Okkultismus

Schaurig-schöne Hexenwelt. „German Horror“ - ein neues Gothic-Magazin aus Leipzig

Nicht nur in der Esoterik, sondern auch in jugendlichen Subkulturen erlebt die Hexe als Identifikationsfigur eine neue Renaissance. So wartet die neueste, inzwischen zweite Ausgabe der Gothic-Zeitschrift „German Horror“ mit einem „großen Hexen-Special“ auf. Produziert wird das Magazin im von Grafenwald Verlag (Leipzig/Berlin), der über einen Internetshop CDs und Fanartikel der Berliner Band „Untoten“ betreibt.

Das Heft zum Preis von 7,90 Euro (inklusive einer Musik-CD) bietet auf 46 in Gothic-Manier schwarz-weiß gestalteten Seiten zahlreiche Infos zu szenetypischen Musikgruppen wie Rob Zombie, Soko Friedhof und Gutter Demons, The Other („Horror Deluxe!“), zu Mode und schwarzem Lifestyle. Abgerundet wird das Ganze durch szenetypische Musiktipps. Um Missverständnissen vorzubeugen, heißt es kleingedruckt auf der Titelseite: „Keine Jugendgefährdung – Freiverkäuflich“.

Besonders intensiv wird das für Anfang November 2008 angekündigte Album „Die Hexe“ der Berliner Band „Untoten“ beworben. Ein zweiseitiger Bericht stimmt die Leser auf das neueste Produkt ein: „In einem Haus im Wald, von dem es heißt, es sei verhext, findet eine Séance statt. Medium ist Xiorgina, das Kindermädchen der Familie Voyance, die gerade in das Haus eingezogen ist. Hinter dem Haus beginnt der Märchenwald ... Lili, das Kind der Familie, vermisst ihre verstorbene Mutter. In einer Nacht wird Lili von einer geisterhaften Erscheinung besucht, die ihr weiß (sic!) zu machen versucht, sie könne den Tod der Mutter ungeschehen machen. Von dieser Nacht an ist die lebenslustige Lili verändert.“

Bandmitglied David A. Line, Autor der Romane „Schwarze Messe“ I und II erläutert im Interview, was es mit dem Album „Hexe“ auf sich hat: „Die Hexe zeigt sich nur an wenigen Stellen, sie schimmert durch, und so symbolisiert sie mit einem Mal doch eher das Wilde, die Freiheit und weniger die Angst. Es hat sich also umgekehrt. Das ist die Architektur des Albums: Ein windschiefes Hexenhäuschen – Mal sehn, wer da drin lebt!“

Im Interview kommen drei „echte“ Hexen zu Wort. Claire, Mone und Pat haben sich nach eigenen Angaben „schon mehrere Jahre intensiv mit verschiedenen Formen der Magie“ beschäftigt. Wie viele Hexen es in Deutschland gibt, wissen auch sie nicht: „Das ist ganz schwer zu sagen, denn sehr viele behalten das für sich.“ Zur Hexen-Szene äußert sich Claire ausführlicher: „Es gibt Gruppen, lose Vereine und strenge Coven. (Coven = engl. für Hexenzirkel) Die meisten ‚Hexen’ arbeiten allein, haben aber trotzdem Freude am Austausch. Das Internet hat vieles leichter gemacht. Viele Gruppen finden so ihren Anfang.“ Mone indes will ihren eigenen Hexen-Weg gehen: „Ich vermeide es, mich mit anderen ‚Hexen’ zu treffen. Ich weiß daher nicht, wie groß die ‚Hexenszene’ in Deutschland oder auf der Welt ist. Dass es eine gibt, ist unumstritten. Wie in jeder Szene gibt es auch dort den Beigeschmack von Gruppenzwang.“

Wenige Seiten später werden die Bilder von den Gewinnern des Fotowettbewerbs „German Horror suchte und fand die heißesten Hexen Deutschlands“ vorgestellt. Schlussendlich heißt es in einem „Mode-Statement“: „Gerade jüngere Menschen speziell im Gothic-Bereich identifizieren sich mit Hexen, weil sie annehmen, das gibt ihrem Äußeren eine undurchdringliche Magie, die sie unweigerlich interessant erscheinen lässt.“

In der Schwarzen Szene vermengen sich unterschiedliche Subkulturen. Das in Leipzig produzierte Magazin „German Horror“ dokumentiert einen seit Jahren erkennbaren Trend. Alles scheint nur eine Frage des individuellen Geschmacks und des Preises zu sein, wie die Werbeanzeige auf der letzten Umschlagseite belegt:

„Designs for individuals“ heißt es da. Ein Leipziger Atelier, das sich ganz auf Kostümdesign verlegt hat, führt in seinem Sortiment: Fantasy, Burlesque, Barock, Erotic Glamour, Fetish, Outta Space. Die Stilmittel zur ich-zentrierten Selbstinszenierung sind austauschbar und leicht miteinander kombinierbar. Szenetypische Hexenbilder bedienen mit Okkultismus, Magie und archaischer Spiritualität die Sehnsucht nach einer geheimnisvollen und zu erspürenden Realität – fernab von traditionellen religiös-dogmatisch konnotierten Weltdeutungen. Der Trend zur individualisierten Patchworkidentität betrifft längst nicht nur die schwarz-erotischen Modeacessoires der Gothic-Szene, sondern transportiert über kommerzialisierte Formen zunehmend auch das religiös-weltanschauliche Empfinden dieser Klientel – ganz gleich, ob Produzent oder Konsument.


Matthias Pöhlmann