Kai Funkschmidt

The Queen is dead. God save the King!

Kirche, Thron und Staat im Vereinigten Königreich

„The Queen died peacefully at Balmoral this afternoon.“ Mit diesen Worten verkündete die BBC am Abend des 8. September 2022 den Tod der britischen Königin Elizabeth II. Unmittelbar darauf folgte die Nationalhymne, ein Gebet, das mit den Worten „God save the King“ beginnt. Wer jemals in einem Gottesdienst saß, bei dem „Her Majesty“ zugegen war, weiß, dass die Nationalhymne immer gesungen wurde, wenn sie den Gottesdienst besuchte. Und wer vom letzten Urlaub auf der Insel noch Geld zu Hause hat, mag nachsehen: Britische Münzen sind voller religiöser Bezüge auf das Königshaus. Auch sie weisen auf das komplexe und enge Beziehungsnetz zwischen Staat, Krone und Kirche(n) im Königreich hin, die nun im Zuge der Trauer- und Thronfolgezeremonien sichtbar und erneut bekräftigt, aber auch diskutiert wurden.1

Fidei Defensor

Auf der Vorderseite aller Münzen ist ein Portrait der Königin geprägt. Die Umschrift dieses Portraits lautet etwa auf der Ein-Pfund-Münze: „Elizabeth II. D.G.REG.F.D“. Während Latein- und Geschichtskundige den ersten Teil noch als „Dei Gratia Regina“ (Königin von Gottes Gnaden) identifizieren werden, erschließt sich das F D weniger leicht. 20-Pence- und Zwei-Pfund-Münze helfen weiter: Auf diesen findet sich stattdessen „FID.DEF“. Es steht für „Fidei Defensatrix“, Verteidigerin (des) Glaubens. Der Titel ist seit Georg I. (1714 – 1727) auf Münzen belegt.

Auch die Rückseite ist nicht uninteressant. Sie zeigt derzeit eine Kombination von vier Symbolen für die vier Teile des Königreichs, eine Rose für England, eine Distel für Schottland, ein dreiblättriges Kleeblatt für Nordirland und eine Stange Lauch für Wales. Früher gab es hier zahlreiche Varianten, darunter Münzen, die rückseitig zum Beispiel einen Drachen, die Forth-Eisenbahnbrücke oder ein keltisches Kreuz trugen. Fast alle diese Symbole standen erkennbar nur für eine der vier Nationen. Die heutige Vereinheitlichung fand erst 2016 mit Einführung der neuen zwölfeckigen Pfundmünzen statt. Es mag Intention oder ein glücklicher Zufall sein, dass diese Beschneidung nationalsymbolischer Vielfalt stattfand, nachdem kurz zuvor das knapp gescheiterte schottische Unabhängigkeitsreferendum einen nationalen Schreckmoment ausgelöst hatte.2

Fidei Defensor ist seit dem frühen 16. Jahrhundert als Titel für britische Herrscher belegt. Er wurde vom Papst zunächst 1507 an Jakob IV. von Schottland, 1521 dann an Heinrich VIII. von England verliehen. Nach der Abspaltung von Rom wurde Heinrichs Titel revoziert, jedoch schon 1544 erneut verliehen – diesmal vom englischen Parlament, das den König auch zum weltlichen Herrn der Kirche von England erklärte, was bis heute gilt. Der Titel wurde 1707 bei der Union von Schottland und England auf die nunmehr britischen Monarchen übertragen. Er zeigt die Verwobenheit der Krone mit der anglikanischen Staatskirche Church of England (umgangssprachlich „C of E“ bzw. CofE). Als Fidei Defensor wird der König gegenwärtig außer im Mutterland auch in Kanada und Neuseeland bezeichnet, wobei hier keine Staatskirche gemeint ist, sondern religiöser Glaube allgemein. In Australien wiederum wurde der Titel 1973 abgeschafft, aber das „Dei gratia“ beibehalten. In alledem herrscht eine Vielfalt, die für den angelsächsisch-pragmatischen Umgang mit weltanschaulichen Feinheiten typisch ist.

