Pantheismus

„Sie sind Gott“ (Aslan, 199). Mit dieser Überzeugung schließt der amerikanische Religionswissenschaftler und bekennende Sufist Reza Aslan sein kürzlich veröffentlichtes Buch „Gott“, in dem er ein Plädoyer für den Pantheismus entwickelt. Aslan ruft damit ein Konzept in Erinnerung, das in vielen (auch religiösen) Weltanschauungen vorhanden ist, doch nur noch selten explizit gemacht wird. Seine Hochzeit hatte der Pantheismus im 18. und 19. Jahrhundert. Allerdings waren sich die Experten auch damals schon uneinig über seine Bedeutung und Relevanz. Während Georg Wilhelm Friedrich Hegel den Pantheismus als Philosophie betrachtete, sah Heinrich Heine ihn als verborgene Religion Deutschlands an. Schopenhauer hingegen bewertete ihn als „höflichen Atheismus“ und zugleich als absurden Begriff, weil er nichts Neues aussage (vgl. Wollgast, 8). Im 18. Jahrhundert fungierte der Begriff zudem als Kampfbegriff. Dabei diente er zum einen dazu, Andersdenkende zu markieren und sie als „Atheisten oder Christusfeinde, Gegner des persönlichen Gottes der Christen“ zu denunzieren (Graf, 34). Zugleich wurde er aber auch affirmativ als Selbstbezeichnung und Abgrenzungsbegriff verwendet.

Die Alleinheitskonzeption des Pantheismus tritt in unterschiedlichen Bedeutungskontexten, in diversen Facetten und verschiedenen Weltanschauungen auf. Die Spuren des Pantheismus zeichnen sich im Bereich der Esoterik, in neugeistigen Bewegungen wie der „Christlichen Wissenschaft“, im Spiritismus, in säkularen Welterklärungen, in der Mystik und der Theologie sowie in der „Religion von Naturwissenschaftlern“ ab (vgl. Gladigow). Alleinheitsvorstellungen lassen sich bei den Stoikern, im Mahayana-Buddhismus, in der Kabbala und im Sufismus finden. Ob sie unter dem Begriff Pantheismus richtig einsortiert sind, müsste im Konkreten analysiert werden. So setzte beispielsweise schon Arthur Schopenhauer den Theismus als Kriterium für eine sinnvolle Rede vom Pantheismus voraus (vgl. Schopenhauer, 198).

Begriffsgeschichte

„Pantheismus“ leitet sich von dem griechischen pān (alles, das Ganze) und theós (Gott) ab. Der Begriff wurde im 18. Jahrhundert von dem englischen Naturphilosophen John Toland (1670 – 1722) geprägt. Dieser verfasste 1705 die Schrift „Socinianism truly stated“, in deren Untertitel er die Bezeichnung „Pantheist“ aufnahm. In den folgenden Jahren führte er den Begriff weiter aus. In seinem Werk „Pantheisticon“ beschreibt er Pantheisten als Personen, die von der ontologischen Denkfigur ausgehen, dass „all things are from the whole, and the whole is from all things“ (Toland 2001). Pantheisten zeichnen sich Toland zufolge demnach durch ein Glaubenssystem aus, in dem Gott und das Universum ein und dasselbe sind und es keinen transzendenten Schöpfergott gibt. Tolands späte Schriften zum Pantheismus werden in der Forschung jedoch selbst als esoterische Lehre der „pantheistae“ klassifiziert, da Toland sehr stark mit dem Pantheismus sympathisierte und religiöse Elemente in seine Forschungen integrierte (so entwickelte er etwa eine Liturgie des Pantheismus).

