Matthias Pöhlmann

Lehrprophetin, Gestalterin und Skulptur

Gabriele Wittek und die neuen Bauaktivitäten des Universellen Lebens

Seit einiger Zeit befindet sich die umstrittene Neureligion Universelles Leben (UL) in einem Prozess des Übergangs, in dem offensichtlich Weichenstellungen für die Zeit nach dem Ableben der „Lehrprophetin“ Gabriele Wittek vorgenommen werden (vgl. MdEZW 9/2018, 334-338). Es geht wohl einerseits um die Würdigung ihres 45-jährigen Wirkens, zum anderen soll ihr als letzter „Lehrprophetin“ ein irdisches Denkmal gesetzt werden. Dabei ist sie als alleinige Ideengeberin und „Gestalterin“ maßgeblich beteiligt. Dies bestätigen zwei neuere Publikationen, die Ende 2019 im hauseigenen „Gabriele Verlag – Das Wort“ im unterfränkischen Marktheidenfeld erschienen sind (www.gabriele-verlag.de). Es handelt sich um einen 540 Seiten umfassenden Bildband über das Wirken Gabriele Witteks und ihre Verdienste als maßgebliche Gestalterin der Bauwerke des UL sowie um ein 116 Seiten umfassendes Buch, das der neu errichteten „Gedenkstätte“ des UL gewidmet ist.

„Urchristliche Bauten“ in Kobaltblau, Weiß und Gold

Im unterfränkischen Michelrieth-Altfeld ist seit etlichen Jahren das Zentrum der „Urchristen“. Dort befinden sich die zwei Gebäude: die „Sophia-Bibliothek – Das Zentrum des Freien Geistes für alle Kulturen weltweit – Das Wort in Schrift, Ton und Bild“ sowie das sich daran direkt anschließende, 2018 errichtete Bauwerk „Das Zelt Gottes unter den Menschen für alle Völker dieser Erde – Die Bundeslade des Freien Geistes“. In der Sophia-Bibliothek findet der Besucher Informationsinseln, an denen er Fernseh- oder Tonaufnahmen verfolgen kann. Zu sehen sind in den Regalen viele Bücher, die man einsehen oder käuflich erwerben kann. Die Publikationen befassen sich mit den durch Gabriele Wittek angeblich neu offenbarten Erkenntnissen zu Gesundheit und Heilung, Tieren und Natur, Hilfe für ein erfülltes Leben, Gottesprophetie heute sowie zu Karma und Reinkarnation. Dort finden auch zahlreiche Veranstaltungen der „Urchristen“ statt:

„Sie sind herzlich eingeladen zu den vielfältigen Veranstaltungen, die in der Sophia Bibliothek und weiteren Veranstaltungsräumen stattfinden. Hier können Sie Aufzeichnungen von Offenbarungen des Christus-Gottes-Geistes durch das prophetische Wort der heutigen Zeit hören. Sie können an Veranstaltungen zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte teilnehmen sowie an Gesprächsrunden zu vielen Themen. Darüber hinaus werden Spaziergänge im Wald ‚Natursymphonie‘ angeboten.“1

Typisch für beide Gebäude ist die Farbe Kobaltblau. Die äußere und innere Gestaltung aller Gebäude hat die „Lehrprophetin“ vorgegeben. Die äußere Giebelseite der Sophia-Bibliothek, die in einer größeren Gartenanlage gelegen ist, ziert der goldene Schriftzug „Das ewige Wort – hier!“. In den Hauptraum der Sophia-Bibliothek, die immer wieder auch für Live-Übertragungen im UL-Sender „Die neue Zeit“ genutzt wird, gelangt man durch seitlich mit Quasten gehaltene Vorhänge aus dunkelblauem Samt. Sie trennen bei Bedarf den Hauptraum vom Eingangsbereich. Im Inneren des Gebäudes dominiert ebenfalls die Farbe Blau, die mit Weiß und Gold kombiniert wird.