Langsam – 25 bis 30 Jahre hält eine britische Münze – werden die bisherigen Münzen nun durch solche mit einem Bild des neuen Königs Charles III. ersetzt werden. Auch sie werden den neuen Monarchen als FideiDefensor proklamieren.3  Die Bewahrung dieser Tradition allerdings ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn um das Fidei Defensor hat es in der Vergangenheit einige Aufregung gegeben, die jetzt wieder auflebt, weil sich Charles‘ religiöses Koordinatensystem von dem seiner Mutter unterscheidet.

Persönliche Frömmigkeit

Als „Verteidigerin des Glaubens“ trat die Königin auch durch ihr persönliches Glaubensbekenntnis in Erscheinung. Sie war für ihre Frömmigkeit bekannt – ein Aspekt, der in den meisten Nachrufen kaum erwähnt wird, aber für ihr Leben zentral war. Sie war die bekannteste bekennende Christin des Landes, unüberhörbar etwa in ihren Weihnachtsansprachen, die ungefähr seit dem Jahr 2000 einen deutlich persönlich-bekenntnisartigen Ton bekamen. 2014 verband sie ihr persönliches Christusbekenntnis mit dem Respekt für Menschen aller Religionen und Weltanschauungen:

„For me, the life of Jesus Christ, the Prince of Peace, whose birth we celebrate today, is an inspiration and an anchor in my life. A role-model of reconciliation and forgiveness, he stretched out his hands in love, acceptance and healing. Christ’s example has taught me to seek to respect and value all people of whatever faith or none.“

Sie lebte ihre Rolle gemäß diesen Worten und ist mit zahlreichen Vertretern britischer Glaubensgemeinschaften zusammengetroffen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war sie im Folgejahr der erste britische Monarch, der je eine Moschee besuchte. Auch in Nordirland wurde sie von vielen als eine Kraft wahrgenommen, die den Friedensprozess zu unterstützen suchte, obwohl sie qua Amt für die eine, die nationalistisch-katholische Seite das Symbol der verhassten britischen Fremdherrschaft war. „Revered by Unionists, respected by Nationalists“, fasste dies ein katholischer Nordire am Morgen der Beerdigung in der BBC zusammen. Die interreligiöse Friedensarbeit scheint schwieriger zu sein als die interkonfessionelle in Irland. Umso trauriger: In den zwei Nächten vor der Beerdigung am 19. September explodierten die lang anhaltenden muslimisch-hinduistischen Spannungen in Leicester und führten zu Straßenschlachten – mitten in einer Zeit, in der sich tagelang eine Decke des wohlig-sentimentalen Gemeinschaftsgefühls über das Land zu legen schien.

Es passt zu ihrer Religiosität und ihrem gesamten Selbstverständnis, dass Elizabeth II. das „Dei Gratia“ in ihren Titeln im Sinne einer von Gott auferlegten Pflicht zum Dienst durchaus ernst nahm, ohne das vor sich herzutragen. Bei der Krönungszeremonie 1953 galt ihr jener Teil des Gottesdienstes als der wichtigste, in dem sie knieend vom Erzbischof von Canterbury gesalbt wurde. Es ist der einzige Moment, der damals nicht im Fernsehen übertragen wurde, weil er als zu heilig empfunden wurde.

Lebenslang versäumte Elizabeth den sonntäglichen Kirchgang nur, wenn es ihr krankheitsbedingt körperlich unmöglich war. Dabei besuchte sie stets öffentliche Gottesdienste. So war es jedem möglich, ihr bei der öffentlichen Messe in der kleinen Royal Chapel in Windsor Park oder im Gottesdienst der schottischen Dorfkirche von Crathie bei Balmoral Castle zu begegnen, die sie besuchte, wenn sie im jeweiligen Schloss weilte. Einen Hinweis auf die Prägung ihrer Frömmigkeit gibt vielleicht die Tatsache, dass von 1959 bis 1991 John Stott, in der weltweiten Ökumene bekannt als Führungsfigur der evangelikalen Bewegung und einer der Hauptautoren der Lausanner Erklärung von 1974, als persönlicher „Chaplain“ der Königin fungierte.

