Meditation und Achtsamkeit

Das Bedürfnis nach meditativer Entspannung, einem besseren Kontakt zum eigenen Körper und vertiefter Selbstwahrnehmung hat deutlich zugenommen. Zahlreiche Krankenkassen übernehmen mittlerweile die Kosten für meditative Stressbewältigungsprogramme wie beispielsweise das Autogene Training, Yoga-Kurse oder achtsamkeitsbasierte Verfahren. Meditation als körperorientiertes Entspannungsverfahren dient der Gesundheit. Es existieren gesicherte Erkenntnisse darüber, dass durch Meditation herbeigeführte Entspannungszustände das Immunsystem stärken und die Belastbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems erhöhen (Vaitl 2012).

In den USA haben Kliniken weltanschaulich neutrale Meditationstechniken als festen Bestandteil in ihr Therapieprogramm aufgenommen und erzielen damit beachtliche Erfolge. Yoga zählt heute zu den am meisten genutzten und am besten untersuchten Verfahren der Komplementärmedizin. Aus einem esoterischen Modetrend ist ein bewährter Weg zur Verhaltensänderung entstanden, den in Deutschland 16 Millionen Anwender regelmäßig einüben (Cramer 2017). Gab es in den USA im Jahr 2012 etwa 20 Millionen Yoga-Praktizierende, hat sich diese Zahl heute fast verdoppelt. Dieses Gebiet ist auch ökonomisch interessant: Die Ausgaben von Praktizierenden für Kursgebühren und Ausstattung stiegen in dem genannten Zeitraum von 10 auf 16 Milliarden US-Dollar pro Jahr an. Nachdem Yoga im Westen vielfach zu einer Wellness-Bewegung verflachte, gibt es in den letzten Jahren deutliche Bemühungen, den spirituellen Kern des religiösen Yoga-Weges wieder ins Zentrum zu rücken (vgl. „Yoga“).

Was ist und wozu dient Meditation?

Nach den gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er Jahre ist der Begriff Meditation zu einem der geläufigsten Wörter der religiösen Sprache geworden. Wortgeschichtlich geht er auf das Messen zurück: Meditative Verfahren sind Übungsmethoden, um für sich das „rechte Maß“ zu finden. Meditative Entspannungs- und Versenkungstechniken unterstützen den Einzelnen dabei, immer wieder neu die spirituelle Grundfrage „Was will ich?“ zu beantworten. Viele benutzen Meditation dazu, eine höhere Selbstsicherheit, mehr Durchsetzungskraft und inneren Frieden zu erlangen.

Zunächst ist Meditation immer ein bewusstes, absichtliches Heraustreten aus dem Tagesgeschehen. Um sich angesichts tausender Entscheidungsmöglichkeiten nicht zu verzetteln, kann das Hineinhorchen in sich selbst manches klarer machen – zunächst einmal die eigene Zerrissenheit und Unruhe. Alle Gedanken, Gefühle, Fragen und Sorgen schweigen, wenn es gelingt, den „reinen“ Augenblick – ohne Bewertung! – wahrzunehmen und schätzen zu lernen.

Um die typischerweise auftretende Unruhe zu bewältigen, die sich im Regelfall zu Beginn des Übens einstellt, wurden unterschiedliche Methoden wie die Atembeobachtung, bestimmte Bewegungsabläufe und Vorstellungsübungen entwickelt. Sobald regelmäßig geübt wird, verändern sich die Wahrnehmung und Erfahrung des eigenen Körpers und der Umwelt. Grundsätzliches Ziel der Meditation ist es, Körper und Geist in Harmonie miteinander zu bringen. Besonders Achtsamkeitsübungen haben sich dafür bewährt.

Achtsamkeit zwischen Trend und Haltung

Seit 50 Jahren ist das Interesse am Thema Achtsamkeit in der Psychotherapie ständig angewachsen, in den letzten zehn Jahren sprunghaft. Bei einer Expertenbefragung renommierter amerikanischer Psychotherapieforscher wurden die achtsamkeitsbasierten Verfahren als zukunftsweisend und als die potenziell wirksamsten unter allen therapeutischen Methoden eingeschätzt (Norcross u. a. 2013). Achtsamkeitsbasierte Verfahren sind mittlerweile auch in Deutschland als „dritte Welle der Verhaltenstherapie“ fest in die psychotherapeutische Versorgung integriert.

