Gemeinden Gottes

Mit Gemeinden Gottes (Churches of God) werden ganz unterschiedliche religiöse Gemeinschaften bezeichnet, die jeweils in ihren besonderen Anliegen und Ausprägungen zu betrachten und keineswegs alle zu den ökumenisch verbundenen christlichen Gemeinschaftsbildungen zu zählen sind. Die freikirchlich geprägten Gemeinschaften beziehen sich in ihrem Selbstverständnis auf das Neue Testament und den biblischen Sprachgebrauch „Gemeinde Gottes“, wie er in der Briefliteratur vorkommt, unter anderem in 1. Kor 1,2 und 2. Kor 1,1. Ihre Glaubenspraxis verstehen diese Gemeinschaften als Verwirklichung des urchristlichen Gemeinde-Ideals.

Im deutschsprachigen Kontext sind vor allem zwei Gruppen unter diesem Namen bekannt geworden: die pfingstlerische „Gemeinde Gottes“ (mit internationalem Sitz in Cleveland, in Deutschland im süddeutschen Urbach) und der evangelikal geprägte „Freikirchliche Bund der Gemeinde Gottes“ (FBGG, Church of God [Anderson]). Beide Gemeinschaften haben ihre Ursprünge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und stehen trotz ihrer Verschiedenheit und völligen organisatorischen Unabhängigkeit in einem geschichtlichen Zusammenhang mit dem Methodismus und der Heiligungsbewegung.

Geschichte und Ausprägungen

  • Die Gemeinde Gottes (Cleveland) ist Teil der internationalen Church of God, der ältesten Pfingstgemeinschaft, die bereits 1886 als Heiligungsgemeinde entstand, diesen Charakter bewahrte und als eine der weltweit größten Pfingstkirchen gilt. Zehn Jahre nachdem der Baptistenprediger Richard G. Spurling die Gemeinde gegründet hatte, kam es zu enthusiastischen Aufbrüchen, noch bevor die eigentliche Pfingstbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Topeka/Kansas und Los Angeles/Kalifornien entstand. Seit 1907 nennt sich die Gemeinschaft offiziell Gemeinde Gottes. Seit 1936 wurde sie durch Hermann Lauster (1901-1964), der sie zuvor in den USA kennengelernt hatte, in Deutschland (v. a. Süddeutschland) bekannt gemacht, unterbrochen durch die Kriegsjahre und Jahre der Gefangenschaft Lausters.

    Innerhalb der Pfingstgemeinschaft stellt die Gemeinde Gottes insofern eine Besonderheit dar, als sie eine weltweit einheitlich strukturierte Denomination mit zentraler Leitung ist. Die Gemeinde Gottes betont die zentralen Anliegen der Pfingstbewegung. Die Geistestaufe mit dem anfänglichen Zeichen der Glossolalie wird als „dritte Stufe“ nach Wiedergeburt/Bekehrung und Heiligung gelehrt, als Folge der „Reinigung des Herzens“. Tauflehre und -praxis sind streng baptistisch, wobei Taufe und Mitgliedschaft nicht notwendigerweise miteinander verknüpft sind. Das Abendmahl wird zusammen mit der Fußwaschung gefeiert. Hervorgehoben wird im „Glaubensbekenntnis“ der Gemeinde Gottes auch, dass „göttliche Heilung ... für alle in der Erlösung bereitgestellt“ ist. In der Geschichte der Gemeinde Gottes waren gleichermaßen gesetzlich-perfektionistische wie enthusiastische Züge wirksam. Heute betont man stärker das missionarische Engagement und die Gründung von Gemeinden.

    Weltweit ist die Gemeinde Gottes in 160 Ländern mit ca. 10 Mill. Mitgliedern vertreten, in Europa in 30 Ländern mit ca. 750000 Mitgliedern. In Deutschland gehören zu ihr ca. 3300 Mitglieder in ca. 70 Gemeinden, in Österreich ca. 400 Mitglieder in 27 Gemeinden, in der Schweiz eine Mission mit ca. 20 Mitgliedern. In Urbach bei Stuttgart befindet sich die Zentrale. Zur Gemeinde Gottes gehört das Europäische Theologische Seminar (früher: Europäisches Bibelseminar Rudersberg) in Freudenstadt. Die Stellung der Gemeinde Gottes gegenüber den historischen Kirchen und der Ökumene ist zwar nach wie vor als distanziert anzusehen. Gegenüber anderen Freikirchen und der evangelikalen Bewegung vollzog sich jedoch ein wechselseitiger Öffnungsprozess, sodass die Gemeinde Gottes seit 2001 Gastmitglied, seit 2007 Vollmitglied der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) ist. Die Gemeinde Gottes bejaht die Grundlagen der Evangelischen Allianz. Sie ist ebenso Mitglied im Forum Freikirchlicher Pfingstgemeinden.
     
