Andreas Fincke

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Anmerkungen zur Jugendweihe

Nach wie vor sind Jugendweihen erstaunlich beliebt. Zwar ist die Zahl der Teilnehmer in den letzten Jahren deutlich gesunken – aber dieser Rückgang lässt sich mit dem demografischen Wandel erklären. Derzeit nehmen jährlich etwa 35 000 Jugendliche an einer Jugendweihe oder Jugendfeier teil. Hohe Teilnehmerzahlen werden zwar überwiegend in den östlichen Bundesländern erreicht, aber längst ist es den Veranstaltern gelungen, eine bescheidene Jugendweihearbeit auch in Hamburg, Baden-Württemberg oder Bayern zu etablieren. Dabei spielen jene „Ossies“ eine Rolle, die in die alten Bundesländer verzogen sind und damit die Jugendweihetradition exportieren. Aber nicht nur.

Aus kirchlicher Sicht befremdet, dass die Jugendweihe trotz ihrer problematischen Geschichte in der DDR derart beliebt ist. Es scheint, als wären die ideologischen Implikationen der DDR-Jugendweihe vielen Menschen gleichgültig. Mehr noch: Viele Menschen, die in der DDR zur Jugendweihe gegangen sind, empfinden dieses Fest heute als besonders zentralen Aspekt ihrer Lebensgeschichte. Wer kritisch über die Jugendweihe berichtet, erntet böse Blicke, empörte Leserbriefe und hört den Satz: „Die Jugendweihe lassen wir uns nicht auch noch nehmen.“ Wie ist es möglich, dass die Jugendweihe derart unkritisch rezipiert wird, und was bedeutet das für die Kirchen?

Die Jugendweihe als atheistisches Bekenntnis

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Jugendweihe hierzulande eine wechselvolle Geschichte zwischen Duldung und Verbot. Nur langsam entwickelte sich in den westlichen Besatzungszonen eine kleine, der freidenkerischen Traditionslinie verpflichtete Jugendweihe. In der sowjetisch besetzten Zone bzw. in der DDR war die Jugendweihe anfänglich verboten. Noch 1952 wurde sie als „sektiererisch“ verworfen. Im Zuge der innenpolitischen Krise nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 wurde die Jugendweihe ab 1955 als Bekenntnis zum Sozialismus eingeführt. Einen entsprechenden Beschluss hatte das Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) am 14. März 1954 gefasst. Umgesetzt wurde dieser mithilfe des „zentralen Ausschusses für Jugendweihe”. Er rief am 12. November 1954 alle Jugendlichen zur Teilnahme an der Jugendweihe auf. Propagandistisch unterstützt wurden die Bemühungen damals von Künstlern und Schriftstellern, die in der DDR hoch angesehen waren, z. B. von Anna Seghers, Johannes R. Becher und Stephan Hermlin. Flankiert wurden die Maßnahmen von atheistischer Propaganda und erheblichem Druck auf die Schüler, sich „freiwillig“ zu melden. Bereits im Frühjahr 1955 fanden die ersten „Weihen“ statt. Durch die Jugendweihe, so der Sprachgebrauch, wurden die Jugendlichen am Ende des 8. Schuljahres in „die Reihen der Erwachsenen aufgenommen“. Anfangs war das Echo jedoch bescheiden: In den ersten drei Jahren nach ihrer Einführung nahmen nur etwa 20 Prozent der Jugendlichen an der Jugendweihe teil, was in etwa dem Anteil Konfessionsloser an der Bevölkerung entsprach.

Die Einführung der Jugendweihe war zweifellos ein aggressiver Akt gegen die Kirchen. Nicht nur die atheistische Begleitmusik und die antireligiösen Attitüden im damaligen Jugendweihebuch „Weltall – Erde – Mensch“ belegen das, auch der für die Jugendweihe gewählte Zeitpunkt war Ausdruck dieses Konfrontationskurses – denn er entspricht genau dem Alter, in dem die Jugendlichen traditionell zur Konfirmation gehen.

