Islam

Türkische Religionsbehörde Diyanet nimmt zur Gülen-Bewegung Stellung

Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat in einer ausführlichen Stellungnahme die Gülen-Bewegung verurteilt. Die im Oktober 2016 veröffentlichte Dokumentation einer außerordentlichen Sitzung des türkischen Religionsrates enthält eine 20 Artikel umfassende Resolution zu „Religiöser Ausbeutung und Gülen Terrororganisation“.

Der Religionsrat tagte schon Anfang August 2016, kurz nach dem gescheiterten Putschversuch. Beteiligt waren mit Redebeiträgen neben dem Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten, Mehmet Görmez, auch Staatspräsident Erdoğan, Parlamentssprecher Ismail Kahraman und der stellvertrendede Premier Numan Kurtulmuş.

Die Gülen-Bewegung (Hizmet), durchgehend als FETÖ („Fethullah Terrororganisation“) und PDY (Paralel Devlet Yapılanması, „Parallelstaatstruktur“) bezeichnet, wird für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht, zuvor schon für die Unterwanderung großer Teile des Staatsapparates.

Einige der zahlreichen Vorwürfe, die mit wenig sachlichem Anstrich und quasi unisono auf 75 Seiten ausgebreitet werden, sind: Die Gülen-Bewegung (GB) sei keine religiöse Gruppe, sondern eine Terrororganisation, für die die geheimen und dunklen Ziele alle Mittel rechtfertigten; die GB beute schamlos die Religion und die religiösen Gefühle der Menschen aus, nehme die Zakat (islamische Sozialabgabe) und die Opfergaben der Gläubigen, ja „die Söhne und Töchter unseres Volkes“, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen; die GB (eine „Krebszelle“, ein „ansteckender Virus“, so Erdoğan) verdrehe und zerstöre die fundamentalen Werte des Islam, sie arbeite mit unislamischen, unmoralischen Mitteln, mit Verführung, Lügen, Täuschung und Tricks; die Bildungsaktivitäten seien nur eine Tarnung für eine intransparente Organisation mit dubiosen Zielen; die GB infiltriere alle staatlichen Institutionen und bringe die Zukunft der Nation in Gefahr; Gülen maße sich absolute Autorität an und setze sich selbst an die Stelle von Koran und Sunna; die Verehrung, die ihm als „sündloses und unfehlbares“ Oberhaupt zuteilwerde, stehe nur den Propheten zu, absoluter Gehorsam gelte islamisch nur im Rahmen der von Koran und Sunna aufgestellten Prinzipien; Gülen sei weder ein religiöser Gelehrter noch ein zu verehrender Prediger, vielmehr der Anführer eines Netzwerks von Macht und Geld, um politischen Einfluss zu nehmen; die Distanzierung von Politik sei nur ein äußerliches Mittel zur Verschleierung der wahren Ziele; Gülen lasse es bewusst zu, als eine messianische Rettergestalt (Mahdi) gefeiert zu werden; unter Berufung auf geheimnisvolle Träume und zweifelhafte Geschichten würden Menschen betrogen und verzaubert.

Immerhin wird der GB zugestanden, ursprünglich eine religiöse Gemeinschaft gewesen zu sein. Sie sei aber vom „Pfad der Religion“ abgewichen und wirke spalterisch, da sie nur die eigenen Anhänger als wahre Muslime anerkenne und damit die Gemeinschaft der Muslime (umma) zerreiße. Dieser Vorwurf wird mehrfach mit dem interreligiösen Dialog in Verbindung gebracht: Gülen suche die Nähe zu Nichtmuslimen im interreligiösen Dialog (ein „extrem perverser Begriff von Dialog“), ächte jedoch Muslime, die nicht zur Bewegung gehörten. Dies sei unislamisch, da der Koran umgekehrt fordere, „den Ungläubigen gegenüber hart, zueinander aber barmherzig“ zu sein (Sure 48,29). Eine Annäherung an „die christliche Kultur“ und das Streben nach Anerkennung im Westen wird als inakzeptable Kompromittierung des Islam gebrandmarkt.

Die Tiraden sind weitgehend bekannt. Dreierlei ist dennoch bemerkenswert:

1. Hass und Feindseligkeit sind dem Papier tief eingeprägt. Die gnadenlose Vernichtung wird nicht nur angedroht, sondern angekündigt. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass der Putschversuch noch nicht lange zurücklag, ist die Tonlage erschreckend aggressiv. Übrigens auch gegenüber dem Westen, der mit „bösen Mächten“ assoziiert wird: „Der Westen war nie mit uns in diesem Prozess“, so Erdoğan. „Man kann ihnen nicht trauen, wie man wohl weiß aufgrund der göttlichen Verordnung.“

2. Es herrscht in der Türkei eine demonstrative Einigkeit zwischen Politik und Religion. Staatspräsident, Parlamentssprecher und der Chef der obersten Religionsbehörde sprechen eine Sprache und bedienen sich unterschiedslos derselben Argumentation, die vor allem auf Koran und Sunna bezogen und damit religiös konnotiert ist.

3. Es fällt auf, dass das „Gutachten“ keinerlei Analyse bietet. Es wird angeprangert, beschimpft, verurteilt – von erhabenem Standpunkt aus, völlig ohne Belege, häufig mit unklaren Bezügen. Vergleichbare Phänomene und Missstände in den eigenen Reihen werden ignoriert.

Fazit: Die Vorwürfe geben keine neuen Aufschlüsse über die Gülen-Bewegung, kein einziger Beweis wird vorgebracht. Aufschluss geben sie vielmehr in ernüchternder Weise über den Zustand der Diyanet und das Verhältnis von Staat und Religion in der Türkei. DITIB in Deutschland ist direkt abhängig von der türkischen Religionsbehörde, die auch schon mit Flirtverbot für Verlobte und Comics zur Verherrlichung von Märtyrern hervortrat. Wenn Numan Kurtulmuş unter dem Dach der Diyanet droht: „Wir werden jeden finden und ergreifen, der mit diesen Verrätern in Verbindung steht“, so ist dies eine Ansage auch für Deutschland. Sie passt zusammen mit den Pressemeldungen1, dass DITIB-Imame auf eine schriftliche Anweisung des türkischen Religionspräsidiums hin in großem Stil als Spitzel tätig geworden seien, um Erdoğan-Kritiker auch hierzulande dingfest zu machen.


Friedmann Eißler


Anmerkungen

  1. Vgl. www.welt.de/politik/deutschland/article160229535/Tuerkische-Imame-halten-Spitzel-Enthuellung-fuer-Unterstellung.html .