Seit den 1970er Jahren haben sich auch in den christlichen Einkehrhäusern asiatische Versenkungsmethoden wie Yoga, Zen und Achtsamkeit ausgebreitet. Diese Methoden haben nicht an die christlich-kontemplative Tradition der biblischen Betrachtung angeknüpft und diese weiterentwickelt, sondern zeitgenössische Trends der Körperkultur und der Transpersonalen Psychologie aufgegriffen und buddhistische und neuhinduistische Elemente hinzugefügt. Dadurch hat die Meditationspraxis in Bezug auf die Körperhaltung, Atmung und Entspannung wesentliche Neuerungen erfahren. Mittlerweile haben die Achtsamkeitsmethoden die in die Jahre gekommene Meditationsbewegung abgelöst. Meditative Versenkung ist heute nicht mehr unbedingt an einen Kirchenraum gebunden, sondern findet häufiger im Fitness-Studio oder beim heimischen Workout vor dem Tablet statt.

Durch die Ausbreitung östlicher Meditationspraktiken haben sich auch die Inhalte verändert. Eine Studie der Universität Aachen belegt, dass fortgeschrittene Praktiker christlicher Meditation hauptsächlich nichtchristliche Formen wie Zen oder Achtsamkeit üben. Eine Religionsforscherin befragte Christinnen und Christen, die entweder mehrjährige Übungserfahrungen in einer östlichen Meditationsform (Zen, Vipassana, Achtsamkeit) hatten oder eine christliche Meditationsform (hauptsächlich nach der Würzburger Schule der Kontemplation, einige das Herzensgebet) praktizieren (Meuthrath 2017). Die Auswertung der 762 Interviews ergab, dass sich die christliche Identität und das Menschen- und Gottesbild der Befragten durch die östliche Meditationspraxis maßgeblich geändert hat.

Achtsamkeitsübungen können einseitig mentale Meditationsformen sinnvoll erweitern und ausgleichen. Allerdings wird oft übersehen, dass der Buddhismus den Menschen gänzlich anders definiert als die westliche Psychologie. Weil es bei Achtsamkeit nicht nur um die Wahrnehmungsverfeinerung, sondern auch um Haltung und Absicht geht, müssen die anthropologischen Vorentscheidungen des buddhistischen Welt- und Menschenbildes reflektiert und berücksichtigt werden.

Anbieter von Achtsamkeitsverfahren behaupten oft die weltanschauliche Neutralität dieser Methode. Schaut man aber genauer hin, ist eine Zweigleisigkeit zu erkennen. Meistens wird mit Blick auf Krankenkassen nach außen hin ein verhaltensmedizinisches, weltanschaulich neutrales Programm verkauft, das nach innen jedoch eindeutig auf buddhistischer Psychologie und Philosophie basiert. Die achtsame Wahrnehmung des Augenblicks will begriffliche Konstrukte überwinden und die Wirklichkeit erkennen, „wie sie ist“. Das spirituelle Ziel, den leidvollen Kreislauf des Lebens zu überwinden, steht damit im Gegensatz zu Achtsamkeitsübungen im Gesundheitskontext, wo funktional Stress reduziert und Krisen überwunden werden sollen.

Manchmal wird die achtsame Versenkung in der buddhistischen Tradition mit der kontemplativen Herzensruhe im Christentum gleichgesetzt. Unter der Voraussetzung eines mystischen Kerns aller Religionen wird von einem vergleichbaren Erleben ausgegangen. Dabei verschwimmen jedoch wichtige Unterschiede, weil beide Wege von anderen Prämissen ausgehen (Utsch 2017).