Doch die Teilnahme von lediglich jedem fünften Jugendlichen an einer Jugendweihe war den Machthabern nicht genug. Ende September 1957 verschärfte Walter Ulbricht in einer berüchtigten Rede in Thüringen (Sonneberg) den Ton. Er unterstich den atheistischen Charakter der Jugendweihe und verlangte, dass alle Jugendlichen an ihr teilnehmen. Unter Anspielung auf Konfirmation und Firmung war von „überlebten, alten Glaubenssätzen“ und von „gewissen Hirngespinsten“ die Rede. Damit intensivierte die SED ihren Kampf gegen die Kirchen, die der letzte noch verbleibende gesellschaftliche Freiraum im Einheitsstaat waren. Der Kampf um die Jugendweihe wurde zu einem Eckpfeiler ideologischer Machtkämpfe, die auf den Schultern der Familien ausgetragen wurden. Bereits ein halbes Jahr nach Ulbrichts Sonneberger Auftritt konnte die SED eine Verdoppelung der Teilnehmerzahlen auf rund 44 Prozent registrieren, 1959 nahmen bereits rund 80 Prozent der Jugendlichen teil, zehn Jahre nach ihrer Einführung über 90 Prozent und in den letzten zehn Jahren der DDR etwa 97 Prozent der 14-Jährigen.

In den wenigen Jahren von 1955 bis 1961 war es der SED gelungen, die DDR-Jugendweihe als Speerspitze gegen die volkskirchliche Konfirmation zu etablieren: Deren Zahlen gingen im gleichen Zeitraum von etwa 80 Prozent auf rund 35 Prozent eines Jahrgangs zurück. Die katholische Kirche war von den Konflikten um die Jugendweihe ähnlich betroffen. Auch viele katholische Familien gerieten in Gewissensnot und mussten entscheiden, ob und wie sie sich dem Zwangsritual entziehen. Denn allen Beteiligten war klar: Wer sich der Jugendweihe enthält, wird kaum Abitur machen können und damit (bis auf wenige Ausnahmen) nicht studieren können. Tausende von Jugendlichen haben mitunter schwere berufliche Benachteiligungen und entsprechende Hinweise in ihrer Personalakte hinnehmen müssen, weil sie, wie es damals formuliert wurde, „nicht zu Jugendweihe gingen“.

Die Jugendweihe war damit zu einem Unterwerfungsritual geworden. Man kann heute nicht mehr im Einzelnen klären, wie viele jener Menschen, die vor dem Mauerbau in den Westen geflohen sind, diesen Schritt aus Verzweiflung über die Jugendweihe getan haben; aber es liegt auf der Hand, dass der Konflikt um die Jugendweihe ein weiterer Grund war, der Hunderttausende zur Flucht trieb. Die heute feststellbare Entkirchlichung Ostdeutschlands erklärt sich auch aus der für viele christliche Familien unerträglichen „Weihe“ Jugendlicher auf den DDR-Sozialismus. Allein deshalb ist es befremdlich, wenn heute einige Jugendweiheanbieter ihre Arbeit mit dem Hinweis auf die hohe Konfessionslosigkeit in den östlichen Bundesländern rechtfertigen – denn diese ist auch ein Ergebnis der DDR-Jugendweihepolitik.