Im Oktober 2019 erschien der Bildband „Die Gestalterin aus dem Reich Gottes – Gabriele“2, mit dem das Wirken der mittlerweile im 87. Lebensjahr stehenden „Lehrprophetin“ gewürdigt und „ein kleiner Einblick“ in ihre Verdienste vermittelt werden soll. Um es vorwegzunehmen: Die Publikation entwirft eine umfassende Hagiografie Gabriele Witteks. Fast hat es den Anschein, als wolle der Herausgeber Martin Kübli ihr damit noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen. Kübli ist neben Ulrich Seifert und Gert-Joachim Hetzel in der Geschäftsführung der Internationalen Gabriele-Stiftung Verwaltungs-GmbH im unterfränkischen Marktheidenfeld tätig. Wie er im Vorwort schreibt, hätte das schöpferische Wirken Witteks mehrere Bände erfordert. Dementsprechend vermittle dieser schwergewichtige Band nur einen kleinen Einblick in das Wirken der „Gestalterin“ (6).

In unterwürfiger Ehrerbietung gegenüber Gabriele und reichlich überschwänglich lobt Kübli ihre Ideen, Baupläne und Zeichnungen. Der mit vielen Fotos illustrierte Bildband dokumentiert u. a. Pläne aus den 1980er Jahren zum Aufbau von „Neu-Jerusalem“. Zu sehen ist die UL-typische Architektur mit Rundbauten. Vieles wurde nie verwirklicht – wie etwa ein „Harmoniezentrum“ in Kleeblattform oder Wohngebäude in Pilz-, Apfel-, Birnen- und Bananenform. Einzelne Bauten mussten behördlichen Auflagen angepasst werden. Kübli schreibt rückblickend: „Einer der Gründe war, dass die damals zuständigen Baubehörden in dem von kirchlichen Institutionen geprägten Umfeld keine Genehmigung für diese Bauformen geben wollten“ (69).

Interessante Details über die Hintergründe der Errichtung des „Zeltes Gottes“, des jüngsten Bauprojekts des UL, erfährt der Leser im Bildband an anderer Stelle. Demnach forderte Gabriele Wittek Mitte 2016, angeblich auf Anregung durch „das Reich Gottes“ (75), dieses Gebäude zu errichten und dafür Spenden einzuwerben. Die – ebenfalls von der „Lehrprophetin“ vorgegebene – Innenmalerei zeigt zahlreiche Tiere und Pflanzen. Auch ein überdimensionierter marmorierter Fels befindet sich im „Zelt Gottes“: Er steht in einem Wasserbecken mit sieben sprudelnden Steinen und trägt die Inschrift „Ich bin das Gesetz urewig“. Umgeben ist der Stein von vier Doppelsäulen, auf deren oberen Kapitellen sich jeweils eine Skulptur befindet. Es handelt sich um eine Eule, die die Weisheit symbolisieren soll. Unterhalb dieser Eulen ist eine Papyrusrolle mit einer Botschaft zu sehen: „Ich bin die Einheit – Du bist in mir“. Über die eigentliche Bedeutung des in Blau gehaltenen und 2018 vollendeten Rundbaus, der mit dem eher bombastisch anmutenden Wortungetüm „Die Bundeslade des Freien Geistes, das Zelt Gottes unter den Menschen für alle Völker dieser Erde“ bezeichnet wird, ist zu lesen, dass er „die Herberge des Wortes Gottes“ sei, „gegeben durch alle Gottespropheten von Abraham bis Gabriele“. Und weiter heißt es:

„Es beherbergt einzig Sein Wort in Seinem Werk, dem weltweiten Christus-Gottes-Werk, gefasst in den großen Bänden ‚Die Biographie des Christus-Gottes-Werkes – Das Ewige Wort von Abraham bis Gabriele‘“ (129).