  • Die Gemeinde Gottes (Anderson/Indiana) entstand 1881 durch das Wirken von Daniel Sydney Warner (1842-1895), der Gemeinde als Bruderschaft ohne Organisation und ohne trennende konfessionelle Schranken begreifen wollte. Er war beeinflusst von Anliegen der Heiligungsbewegung (u. a. John Wesley, v. a. Charles G. Finney) und ihrem charakteristischen Streben nach Vollkommenheit. Seit 1901 kam es auch in Deutschland zur Gründung von Gemeinden, 1922 erschien die erste Nummer ihrer Zeitschrift, der Evangeliumsposaune.

    Die Gemeinde Gottes betont zentrale Anliegen evangelikaler Frömmigkeit: Buße, Bekehrung, Vergebung, Gehorsam, Sieg über die Sünde, Erwartung der Wiederkunft Christi. Die Taufe wird als Erwachsenentaufe durch Untertauchen praktiziert, außerdem werden Fußwaschung (vgl. Joh 13,14f) und Abendmahl praktiziert, wobei diese Handlungen als „Verordnungen“ und nicht als Sakramente verstanden werden.

    Größere Gemeindebünde haben sich in den USA, Indien, Afrika und Südamerika gebildet. In Deutschland gehören zum FBGG 30 Gemeinden mit ca. 2200 Gottesdienstbesuchern, in der Schweiz gibt es ca. 80 Zugehörige (formelle Mitgliedschaft wird abgelehnt). Juristischer Träger des FBGG ist das Missionswerk der Gemeinde Gottes mit Sitz in Fritzlar bei Kassel. Der Sozialdienst im Missionswerk der Gemeinde Gottes und des Kinderhilfswerks Bergen dient der Ausübung des diakonischen Auftrags. Die in der Geschichte dieser Gemeinschaft wirksamen perfektionistischen und separatistischen Tendenzen sind heute einer größeren Offenheit gewichen. 1999 wurde der FBGG Gastmitglied in der VEF, 2010 fand er als Vollmitglied Aufnahme. Kooperation mit anderen christlichen Gemeinschaften geschieht insbesondere im Rahmen der Evangelischen Allianz.

    Neben diesen ausführlicher dargestellten Gemeinden Gottes, gibt es weitere Gruppen, die sich so bezeichnen. In ihrer zahlenmäßigen Ausbreitung haben sie kaum Gewicht. Einzelne kamen durch Migration in den deutschsprachigen Raum. Dazu gehören:
  • die Gemeinde Gottes des Siebenten Tages (Church of God Seventh Day), die in Lehre und Praxis auf adventistische Traditionen Bezug nimmt und eine Abspaltung des Adventismus darstellt. Die Heiligung des Sabbats, die Betonung von Buße und die Feier des jüdischen Pessachfestes als einzigem Fest sind u. a. Kennzeichen der Frömmigkeit. Die Gruppe Evangelische Christen des Sabbattages, Münster, hat sich mit der nordamerikanischen Gemeinde Gottes des Siebenten Tages verbunden.
     
  • Die Gemeinde Gottes des Weltmissionsvereins (World Mission Society Church of God) ist eine durch den Koreaner Ahn­sahng­hong (1918-1985) gegründete Gemeinschaft. Ahnsahnghong wuchs als Buddhist auf, ließ sich 1948 in einer adventistischen Gemeinde in Südkorea taufen und gründete 1964 eine neue religiöse Gemeinschaft, die Elemente des christlichen Glaubens aufnimmt, diesen jedoch in fundamentaler Weise verfremdet, etwa in der Gotteslehre, in der neben den dreieinigen Gott die „Gottmutter neues Jerusalem“ gestellt wird. Ahnsahnghong wird mit dem wiedergekommenen Jesus Christus identifiziert. Die Leitung der in mehreren Kontinenten verbreiteten Kirche (auch in Europa und Deutschland, u. a. in Hamburg) übernahm nach Ahnsahnghongs Tod Ju-Cheol Kim.
  • Die Gemeinde Gottes/Wiederherstellung (Church of God/Restauration) ist eine Heiligungsgemeinschaft ganz eigener Prägung. Sie hat ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten Amerikas, existiert erst seit den 1980er Jahren und wurde von dem Amerikaner und ehemaligen Drogenabhängigen Daniel Layne gegründet. Zwar fand sie internationale Verbreitung, ihre zahlenmäßige Ausbreitung blieb jedoch sehr begrenzt.