Es mag aus heutiger Sicht erstaunen, dass die Jugendweihe die Religion derart verdrängen konnte. Viele Aspekte wären zu nennen. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, dass die DDR-Jugendweihe ersatzreligiöse Elemente trug. Sie war als Ritual religiös überhöht – wie vieles im politischen System der DDR mit Attributen belegt war, die einer religiösen Sprache entnommen wurden. So galten Partei- und Staatsführung als unfehlbar, sie hatten „immer Recht“, ja sie wurden gar als Schöpfer der Welt gedeutet. In einem Gedicht hieß es: „Die Partei gab uns alles ... Sonne und Wind und sie geizte nie.“

Es liegt auf der Hand, dass christliche Eltern ihre Kinder einer solchen „Weihe“ nicht überlassen konnten. Die Geschichte der DDR-Jugendweihe kann daher nicht erzählt werden, ohne an die mitunter verzweifelte Gegenwehr von Kirchenleitungen, Lehrern, Pfarrern und Gemeindegliedern zu erinnern. Bereits im November 1954 stellte die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg in einem Rundschreiben klar, dass Kinder, die an der Jugendweihe teilnehmen, nicht konfirmiert werden. Aus heutiger Sicht muss man leider konstatieren, dass die Kirchenleitungen die Bereitschaft vieler Familien zum Widerstand überschätzt haben.

Die Jugendweihe als Familienfest

Mit dem „Sieg“ der DDR-Jugendweihe änderte sich jedoch ihr Charakter: Sie verlor ab Ende der 1960er Jahre deutlich an atheistischem Profil und wurde zu einem diffusen Massenphänomen. Zwar wurde sie auch weiterhin als Unterwerfungsritual unter die Ideologie der SED inszeniert, sie mutierte jedoch zugleich immer mehr zu einem entpolitisierten Familienfest bzw. zu einer privaten Familientradition. Es wurde in gewisser Weise zweitrangig, worüber der Redner sprach; es hörte ohnehin keiner mehr zu. Dennoch wurden die obligatorischen Floskeln abgespult. So sei an dieser Stelle daran erinnert, dass es in dem Jugendweihe-Gelöbnis hieß: Man verspreche, „für die große und edle Sache des Sozialismus zu kämpfen, ... die feste Freundschaft mit der Sowjetunion weiter zu vertiefen ... und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen Angriff zu verteidigen”. Immerhin haben mehr als 90 Prozent aller Bundesbürger ostdeutscher Herkunft dieses einst feierlich zugesagt.

Trotz des grandiosen weltanschaulichen Überbaus ist die Jugendweihe immer mehr zu einem rein privaten Familienfest geworden. Das ist auch der eigentliche Grund dafür, dass die Jugendweihe den Untergang der DDR überleben konnte. Da sie ohnehin keinen ernst zu nehmenden Inhalt mehr hatte, konnte sie leicht vom Bekenntnis auf den Sozialismus in die neue Zeit umschwenken.

Mit dem Ende der DDR und mit der Wiedervereinigung 1989/90 überlagerten sich zwei Jugendweihetraditionen: Die ehemals westdeutsche, überwiegend freidenkerisch bzw. freireligiös geprägte Jugendweihe war 1989 quantitativ unbedeutend. Für die Veranstalter ergab sich jedoch die historisch einmalige Gelegenheit, das Betätigungsfeld in die neuen Bundesländer auszuweiten und eine neue Klientel für ihre Jugendweihe zu finden.

Völlig anders war die Lage für die früheren DDR-Jugendweiheveranstalter. Sie gerieten mit dem Untergang des SED-Staates in Legitimationsdruck. Es gehört zu den interessanten Aspekten der deutschen Wiedervereinigungsgeschichte, dass die inhaltsarme und politisch belastete Jugendweihe sich vergleichsweise schnell neu positionieren konnte. Trotz anfänglicher Einbrüche in den Jahren 1990 bis 1993 gelang es den Jugendweiheanbietern, das Fest neu zu etablieren. Inhaltlich bot die Jugendweihe in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung vielfach Ressentiments gegen die Wiedervereinigung sowie simple Kapitalismuskritik.