Eine klassische Methode zur Wahrnehmung der Gegenwart Gottes ist die geistliche Lesung (lectio divina). Dieser in der monastischen Theologie entwickelte Schulungsweg verfährt in der Abfolge von lectio(Schriftlesung), meditatio(bedenken), oratio(Gebet) und contemplatio(Herzensruhe). Um in den Zustand der vom Geist Gottes „eingegossenen Beschauung“ oder Herzensruhe zu gelangen, sind die genannten drei vorbereitenden Schritte unverzichtbar. In der buddhistischen Achtsamkeit geht es um die Befreiung des Menschen von der Ich-Anhaftung, in der christlichen Meditation um die Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott.

Spirituelle Übungsformen und säkularisierte Techniken

Religionen verfügen über ein reichhaltiges therapeutisches Erbe. Daraus wurden säkularisierte Techniken abgeleitet, die Einzug in wissenschaftlich abgesicherte Behandlungen gefunden haben. Ein renommierter Psychiater hat eine säkularisierte Form ignatianischer Meditationspraxis als therapeutisches Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung in einer Fachzeitschrift vorgestellt und mit zahlreichen Fallbeispielen untermauert (Plante 2017). Aus religionswissenschaftlicher Sicht können drei verbreitete meditative Therapietechniken religiösen Traditionen zugeordnet werden:

Hinduismus:
Yoga (spirituelle Übungsform),
Autogenes Training (säkularisierte Technik);

Buddhismus:
Zen (spirituelle Übungsform),
Achtsamkeitsverfahren (säkularisierte Technik);

Christentum:
Gebet (spirituelle Übungsform),
Vergebungsmanuale (säkularisierte Technik).

Meditativ orientierte Therapiemethoden haben zunehmend Eingang in die Fachdiskussionen gefunden. Auffällig ist, dass dabei christliche Methoden bis vor kurzem kaum vorkamen, obwohl bemerkenswerte Vorarbeiten vorliegen (Thomas 1973). In einem aktuellen Fachbuch über Spiritualität in der Psychotherapie werden vier Hauptströmungen für spirituelle Heilansätze mit ihren Ritualen vorgestellt: schamanische, buddhistische, Quantenheilungs- und hawaiianische Heilungsrituale (Brentrup / Kupitz 2015). Warum die deutschen Autoren allerdings christliche Traditionen nicht berücksichtigt haben, ist unverständlich.

Erstaunt bemerkt auch Vaitl (2012, 296) in seinem Lehrbuch über veränderte Bewusstseinszustände, dass die in christlichen Traditionen verankerten Meditations- und Kontemplationsformen wissenschaftlich fast gar nicht untersucht worden seien. Ein Grund dafür mag sein, dass das therapeutische Erbe des Christentums wenig bekannt ist, worauf die falsche Behauptung eines renommierten Meditationsforschers hindeutet: „Während im Hinduismus und Buddhismus und manchen Formen des Taoismus Meditationstechniken eine zentrale Rolle spielen, ist Meditation im Islam sowie im Christen- und Judentum eher eine Randerscheinung“ (Sedlmeier 2016, 45). Diese Einschätzung verwundert angesichts der reichhaltigen und differenzierten jüdischen, christlichen und islamischen Gebetstheologien und -praktiken. In den abrahamitischen Religionen bilden Meditation, Kontemplation und Gebet eine elementare, unverzichtbare Säule der Glaubenspraxis und sind keinesfalls eine Randerscheinung!

In der christlichen Tradition haben sich über Jahrhunderte verschiedene Übungswege der geschulten Aufmerksamkeit für die unsichtbare Gegenwart Gottes herausgebildet (Dahlgrün 2009). Sowohl in der Ost- als auch in der Westkirche wurden Weisen des Gebets und der Kontemplation kultiviert, aus denen sich unterschiedliche Schulen christlicher Gottesbegegnung wie das Herzensgebet, die ignatianischen Exerzitien, das betrachtende Gebet oder das Körpergebet (Storch / Jäger / Klöckner 2021) entwickelt haben. Es ist an der Zeit, dass die bewährten christlichen Ansätze der Kontemplation und Meditation in der Psychologie stärker berücksichtigt werden – in den USA gibt es dazu bereits Forschungsprojekte und entsprechende integrative Weiterbildungen.