Der Pantheismusbegriff verbreitete sich rasch. Dabei wurde er zunehmend mit der philosophischen Ethik von Baruch de Spinoza assoziiert bzw. identifiziert. Spinoza (1632 – 1677) wurde für die Formel „deus sive natura“ (Gott oder auch die Natur) bekannt. Er postuliert in seiner Ethik die Existenz eines absoluten Prinzips, das er als Gott oder als die eine unbedingte Substanz bezeichnet. Dieses Prinzip ist Spinoza zufolge zugleich Ursache seiner selbst und aller Dinge. Es wird aber nicht als schöpfender oder persönlicher Gott eingeführt (vgl. Bartuschat).

Die Identifizierung des Spinozismus mit dem Pantheismus wurde historisch vor allem in einer Kontroverse zwischen Friedrich Heinrich Jacobi und Moses Mendelssohn evident, die als Pantheismusstreit in die Geistesgeschichte einging. Es ging um die Frage, ob Lessing ein Spinozist und Pantheist gewesen sei (vgl. Freudiger, 42). Der Philosoph und Theologe Heinrich Scholz kritisierte jedoch die in dem Disput stattfindende Reduktion des Pantheismus auf die Formel „deus sive natura“ und drängte auf eine stärkere Differenzierung. Hierzu führte er zwei Richtungen des Pantheismus ein. Eine Form sei durch die Identifizierung von Gott und All gekennzeichnet. Sie münde in ein „verklärtes Naturgefühl“ und wird von Scholz als „Weltvergötterung“ bezeichnet (Wollgast, 16). Die zweite Form definiert er als Panentheismus. Dieser nehme eine „Aufhebung der Welt in Gott“ an (ebd.). Die im Panentheismus beschriebene Aufhebung der endlichen Welt im Unendlichen, „das Gefühl vom Sein alles Endlichen im Unendlichen“, ist zu einem Leitmotiv der romantischen Naturphilosophie geworden (Gladigow, 224).

Durch Friedrich Schleiermacher gelangte diese Betrachtungsweise in Verbindung mit der protestantischen Theologie. In der zweiten Rede über die Religion erkundet Schleiermacher, ob „nicht der, der es [das Universum] so anschaut als eins und alles, auch ohne die Idee eines Gottes mehr Religion haben [sollte], als der gebildetste Polytheist? Sollte nicht Spinoza ebenso weit über einem frommen Römer stehen, als Lukrez über einem Götzendiener? … Welche von diesen Anschauungen des Universums ein Mensch sich zueignet, das hängt ab von seinem Sinn fürs Universum, das ist der eigentliche Maßstab seiner Religiosität; ob er zu seiner Anschauung einen Gott hat, das hängt ab von der Richtung seiner Phantasie“ (Schleiermacher, 128). Schleiermacher drückt darin seine Achtung vor dem Pantheismus als Form individueller Frömmigkeit aus, ohne sich dessen Alleinheitskonzeption allerdings anzueignen.

Neben der Unterscheidung zwischen Pantheismus und Panentheismus hat vor allem die damit eng verwandte Aufteilung in materialistischen und idealistischen Pantheismus nach Hegel und Feuerbach Bedeutung erlangt (vgl. Wollgast, 19). Im materialistischen Pantheismus werden Gott und die Welt gleichgesetzt, sie werden als absolut identisch betrachtet, sodass ein Schöpfergott ausgeschlossen wird. Diese Form des Pantheismus mündet von seinem Wesen her in den Atheismus (vgl. ebd., 21). Im idealistischen Pantheismus wird hingegen angenommen, dass die Welt aus Gott hervorgeht. Gott wird als Alleinheit, als absoluter Geist betrachtet, der nicht mit der Welt identisch, wohl aber ihr Ursprung ist. Im idealistischen Pantheismus findet demnach keine absolute Gleichsetzung zwischen Welt und Gott statt. Dadurch eröffnen sich in dieser Spielart des Pantheismus Räume für theistische Religionen, die insbesondere in mystischen Traditionen anzutreffen sind. Während im Christentum etwa Meister Eckhart (1260 – 1328) mit einem solchen idealistischen Pantheismus assoziiert wird, kann in der islamischen Mystik an den Sufisten Ibn Arabi (1165 – 1240) erinnert werden. Allerdings gibt es bezüglich beider Mystiker kontroverse Diskussionen darüber, ob sie wirklich dem Pantheismus zugeordnet werden können (vgl. Schimmel, 298-305; Flasch, 414-416).