Es gibt bis heute gravierende Unterschiede zwischen einzelnen Jugendweiheveranstaltungen: Die Veranstaltungen des Humanistischen Verbandes Deutschlands in Berlin sind von hoher handwerklicher Professionalität. Sie gleichen einer gut gemachten Show mit Nebelschwaden und Lichteffekten. An solchen Großveranstaltungen nehmen bis zu 250 Jugendliche teil. Ein individuelles Eingehen auf Einzelne ist daher nicht möglich, dennoch beeindruckt die künstlerische Qualität. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man – gerade in ländlichen Regionen – eine Jugendweihe der anderen Anbieter besucht. Nach wie vor verfügt die „Jugendweihe Deutschland“ in den neuen Bundesländern über eine hervorragende Infrastruktur – sie ist praktisch flächendeckend aktiv. Oftmals wird an den Schulen für die Jugendweihe geworben und werden Elternabende mit Vorbesprechungen für die Jugendweihe verbunden. Mitunter werden ganze Schulklassen für die Jugendweihe eingeplant, wie man z. B. im Internet bei einigen Anbietern lesen kann und von betroffenen Eltern immer wieder hört. In Brandenburg erzählen Pfarrer, dass in der Einladung zum Elternabend der Tagesordnungspunkt „Vorbereitung der Jugendweihe“ steht. Wenn sie dagegen protestieren, stoßen sie auf völliges Unverständnis – wie früher.

Wer weiht – und warum?

Es ist schwierig, Jugendweihe und Konfirmation zu vergleichen. Die Konfirmation ist in der Regel an einen ein- bis zweijährigen Konfirmandenunterricht gebunden, in dem von den Jugendlichen viel Engagement erwartet wird. Gemessen daran ist die Jugendweihe ein leicht zu erringender Genuss. Bei der „Jugendweihe Deutschland“ ist eine Teilnahme an Vorbereitungsstunden gar nicht zwingend notwendig. Zwar bemühen sich die Veranstalter um kontinuierliche Jugendarbeit, jedoch hört man auch immer wieder, dass viele Jugendliche keine einzige Vorbereitungsstunde besuchen. Zudem erschöpfen sich Vorbereitungsstunden mitunter in Schminkkursen, Spiel und Spaß.

Ohnehin sind die inhaltlichen Positionen mancher Anbieter blass. So beschreibt der Verein „Jugendweihe Deutschland“ im Internet sein Leitbild wie folgt: „Im Mittelpunkt des Wirkens von Jugendweihe Deutschland e. V. stehen: Demokratie und Mitbestimmung; soziale Gerechtigkeit; Solidarität, Toleranz und Akzeptanz; Eintreten für Frieden und Antifaschismus; Erhaltung und Schutz der Umwelt; Gemeinschaftsfähigkeit; Übernahme von Verantwortung.“ Diese Werte sind so allgemein formuliert, dass man nicht erkennt, worin der Markenkern besteht und wozu es da einer Jugendweihe bedarf. Auch Kirchen und Religionen treten für Solidarität, Frieden, Schutz der Umwelt und Gemeinschaftsfähigkeit ein – auch wenn sie vermutlich andere Begriffe wählen würden. Die Frage, wer bei einer Jugendweihe weiht und woher das Mandat kommt, bleibt bestehen. Was ist das eigentlich, eine Weihe?

In religionswissenschaftlicher Perspektive ist eine Weihe ein Akt, in dem Menschen oder Gegenstände in besonderer Weise in den Dienst Gottes gestellt werden. So spricht man in der katholischen Kirche von der Priesterweihe, die hier gar ein Sakrament ist, von der Abtweihe und der Weihe von Ordensleuten usw. Geweiht werden auch Kirchen, Altäre, Kerzen, Kelche, Glocken und Wasser – alles Gegenstände, die für den Gottesdienst vorgesehen sind. Denn biblisch gesprochen ist nur Gott heilig. Kein Mensch kann sich selber heiligen. Aber Gott kann dem Menschen von seiner Heiligkeit schenken, was biblisch bedeutet, dass Gott einem solchen Menschen einen besonderen Auftrag gibt. Wenn Christen einen Menschen weihen, dann geben sie der Tatsache Ausdruck, dass dieser Mensch von Gott geheiligt ist, das heißt, von Gott einen Auftrag erhalten hat. Auch in anderen religiösen Traditionen ist eine Weihe zumeist mit einem Auftrag verbunden.

