Freigeistige Bewegung

Schulfrei am Welthumanistentag

Im Land Berlin ist die Möglichkeit eröffnet worden, sich vom Schulunterricht am 21. Juni befreien zu lassen, um eine humanistische Weltanschauung zu pflegen. Die Sprecherin von Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres wies am 8. Dezember 2014 zugleich darauf hin, dass Eltern die Befreiung ihrer Kinder beantragen müssten und dass ein solcher Antrag zustimmungsfähig sei, wenn eine Zugehörigkeit zum Humanistischen Verband bestehe. Nach rechtlichen Konflikten mit einer Mutter, die ihre Kinder am Welthumanistentag 2011 nicht zur Schule geschickt hatte, will der Berliner Senat mit dieser Entscheidung seinen Willen bekunden, Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften gleichzubehandeln, und die Religionsdistanz vieler Menschen berücksichtigen.

Die Reform der öffentlichen Gedenkkultur und der „Respekt gegenüber den Formen der Fest- und Feierkultur säkularer Organisationen“ gehört ohnehin zu den zentralen politischen Forderungen humanistischer und freidenkerischer Verbände in Deutschland, Europa und Nordamerika. Gemeint sind damit Organisationen, die von einer atheistischen Weltdeutung ausgehen, die ihre Ansichten „ohne Bezugnahme auf einen Gott oder auf andere metaphysische Instanzen“ gewinnen.

In Oslo wurde der Welthumanistentag (World Humanist Day) als humanistischer Feiertag vor knapp 30 Jahren, am 21. Juni 1986, ins Leben gerufen. Dies geschah durch die 1952 in Amsterdam gegründete „International Humanist and Ethical Union“ (IHEU), die für einen wissenschaftlichen Humanismus, für die strikte Trennung von Staat und Kirche und weltliche Riten als Religionsersatz eintritt und zu der 110 atheistische und freidenkerische Organisationen in 38 Ländern gehören. Die Feier des 21. Juni knüpft an Traditionen unter nichtreligiösen Menschen in den Vereinigten Staaten an. Eine wichtige Rolle spielt dabei das astronomische Ereignis der Sommersonnenwende, das die Menschen in Ritus, Mythologie und Kultus bereits in prähistorischen Zeiten beschäftigte und verbunden war mit der Verehrung der Gestirne. Die Sommersonnenwende spielt heute gleichermaßen im Neuheidentum (Neopaganismus) und Atheismus eine Rolle. Im Kontext des organisierten Atheismus soll der Feiertag dazu dienen, das Bewusstsein für die Bedeutung von humanistischen Ideen und Überzeugungen in der Öffentlichkeit zu verbessern, für sie zu werben und in Gemeinschaft zu feiern.

Der im Land Berlin eingeführte „neue Feiertag“ wird nur für eine geringe Zahl von Schülerinnen und Schülern von Relevanz sein. Der Humanistische Verband hat deutschlandweit ca. 20 000 Mitglieder. Im Blick auf das Land Berlin liegen keine belastbaren Zahlen vor. Mit dem freiwilligen Unterrichtsfach Humanistische Lebenskunde (als Alternative zum evangelischen und katholischen Religionsunterricht) werden durch den Verband allerdings zahlreiche Schülerinnen und Schüler erreicht, inzwischen mehr als 55 000. Der Direktor des Berliner Ausbildungsinstituts Humanistische Lebenskunde, Werner Schulz, kommentierte die Entscheidung der Senatsverwaltung mit dem bezeichnenden Satz: „Die Anerkennung unseres Feiertages ist auch ein Ausdruck der Wertschätzung des freiwilligen Weltanschauungsunterrichts Humanistische Lebenskunde an Berlins Schulen.“

Eine grundlegende Schwierigkeit dieser Entscheidung liegt darin, dass die Schulverwaltung mit zahlreichen Forderungen weltanschaulicher und religiöser Gruppierungen konfrontiert werden könnte, die sich ebenso durch die gültige Feiertagskultur benachteiligt fühlen. Der Humanistische Verband verweist gern auf seine öffentliche Präsenz in Berliner Schulen. Er kann jedoch nur für seine Mitglieder sprechen. Sein Anspruch, die Interessen der konfessionsfreien Menschen zu vertreten, muss zurückgewiesen werden. Konfessionsfreie können nicht als „anonyme Humanisten oder Atheisten“ im Sinne säkularer und freidenkerischer Verbände angesehen werden, genauso wenig wie sie aus christlicher Perspektive als latente Christinnen und Christen vereinnahmt werden können.

Die christlich geprägte Feiertagskultur, wie sie im Grundgesetz vorausgesetzt ist, wird aufgrund weltanschaulicher und religiöser Pluralisierungsprozesse hinterfragt. Sie verliert ihre Selbstverständlichkeit und wird begründungspflichtig. Ihre kulturellen Stützmechanismen sind im Schwinden begriffen. Die christlichen Kirchen sollten in der Situation nicht vergangenen Zeiten nachtrauern. Sie können lernen, die Orientierungsperspektiven ihrer eigenen Traditionen ernst zu nehmen, diese mit Kreativität zu gestalten und im öffentlichen Diskurs dafür einzutreten.


Reinhard Hempelmann