Astrid Reuter, Hans G. Kippenberg (Hg.)

Religionskonflikte im Verfassungsstaat

Astrid Reuter / Hans G. Kippenberg (Hg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, 428 Seiten, 60,95 Euro.


Der Band fasst u. a. Beiträge einer Tagung zusammen, die 2008 am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt stattfand. Die Thematik wird vor allem in historischer, rechtswissenschaftlicher, soziologischer und religionswissenschaftlicher Perspektive erörtert.Teil I (23-178) stellt historisch orientierte Beiträge und grundsätzliche Erörterungen in den Vordergrund. Mit Recht stellt der Soziologe Matthias Koenig in seinem Beitrag über religiöse Anerkennungskämpfe fest: „In beinahe allen europäischen Gesellschaften ist Religion seit einigen Jahren zum Gegenstand teils leidenschaftlich geführter öffentlicher Kontroversen geworden. Darin eine Rückkehr der Religion oder eine Preisgabe der Säkularität moderner Gesellschaften sehen zu wollen, wäre gewiss voreilig ... Durchaus aber deuten jene Religionskontroversen – ob sie Kruzifixe oder Kopftücher, Minarette oder Kirchenglocken betreffen – darauf hin, dass die Verfassungsstaaten Europas vor neuen religionspolitischen Herausforderungen stehen“ (144).Teil II (179-416) beschäftigt sich exemplarisch mit verschiedenen Religionskonflikten, die „rekonstruiert und analysiert“ (17) werden. Aufgegriffen werden u. a.: die Geschichtstheologie von Papst Benedikt XVI., Werte- und Ethikunterricht in Deutschland und Frankreich, Debatten zum Thema Blasphemie anhand der Satanischen Verse Salman Rushdies, das Verfahren um die Anerkennung von Körperschaftsrechten der Zeugen Jehovas, die Kopftuchkontroverse, rituelle Schlachtungen. Die Analyse der Konflikte geschieht keineswegs einheitlich. Die Beiträge dokumentieren den Streit um die Deutung der Konflikte und spiegeln unterschiedliche und widersprüchliche rechtspolitische Positionen. Die Optionen wechseln beispielsweise zwischen Laizismussympathie und pointierten Anknüpfungen an die Weimarer Reichsverfassung und das Grundgesetz. Insbesondere die Frage, was staatliche Neutralität in Religionsfragen bedeutet, kristallisiert sich als Streitpunkt und zentrales Thema weiterer notwendiger Analysen heraus. Die Beiträge dürften ein realistisches Bild heutiger Diskurse und Kontroversen abgeben. Sie dokumentieren, wie schwierig Verständigungsprozesse in Religionskonflikten geworden sind.Für die christlichen Kirchen, die die grundlegenden religionspolitischen Perspektiven des Grundgesetzes für zukunftsweisend halten, dürfte es eine wichtige Aufgabe sein, für das Modell der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auch im Kontext eines verschärften weltanschaulichen Pluralismus einzutreten und es als Chance für ein friedliches Austragen von Religionskonflikten darzustellen.


Reinhard Hempelmann