Während sie in England weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche war und deren Gottesdienste besuchte, ging sie für die Dauer ihrer jährlichen Schottlandaufenthalte im Schloss Balmoral zum Gottesdienst der presbyterianischen Kirche. Die während dieser Zeit sonntäglich wechselnden, offiziell eingeladenen Prediger von Crathie gehörten alle zur schottischen Nationalkirche Church of Scotland. Sie wurden für das jeweilige Wochenende ins Schloss Balmoral eingeladen und berichteten gelegentlich, die Königin und ihr Mann seien aufrichtig am Gespräch über theologische Feinheiten einer Predigt interessiert gewesen.

Auch König Charles gilt als regelmäßiger Kirchgänger, ist aber in einem anderen Land aufgewachsen, einem Land, das durch Masseneinwanderung und Säkularisierung seine religiös-weltanschauliche Prägung vollständig verändert hat. Als Kronprinz hatte er 1994 in einem Fernsehinterview erklärt, er wolle sich eher als „Defender of Faiths“4  sehen denn als „Defender of the Faith“. Das hatte damals zu einem öffentlichen Aufschrei geführt. Auch die Möglichkeit „Defender of Faith“, also die allgemeinere Absicht, Verteidiger einer religiös orientierten Lebenshaltung zu sein, wurde als neue Form in Erwägung gezogen (wobei das Lateinische ohnehin keinen Artikel hat, diese Unterscheidung also nicht macht). Erst 2015 erklärte der Kronprinz dann auf erneute Nachfrage öffentlich, er werde in seinen Throneiden bei der traditionellen Formulierung Fidei Defensor bleiben, diese aber religiös plural interpretieren. Ansonsten beschreiben Insider die Religiosität des Königs eher als die eines „spirituellen Suchers“ oder als „eco-spirituality“ (Öko-Spiritualität).5

Sonderfall Schottland

Als Charles zwei Tage nach seiner Mutter Tod zum König proklamiert wurde, legte er als erste Amtshandlung vor dem „Accession Council“ eine traditionelle Erklärung mit Eid (declaration and oath) ab. Deren Inhalt bestand aus einer Reihe von Zusicherungen und Garantien die Kirche von Schottland betreffend. Er schwor, unter Berufung auf die Vereinbarungen bei der Vereinigung Schottlands mit England 1707, die „protestantische Religion, so wie sie durch Gesetze festgelegt wurde“, zu respektieren und „das presbyterianische Kirchenregiment … der Church of Scotland und seine Ordnungen gemäß den Gesetzen, welche das Parlament beider Königreiche für die Union beider Königreiche erlassen hat, … zu erhalten und zu bewahren“.6  Der Eid wurde vom König und unter anderen (als Zeugen) von der schottischen Regierungschefin (First Minister) Nicola Sturgeon unterzeichnet.

Hierin spiegelte sich zum einen die konfessionell angespannte, aus blutigen Kriegen hervorgegangene Lage zu jener Zeit wider, die solche Zusicherungen aus schottischer Sicht notwendig machte. Im Hintergrund standen allerdings mindestens ebenso protestantisch-katholische Spannungen wie presbyterianisch-anglikanische. Ein Erbe hiervon ist die bekannte Tatsache, dass bis heute kein Katholik den Thron erben könnte. (Und erst seit 2015 dürfen Thronfolgekandidaten Katholiken heiraten.) Seit dem 16. Jahrhundert war Schottland in einen presbyterianischen und einen katholischen Bevölkerungsteil zerfallen. So waren die bei Touristen und Folkmusikern beliebten Rebellionen 1715 und 1745 national und konfessionell motiviert. Sie waren keine rein schottisch-englischen Konflikte mehr wie 400 Jahre vorher, sondern auch ein Kampf des fortschrittlichen Südens, der das anglikanische Königshaus unterstütze, gegen die mittelalterlich-feudalistische Clangesellschaft der Hochländer, die sich für die Restauration des ehemaligen katholischen Königshauses Stuart erhoben hatten.

