Joachim Krause

Was Charles Darwin geglaubt hat

Joachim Krause, Was Charles Darwin geglaubt hat, Wartburg Verlag, Weimar/Eisenach 2012, 72 Seiten, 9,90 Euro.

Das kleine Bändchen des seit zwei Jahren im Ruhestand lebenden ehemaligen „Beauftragten für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt“ der Evangelischen Kirche in Sachsen bietet eine interessante und nützliche Einführung in den kirchlichen Hintergrund des großen Biologen Charles Darwin.

Geschildert werden die unitarische Ausrichtung seiner Familie und ihr Deismus im Rahmen der „Church of England“ sowie ihre gleichzeitig freundliche und distanzierte Beziehung zum Freidenkertum des 19. Jahrhunderts. Dabei wird ein Stück englischer Kirchengeschichte mit den Unterschieden zur deutschen Geschichte deutlich: Es fehlte der im 19. Jahrhundert in Deutschland prägende Kontrast zwischen evangelischer und katholischer Theologie, es fehlte auch weitgehend der Einfluss des philosophischen Idealismus. Dagegen war die Naturtheologie im Stil von William Paley in gebildeten Kreisen weithin akzeptiert.

Man erfährt anhand zahlreicher, zum Teil unbekannter Zitate aus Büchern und Briefen, dass Darwin sich nicht – wie oft gesagt – von einem orthodoxen Schöpfungsglauben zum Atheismus hin bewegte, sondern zögernd und zweifelnd von einem liberalen Theismus zum Agnostizismus – und überhaupt nicht zu einer engagierten Religions- und Kirchenkritik. Von der moralischen Wichtigkeit des Theismus für das menschliche Zusammenleben blieb er überzeugt, wie viele Liberale des 19. Jahrhunderts. Insofern können ihn die heutigen „Neuen Atheisten“ nicht für ihre steile These von der Religion als schädlichem „Virus“ in Anspruch nehmen. Charles Darwin war auch im Alter ein beständiger Zweifler, wie seine erst lange nach seinem Tod vollständig publizierte Autobiografie belegt. Er wollte nicht als religiöse – oder areligiöse – Autorität in Anspruch genommen werden. Dass Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube prinzipiell zusammengehen könnten, war für ihn keine Frage. Aber dass Glaube und Wissen für ihn selbst zusammengehen würden, konnte er sich schließlich nur noch schwer vorstellen.

Sein Grundproblem war die Theodizee: Einen sinnhaften Weltenlauf oder gar einen gütigen Gott konnte er aus seinem Naturwissen nicht ableiten, deshalb waren für ihn Allmacht, Allwissenheit und Barmherzigkeit Gottes sämtlich zweifelhafte Annahmen. Das Buch bietet dazu wichtige Schlüsseltexte an: „Ich gestehe aber zu, dass ich nicht so deutlich, wie es andere sehen, und wie ich selbst tun zu können wünschte, Beweise von Absicht und von Wohltätigkeit auf allen Seiten um uns herum erkennen kann ... Auf der anderen Seite kann ich mich doch in keinerlei Weise damit befriedigt fühlen, dieses wunderbare Universum, und besonders die menschliche Natur, zu betrachten und zu folgern, dass alles nur das Resultat der rohen Kraft ist“ (Brief an Asa Gray von 1860, 42). Das Problem der göttlichen Vorherbestimmung in Natur und Menschenleben führt für Darwin „zu einer ähnlich erbärmlichen Verwirrung wie etwa das Verhältnis von freiem Willen und vorherbestimmter Notwendigkeit“ (Brief an Charles Lyell von 1861, 45).

Wo er recht hatte, hatte er recht. Wenn man sich Gottes Schöpfungshandeln im Sinn des damaligen Theismus als ein Eingreifen in selbstlaufende Naturprozesse vorstellt, endet man tatsächlich in unlösbaren Widersprüchen. Leider kam Darwin nicht mit einer Theologie in Berührung, die ihm hier wesentlich weitergeholfen hätte. Die Briefwechsel u. a. mit Asa Gray, Charles Lyell und Julia Wedgwood ermöglichen jedenfalls eine tiefere Einsicht in Darwins persönliche Überzeugungen als seine naturwissenschaftlichen Werke, in denen er sich kaum zu religiösen Fragen äußerte.

Der Autor Joachim Krause verzichtet auf einen Abriss der heutigen Schöpfungstheologie und damit auf eine Antwort auf Charles Darwins Fragen aus unserer Sicht. Er beendet das Buch mit einem langen Auszug aus der Autobiografie von 1876, einem Text, der überaus lesenswert ist und alle Klischees und Feindbilder der Darwinisten und Anti-Darwinisten als unangemessen entlarvt. Wir begegnen einem zutiefst kritischen, auch selbstkritischen, genialen Wissenschaftler und gütigen Menschen, der keinen Weg zum Vertrauen auf Gott finden konnte.


Hansjörg Hemminger, Stuttgart