Auch hierzulande werden deshalb Techniken zur Förderung christlicher Tugenden wie Mitgefühl, Vergebung und Dankbarkeit sowie die Nutzung kontemplativer Methoden neuerdings intensiv beforscht (Handrock / Baumann 2017; Freund / Lehr 2020).

Drei verschiedene Meditationsziele

Manche Meditationsangebote gehen über den Bereich der verbesserten Selbstwahrnehmung, der körperlichen Entspannung und mentalen Sammlung hinaus. Sie sind mit einer weltanschaulichen Theorie verbunden, die lehrt, dass etwas Göttliches im Menschen vorhanden ist, das man in dieser Ruhephase in sich entdecken könne: ein „kosmisches Bewusstsein“, das „höhere (wahre) Selbst“ oder die „All-Einheit“ von Welt und Gott. Grundsätzlich können Meditationen ihrem Anspruch und Ziel nach in drei Gruppen unterteilt werden, die nun kurz vorgestellt werden:

1. Meditation als Entspannungsmittel: Das heutzutage häufig anzutreffende Stresssymptom, das nachweislich Ursache vieler Krankheiten und Todesfälle ist, kann durch Meditation verändert werden. Ein Problem, in dem sich Stress und seelische Konflikte oft ausdrücken, sind Muskelverspannungen. Mittlerweile gibt es viele Bewegungsangebote, deren Entspannungsübungen einfach erlernbar sind und sich zur gezielten Eigenbehandlung eignen. In Einrichtungen der Erwachsenenbildung werden Verfahren angeboten, bei denen gesunde Bewegungsabläufe reflektiert und eingeübt werden. Körper-Meditationen, die sich als Gymnastik verstehen, können in Form bestimmter Yoga-Übungen oder anderer fernöstlicher Bewegungskünste wie Tai-Chi dazu beitragen, Verspannungszustände und Schmerzsymptome zu lindern.

Während das Autogene Training oder die Hypnotherapie an der Einbildungskraft des Menschen ansetzen, weil sie mit autosuggestiven Merksätzen wie „der ganze Körper ist warm und schwer“ arbeiten, verwenden körperorientierte Meditationsverfahren konkrete Haltungen und Bewegungsabfolgen, um eine bessere Körperwahrnehmung und damit eine Entspannung herbeizuführen. Grundgedanke beider Ansätze ist, dass Körper und Seele zusammengehören. Ein entspannter Körper wirkt sich auch auf die Psyche aus und kann seine Harmonie auf das seelische Befinden übertragen.

2. Meditation als Konzentrationshilfe: Neben der körperbezogenen Anwendung kann die Meditation auch zur Veränderung der seelischen Befindlichkeit eingesetzt werden. Der Weg von innerer Unruhe zur mentalen Sammlung verläuft über Fantasiereisen, autosuggestive Formeln oder Wahrnehmungsübungen. Psychologische Studien haben herausgefunden, dass Belastungen nicht in erster Linie durch äußere Umweltfaktoren entstehen, sondern dass die innere Einstellung, d. h. die Wahrnehmung und Bewertung eines Ereignisses, den entscheidenden Einfluss darauf nimmt. Diese kognitiven Muster stehen meist im Zusammenhang mit negativen Gefühlen wie Angst, Überforderung, Hilflosigkeit, Ärger oder Wut, denen sich die meisten Menschen ausgeliefert fühlen. Solche Gefühle können durch die Konzentration auf gesunde Körperabläufe verändert werden. Bei seelischen Funktionsstörungen oder neurotischen Erkrankungen zeigt Meditation allerdings wenig Wirkung, weil sie an die Voraussetzung der psychischen Gesundheit gebunden ist.

Viele Menschen geraten bei dem Versuch, sich innerlich zu sammeln und zu konzentrieren, in Unruhe, weil sie die ersehnte Stille nicht herstellen können. Eine wesentliche Veränderung tritt ein, wenn der Schritt zum Loslassen der ständigen Gedankenflut gelingt. Formeln wie „die Gedanken ziehen vorbei wie Wolken am Himmel“ helfen dabei, sich von der Tyrannei des unaufhörlichen Gedankenflusses zu lösen und gegenüber sich selber in einen Beobachterstatus zu gelangen.