Umgangssprachlich spricht man von „Weihe“ bzw. „Einweihung“, wenn ein mehr oder weniger feierliches In-Gebrauch-Nehmen von Orten, Gebäuden, Einrichtungen und Ähnlichem gemeint ist, auch wenn dabei oft keine religiösen Riten mehr vollzogen werden. Aber selbst hier geht es um ein „In-den-Dienst-Stellen“.

Ausgehend von diesen Überlegungen wird deutlich, dass die DDR-Jugendweihe mit der Rede des Parteifunktionärs und einem Gelöbnis auf Waffenbrüderschaft und Sozialismus eine gewisse Stringenz hatte: Ein Funktionär „weiht“ und stellt die Jugendlichen in den Dienst einer Ideologie, für die seine Partei steht.

Doch wie ist das nun bei heutigen Jugendweihen? Wer stellt hier in den Dienst – und warum? Als Kriterium sei auf einige Jugendweihereden geblickt. Wer diese liest, reibt sich immer wieder verwundert die Augen und fragt, wie das eigentlich alles zusammengeht. So hielt z. B. Diana Skibbe, Mitglied der Fraktion „Die Linke“ im Thüringer Landtag und vor 1989 Lehrerin und Mitglied der SED, im Jahre 2008 eine Jugendweiherede, die man auf ihrer Internetseite nachlesen konnte. Hier hieß es: „Geht selbstbewusst und mit erhobenem Haupt durch das Leben. Lasst Euch den Wind ins Gesicht blasen und von der Sonne wärmen. Traut Euch zu lachen, wenn Euch zum Lachen ist und zu weinen, wenn Trauer Euer Herz berührt. Vergesst nicht, dass ein starkes Rückgrat den aufrechten Gang ermöglicht. Mischt Euch ein, wenn Ihr merkt, dass Unrecht geschieht.“ Das ist sicher alles nicht falsch. Es fragt sich nur, welchen persönlichkeitsbildenden Wert solche Appelle haben und wozu es hier einer Jugendweihe bedarf. Worauf weiht eigentlich eine Abgeordnete aus dem Thüringer Landtag? Auf ihre Partei? Auf Thüringen? Auf pfiffige Anpassungsfähigkeit? Auf den Buchverlag, der das Jugendweihebuch sponsert? Auf ihre eigene, von erstaunlichen Wendungen geprägte Biografie?

Viele Jugendweihereden, die man im Internet findet, sind von billigem Zukunftsoptimismus geprägt. Sie blenden das (mögliche) Scheitern des Menschen völlig aus, sind inhaltsarm und daher trivial und kitschig. Bei YouTube fand man lange Zeit ein Video von der Jugendweihe 2011 der Jugendweihegemeinschaft e. V. Nordhausen. Neben einem jugendgemäßen Showprogramm besteht der Schritt vom Kind zum jungen Erwachsenen im Durchschreiten eines blumengeschmückten Tores. Auf dem Weg dorthin geben die Jugendlichen einen Gegenstand ab, der ihre Kindheit symbolisiert. Mit Theaterdonner wird dann das Tor durchschritten. Die Rede von Stephanie Knoche, Jugend- und Bildungsreferentin beim Landratsamt der Stadt Nordhausen, endet mit dem Satz: „Ich wünsche euch eine geile Zeit.“

Sicher wünschen wir Jugendlichen ein gutes Leben. Aber gerade in Nordhausen, einer im April 1945 schwer zerstörten Stadt, muss man Jugendliche an das traurige Schicksal von Menschen vor wenigen Generationen erinnern. Vor siebzig Jahren mussten hier 60 000 Arbeitssklaven aus unzähligen Ländern im KZ Mittelbau die sogenannte V2 bauen, die den Tod nach London brachte. Fällt einem da, angesichts von 14-Jährigen, die in einem der reichsten Länder der Welt in Frieden aufwachsen und deren größtes Problem in der Frage nach einem neuen Smartphone besteht, wirklich nur der Wunsch einer „geilen Zeit“ ein?

