Hanna Fülling

Religions for Peace

10. interreligiöse Weltversammlung für den Frieden

Im August 2019 fand in Lindau am Bodensee ein interreligiöses Großereignis statt: 900 Frauen, Männer und Jugendliche aus 125 Ländern trafen sich zur 10. Weltversammlung von Religions for Peace (RfP). Das globale Netzwerk von RfP setzt sich aus knapp 100 Mitgliederverbänden in fast ebenso vielen Ländern, aus sechs regionalen interreligiösen Gremien, einem globalen interreligiösen Jugendnetzwerk sowie dem Frauennetzwerk Global Women of Faith zusammen. RfP gilt als weltweit größte Allianz religiöser Gemeinschaften und ist seit 1973 als Nicht-Regierungsorganisation bei den Vereinten Nationen eingetragen.

Religions for Peace ermöglicht gemeinschaftliches Handeln auf verschiedenen Ebenen, indem es nicht allein auf globaler, sondern auch auf regionaler und lokaler Ebene agiert. Die weltweiten Versammlungen finden seit 1970 alle sechs Jahre statt. Die Initiatoren sahen, ergriffen von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, in RfP eine Möglichkeit, durch den interreligiösen Dialog Friedensarbeit zu leisten. In der Deklaration der 10. Weltversammlung wird dieser Ansatz in der Verpflichtung formuliert, „das Gemeinwohl für alle zu fördern, indem wir gewalttätige Konflikte verhindern und transformieren, gerechte und harmonische Gesellschaften fördern, die nachhaltige und ganzheitliche menschliche Entwicklung unterstützen und die Erde schützen“.

Zur Realisierung dieser Botschaft schafft RfP Begegnungsräume für verschiedene religiöse Gruppierungen. In Deutschland werden solche Begegnungen durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens getragen, aber der globale Kontext zeigt, wie riskant und herausfordernd die interreligiöse Begegnung sein kann. So lässt sich etwa an einer nigerianischen Delegation von Christen und Muslimen in Zeiten des Terrors von Boko Haram erkennen, welche existenzielle Dimension der interreligiöse Dialog besitzen kann. Die nigerianische Ordensschwester Agatha berichtet in „Zeit Online“, dass sie sich in ihrer Heimat gegen Religionshass einsetzt, indem sie „Räume für den Dialog“ schafft. Während solcher Begegnungen werden Konflikte zwischen Christen und Muslimen offen benannt. Schwester Agatha erzählt, dass dort geschrien und geweint wird. Erst wenn alle Vorwürfe und alles Leid offen ausgesprochen sind, seien die Beteiligten in der Lage, Verständnis füreinander zu entwickeln.1 An diesem Beispiel zeigt sich, wie programmatisch der Name der interreligiösen Allianz zu verstehen ist: Religions for Peace verfolgt ganz konkrete Ziele für das Miteinander in der Welt. Im Vordergrund steht das gemeinsame Handeln für den Frieden. Theologische Kontroversen über religiöse Wahrheitsansprüche werden hingegen vernachlässigt. Religiöse Differenzen werden vielmehr gewürdigt, wenn es dem Frieden dient.2

Als inhaltliche Kompromissformel beim Reden über den religiösen Grund von RfP in öffentlichen Stellungnahmen haben sich die Teilnehmenden auf die Formel „des Heiligen“ geeinigt. Die gemeinsame Aktion basiert auf der Überzeugung, dass die „unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Heiligen und mit allem, was durch das Heilige hervorgerufen oder vom Heiligen umschlossen wird“, eine gemeinsame Haltung für das Gemeinwohl und den Frieden bedeuten.3 Denn allen Erfahrungen mit dem Heiligen sei eine Beziehungsorientierung gemein, die zur Gemeinwohlorientierung verpflichte.4

Die Zusammenkunft der Weltversammlung von RfP wurde vom Auswärtigen Amt unterstützt. Mit seiner Abteilung „Religion und Außenpolitik“ hat es die Versammlung inhaltlich und organisatorisch begleitet. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Bundespräsidenten, der in seiner Rede betonte, dass Religionen ihre Wahrheitsansprüche im interreligiösen Dialog nicht aufgeben müssen bzw. es nicht können, wenn sie glaubwürdig bleiben wollen. Religiöse Personen seien jedoch dazu angehalten, ihre Glaubensüberzeugung ausschließlich friedlich zu vertreten. Die Unterschiede von religiösen Bekenntnissen dürfen das Zusammenleben, so Steinmeier, keinesfalls gefährden und für Hass und Gewalt instrumentalisiert werden.

Die Versammlung von RfP setzt sich dafür ein, dass dieses Ideal des Friedens weltweit stärker zur Geltung kommt. Konkret haben die Delegierten auf der Versammlung unter anderem folgende Schwerpunkte gesetzt: Sie wollen sich für die Stärkung von positivem Frieden in multireligiösen Kontexten einsetzen. Sie fordern öffentliche Akte der Vergebung und Versöhnung, da nur auf diese Weise Neuanfänge möglich werden. Sie setzen sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel ein und haben hierzu etwa eine interreligiöse Regenwaldinitiative eingerichtet. Zudem möchten sie die positive Rolle der Frauen bei Konfliktverhütung und -transformation fördern und stärker würdigen. Dies hat die Versammlung selbst praktisch umgesetzt, indem sie mit Azza Karam die erste weibliche Generalsekretärin von Religions for Peace gewählt hat.


Anmerkungen

1 Vgl. Zeit Online: www.zeit.de/2019/36/religions-for-peace-lindau-treffen-religionsfuehrer-frieden-toleranz.
2 Vgl. Deklaration der 10. Weltversammlung von RfP.
3 Ebd.
4 Vgl. ebd.