Kai Funkschmidt

Querdenker weniger rechts und weniger christlich als angenommen

Unabhängig voneinander haben Bundeskriminalamt (BKA) und Universität Basel die Querdenkerbewegung analysiert. Die Bewegung ist demnach stärker esoterisch und grün als christlich-evangelikal und rechtsextrem geprägt – was sich aber zum Teil ändern könnte.

Kurz bevor der baden-württembergische Verfassungsschutz bekanntgab, er werde künftig die Querdenkerbewegung und insbesondere den Gründer von „Querdenken 711“, Michael Ballweg, beobachten,1  tauchte im Internet ein als „Verschlusssache“ eingestuftes internes Analysepapier des BKA auf („PMK/A Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der ‚Covid-19‘-Pandemie“, 27.11.2020). Dessen Echtheit wurde später vom BKA bestätigt. Das Papier wurde von Querdenker-Webseiten schnell weiterverbreitet und positiv kommentiert. Offenbar fühlte man sich bei aller darin enthaltenen Kritik von manchen weit verbreiteten Vorwürfen freigesprochen.

Das BKA kommt zu einem unklaren bis verwirrenden Lagebild, das einerseits warnt, andererseits der üblichen Berichterstattung in bestimmten Punkten widerspricht. Kleine Corona-Protestveranstaltungen seien demnach im Hinblick auf Gewalt und Befolgung von Hygieneregeln überwiegend unproblematisch. Anders bei den Großdemonstrationen, wo man eine „signifikante Progression zur Gewaltanwendung“ feststelle. Das BKA kann daher eine „belastbare Gefährdungsbewertung nicht in Gänze“ geben. Man habe es mit einer unklaren „Mischszene“ zu tun, die aber „zumindest partiell staatskritische bis staatsfeindliche Haltung“ zeige. Ausführlich geht das Papier auf die Verschwörungserzählungen ein. „Besonders antisemitisch konnotierte Narrative und Ressentiments werden fortlaufend geschürt.“

Das Bild der „rechtsextremen“ Corona-Proteste scheint man aber differenzieren beziehungsweise einschränken zu müssen. Zwar bestehe die Möglichkeit weiterer Eskalation, Radikalisierung und wachsender Gewaltbereitschaft insbesondere „bei Einzelpersonen bzw. Kleinstgruppen“, doch könne „eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden“. „Ein Überschwappen etwaiger Radikalisierungsprozesse auf breitere zivil-demokratische Bevölkerungsschichten steht derzeit weiterhin nicht zu erwarten.“ Obwohl bekannte Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten und Reichsbürger die Bewegung zur Agitation nutzen und dort „deutliche Mobilisierungsbestrebungen“ beobachtet würden, sei die Beteiligung dieser Gruppen bislang „nicht prägender Natur“.

Zur Gewalt auf Querdenker-Demonstrationen meint das BKA, diese scheine „insgesamt von einer ‚radikalen‘ Minderheit auszugehen“, deren Zusammensetzung „nur schwer definierbar ist … Auch inwiefern Personen aus der rechten Szene an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt waren, kann aktuell nicht valide beurteilt werden.“ Das BKA weiß offenbar nicht genau, wer die gewalttätigen Teile der Querdenken-Bewegung sind, weil bisweilen auch ursprünglich „nicht gewaltgeneigte Teilnehmer“ zu „Solidarisierungsaktionen“ mitgerissen werden. Ganz am Ende wird auf die Gefahr einer „polizeilich schwer … prognostizierbaren“ Tat eines verschwörungsgläubigen Täters hingewiesen. Hier stehen vermutlich die Erfahrung der Attentate von Halle und Hanau im Hintergrund.

Medial kaum rezipiert wurden jene Passagen des BKA-Papiers, welche die Antifa im Corona-Zusammenhang thematisieren. Von dort gebe es massive Gewalt gegen die Querdenken-Demonstranten. Demnach „suchen autarke Kleingruppen (vermutlich aus dem linken Spektrum) gezielt die Konfrontation mit Teilnehmern der Proteste“. Diese „antifaschistischen Interventionen in Form von (schweren) Gewalttaten“ reichten „bis hin zu versuchten Tötungsdelikten“. Neben „Rechten“ würden „irrtümlicherweise“ auch normale Teilnehmer der Demonstrationen angegriffen und verletzt. Außerdem würden Rechte wie Linke gegen die Polizei gewalttätig. Zugleich „konnte eine Verschärfung im ohnehin eskalationsträchtigen Konfrontationsverhältnis Rechts/Links festgestellt werden. Dies könnte sich … bei einer weiteren Zunahme bzw. auch Radikalisierung der Proteste und insbesondere bei einer ggf. ansteigenden Beteiligung rechtsorientierter Klientel weiter fortsetzen.“ Das BKA bestätigt also den Augenschein: Es handelt sich um ein heterogenes Protestmilieu, dessen Symbolik von Reichsflaggen bis zu Mahatma-Gandhi-Bildern, Regenbogen- und „Peace“-Fahnen reicht.