Der Pantheismusbegriff wurde in seiner Geschichte auf unterschiedliche Weisen konzipiert und in verschiedene Weltanschauungen integriert. Dabei schwankte die Einschätzung bezüglich der absoluten oder relativen Einheit Gottes mit der Welt bzw. mit dem Universum. Der Pantheismusbegriff wurde aufgrund seiner normativen Aufladung insbesondere im Kontext der philosophischen Religionskritik und der christlich-theologischen Apologetik angewendet, verbreitete sich jedoch nur zögerlich als religionswissenschaftliche Kategorie (vgl. Maier, 627).

Pantheismus als Sammelbezeichnung für Alleinheitskonzepte

Löst man den Pantheismusbegriff aus seinen religionshistorischen Zusammenhängen und betrachtet ihn als Sammelbezeichnung für Alleinheitsvorstellungen, lassen sich in der gegenwärtigen Religions- und Weltanschauungslandschaft zahlreiche pantheistische Konzeptionen finden.

Prominent wurden sie etwa in Rudolf Steiners anthroposophischer Weltsicht entwickelt, die an das Gedankengut von Helena Blavatsky und an Ernst Haeckels Monismus anschließt (vgl. Dinkel, 857). Auch in der Spiritualität des New Age sind verschiedene Facetten des pantheistischen Einheitsgedankens vertreten (vgl. ebd.). Sie manifestieren sich in esoterischen Techniken der Selbstverwirklichung und kosmischen Erfahrungen und verbinden nicht selten einen wissenschaftlichen und einen spirituellen Anspruch.

Die Verbindung von Wissenschaft und Glauben wird auch in einem Pantheismus vertreten, der in den Naturwissenschaften von Bedeutung ist. Burkhard Gladigow schätzt seine Relevanz gar so hoch ein, dass er vom Pantheismus als der Religion von Naturwissenschaftlern spricht. Seine Analyse entwickelt er vor dem historischen Hintergrund des spannungsreichen Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie, wie es sich im Zuge der Aufklärung – vor allem in der französischen Aufklärung – entwickelt hat. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse wurden damals zunehmend in Opposition zur Religion gesetzt und als Instrument zur Befreiung von religiöser Ideologie betrachtet.

Die Gegenüberstellung von Religion und Naturwissenschaft regte die Entwicklung einer romantischen Naturphilosophie an. Darin wurde das Studium der Natur als Untersuchung der „ewigen Verwandlung Gottes in der Welt“ bestimmt (Gladigow, 220). Der Pantheismus tritt in diesem Rahmen als möglicher Ansatz in Erscheinung, das Verhältnis zwischen Religion und Naturwissenschaft ohne Konflikte zu bestimmen (vgl. ebd., 222). Diese Funktion erfüllte der Pantheismus im 20. Jahrhundert auch für Albert Einstein und Max Planck. Einstein bezeichnete seine Weltanschauung explizit als pantheistisch und beschreibt damit „jene mit tiefem Gefühl verbundene Überzeugung von der Vernunft, die sich mit der erfahrbaren Welt offenbart“ (Einstein, 18). Die Attraktivität des Pantheismus als Erklärungsmodell für eine rationale Weltauffassung, wie sie bei Einstein exemplarisch deutlich wird, drückt ein Bedürfnis aus, Naturforschung immer auch religiös zu interpretieren, wie es Gladigow zufolge für die europäische Religionsgeschichte, beginnend bei den Vorsokratikern, verlaufend über Spinozas „deus sive natura“, prägend war (vgl. Gladigow, 235f). Der Reiz des Pantheismus bestehe in einer rationalen Weltdeutung, die jedoch eine emotionale Rückbindung einschließe (vgl. ebd.).