In der heute üblichen, oft engmaschigen Terminplanung können die persönliche Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit gesteigert werden, wenn man sich regelmäßig einer den persönlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen angemessenen Meditationstechnik widmet. Ob dabei mit Bewegung, Körperhaltungen, Atemtechniken oder Vorstellungen gearbeitet wird, ist nebensächlich. Solange Entspannung und Konzentration im Mittelpunkt stehen, sind die unterschiedlichen Techniken als wirkungsvolle Hilfsmittel einzustufen.

Problematisch werden Meditationsübungen, wenn sie mit ihrer Methode weltanschauliche Inhalte vermitteln. Wenn z. B. in einer Übung dazu angeleitet wird, sich auf das innere, geistige „Dritte Auge“ zu konzentrieren, das sich angeblich zwischen den Augenbrauen befindet, ist Skepsis angebracht. Hier wird Meditation als Weg zur Bewusstseinserweiterung angesehen, was nur im Zusammenhang mit bestimmten weltanschaulichen Lehren zu verstehen ist. Erst unter bestimmten Glaubensvoraussetzungen – z. B. Chakrenlehre oder Reinkarnationsvorstellungen – ergeben derartige Meditationsformen Sinn. Deshalb ist eine klare Unterscheidung zwischen Meditation als Entspannungs- und Konzentrationsmittel und Meditation als weltanschaulich begründeter Bewusstseinserweiterung zu treffen.

3. Meditation als Weg zur Bewusstseinserweiterung: Seit vielen Jahren wächst die Zahl der Menschen, die Meditation zur Förderung ihrer spirituellen Entwicklung einsetzen. Nach dem Erreichen materieller Ziele suchen sie nach einer anderen Dimension, die den persönlichen Erfolg übersteigt und das Individuelle in ein Ganzes einbindet. Die Verbindung psychologischer und spiritueller Elemente zu einem ganzheitlichen Erfahrungsweg scheint einem tiefen Bedürfnis unserer Zeit zu entsprechen. In engem Kontakt zum eigenen Körper, zu den Gefühlen und zum Kosmos zu stehen – dieser innige Wunsch nach Zugehörigkeit ist religiöser Natur und entspricht der Sehnsucht nach einer Wiedergeburt. Ob ein „göttlicher Wesenskern“ durch Meditation entdeckt werden kann, ist aber keine Frage der Technik, sondern einer bestimmten weltanschaulichen Voraussetzung – in diesem Fall der Gleichsetzung des menschlichen Selbst mit Gott.

Bei diesem dritten Typus wird Meditation wieder zurückgeführt zu ihren Wurzeln. Ursprünglich wurden derartige Techniken nämlich zur Erreichung religiöser Ziele entwickelt. Diese Ziele sollten aber zu Beginn eines Kurses offengelegt werden. Sonst gerät Meditation zu einer einsamen, verzweifelten und unendlichen Suche nach dem eigenen Selbst. Fraglich ist beispielsweise, ob sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an bewusstseinserweiternden Meditationen über das Ziel der Ich-Auflösung im Klaren sind. Kann das Persönlichkeitsideal der östlichen Kultur ohne Weiteres mit der Identität und dem Selbstverständnis eines westlichen Ichs in Einklang gebracht werden? Es gibt Anzeichen dafür, dass hier im Westen sozialisierte Menschen wegen der stärkeren Ich-Entwicklung und der schärferen Abgrenzung zu ihrer Umwelt durch diese Meditationsformen eher geschädigt werden.

Die weltanschauliche Rahmung der Meditation

Kann ein Christ buddhistisch meditieren? Obwohl zunehmend auch andere weltanschauliche Meditationstechniken bewusst von Christen verwendet werden, entsteht eine grundsätzliche Spannung durch die unterschiedliche „Verortung der Transzendenz“: Während beispielsweise der Buddhist davon überzeugt ist, dass das Licht der Erleuchtung eine unserem Geist selbst immanente Eigenschaft ist, geht die christliche Gottesvorstellung von einer unüberbrückbaren Trennung zwischen Gott und Mensch aus, die nur durch den Glauben überwunden werden kann.