Gerade weil es um nichts Geringeres als Lebenskompetenzen geht, bedarf es einer differenzierten Wahrnehmung der menschlichen Existenz. Die Veranstalter belügen Kinder und Jugendliche, wenn sie ihnen vormachen, das Leben sei voller Spaß, Konsum und ohne Konflikte; es sei ein Leben ohne Misserfolge, Niederlagen und Enttäuschungen möglich. Vielmehr wäre es wichtig, Kinder und Jugendliche auf den Ernst der menschlichen Existenz hinzuweisen. Es mag ja sein, dass viele konfessionslose Eltern die Antworten der Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht hören wollen. Aber das Problem der menschlichen Existenz, die Fragen nach Sterben, Schuld, Krankheit und Verantwortung bleiben. Sie bedürfen in einer zunehmend entkirchlichten Gesellschaft umso mehr einer Antwort. Gerade wenn man sagt, Jesu Doppelgebot der Liebe, die Zehn Gebote usw. seien für uns nicht gottgegeben, braucht man neue ethische Begründungen. Daher ist die Sprachlosigkeit einiger Jugendweiheanbieter nicht nur ein Schönheitsfehler, sondern stellt eine inhaltliche Dürftigkeit dar, die einer „Weihe“ nicht gerecht wird. Es wäre daher hilfreich, wenn die Veranstalter den Begriff „Jugendweihe“ überdenken würden. Der Humanistische Verband Deutschlands spricht – in meinen Augen folgerichtig – von Jugendfeiern.

Die Jugendweihe als Konkurrenz

Die heutige Jugendweihe ist Ausdruck einer positiv besetzten Familientradition. Sie wurde in der DDR fast vier Jahrzehnte lang gefeiert und hat somit zwei Generationen geprägt. Wenn Eltern heute ihre Kinder zur Jugendweihe anmelden, dann rechtfertigen sie damit auch ihre eigene Jugendweihe und ihre eigene Biografie. Es wäre jedoch zu einfach, wollte man die Beliebtheit der heutigen Jugendweihe allein aus ihrer Vergangenheit herleiten. Auch die neue Jugendweihe hat ihren eigenen Charme. Und der liegt in schöner Unverbindlichkeit. Während die Konfirmation als Taufbestätigung und Aufnahme in die Kirche verstanden wird, hat die Jugendweihe keine nennenswerten Konsequenzen. Die Jugendweihe zeigt, dass der Bedarf an Erhebung und feierlichen Zeremonien mit zunehmender Entkirchlichung neue Ausdrucksformen sucht und findet. Die knapp 1,5 Millionen Jugendweihen seit der Wiedervereinigung zeigen, wie alltäglich die Konfessionslosigkeit bei uns inzwischen ist. Die Jugendweiheanbieter werden in den nächsten Jahren ihr Betätigungsfeld auf andere säkulare Passageriten wie Beerdigungen, (homosexuelle) Eheschließungsfeiern, Taufen („Namensgebung“), Scheidungs- und Trennungsrituale usw. weiter ausweiten. Die Kirchen müssen die Konkurrenz ernst nehmen und ihre Kinder- und Jugendarbeit, aber auch die Praxis der Kasualien stetig verbessern. Dabei sind sie in keiner schlechten Lage: Sie haben Inhalte zu bieten, verfügen über beachtliche Ritualkompetenzen und können mit ihren Kirchen in wunderbare Orte einladen. So wird deutlich, dass der Segen Gottes mehr wert ist als eine „geile Zeit“ oder üppige Geschenke.


Andreas Fincke, Erfurt