„Qatar Papers“: Muslimbruderschaftsunterstützung in Europa

Das Emirat Qatar unterstützt die weltweiten Netzwerke der islamistischen Muslimbruderschaft durch offizielle und quasi-offizielle Organisationen wie die humanitäre und entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation Qatar Charity oder die Qatar Foundation. In Europa sollen über 140 Moscheen und Einrichtungen beachtliche finanzielle Zuwendungen erhalten, weltweit sind es über 8000. Die französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot (France Inter und Le Figaro) präsentieren in ihrem neuen Buch „Qatar Papers“ ihre investigativen Recherchen, die sie in einem Dutzend französischer Städte und weiteren sechs europäischen Ländern durchgeführt haben.1

Auf knapp 300 Seiten werden finanzielle Details der Aktivitäten des Golfstaats in Europa beleuchtet, vertrauliche Dokumente erstmals veröffentlicht, Geschäftsbeziehungen transparent, Verflechtungen analysiert. In erster Linie stehen französische Projekte, aber auch die Schweiz, Italien, der Balkan oder London im Fokus. Eines der 14 Kapitel ist dem Institut Européen des Sciences Humaines (IESH) nahe Château-Chinon gewidmet, einer der Muslimbruderschaft nahestehenden Kaderschmiede, die mit dem gleichnamigen Europäischen Institut für Humanwissenschaften (EIHW) in Frankfurt am Main und weiteren Einrichtungen aus Frankreich und England in einem europäischen Institutsverbund steht.

Für Deutschland werden (nur) sechs Projekte genannt, von denen bislang vier in die Tat umgesetzt worden seien. Ausführlich wird der Penzberger Imam Benjamin Idriz vorgestellt, der für die Finanzierung des Projekts Münchner Forum für Islam (MFI) mehrfach mit Qatar Charity verhandelt hat. (Die Verhandlungen führten nicht zum Ziel, das Projekt Großmoschee in München ist ins Stocken geraten.) Die Berliner Dar-us-Salam Moschee (Neuköllner Begegnungsstätte, NBS) erhielt den Recherchen zufolge von Qatar Charity für die „Umwandlung einer [neuapostolischen; F. E.] Kirche in eine Moschee“ 400 000 von 750 000 Euro Projektkosten. Für eine Moschee in Dinslaken wurden 300 000 von 400 000 Euro bereitgestellt. Ein „Islamisches Zentrum Berlin“ wird ebenfalls genannt, das vollständig (4,4 Millionen Euro) gesponsert worden sei, wobei die Zuordnung zu einer konkreten Berliner Moschee nicht vorgenommen wird. Es dürfte das Islamische Kultur- und Erziehungszentrum (IKEZ) in Berlin-Neukölln gemeint sein.

Eine interessante Facette bietet der vollständig abgedruckte Projektantrag der Mainzer Al-Nur-Moschee (Arab Nil-Rhein Verein), in dem der Verein 2,5 Millionen Euro für den Aufbau eines islamischen Gymnasiums beantragt. Der Arab Nil-Rhein Verein gehörte mit dem erwähnten Europäischen Institut für Humanwissenschaften und über 40 weiteren Mitgliedern dem Deutsch-Islamischen Vereinsverband Rhein-Main (DIV) an, dem eine erhebliche extremistische Beeinflussung mit Bezügen zur Muslimbruderschaft bescheinigt wurde und der sich schließlich im Oktober 2018 auflöste. Der DIV war Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland. Ganz aktuell war der Arab Nil-Rhein Verein in die Schlagzeilen geraten, da ihm in zwei Gutachten Beziehungen zum Salafismus und zur Muslimbruderschaft vorgeworfen worden waren und er deshalb seinen „Al Nur Kindergarten“, die erste und einzige islamische Kita in Rheinland-Pfalz, bis Ende April schließen musste. Früher hatte es schon Ärger um Auftritte von Predigern aus dem salafitisch-wahhabitischen Spektrum in der Moschee gegeben, im Herbst 2018 wurde bekannt, dass der Verein offenbar jahrelang mit der von dem kanadischen Salafiten Abu Ameena Bilal Philips in Qatar gegründeten Islamic Online University kooperierte.

In dieses Bild passt der Projektantrag (ca. 2015) des Vereinsvorsitzenden Samy El Hagrasy und seiner Ehefrau Britta Iman Haberl, die die Leiterin des Kindergartens war. Es gebe bis auf eine Grundschule in Berlin keine islamische Schule in Deutschland und somit keine Möglichkeit, muslimische Kinder gemäß den islamischen Prinzipien ordentlich zu erziehen. Muslimische Kinder lebten in den westlichen Gesellschaften sehr gefährlich und seien in deutschen Schulen gravierend benachteiligt, vor allem Mädchen mit Kopftuch. Sie seien dem unmoralischen Verhalten der Mitschüler und der Lehrer ausgesetzt. Eine islamische Schule werde dringend gebraucht, da eine moralische Erziehung der Kinder und die Möglichkeit der Geschlechtertrennung fehlten.

Auch Tariq Ramadan kommt in den „Qatar Papers“ vor. Anscheinend hat er 35 000 Euro monatlich von Qatar erhalten, wo er seit etwa zehn Jahren in verschiedenen Funktionen tätig ist (bzw. war, Ramadan war aufgrund des Vorwurfs sexueller Übergriffe Anfang 2018 in Untersuchungshaft gekommen). Seit 2012 stand er dem Center for Islamic Legislation and Ethics (CILE) an der Universität in Doha vor.

Unabhängig von den Untersuchungen der Franzosen kam das Berliner „House of One“ in die Kritik, da es von der Qatar Foundation International finanziell unterstützt wird.2 Seit November 2018 würden ein Jahr lang mit einem Betrag im niedrigen sechsstelligen Bereich sechs Teilzeitstellen im Bildungsbereich finanziert, hieß es: je zwei christliche, jüdische und muslimische Pädagogen, zwei der Pädagogen erteilten auch Arabischunterricht an der Evangelischen Schule in Berlin-Mitte. Das House of One gab an, dass es vor dem Hintergrund der Spenden eine potenzielle Einflussnahme der Qatar Foundation International kritisch geprüft habe, aber keine Anhaltspunkte für Indoktrinierungsversuche feststellen könne.

Der Vorwurf, Qatar unterstütze die Muslimbruderschaft, spielt in den diplomatischen Auseinandersetzungen des Emirats mit den regionalen Nachbarn eine wichtige Rolle. Qatar ist nicht nur der Wohnsitz des „inoffiziellen Chefideologen“ der Muslimbruderschaft, Yusuf al-Qaradawi, sondern auch des palästinensischen Hamasführers Khaled Mashal.
 

Friedmann Eißler


Anmerkungen

  1. Christian Chesnot / Georges Malbrunot, Qatar Papers. Comment l’émirat finance l’islam de France et d’Europe, Paris 2019. Vgl. www.arabnews.com/node/1479166/middle-east .
  2. Vgl. www.bz-berlin.de/berlin/umstrittene-katar-stiftung-finanziert-lehrer-in-berlin .