Scientology

Tarnung als Strategie - Scientology und Menschenrechte

(Letzter Bericht: 9/2003, 348) Seit vielen Jahren gelingt es der Scientology-Organisation (SO) immer wieder, sowohl durch Tarnorganisationen (Narconon - frei von Drogen, KVPM - Psychiatriekritik) als auch durch findige, weil verdeckte Werbestrategien ihre Ideologie zu verbreiten. In den letzten Monaten sorgte sie für Aufsehen durch eine Presseerklärung über angebliche Steuerbefreiungen und durch die Herausgabe des neuen Lifestyle-Magazins "Mind" (vgl. MD 3/2003, 116, und 9/2003, 348). In ihrer aktuellen Kampagne instrumentalisiert die SO das Thema Menschenrechte, um sich als eine dem Frieden und der Humanität verpflichtete Bewegung zu präsentieren. In einer dazu eigens herausgegebenen 26-seitigen Broschüre werden sowohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte in ihrer Entstehung und Bedeutung gewürdigt und referiert. Wie selbstverständlich wird auf Seite 10 und 11 der Begründer der SO, L. Ron Hubbard, in einem Atemzug mit Voltaire, Mahatma Gandhi und Martin Luther King als "Verteidiger der Menschenrechte" genannt und abgebildet - eine wahrhaftige Provokation.

Denn analysiert man die Ziele der SO, so ist sie als okkulte und pseudowissenschaftliche Ideologie mit kultisch-weltanschaulichen Zügen einzustufen. Entgegen ihren eigenen Ansprüchen können weder die Lehre noch die Firmenstruktur als Religion angesehen werden, was einschlägige Gerichtsurteile bestätigen. Die Züge eines "skrupellos agierenden Wirtschaftsunternehmens mit einer machtorientierten politischen Kaderorganisation" überwiegen deutlich (H. Hemminger, Scientology - Inbegriff eines Psychokults, in: Panorama der neuen Religiosität, hg. von R. Hempelmann u.a., Gütersloh 2001, 142-147). Zwei aktuelle juristische Dissertationen belegen die Verfassungsfeindlichkeit der SO anhand der Analyse ihrer Organisationsstruktur, ihrer Lehre und Handlungspraxis (R. Werner, Scientology im Spiegel des Rechts, Neue Kriminologische Studien 24, München 2003, und A. Diringer, Scientology, Verbotsmöglichkeiten einer verfassungsfeindlichen Bekenntnisorganisation, Schriften zum Staatskirchenrecht 9, Frankfurt a.M. 2003). Die zahlreichen Berichte von betroffenen Angehörigen führen das von Scientology ausgehende Konfliktpotential deutlich vor Augen (vgl. dazu exemplarisch I. Hruby, Meine Ehe mit einem Scientologen, Gütersloh 2000). Im letzten Jahr erschien eine umfangreiche Expertise aus psychologischer und psychiatrischer Perspektive, die auf die möglichen Gefahren und Risiken der bei Scientology verwendeten Psycho- und Sozialtechniken hinwies (H. Küfner, N. Nedopil, H. Schöch, Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology. Eine Untersuchung psychologischer Beeinflussungstechniken bei Scientology, Landmark und der Behandlung von Drogenabhängigen, Lengerich 2002).

Vor diesem Hintergrund wirkt es befremdlich, dass ausgerechnet der derzeitige Leiter des Dresdener Hanna-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Gerhard Besier, sich die Propaganda der Scientologen zu eigen macht. Anlässlich der Eröffnung eines Brüsseler Scientology-Büros stellte er nämlich die SO als Vorbild für religiöse Vielfalt und Toleranz dar und kritisierte eine angebliche Unterdrückung der Religionsfreiheit in Deutschland. "Es ist geradezu absurd", heißt es in einer Presse-Erklärung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion, "wenn eine solche Organisation, die selbst unter dem Verdacht totalitärer Anschauungen steht, von einem Totalitarismusforscher wie Besier hofiert und als Vorbild einer konsequenten Glaubenshaltung dargestellt wird."

Michael Utsch