Alternative Medizin

Reiki in der Unfallklinik

Rund 4000 Reiki-Behandlungen jährlich sollen ab jetzt im Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) gegeben werden. Dazu ist das Personal jüngst von drei auf fünf festangestellte Entspannungs-Therapeuten aufgestockt worden, berichtet das Reiki-Magazin 2/2012. 70 Mitarbeiter der Klinik im Pflegebereich und eine Ärztin praktizieren Reiki auch privat, heißt es weiter. Während die Krankenkassen sich bei Reiki sehr bedeckt halten, geht die berufsgenossenschaftliche Unfallklinik im Osten Berlins offenbar pragmatisch vor: Bezahlt wird, was hilft. Ausschlaggebend für die Öffnung für Reiki seit 2008 war demnach allein die positive Resonanz bei den Patienten.

Das ukb mit 85 000 Behandlungsfällen im Jahr ist als Lehrkrankenhaus der Berliner Charité ein Ort modernster Technik und der Schulmedizin. Für den ProReiki Berufsverband ist die mehrjährige „Geschichte eines Zusammenwirkens von Schulmedizin und Reiki“ schon deshalb ein Grund zur Freude. ProReiki-Mitglied Marc Bendach, Reiki-Lehrer und Bewegungstrainer im Rehabereich, konnte die Behandlungsmethode am ukb einführen, das im Bereich der Schmerztherapie, bei der die klassische Schulmedizin an ihre Grenzen stößt, neue Wege geht. In einer „multimodalen Schmerztherapie“ werden in einem „ganzheitlichen Therapiekonzept“ zur Behandlung chronischer Schmerzen verschiedene Module eingesetzt, darunter Bio-Feedback, Genusstraining, Achtsamkeits-Training, Qi Gong, Yoga und Reiki. Letzteres habe sich aus Patientensicht als das erfolgreichste Angebot erwiesen, teilt das Reiki-Magazin mit. Wegen des Erfolgs wird Reiki neuerdings auch in das Programm anderer Reha-Bereiche am ukb aufgenommen. Zwar werde die erste Behandlung oft als ermüdend erfahren, es komme auch zur sogenannten „Erstverschlimmerung“. Doch Entspannung führe zu Schmerzlinderung, und Reiki bereite oftmals den Boden „für die psychische Verarbeitung des Unfalls“.

Auf der Homepage des ukb heißt es lapidar, es würden „spezielle Techniken“ eingesetzt. Und weiter: „Das dabei eingesetzte bio-psychosoziale Modell berücksichtigt sowohl körperliche als auch psychische und soziale Einflussfaktoren und ermöglicht ein umfassendes und individuell angepasstes Therapiekonzept in allen Phasen. Ausgestattet mit einem psychosomatischen Krankheitsverständnis und geprägt durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Schmerztherapeuten, Psychologen, Physiotherapeuten und weiteren Spezialisten bietet das ukb ... ein komplexes und innovatives Angebot zur Therapie von chronischen Schmerzen in Deutschland“ (www.ukb.de/de/main/schmerzrehabilitation_2.htm).

Für den Betrachter von außen (und für den Patienten?) bleibt zunächst unklar, ob der religiös-weltanschauliche Hintergrund von Reiki als esoterisches Heilungssystem am ukb transparent wird. Immerhin ist „Reiki an sich ... mehr als eine Heilungsmethode. Es ist eine spirituelle Disziplin und ein entscheidendes Werkzeug für das eigene Erwachen.“ „Im Reiki-Heilungssystem wird die Schwingungsfrequenz des physischen und energetischen Körpers mit Hilfe von Energieübertragung erhöht, was uns ermöglicht, mehr Energie aufzunehmen und durch uns hindurch fließen zu lassen. Dieser verstärkte Energiefluss wirkt sich auf uns selbst und unsere Umgebung aus und erhöht außerdem die Schwingungsrate der ganzen Erde. Reiki verstärkt unsere Intuition und verbindet uns mit unserem Höheren Selbst, so dass wir eine weite und klare Sichtweise erhalten. Wir bekommen eine Ahnung davon, dass wir weder von unserem eigenen göttlichen Wesen, noch vom göttlichen Wesen anderer Menschen, getrennt sind. Wir sind alle EINS. Dieses Wissen schenkt uns unglaublichen Trost und Segen und bringt Heilung für die ganze Welt.“ (So die Reiki-Lehrerin und Heilerin Tanmaya Honervogt, Reiki-Magazin 1/2008, 13.15) Der Magazin-Herausgeber Oliver Klatt bezeichnet Reiki als „ein in sich vollständiges System der Energieheilung“, für dessen Anwendung der „zentrale Vorgang der Einweihung“ erforderlich ist, der „kaum anders als mit der Existenz übernatürlicher Mächte zu erklären“ sei (Die Reiki-Systeme der Welt, Aitrang 2004, 205). Reiki könne „nicht wenig dazu beitragen, die Welt zu retten und den Geist der Menschen zu ergänzen“ (Oliver Klatt / Norbert Lindner, Reiki und Schulmedizin, Aitrang 2005, 39).

ProReiki, der Berufsverband für professionelle Praktizierende und Reiki-Meister/-Lehrer, wurde im Juli 2011 gegründet. Knapp 20 Personen standen am Anfang der Initiative, der Verband hat inzwischen etwa 140 Mitglieder. An der ersten Jahreshauptversammlung im April 2012 nahmen rund 50 Personen teil. Die breite inhaltliche Ausrichtung über die Grenzen von Richtungen und Linien hinweg wurde von Anfang an ebenso in den Blick genommen wie die Formulierung von „gemeinsamen Werten“. Ziel ist es, gegenüber staatlichen Institutionen und Organisationen des Gesundheitswesens mit einer Stimme aufzutreten und sich für die Interessen der Reiki-Praktizierenden in Deutschland einzusetzen. Dabei geht es vor allem um die Anerkennung von Usui-Reiki (und damit nur um ein Segment der vielfältigen Reiki-Szenen) als Maßnahme zur Gesundheitsprävention und -pflege. In einer „Berufsordnung“ wird ein Verhaltenskodex der professionell praktizierenden Reiki-Anwender und -Lehrer festgelegt. Zu deren Berufspflichten gehört es, Klienten vor Behandlungsbeginn schriftlich darüber zu informieren, dass ihre Tätigkeit die Tätigkeit eines Arztes oder Heilpraktikers nicht ersetzt.

Eine heftige interne Debatte ist darüber entbrannt, inwiefern der detaillierte Nachweis der eigenen „Linie“ (gleichsam der spirituellen Genealogie, die bis zum Gründer Usui zurückreichen muss), der von ProReiki von aktiven Mitgliedern verlangt wird, notwendig und sinnvoll ist.


Friedmann Eißler