Bis heute ist das Verhältnis der größten schottischen Kirche, der presbyterianischen Church of Scotland, zu Staat und Königshaus von eigener Gestalt. Liebevoll auch „The Kirk“ genannt, ist sie zwar offiziell die „National Church in Scotland“, als solche 1690 vom Parlament deklariert und im Unionsvertrag 1707 feierlich bekräftigt. Sie ist aber nicht „Established“, also keine Staatskirche, worauf man größten Wert legt. Sie ist frei von allen staatlichen Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten (Lehre, Kirchenrecht, Ordnung, Gottesdienst) – und umgekehrt. Der König oder ein Vertreter besuchen zwar die jährliche Nationalsynode (General Assembly), haben dort aber kein Rederecht. Die Rolle als National Church bedeutet heute nur noch einen nominellen, rechtlich und wegen schwindender Mitgliederzahlen zunehmend auch praktisch bedeutungslosen Vorrang gegenüber den anderen Kirchen des Landes. Aber wenn die Königin in Schottland weilte, waren Vertreter der Church of Scotland ihre Seelsorger (Royal Chaplains), und sie besuchte ihre Gottesdienste, deren calvinistisch-nüchterner Stil sich stark von dem anglikanisch-hochkirchlichen unterscheidet.7

„Supreme Governor of the Church of England“

Zu den Titeln des britischen Königs gehört auch „Supreme Governor of the Church of England“. Er ist ihr weltliches Oberhaupt neben dem Erzbischof von Canterbury als geistlichem Haupt. Seine Rolle beziehungsweise die Rolle des Staates in kirchlichen Angelegenheiten steht dabei nicht nur auf dem Papier, auch wenn sie im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte, insbesondere nach 1945, schrittweise an Bedeutung abgenommen hat.8  Der Grund ist, dass die anglikanische Kirche seit ihrer Gründung durch Heinrich VIII. Staatskirche ist, sie ist „Established“. Das blieb sie auch bei der Union 1707. „Established“ waren neben der CofE die anglikanischen Kirchen Irlands (heute Church of Ireland) und Wales‘ (heute Church in Wales). Sie wurden allerdings 1871 respektive 1920 „disestablished“. Die anglikanische Episcopal Church in Scotland hingegen war nie „Established Church“. Das lag nicht an ihrem Minderheitsstatus – auch Irlands Anglikaner waren nie mehr als 20 % der Bevölkerung –, sondern am presbyterianischen Widerstand. So bleibt heute einzig die Church of England in dieser Rolle.

Die Macht des Königs als „Supreme Governor“ wird dabei nur indirekt, nämlich über die Regierung ausgeübt („His Majesty’s Government“). Ein zentraler Punkt ist die Mitsprache des Premierministers bei der Ernennung von Bischöfen einschließlich Erzbischöfen. Wird in der CofE ein Bistum vakant, so tritt eine „Crown Nominations Commission“ zusammen und macht einen Vorschlag für die Nachfolge. In dieser Kommission spielt der „Beauftragte des Premierministers für die Besetzung kirchlicher Leitungsämter“ eine zentrale Rolle. Den Vorsitz der Kommission führt ein Laienmitglied der CofE, welches ebenfalls der Premierminister bestimmt. Dieses Komitee erarbeitet eine Zweierliste (mit Erst- und Zweitwahl, seit 2019 ist auch eine Einerliste möglich). Der Premierminister leitet diesen Vorschlag dem König zur Ernennung weiter. Während die königliche Rolle reine Formalität ist, gilt das für die des Premiers nicht immer. Zuletzt haben Margaret Thatcher und Tony Blair (einen Monat nach Amtsantritt) beide in spektakulären Fällen ihr Veto geltend gemacht und eine Ernennung des von der Kirche gewünschten Kandidaten verhindert. Es ist sogar möglich, dass ein Premier beide Kandidaten ablehnt und die Kommission neu anfangen muss. In einem älteren Fall empfahl 1961 der damalige Erzbischof von Canterbury dem Premierminister Harold Macmillan dringend, einen bestimmten Kandidaten keinesfalls als seinen Nachfolger zu ernennen. „Ich kenne ihn schon sein ganzes Leben, Prime Minister. Ich war sein Schuldirektor.“ Macmillan erwiderte trocken: „Sie waren vielleicht seiner, aber nicht meiner“ und wählte den Unerwünschten.

