Alternative Medizin

Verhärtete Fronten im Streit um die Homöopathie

Was für die einen reiner Hokuspokus ist, wird von anderen als ernst zu nehmende Therapieform angesehen. Über 7000 Ärzte in Deutschland verschreiben homöopathische Heilmittel, die von vielen Krankenkassen erstattet werden. Und über 90 Prozent der geburtshilflichen Abteilungen in deutschen Krankenhäusern bieten werdenden Müttern homöopathische Globuli an, die meist gerne und mit dem Gefühl der Wirksamkeit angewendet werden. Auf einem internationalen Symposium in München wurden kürzlich die Zehn-Jahres-Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie vorgestellt, die die Wirksamkeit verschiedenster homöopathischer Arzneien bei der ADHS-Symptomatik von Kindern belegte (vgl. „Ein Ritterschlag für Quacksalber?“, FAZ vom 9.1.2014).

Andererseits gibt es vehement Kritik an dem Projekt, im bayerischen Traunstein im September einen Bachelor-Studiengang in Homöopathie zu starten. Schon im März soll ein Vormodul für Abiturienten beginnen, die in „klassischer Homöopathie auf Hochschulniveau“ unterrichtet werden sollen (Die Globulisierungs-Falle, Spiegel online, 17.2.2014). Gegen die Akkreditierung dieses „offensichtlich unwissenschaftlichen“ Studiengangs wurde sogar eine Online-Petition eingerichtet, die bis Ende Mai 2014 unterzeichnet werden kann. Für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ist der Studiengang schlicht ein akademischer Etikettenschwindel, der einer „Pseudowissenschaft“ höhere Weihen verleihe.

In ihrem erbitterten Kampf gegen vermeintlichen Aberglauben hat die Skeptiker-Fraktion aber nun einen Rückschlag erlitten. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte hat nämlich im Januar 2014 im Homöopathie-kritischen Faltblatt der Bewegung an knapp 30 Stellen im Text Fehler mit roter Farbe angekreidet und eine korrigierte Version ins Netz gestellt (http://dzvhae-homoeopathie-blog.de). Ihrem wissenschaftlichen Anspruch würden die Skeptiker in diesem Faltblatt nicht gerecht, kritisierten die homöopathischen Ärzte. Dort würden Behauptungen aufgestellt und nicht belegt, Studienergebnisse einseitig interpretiert und falsche Aussagen zur Medizin und zur Medizingeschichte formuliert.

Der immer wieder aufflammende Streit über diese traditionsreiche, aber umstrittene Alternativmedizin lässt interessierte Laien ratlos zurück, weil sich die Fronten in diesem Glaubenskrieg immer weiter verhärten. Vermutlich helfen da auch die Fakten nicht weiter, die kürzlich eine Übersichtsarbeit in einer Fachzeitschrift geliefert hat (Robert Hahn, Homeopathy: Meta-analyses of pooled clinical data, in: Forschende Komplementärmedizin 5/2013). Der Autor, ein ausgewiesener und renommierter dänischer Intensivmedizin-Forscher ohne bisherige Publikationen zur Homöopathie (!), hat vorliegende Meta-Analysen zur Homöopathie miteinander verglichen. Diese Wirksamkeitsstudien kommen nach seinem Vergleich zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, welche Studien in die Meta-Analyse eingeschlossenen werden. Zu der Schlussfolgerung, dass Homöopathie klinisch nicht wirksam sei, könne man nur kommen, wenn man 90 Prozent aller klinischen Studien zur Homöopathie ignoriere und nicht auswerte, lautet ein erstaunliches Ergebnis dieses Vergleichs. Viele Meta-Analysen kämen deshalb zu negativen Schlussfolgerungen, weil sie in sehr großem Umfang Studiendaten ausschlössen. Dabei würde der Ausschluss großer Mengen an Daten meist nicht ausreichend begründet. Die Homöopathie-Forschung habe mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, die Robert Hahn korrigieren möchte. Die Übersichtsarbeit belegt, dass viele Homöopathie-Studien signifikant positive Effekte zeigen. In der Fraktion der Homöopathie-Kritiker sorgte jüngst angesichts zunehmender wissenschaftlicher Evidenz homöopathischer Heilwirkungen ein neuer Vorschlag für Aufsehen. Ein Biologe schlug vor, die Homöopathie überhaupt nicht mehr wissenschaftlich zu untersuchen: „Da auf der einen Seite klinische Studien immer fehlerabhängig sind und auf der anderen Seite die Paradigmen der Homöopathie sicheren Erkenntnissen widersprechen, sind die Ergebnisse klinischer Studien zur Wirksamkeit homöopathischer Arzneien irrelevant“ (Christian Weymayr in: Skeptiker 4/2013, 172). Mit diesem Rundumschlag, der von einer falschen logischen Verknüpfung ausgeht, ist weder einem kranken Menschen noch dem wissenschaftlichen Fortschritt geholfen.

Dennoch ist zu konstatieren, dass nach wie vor keine wissenschaftlich anerkannten Erklärungen der homöopathischen Wirkweisen vorliegen. Ein zusätzliches Problem dieser klassischen Alternativmedizin ist ihre esoterische Vereinnahmung. Die kosmisch aufgeladene „Quellenhomöopathie“ behauptet etwa: „Das Simillimum schlummert bereits im Unterbewusstsein eines jeden Patienten. Er selbst kann diesen kostbaren Schatz mit der Hilfe eines geeigneten Therapeuten heben. Der Patient erforscht und entdeckt in der quellenorientierten Anamnese sein eigenes Heilmittel, wobei es die Aufgabe des geübten Homöopathen ist, ihm den Zugang zu seinem inneren, verborgenen Wissen zu ebnen“ (Buchankündigung zu Irene Schlingensiepen-Brysch, Die Quelle spricht, Kandern 2010). Mit einer derart psychologistischen Überfremdung der homöopathischen Verschreibung kommt die wissenschaftliche Überprüfbarkeit dieser Methode jedenfalls nicht voran. Jenseits der Grabenkämpfe um medizinische Weltbilder ist der Homöopathie zu wünschen, dass sich dort Stimmen durchsetzen, die weder einem naturalistischen Dogmatismus noch einer spekulativen Esoterik, sondern ihrer nüchternen und erfahrungsoffenen Forscherneugierde verpflichtet sind – und anerkannten Wissenschaftsstandards.


Michael Utsch