Esoterik

Wenn Esoterik politisch wird: Eine Tagung beleuchtet ein aktuelles Spannungsverhältnis

Was passiert, wenn Esoterik politisch wird, konnte man z. B. an Corona-LeugnerInnen und -protesten in den letzten Jahren beobachten. Regelrecht demokratiegefährdende Formen von Esoterik liegen u. a. vor, wo entweder die Betroffenen selbst durch ihren Rückzug aus dem Diskurs abgehängt werden oder dieser durch eine gesamtgesellschaftliche Überbetonung gefühlter „absoluter“ Wahrheiten gefährdet wird. Hier kann informierende politische Bildung präventiv wirken und davor schützen, dass unter dem Vorwand der Religions- und Meinungsfreiheit schädliche Ideen in Umlauf gebracht werden. Der Frage, wie man damit umgehen kann, widmete sich am 5. und 6. September 2022 die Tagung „Esoterik und Demokratie – Ein Spannungsverhältnis“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in Fulda.

Zu den über 80 Teilnehmenden vor Ort kamen noch etwa 100 online Zugeschaltete. Die anwesenden MultiplikatorInnen kamen v. a. aus der politischen Bildungsarbeit und von verschiedenen Beratungsstellen, es waren aber auch PolizistInnen und Personen mit privatem Interesse anwesend. Das Tagungsprogramm erwies sich als ebenso vielfältig und intensiv wie der wertvolle persönliche Austausch am Rande der Veranstaltungen. Die Vorträge im Plenum und die parallel zueinander im kleineren Rahmen angebotenen Vertiefungen im Anschluss, die sich mit spezielleren Themen auseinandersetzten, ergänzten einander in wertvoller Weise. Die Hauptvorträge und die Vertiefungen sind auf der Internetseite der Bundeszentrale zu finden.

Außer von der Tagungseröffnung durch den Präsidenten der bpb, Thomas Krüger, war der erste Teil der Tagung von drei Hauptvorträgen geprägt. Als erster referierte Wouter J. Hanegraaff (Amsterdam) zur Frage „Was ist Esoterik?“ und legte dar, dass sich unter diesem Oberbegriff vielfältige Bewegungen fassen lassen. Ihnen gemeinsam sei, dass sie im Kern auf dem von der jeweiligen Gesellschaft abhängigen „rejected knowledge“ (zurückgewiesenes Wissen) basieren. Es schloss sich ein Vortrag von Claudia Barth (Esslingen) zum Thema „Wer ist esoterisch?“ an. Hierbei war zu erfahren, dass zu einem guten Teil hoch gebildete Frauen aus der Mittelschicht in der Mitte ihres Lebens auf der Suche nach einem Selbst- und Weltbild, das alles zusammenhängend erklären und somit Sicherheit bieten kann, in esoterische Kreise geraten. Den dritten Vortrag hielt der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Matthias Pöhlmann, zum Thema „Wenn Esoterik politisch wird – Metaphysisches Wissen vs. demokratische Entscheidungsfindung“. Er stellte Esoterik als eine Welt spirituellen Überwissens dar, das sich dem für eine plurale Demokratie so wichtigen Prozess des kritischen Hinterfragens entziehen will und mittlerweile neben einem Krisensymptom auch zu einem Alltagsphänomen geworden ist.

Es folgten vielfältige Vertiefungen. Katharina Husemann (London) und Stefanie Diemand (FAZ) beschäftigten sich mit dem Esoterik-Markt „Zwischen Geldmacherei und Aberglaube“, Aaron French (Erfurt) mit Esoterik und Religion als „Zwei Seiten derselben Medaille?“, der Religionswissenschaftler Julian Strube (Wien) und der Publizist Andreas Speit (Hamburg) mit Esoterik und Rechtsextremismus als „Historische Kontinuitäten vom Nationalsozialismus bis zum heutigen Rechtsextremismus“ und Ansgar Martins (Jerusalem) und Laura Krautkrämer mit der Frage, ob es sich bei Anthroposophie um „‚Wellness-Philosophie‘, gefährliche Sekte oder sinnvolle Antwort auf die rastlose Moderne“ handelt.

Der zweite Tag begann mit einem Vortrag von Jan Rathje zum Thema „Konspiritualität – Esoterik und Verschwörungsideologien“. Er machte auf das Gefahrenpotenzial aufmerksam, das sich ergibt, wenn Esoterik in problematischer Weise politisiert wird und Betroffene aktiv versuchen, den vermeintlich einen Volkswillen notfalls mit Gewalt durchzusetzen.

Im Anschluss folgten erneut Vertiefungen, diesmal von Manon Hedenborg White (Malmö) zu „Genderperspektiven auf Esoterik“, Harald Sitte (Wien) und Natalie Grams-Nobmann zu „Esoterik und Medizin“, Christoph Grotepass (Sekten-Info Hessen) und Kai Funkschmidt (EZW) zu „Esoterikmonitoring und Auseinandersetzung mit Esoterik in Deutschland“, sowie ein Workshop von Gudrun Heinrich (Rostock) zu „Esoterik als Gegenstand politischer Bildung – Ansätze und Fallstricke“.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion zwischen Jan Rathje, Matthias Pöhlmann, Christoph Grotepass und Martin Langebach mit dem Titel „Zwischen harmloser Spinnerei und Gefahr für die Demokratie – Wie geht die Gesellschaft mit Esoterik um?“, die viele Kernpunkte der Tagung noch einmal zuspitzte und sich dem praktischen Umgang mit Esoterik widmete. Deutlich wurde die notwendige Gratwanderung zwischen Sensibilität und Verständnis für die Situation der Betroffenen auf der einen und der Zivilcourage, Grenzen des Tolerablen deutlich aufzuzeigen, auf der anderen Seite. Für die bpb war die Tagung als Auftakt zur Erschließung eines neuen Themenbereichs „Esoterik“ konzipiert.

Andrea Thomayer, Neuendettelsau, 07.11.2022