Premierminister Gordon Brown erwirkte 2008 einen Erlass, dem zufolge der Premierminister den bevorzugten Kandidaten der Kommission auf der Zweierliste nur noch zur Kenntnis nimmt und ihn dem Staatsoberhaupt zur Ernennung weiterreicht. Wie Macmillan war Brown Schotte, aber anders als dieser nicht Anglikaner (Episcopal Church of Scotland), sondern praktizierender Presbyterianer. Er fand sich also in einer ungemütlichen Rolle wieder, die ihm entscheidende Mitsprache bei der Besetzung von Leitungsämtern einer Kirche gab, zu der er nicht gehörte. So versuchte er, diese Anomalie durch Abschaffung seiner Amtsmacht zu beseitigen.

Allerdings handelt es sich rechtlich gesehen auch heute noch eher um eine Art Empfehlung als um ein unumstößliches Gesetz. Im Grunde könnten Premierminister wieder zur alten Praxis zurückkehren. So erklärt es sich, dass Journalisten Boris Johnson zur Rede stellten, als der Premier 2021 katholisch heiratete. Die Frage, ob er nun selbst katholisch sei, wies er brüsk als übergriffig zurück. Sie ist allerdings vor dem Hintergrund des Beschriebenen nicht unberechtigt, zumal Johnson katholisch getauft wurde, später konvertierte und früher schon einmal anglikanisch geheiratet hatte. In Britannien gibt es keine Kirchensteuer und daher auch keine staatlichen Listen der Kirchenmitglieder, sodass eine etwaige Mitgliedschaft schwer feststellbar sein kann. Gälte aber Johnson als katholisch, so hätte er aufgrund eines Gesetzes von 1829 den König nicht bei Bischofsernennungen „beraten“ dürfen, sofern er plötzlich Geschmack und Interesse an solchen Fragen entwickelt hätte.9  (Tony Blair, der Interesse hatte, war erst nach seinem Amtsende zum Katholizismus konvertiert.) Ein Premierminister könnte Mormone, Jude oder Hindu sein, ohne dass dies seine Rolle an dieser Stelle tangierte, aber nicht Katholik. Das Land mag mit seiner konfessionellen Vielfalt seinen Frieden gemacht haben, aber die jahrhundertealte Skepsis vor jeder sichtbaren Nachbarschaft der Worte „katholisch“ und „Monarchie“ ist noch nicht völlig verschwunden.

Parlament und Kirche

Zu den Besonderheiten des Königreichs gehört auch, dass das Parlament bestimmte kirchliche Synodenbeschlüsse über Lehrfragen bestätigen muss. Als die CofE 2014 zum Beispiel entschied, auch Frauen zum Bischofsamt zuzulassen, hatten Unter- und Oberhaus dieser Entscheidung in offiziellen Beschlüssen zuzustimmen, bei denen gleichzeitig das Reformgesetz von 1993, welches die Ordination von Frauen zum Priester-, aber nicht zum Bischofsamt regelte, aufgehoben wurde.