    Sie greift Motive der radikalen Heiligungsbewegung auf und macht sich vor allem die Anliegen Daniel S. Warners zu eigen, der Gründungsfigur der Gemeinde Gottes (Anderson). Insofern besteht ein ideengeschichtlicher Zusammenhang mit der Gemeinde Gottes (Anderson) bzw. dem „Freikirchlichen Bund der Gemeinde Gottes“. Man geht davon aus, dass die Church of God (Anderson) im Laufe der Jahre die Anliegen Warners relativiert und verfälscht habe. Im Zusammenhang des Wirkens von Daniel Layne seien sie wieder zur Geltung gebracht worden: „Nachdem sich die Gemeinde Gottes viele Jahre in Apostasie und Kompromissen befunden hat, stellt Gott in dieser Endzeit Seine Gemeinde wieder her. Es handelt sich dabei um ein göttliches Werk, von Ihm beschlossen, im Buch der Offenbarung, so wie in anderen Schriftstellen vorhergesagt und durch den Heiligen Geist bewirkt. Noch einmal ruft Gott Sein wahres Volk aus jeder Sekte und Trennung, zurück in die eine Herde, die teure Gemeinde Gottes“ (so das auf der Internetseite formulierte Selbstverständnis). Den Gründungsakt der Gemeinschaft versteht diese selbst als göttliches Handeln in endzeitlicher Perspektive. Das christliche Leben wird in radikaler Trennung von der Welt verstanden und gestaltet. Dies drückt sich in zahlreichen Bereichen der Glaubenspraxis aus: in einer sehr spezifischen endzeitlichen Orientierung, in einem Erwählungsbewusstsein, verbunden mit vielen Abgrenzungen gegenüber anderen christlichen Gruppen, in überaus strengen Bekleidungsregeln, im Glauben an göttliche Heilung, verbunden mit dezidierter Ablehnung medizinischer Behandlung, in autoritativen Leitungsstilen.

    In Deutschland ist die Gemeinde Gottes/Wiederherstellung in vier Regionen vertreten, unter anderem im Kreis Heilbronn. Ihre Zugehörigen kommen aus unterschiedlichen Nationen. Viele haben einen osteuropäischen Migrationshintergrund.

Einschätzungen

Grundsätzlich ist zu unterstreichen, dass jede Gemeinschaft, die sich als Gemeinde Gottes bezeichnet, der besonderen Wahrnehmung und Beurteilung bedarf. Die näher skizzierten Gemeinschaften Gemeinde Gottes (Cleveland) und Gemeinde Gottes (Anderson) existieren in Deutschland seit vielen Jahrzehnten. Im Blick auf beide Gemeinschaften ist zu sagen, dass sie das perfektionistisch orientierte Heiligungsstreben, das zu ihrer Herkunft gehört, entradikalisiert haben und in das Gespräch und den Kontakt mit anderen christlichen Gemeinschaften eingetreten sind.

Im Blick auf sabbatarische Gruppen meldet sich die Frage nach dem Verständnis christlicher Freiheit und der Geltung des alttestamentlichen Gesetzes für die christliche Existenz. Die Gemeinde Gottes des Weltmissionsvereins schafft durch ihre lehrmäßige Ausrichtung fundamentale Differenzen zur Mutterreligion, die nicht nur stilistischen, sondern kanonischen Charakter haben (z. B. Abwertung und Ergänzung des biblisch Bezeugten, Veränderung des trinitarischen Bekenntnisses). Auch in der Gemeinde Gottes/Wiederherstellung wird das Verständnis des christlichen Glaubens verzerrt. Der Gründungsakt der eigenen Gemeinschaft wird als göttliches Handeln in endzeitlicher Perspektive verstanden. Die Gemeinde Gottes/Wiederherstellung vertritt ein exklusives Verständnis des Christlichen und kennt keine ökumenischen Beziehungen. Die Weltdistanz dieser Religionsgemeinschaft (Bekleidungsregeln, der Glaube an göttliche Heilung, der verbunden sein kann mit dezidierter Ablehnung medizinischer Behandlung, autoritative Leitungsstile) ruft zahlreiche Konflikte hervor.

Reinhard Hempelmann, Juli 2012


Zeitschriften

In Spirit (früher: Die Wahrheit) [GG Cleveland]

Perspektiven – Christsein und Gemeinde heute (früher: Evangeliumsposaune) [GG Anderson]


Literatur

Berry, Robert Lee, Die wichtigsten Lehren der Bibel, Anderson o. J.

Hauth, Rüdiger (Hg.), ... neben den Kirchen, Neukirchen-Vluyn 101995, 50-54, 153-154

Hutten, Kurt, Seher, Grübler, Enthusiasten, Stuttgart 1950 (121982), 277-282

Melton, J. Gordon (Hg.), Encyclopedia of American Religions, Detroit (Mich.) u. a. 51996, 342, 366

Schmidgall, Paul, 90 Jahre deutsche Pfingstbewegung, Erzhausen 1997

Schmidgall, Paul, Von Oslo nach Berlin. Die Pfingstbewegung in Europa, Erzhausen 2003


Internet

http://cog7.org

http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchengemeinde_Gottes

http://diegemeindegottes.com