Wenig später veröffentlichten Forscher der Universität Basel eine Studie auf Grundlage einer (nicht repräsentativen) Umfrage unter Teilnehmern von Querdenker-„Telegram“-Gruppen.2  Dieser Nachrichtendienst ist für die Koordination der Bewegung äußerst wichtig. Auf ihn hatte auch das Bwiesen. Nach der Befragung von 1150 Personen fanden die Schweizer Soziologen, die Bewegung sei relativ alt (Medianalter 47), weiblich (60 %) und akademisch: 31 % haben Abitur und 34 % einen Studienabschluss, Selbständige sind deutlich überrepräsentiert. Die Autoren der Studie konstatieren aber vor allem eine enorme Widersprüchlichkeit. Erstaunlich etwa die Parteipräferenz, die eher grün als rechts ist: Bei der letzten Bundestagswahl wählten 23 % die Grünen, 18 % die Linke und 15 % die AfD. Im Verhältnis zu ihrem damaligen Wähleranteil sind Grüne und Linke um etwa das Doppelte überrepräsentiert. Bei der nächsten Bundestagswahl wollen aber 27 % der AfD ihre Stimme geben und nur noch 1 % den Grünen. „Es ist eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht“, so der Co-Autor Oliver Nachtwey.3

96 % der Befragten fanden, dass die „etablierten Medien“ die Bewegung und ihre Anliegen „gezielt abwerten und verzerren“. Autoritäres Denken, Fremdenfeindlichkeit oder die Verharmlosung des Nationalsozialismus seien unter den Anhängern der Bewegung allerdings weniger verbreitet, sagte Nachtwey. Außerdem sei für viele Querdenker ein ausgesprochener Hang zur Naturromantik charakteristisch: So vertrauen 41 % der Befragten ihren „Gefühlen mehr als Institutionen und Experten“, stark ausgeprägt sei der Wunsch, Schulmedizin und alternative Heilmethoden gleichzubehandeln.

Das Milieu scheint eher esoterisch als pietistisch zu sein. Kirchliche oder evangelikale Haltungen spielten nämlich entgegen vielen Medienberichten vom vergangenen Jahr bei den Querdenkern eine sehr untergeordnete Rolle.4  Nur 12 % der Befragten gaben an, in den vergangenen Monaten mindestens einmal eine Kirche besucht zu haben. Schon der Wert im Bevölkerungsdurchschnitt ist dreimal so hoch. Bei Evangelikalen und Pietisten ist der Gottesdienstbesuch noch viel höher.

Der falsche Eindruck war entstanden, weil sich größere bekanntgewordene Corona-Ausbrüche im kirchlichen Bereich in den meisten Fällen in Freikirchen und nicht in den beiden Großkirchen ereignet hatten. Das dürfte vermutlich (von dokumentierten Einzelfällen abgesehen) weniger an Querdenkerei als an kleineren Kirchenräumen, größeren Familien und dem engeren Gemeinschaftsleben liegen. Viele Gottesdienste der Volkskirchen entsprachen unfreiwillig schon vor der Pandemie den heute geltenden Abstandsregeln.


Kai Funkschmidt, 01.03.2021

 

Anmerkungen

1  Vgl. Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet „Querdenken“-Bewegung, SWR, 9.12.2020, https://tinyurl.com/vy5bzaec (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 26.2.2021). Das Dokument selbst ist auf Querdenkerwebseiten zu finden.

2  Oliver Nachtwey / Robert Schäfer / Nadine Frei: Politische Soziologie der Corona-Proteste, 17.12.2020, https://doi.org/10.31235/osf.io/zyp3f.

3  Querdenker wählen laut Untersuchung häufig Grüne, Linke und AfD, Die Zeit, 4.12.2020, https://tinyurl.com/hnc2xkek.

4  Reinhard Bingener / Rüdiger Soldt: Reiter der Apokalypse, FAZ, 3.1.2021, https://tinyurl.com/53mt9nct.