Immer wieder für Diskussionsstoff sorgt die Tatsache, dass 26 der insgesamt 42 Bischöfe der CofE im britischen Oberhaus (House of Lords) sitzen. Fünf von ihnen kommen aus den fünf „Großen Diözesen“ (Canterbury, York, Durham, London, Winchester). Die Auswahl der übrigen erfolgt nach Seniorität, d. h. episkopalen Dienstjahren, wobei weibliche Bischöfe bevorzugt werden: Sie springen bei ihrer Ernennung an den Anfang der Schlange und werden Oberhausabgeordnete (Peers). Es würde sonst zu lange dauern, bis überhaupt Bischöfinnen nachrücken. Im nicht gewählten Oberhaus werden Gesetze, die das demokratisch gewählte Unterhaus beschließt, beraten und in der Regel bestätigt. Verhindern kann das Haus Gesetze nicht, wohl aber verzögern. Die Debatten finden hier ohne Parteizwänge statt. Sie sind daher oft interessanter und tiefschürfender und werden seit einer Reform 1999 aufgrund der Zusammensetzung (wenige Karrierepolitiker, mehr Menschen mit Berufserfahrung) nicht selten mit mehr Expertise als im Unterhaus geführt. Bis Ende des 20. Jahrhunderts bestand das Haus mehrheitlich aus Vertretern des Erbadels (Life Peers), was zunehmend als allzu anachronistisch empfunden wurde. Tony Blairs Labour-Regierung reformierte das System 1999 so, dass die meisten Life Peers ausschieden und heute nur noch knapp hundert Abgeordnete stellen. Angesichts der momentan über 800 Oberhausabgeordneten ist die Rolle der 26 Bischöfe praktisch unbedeutend. Anstößig ist sie für viele dennoch, weil sie nur eine und heute eher kleine Gruppe des Volkes vertreten, während weder die anglikanischen Kirchen in Wales und Irland noch Katholiken, Freikirchen oder die Church of Scotland ex officio Vertreter entsenden können, von anderen Religionsgemeinschaften im Land ganz zu schweigen. Dem begegnet man seit der Reform 1999 durch verstärkte Berufung von Angehörigen dieser Gruppen.

Widerspruch

Die britische Art der Verbindung von Staat und Kirche räumt dem Staat sehr viel mehr Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der Kirche ein als umgekehrt. Dennoch gibt es vonseiten organisierter Säkularisten Widerstand gegen die beschriebenen Regelungen. Die National Secular Society kritisiert zum Beispiel die Eidesformulierung „Defender of the Faith“ und erklärt, „Defender of Faiths“ sei mindestens inklusiver. Aber auch dieses sei unpassend in einem Land, in dem sich über die Hälfte der Menschen zu keiner Religion mehr bekennen. (Diese Zahl hängt von Fragestellung und Zählweise ab. Bei anderen Umfragen erklären sich nur 20 % als völlig religionslos.) Die Säkularisten sehen in den Regelungen eine Privilegierung der Church of England. Der König werde vom Erzbischof von Canterbury in Westminster Abbey gekrönt und gesalbt, im Rahmen einer Zeremonie voller religiöser Bezüge, in denen der König schwöre, die Rechte und Privilegien der Church of England zu bewahren und die „Laws of God“ zu erhalten (was immer diese sein mögen). Vergleichbare Bräuche für das Staatsoberhaupt gebe es in keiner einzigen anderen Demokratie. Zudem habe die gesamte Krönungszeremonie tendenziell antikatholische Untertöne. Die Tatsache, dass Katholiken von der Thronfolge ausgeschlossen sind, formuliert sogar das Thronfolgegesetz von 2013 noch so, dass Katholiken hinsichtlich der Thronfolge als „von Natur tot“ betrachtet werden (naturally dead and deemed to be dead). Die Secular Society plädiert daher dafür, Kirche und Staat vollständig voneinander zu lösen.10

Stimmen für ein solches disestablishment gibt es natürlich auch innerhalb der Kirche. Anglikanische Laien im kirchlichen Thinktank Ekklesia (ekklesia.co.uk) etwa kritisieren seit Jahren den Status Quo. Sie unterstützen die säkulare Kritik an der fehlenden demokratischen Legitimität der Arrangements, erweitern sie aber um theologische Einwände gegen beides: die kirchlichen Privilegien durch die Mitwirkung im staatlichen Machtapparat ebenso wie die Unterwerfung der Kirche unter staatliche Mitsprache und Eingriffe in die Gestalt ihres Kircheseins bis hin zu theologischen Kernfragen.11

