Reza Aslan

Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit

Reza Aslan, Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013, 380 Seiten, 22,95 Euro.

Das eine muss man ihm lassen: Schreiben kann er! Ach, wenn doch meine akademischen Lehrer früher auch eine so schmissige Feder gehabt hätten! Der Religionswissenschaftler Reza Aslan, iranisch-amerikanischer Muslim, ist als Kind in der Folge der iranischen Revolution 1979 mit seiner Familie aus dem Iran geflohen. Bekannt ist er mittlerweile aufgrund eines ebenfalls gut geschriebenen Buches über den Islam. Hier legt er nun ein Jesus-Buch vor, das nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande einige Furore gemacht hat. Es handelt sich um einen Überblick über die ganze Geschichte des neutestamentlichen und frühkirchlichen Zeitalters.

Die Grundthese ist ganz knapp: Jesus war nicht der sanfte, liebende Heiland, den Bibel und Christentum kennen und verkündigen. Dazu hat man ihn erst später gemacht. Ursprünglich war er nichts anderes als ein Aufrührer, ein politischer Messias, von denen es in seiner Zeit nachweislich nicht wenige gab. Er hatte eine Gruppe um sich, die er mit Ideen und auch mit Schwertern ausstattete. Ziel war die Wiederherstellung der Souveränität Israels, und die ist erreicht, wenn das „Himmelreich nahe herbeikommt“. Und wenn diese Gottesherrschaft wieder über das auserwählte Volk in Kraft tritt, dann ist das auch etwa gleichbedeutend mit der Verwirklichung des Himmelreiches. Jesus war also ein Zelot, zählte zu den Anhängern einer politisch orientierten und gewaltbereiten Befreiungsbewegung.

Warum aber wurde Jesus von den frühen Christen und dann von der ganzen nachmaligen Kirche „umgebaut“? Nach Reza Aslan geht dies zunächst vor allem auf Paulus zurück, der zur nachösterlichen Bewegung der Christen kam, ohne den irdischen Jesus auch nur im Mindesten gekannt zu haben. Vor allem aber begründet sich der „Umbau“ der Jesus-Person mit einem besonderen historischen Umstand. Den Zeloten war der große Krieg mit Rom zu verdanken, der im Jahr 70 zu einer totalen Niederlage und zur Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem führte. Nach diesem schlimmen Debakel hätten es sich die Anhänger Jesu nun wirklich nicht mehr leisten können, auch nur das Geringste mit einem gewaltbereiten politischen Revolutionär zu tun zu haben. Also wird Jesus konsequent „verchristlicht“, und aus dem Führer der Aufständischen wird der sanfte und liebende Heiland des Friedens und der Jenseitigkeit.

So weit, so gut. Studierte Theologen kennen dieses Thesengebilde. Es existiert seit Jahrzehnten in verschiedenen Varianten. Was Aslan aufbaut, ist so neu letztlich nicht. Aber schriftstellerisch war es vielleicht nie so gut gemacht.

Jetzt ist natürlich die Frage, was dabei herauskommt, wenn man ganz konsequent historisch denkt und analysiert, und ob etwas von diesem Thesengebäude bleibt. Der Weg zur Widerlegung ist (auch nicht neu und nicht meine „Erfindung“) relativ kurz: Ist Jesus ein Zelot, wie oben geschildert, bleibt immer noch ein Umstand, der zu konstatieren ist: Jesus hat eine Gruppe (die die Christenheit Jüngerschaft nennt). Nach der Verhaftung des politischen Führers Jesus kommt es innerhalb kurzer Zeit zur Hinrichtung. Aslan sagt zu Recht, dass es in dieser Zeit kein Einzelfall war und dass die Römer es sich nie hätten leisten können und wollen, mit politischen Aufrührern zimperlich zu verfahren. So wird also kurzer Prozess gemacht. Aber auffällig daran ist doch der Umstand, dass die Gruppe ziemlich unangefochten überlebt. Faktisch passiert den Anhängern des Anführers nichts! Das ist ganz verwunderlich. Und Aslan beschreibt uns ein deutliches Szenario, das sich im Garten Gethsemane abspielt: Mit drei- bis sechshundert Mann kommt die römische Macht, und nach einem kurzen und für die Jünger aussichtslosen Waffengang (auf den der Zelot Jesus seine Gruppe auch vorbereitet hatte) kommt es zur Verhaftung, dann zur Hinrichtung – aber nur des Führers! Die Gruppe überlebt. Das ist eigentlich Unsinn. Die Gruppe hätte ebenfalls vernichtet werden müssen, und die Römer hätten das geschafft. Darin waren sie geschult, wie Aslan selbst schön darlegt. Dass die Gruppe überlebt, ist schlicht und einfach der Beweis dafür, dass Jesus kein politischer Aufrührer gewesen ist, sondern eine religiöse Führerpersönlichkeit. Als solche genoss er nur die eingeschränkte Aufmerksamkeit der Römer. Sie interessierten sich nicht für die religiösen Anschauungen der beherrschten Völker. Da können ihrer Meinung nach Propheten und Messiasse auftreten und Ansprüche verkündigen, wie es den Frommen beliebt. Wenn allerdings die Verkündigungen, Prophezeiungen und Ansprüche ins Politische umschlagen oder umschlagen könnten, sieht es aus Sicht der Römer anders aus. Dann wird zugeschlagen! Und so wird man den alten und neuen Thesen Aslans entgegenhalten können: Der religiöse Führer Jesus war für die Römer einerseits harmlos, andererseits auch nicht ganz unverdächtig – eigentlich war er laufen zu lassen. Besser aber schien, mit der jüdischen Religionsregierung übereinzustimmen und ihn doch zu beseitigen. Die Gruppe (Jüngerschaft) ist dabei für die Römer uninteressant. Wäre Jesus dagegen wirklich ein Zelot gewesen, wäre sicherlich seine Gruppe vernichtet worden (und dann gäbe es heute die Kirche nicht).

Dieser Erörterung ist noch etwas hinzuzufügen: In den hierzulande und anderswo ablaufenden Debatten um den Islam ist nicht selten herausgestellt worden, dass eine Gewaltbereitschaft schon beim historischen Mohammed und in der Verkündigung des Korans deutlich in Erscheinung tritt. Bei Jesus und in der frühesten Kirche sei das nicht der Fall. Erst die etwas spätere Kirche habe sich durch Macht, Geld und Einfluss korrumpieren lassen. Die Ursprünge des Christentums seien sanft und nur eine Sache der Liebe. Die Intentionen von Reza Aslan scheinen absichtsreich auf eine Revision dieser Bestimmungen zu zielen.


Bodo Seidel, Niedersachswerfen