Kirche

Religiöse Jugendfeiern etablieren sich

Nach wie vor ist in den östlichen Bundesländern die Jugendweihe als ein wichtiges Ritual im Familienleben weit verbreitet. Zugleich nehmen relativ wenige Jugendliche an Konfirmation bzw. Firmung teil, was als sichtbares Zeichen für die tiefe Entfremdung vieler Menschen von Kirche und Religion gedeutet werden muss. Auf diesem Hintergrund müssen viele Menschen gar nicht überlegen, ob sie ihre Kinder zur Konfirmation oder zur Jugendweihe anmelden. Denn die Konfirmation als Bestätigung der Taufe und als Bekenntnis zum christlichen Glauben setzt eine Haltung voraus, die vielen Familien fremd ist. So wählen sie die säkulare und teilweise atheistisch unterfütterte Jugendweihe, zumal ihnen diese biografisch vertraut ist.

Viel wurde in den vergangenen Jahren diskutiert, ob sich Auswege aus diesem Dilemma finden. 1998 fanden im Dom zu Erfurt die ersten „Feiern zur Lebenswende“ statt. Der (damalige) Dompropst Reinhard Hauke hatte das Fest angeregt, um den Schülern des katholischen Gymnasiums eine annehmbare Alternative zur Jugendweihe zu bieten. Schon bald wurden auch im evangelischen Kontext ähnlich Versuche gestartet. Strittig war und ist bis heute die Frage, ob solche religiösen Jugendfeiern die ohnehin schwache Praxis von Konfirmation und Firmung weiter beschädigen oder ob sie als eigenständige Segenshandlung neben den Kirchen Bestand haben können. Der im evangelischen Bereich häufig zu hörende Vorwurf, es handle sich um eine „Konfirmation light“ machte und macht die Runde. So ist der „Forschungsstelle religiöse Kommunikations- und Lernprozesse“ an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg zu danken, dass sie im April 2015 zu einer Tagung über diese religiösen Jugendfeiern eingeladen hat.

In einem Vortrag berichtete Emilia Handke, die über dieses Thema promoviert, dass derzeit etwa 30 religiöse Jugendfeiern in Ostdeutschland stattfinden, eine Mehrheit davon an Schulen in katholischer Trägerschaft. In Halle/Saale nehmen in diesem Jahre etwa 500 14-Jährige an einer solchen Feier teil. Damit erreichen die religiösen Jugendfeiern in der Saalestadt fast dreimal so viele Jugendliche wie die Konfirmation. Ohnehin zeichnete Handke, die umfangreiches Datenmaterial zusammengetragen und ausgewertet hat, ein erstaunliches Bild von der Lage in Ostdeutschland. Nach ihren Berechnungen besucht etwa die Hälfte der 14-Jährigen überhaupt kein öffentliches Ritual; also weder Jugendweihe, Konfirmation noch Firmung. Damit bestätigt sie den Eindruck, dass die Teilnahme an der Jugendweihe rückläufig ist. Etwa 30 % der ostdeutschen Jugendlichen besuchen nach ihren Angaben die Jugendweihe des Vereins „Jugendweihe Deutschland e. V.“, etwa 5 % die Jugendweihe (hier: Jugendfeier) des „Humanistischen Verbands Deutschlands“, etwa 14 % gehen zur Konfirmation, und ca. 3 % nehmen an der Firmung teil.

Folgt man diesen Zahlen, dann erreicht die kirchliche Jugendarbeit im Osten weniger als ein Fünftel aller Jugendlichen. Auf diesem Hintergrund wird man die Frage nach einer Segensfeier für Konfessionslose neu stellen müssen. Denn im Osten ist die Mehrheit der Jugendlichen nicht getauft, sie hat keinerlei Beziehungen zu Kirche und Religion und dürfte auch keinen Anlass sehen, dies in absehbarer Zeit zu ändern. Es besteht jedoch, so ist immer wieder zu hören, ein Bedarf, den Abschied vom Kindesalter mit einer Segensfeier zu würdigen.

Bei der genannten Tagung stellten Vertreter der Evangelischen Sekundarschule Haldensleben ihre Segensfeier vor. Sie betonten, dass diese keine Alternative zur Konfirmation sein soll, wohl aber zur Jugendweihe. Nach ihrer Beobachtung hat die Segensfeier keinerlei negative Auswirkungen auf die Konfirmation im Ort. Einige Schüler besuchten Segensfeier und Konfirmation; keiner hat bisher an Segensfeier und Jugendweihe teilgenommen. Aus Sicht der Schulleitung geht es darum, Jugendliche an einem biografischen Wendepunkt zu begleiten und sinnstiftende Orientierung zu geben. Man will Spiritualität und Glauben ermöglichen und Wege zur Interaktion mit Gott eröffnen. Sicher: Aus Sicht der Veranstalter haben die Segensfeiern auch einen im weiteren Sinn missionarischen Charakter. Man möchte einen Zugang zum Evangelium eröffnen und Kontakt zur evangelischen Jugendarbeit ermöglichen. Letzteres erfolgt eher indirekt, da die Jugendlichen auf jeden Missionierungsversuch (oder das, was sie dafür halten) äußerst empfindlich reagieren. Auf die Frage, was denn nun der Unterschied zwischen der Segensfeier und einer Konfirmation sei, heißt es: Die Segensfeier folgt dem Motto: „Ich werde gesegnet“; die Konfirmation: „Ich bekenne mich zum Glauben“. Es gibt an der Evangelischen Sekundarschule Haldensleben ein anspruchsvolles Vorbereitungsprogramm mit Besuchen in sozialen Einrichtungen, Gesprächen über Sinn und Zweck einer Segenshandlung, Exkursionen usw.

Es ist relativ leicht, den religiösen Jugendfeiern mit kritischen Anmerkungen zu begegnen. Auch auf der Tagung wurden Bedenken laut. So kann man fragen, ob eine Segensfeier in einer Kirche nicht eine „Mogelpackung“ ist, ob solche Feiern nur in einem geschlossenen sozialen System wie einer Schule möglich sind, ob sie nicht doch Konfirmation und Firmung schwächen, welche Nachhaltigkeit eine Segenshandlung ohne jegliche Einbettung in die Gemeinde und ohne Unterfütterung im täglichen Leben hat usw. Man sollte jedoch auch würdigen, dass hier Neuland beschritten wird. Wir brauchen neue Ideen, wie kirchenferne Menschen im Osten angesprochen werden können und wie man verschüttete Zugänge zur Spiritualität bei Menschen öffnet, denen alles Kirchliche suspekt ist. Wie man hört, erinnern bereits jetzt viele Schulabgänger ihre Segensfeier als besonderen Höhepunkt ihres schulischen Lebens. Wenn dem so ist, könnten auch die Schulen in kirchlicher Trägerschaft mithilfe der Segensfeiern ihr Profil schärfen.


Andreas Fincke, Erfurt