Die Vertreter beider Gruppen, säkularer und kirchlicher Staatskirchenkritiker, sind nicht zufällig oft Republikaner, d. h. sie fordern nicht nur die strikte Trennung von Kirche und Staat, sondern auch die Abschaffung der Monarchie selbst. Ihr Kampf für ein disestablishment der Kirche leidet eher am völligen Desinteresse der religiös indifferenten Mehrheit. Dagegen ist ihr Einsatz gegen die Institution Monarchie derzeit eine klare Minderheitsmeinung. In unsicheren Zeiten sehnen sich die Menschen nach Beständigkeit und Tradition. Die Zustimmung zur Monarchie ist heute viel höher als noch vor 20 oder 30 Jahren. Dem neuen König erging es zuletzt wie seinem Vorgänger Edward VII. (1901 – 1911). Auch dieser folgte als älterer Herr auf eine sehr lange regierende Mutter und war als Kronprinz eher unbeliebt gewesen. Aber kaum auf dem Thron, begann seine Beliebtheit zu steigen.

Wie lange es noch eine englische Staatskirche gibt, darauf mag man nicht wetten. Aber die Monarchie kann nach derzeitigem Anschein eher gelassen in die Zukunft und auf den republikanischen Widerstand blicken. Im Hinblick auf diese Gelassenheit kann sich König Charles an seiner verstorbenen Mutter orientieren. Als vor einigen Jahren eine schottische Pastorin, die als Predigerin ins Dorf Crathie bei Balmoral eingeladen war, der Königin vor dem Gottesdienst erklärte, sie werde als überzeugte Republikanerin die Nationalhymne „God save the Queen“ nicht mitsingen, habe die alte Dame ebenso schlagfertig wie freundlich geantwortet: „Don’t worry, dear. I never sing it either.“

Kai Funkschmidt, 01.11.2022


Anmerkungen

1  Ich danke Rev. Dr. Rhona Dunphy (Church of Scotland) und Dr. Anne Richards (Church of England) für ihre Hilfe. Verbleibende Fehler stammen von mir.

2  Die ebenfalls variablen Umschriften auf dem Rand der alten, runden Münzen hatten öfter religiöse Bezüge. So heißt es auf einer englischen Münze von 2010 „DOMINE DIRIGE NOS“ (Herr, leite uns) und auf einer schottischen von 2011 „NISI DOMINUS FRUSTRA“ (vergeblich ohne Gott), ein Zitat aus Ps 127,1.

3  Vermutlich wird der Name als „Carolus“ latinisiert. Die Münzen sind meist, aber nicht immer auf Latein beschriftet. Unter Georg VI. (1936 – 1952) lautete die Inschrift: „Georgius VI D G BR OMN REX“ (BRITANNIARUM OMNIUM REX – aller Briten König). Auf indischen Münzen hingegen war sie auf Englisch.

4  Faith bedeutet sowohl „Glaube“ als auch „Religion“, kann daher auch im Plural stehen.

5  So Ian Bradley, emeritierter Professor der Universität St. Andrews, der über Jahrzehnte wiederholt zur Religiosität des königlichen Haushalts publiziert hat; vgl. www.washingtonpost.com/world/2022/09/13/king-charles-religion-faith (Abruf der Internetseiten: 6.10.2022).

6  www.royal.uk/his-majesty-kings-oath-relating-security-church-scotland.

7  Vgl. www.churchofscotland.org.uk/about-us/our-structure.

8  Zu den Veränderungen vgl. Peter Webster: Parliament and the law of the Church of England, 1943-74, 29.1.2019, peterwebster.me/2019/01/29/parliament-and-the-law-of-the-church-of-england-1943-74.

9  Vgl. Clara Bentley: Boris Johnson cannot pass on C of E bishop nominations to the Queen now he is Catholic, Premier Christian News, 9.6.2021, https://tinyurl.com/bdd33nat.

10  Vgl. www.secularism.org.uk/head-of-state.

11  Simon Barrow: Disestablishment and the „common wealth“ spirit, 20.3.2021, www.ekklesia.co.uk/2021/03/20/disestablishment-and-the-common-wealth-spirit.