistischen Renaissance in Europa, in: Widerspruch. Beiträge zu sozialistischer Politik 65, 179-187

EKD (1985): Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh

Hempelmann, Reinhard/Lamprecht, Harald (Hg., 2018): Rechtspopulismus und christlicher Glaube, EZW-Texte 256, Berlin

Jörke, Dirk/Selk, Veith (2017): Theorien des Populismus zur Einführung, Hamburg

Lesch, Walter (Hg., 2017): Christentum und Populismus, Freiburg i. Br.

Mouffe, Chantal (2018): Für einen linken Populismus, Berlin

Mudde, Cas/Kaltwasser, Cristóbal Rovira (2017): Populism. A Very Short Introduction, Oxford

Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin

Priester, Karin (2011): Definitionen und Typologien des Populismus, in: Soziale Welt 62/2, 185-198

Priester, Karin (2012a): Wesensmerkmale des Populismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 5-6, 5-9

Priester, Karin (2012b): Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäleon, Frankfurt a. M.

Scheliha, Arnulf von (2013): „[…]die Verletzung des Buchstabens nicht achtend, […] wahrhaft im Sinn und Geist des Königs handelnd“. Friedrich Schleiermacher als politischer Prediger, in: Pietsch, Michael/Schmid, Dirk: Geist und Buchstabe. Interpretations- und Transformationsprozesse innerhalb des Christentums. Festschrift für Günter Meckenstock zum 65. Geburtstag, Berlin/Boston, 155 – 175

Scheliha, Arnulf von (2018): Rechtspopulismus als Herausforderung für die protestantische Ethik des Politischen, in: ders.: Religionspolitik, Tübingen, 341-364

Zorn, Daniel-Pascal (2017): Logik für Demokraten. Eine Anleitung, 3. Aufl., Stuttgart