Es ist eine Frage des Menschenbildes, ob aufwühlende Meditationserfahrungen wirklich die Selbstheilungskräfte des Übenden wecken. Können die intensiven Erlebnisse, die durch manche Meditationstechniken hervorgerufen werden, tatsächlich in einer Sitzung verarbeitet werden? Neben der medizinischen Kritik an derartig massiven Eingriffen in das vegetative Körpergeschehen ist zu beachten, dass das Gelingen einer Übung sehr von der persönlichen Belastbarkeit des Teilnehmers abhängt. Wenn eine labile Person in einer Krisenphase ihres Lebens Hilfe durch bewusstseinserweiternde Meditationsformen sucht, sind Schädigungen nicht auszuschließen.

Immer ist es ratsam, sich über die eigenen Motive und Ziele bei einer Übung klar zu werden und den Leiter oder die Leiterin auch dazu zu befragen. Vermag die Methode das zu leisten, was ich benötige? Werden hierbei körperliche Entspannung und seelische Sammlung vermittelt, oder werden Inhalte und Entwicklungsziele vorausgesetzt, die an eine bestimmte weltanschauliche Orientierung gebunden sind? Grundsätzlich ist Skepsis dort angebracht, wo weltanschauliche Voraussetzungen durch den Leiter der Meditation nicht offengelegt werden. Transparenz ist auf diesem Markt, auf dem sich Therapie und Religion zunehmend mischen, unverzichtbar. Erst auf Grundlage von umfassenden Informationen – auch über den weltanschaulichen Hintergrund und Anspruch – können sich Übende vor unliebsamen Überraschungen schützen.

Michael Utsch, August 2021


Literatur

Baier, Karl (2009): Meditation und Moderne, 2 Bde., Würzburg.

Brenner, Helmut (2011): Meditation. Die wichtigsten Ziele, Methoden und Übungen, Lengerich.

Brentrup, Martin / Kupitz, Gaby (2015): Rituale und Spiritualität in der Psychotherapie, Göttingen.

Cramer, Holger (2017): Wo und wie wirkt Yoga? Eine wissenschaftliche Bestandaufnahme, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 142, 1925 – 1929.

Dahlgrün, Corinna (2009): Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott, Berlin.

Freund, Henning / Lehr, Dirk (2020): Dankbarkeit in der Psychotherapie. Ressource und Herausforderung, Göttingen.

Handrock, Anke / Baumann, Maike (2017): Vergeben und Loslassen in Psychotherapie und Coaching, Weinheim.

Merton, Thomas (2010): Christliche Kontemplation, München.

Meuthrath, Annette (2017): Meditation – eine Herausforderung für den christlichen Glauben?, in: Materialdienst der EZW 80/4, 140 – 147.

Norcross, John C. / Pfund, Rory A. / Prochaska, James O. (2013): Psychotherapy in 2022. A Delphi poll on its future, in: Professional Psychology: Research and Practice 44, 363 – 370.

Ott, Ulrich (2010): Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst, München.

Plante, Thomas (2017): The 4 Ds. Using Ignatian spirituality in secular psychotherapy and beyond, in: Spirituality in Clinical Practice 4, 74 – 79.

Sedlmeier, Peter (2016): Die Kraft der Meditation. Was die Wissenschaft darüber weiß, Hamburg.
Storch, Maja / Jäger, Eva Maria / Klöckner, Stefan (2021): Spirituelles Embodiment. Stimme und Körper als Schlüssel zu unserem wahren Selbst, München.

Thomas, Klaus (1973): Meditation in Forschung und Erfahrung, in weltweiter Beobachtung und praktischer Anleitung, Stuttgart.

Utsch, Michael (2017): Christliche Aufmerksamkeit oder buddhistische Achtsamkeit? Notwendige Unterscheidungen, in: Materialdienst der EZW 80/4, 134 – 139.

Vaitl, Dieter (2012): Meditation, in: ders.: Veränderte Bewusstseinszustände, Stuttgart, 294 – 328.


Anmerkung

1  Manual: psychotherapeutische Anleitung zum Umgang mit einem Problem.