Einschätzung

Aufgrund der Vielschichtigkeit des Pantheismus ist eine allgemeingültige Einschätzung des Konzepts und seines Verhältnisses zum christlichen Glauben diffizil. Die Richtungen und Facetten des Pantheismus zeigen vielmehr die Notwendigkeit auf, den Begriff in konkreten weltanschaulichen oder religiösen Bezügen anzuschauen. So ist für die Bewertung entscheidend, ob im Pantheismus angenommen wird, dass Gott völlig im Weltganzen aufgeht oder ob die Welt als Erscheinung Gottes betrachtet wird. Obgleich es vor allem bezüglich der christlichen Lehre der creatio ex nihilo sowie der Erklärung des Bösen in der Welt deutliche Reibungen mit dem Pantheismus gibt, kann er doch als Möglichkeit angesehen werden, eine übersteigerte Betonung göttlicher Transzendenz zurückzuweisen und das Heilshandeln Gottes in der Welt zu betonen (vgl. Wolfes). Diese Betrachtungsweise lässt sich etwa bei Schleiermacher beobachten. Er greift den Pantheismus als Versuch auf, Gottes Sein in der Wirklichkeit als Ausdruck eines heilsschaffenden Handels zu deuten, ohne Gott jedoch mit dem Weltganzen gleichzusetzen (vgl. ebd.).

Treten Alleinheitskonzeptionen allerdings in esoterischen oder okkulten Zusammenhängen auf, stehen sie häufig in Konflikt oder gar in Opposition zu christlichen Lehren und propagieren alternative Weltanschauungen. Als unvereinbar mit dem christlichen Glauben stellt sich vor allem ein Pantheismus dar, der dem Materialismus strikt verhaftet ist. Ein materialistischer Pantheismus, der Gott mit der Welt oder dem Universum auch in der Substanz gleichsetzt und Gott auf die Materie reduziert, mündet in einen materialistischen Atheismus.

Hanna Fülling, Juli 2019


Literatur

Aslan, Reza: Gott. Eine Geschichte der Menschen, München 2018

Bartuschat, Wolfgang: Spinoza, in: RGG4, Bd. 7, 1579

Dinkel, Christoph: Pantheismus. III. Praktisch-theologisch, in: RGG4, Bd. 6, 857

Einstein, Albert: Mein Weltbild, Frankfurt a. M. 1980

Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1986

Freudiger, Jürg: Der Pantheismusstreit – Eine Bestandsaufnahme, in: Kriterion 5/1993, 39-48

Gladigow, Burkhard: Pantheismus, in: Auffarth, Christoph / Bernard, Jutta / Mohr, Hubert (Hg.): Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien, Bd. 3, Stuttgart 2000

Graf, Friedrich Wilhelm: Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne, München 2009

Maier, Bernhard: Pantheismus als Begriff religionswissenschaftlicher Forschung, in: TRE, Bd. 25, 627-630

Schimmel, Annemarie: Mystische Dimensionen des Islam, Aalen 1979

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799

Schopenhauer, Arthur: Pantheismus. Schopenhauer-Lexikon. Ein philosophisches Wörterbuch, nach Arthur Schopenhauers sämtlichen Schriften und handschriftlichem Nachlass bearbeitet von Julius Frauenstädt, Bd. 2, Leipzig 1871

Toland, John: Pantheisticon. A Modern English Translation, o. O. 2001

Wolfes, Matthias: Pantheismus. II. Dogmatisch, in: RGG4, Bd. 6, 856f.

Wollgast, Siegfried: Deus sive natura: Zum Pantheismus in der europäischen Philosophie- und Religionsgeschichte, in: Hörz, Herbert (Hg.): Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Bd. 27/8, Berlin 1998