Damit soll offensichtlich ein „Neuoffenbarungskanon“ in Buchform geschaffen werden. Wie die Bilder erkennen lassen, handelt es sich um die Botschaften, die Gabriele Wittek in den vergangenen vier Jahrzehnten empfangen haben soll. Die blau gebundenen Bände sind bislang nicht allgemein zugänglich. Sie liegen im „Zelt Gottes“ auf weißen Lesetischen zur Ansicht aus. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, an sog. Hörtischen die Botschaften in mehreren Sprachen über Kopfhörer anzuhören.

Auf die Gestaltung der „Sophia-Bibliothek“ geht ein eigener Abschnitt des Bildbandes ein. Besonders interessant ist der Eingangsbereich. Dort finden sich eine Skulptur Gabriele Witteks und eine Skulptur, die den Cherub der göttlichen Weisheit symbolisieren soll. Die sonst öffentlichkeitsscheue Lehrprophetin wurde, wie es heißt, auf Wunsch von jungen „Urchristen“ als Skulptur modelliert. Dies überrascht umso mehr, als es nur sehr wenige Fotografien von Gabriele Wittek gibt. Die Skulptur zeigt die Lehrprophetin im Jahr ihrer Berufung am 6. Januar 1975. Dem Autor dieser Zeilen fiel vor Jahren beim Besuch der Sophia-Bibliothek auf, dass beide Skulpturen von zwei modellierten Vögeln umrahmt werden, die auf einem erhöhten Felsen stehen. Sie sind auch in dem neuen Bildband zu sehen (171). Es soll sich dabei um „wachsame Rote Milane“ handeln.

Weitere Kapitel des Bildbandes befassen sich mit der Wohngestalterin und Inneneinrichterin Gabriele bei den sog. Sophia-Spessarthäusern. Die auf ihrem „Ideenreichtum“ beruhenden „Wohnoasen“ wird mancher Betrachter als überladen und kitschig empfinden. Ein abschließendes Kapitel dokumentiert reich bebildert „das Land des Friedens – das Land der Tiere der Internationalen Gabriele-Stiftungen“. In „Terra Nova“, einem mehrere hunderte Hektar umfassenden Areal, befindet sich seit kurzem ein Informationszentrum, das Landhofcafé „Das nimmer leere Haferl“ sowie ein kleiner Hofladen. Auf dem Land „Terra Nova“ gibt es auch einen „Christus-Felsenbrunnen“, auf dem sich ebenfalls eine Gabriele-Skulptur befindet, die von italienischen Bildhauern gefertigt wurde (511). Auffällig ist die Haltung ihrer Hände: Sie sind in der Herzgegend auf die Brust gelegt. Damit soll ein inneres Beten zum Ausdruck gebracht werden, da – so die Mitteilung der Lehrprophetin – Gott im Menschen wohne.

„Gedenkstätte“

Schon vor etlichen Jahren haben die „Urchristen“ mit ihrer Initiative „Ein Mahnmal für die Millionen Kirchenopfer“ (www.kirchenopfer.de) von sich reden gemacht. Neu ist die von Gabriele Wittek angeregte „Gedenkstätte für alle wahren Gottespropheten und Gottesprophetinnen und alle gerechten Männer und Frauen in der Nachfolge des Jesus, des Christus“. Sie befindet sich auf einem angelegten Hügel in unmittelbarer Nähe des neuen Monumentalbaus „Das Zelt Gottes“. Die Texte der einzelnen Schrifttafeln dokumentiert das im Dezember 2019 im Gabriele-Verlag erschienene gleichnamige Buch.3

Inmitten der UL-„Gedenkstätte“ steht das „Auferstehungskreuz des Christus Gottes“. Es ist umgeben von vielen weiteren Kreuzen, die jeweils bekannte Namen aus der biblischen Überlieferung zieren, so u. a. Noah, Hiob, Abraham, Jesaja oder Johannes der Täufer, Zacharias, Jesus von Nazareth, Stephanus, Johannes von Patmos. Den Heidenapostel Paulus von Tarsus sucht man indes vergeblich. Gedenktafeln finden sich u. a. zu Priscilla, Maximilia, Montanus, zu Bogumilen, Katharern, Zwickauer Propheten und zu den „Brüdern und Schwestern des Freien Geistes“. Weitere Gedenktafeln sind dem Völkermord an den Indianern und schließlich der „Verfolgung der Prophetin und Botschafterin Gottes, Gabriele, und der Urchristen heute“ gewidmet. Nach ihren Urhebern sollen die Schrifttafeln folgenden Zweck erfüllen:

„Sie zeigen nur einen winzigen Ausschnitt aus dem jahrtausendealten Wüten der diabolisch grausamen Tradition der Priesterkasten aller Zeiten gegen die gerechten und erleuchteten Männer und Frauen, die als Wegbereiter oder Nachfolger des Jesus, des Christus, lebten und wegen ihres Wirkens in der Gottes- und Nächstenliebe verfolgt wurden“ (6).

Der Bogen der Gottesboten wird von „Abraham bis Gabriele“ gezogen. Die Intention ist klar: Die „Urchristen“ des UL sehen sich in einer Traditionslinie der Verfolgten und Ausgegrenzten:

„Die Gottesprophetin Gabriele wurde zur Zielscheibe infamster Angriffe des römischen Klerus und seines Ablegers [d. i. die evangelisch-lutherische Kirche; MP], Lügen und Verdrehungen, Beleidigungen und Anwürfe unflätigster Art – wie sie in ihrer Verlogenheit nur die Abkömmlinge der Priesterkaste, der Mörder von Jesus von Nazareth und der Prophetenmörder aller Zeiten hervorbringen konnten – schöpften die klerikalen Experten fortan aus dem übelriechenden Fundus ihrer dämonischen Ungeheuerlichkeiten“ (108).

Die Diktion ist eindeutig und voller Polemik:

„Umso mehr verlegten sich die Priestermänner und ihre Vasallen auf Rufmord, Verleumdung, Existenzvernichtung und vielfachen Rechtsbruch. Sie installierten ein landesweites Netz von Inquisitoren in Kirche, Staat und Gesellschaft, mit dem sie durch Lüge und Drohung gegen das Wort Gottes zu Feld zogen und versuchten mit Hilfe ihrer Kirchenmilliarden das Wort Gottes durch Verleumdung der Prophetin Gottes zu unterdrücken und gleichzeitig die Lebensgrundlagen von möglichst vielen Männern, Frauen und Kindern zu zerstören“ (110).

Bei den einzelnen Schrifttafeln werden die wahren Gottesboten als Opfer von Teufel und Priesterkaste beschrieben. Zum Propheten Jesaja heißt es in höchst eigenwilliger „urchristlicher“ Interpretation:

„Der Teufel hörte die Botschaft Gottes durch Jesaja. Der teuflische Ruf von gestern ist der teuflische Ruf von heute. Priestergebete, Schlachtopfer und Kultopfer sind nichts weiter als blutrünstiges Gebaren, wodurch die Verachtung des Einen Gottes durch die Körperzellen vieler Menschen schreit“ (27).

In typischer UL-Diktion richtet sich der Hass gegen „Priestermänner“, „Verleumdungsbeauftragte“ und „Rufmordexperten“, die als Vasallen des Dämons versuchten, die Prophetin zum Schweigen zu bringen und das „Ewige Wort“ „totzuschweigen“ (107).

Ein Fazit

Die beiden Neuerscheinungen aus dem Gabriele-Verlag dokumentieren ältere und neueste Bauaktivitäten des UL. Dabei soll das 45-jährige Wirken der Lehrprophetin in besonders leuchtenden Farben vor Augen geführt werden. Sie bleibt für die „Urchristen“ Maßstab und Verpflichtung. Die Absicht der Herausgeber ist klar: Damit soll der Ideengeberin Gabriele in hagiografischer Form Ehre und höchste Wertschätzung zuteilwerden – eine Anerkennung, die ihr von der Außenwelt, besonders von Staat, Kirchen und Medien, während ihres 45-jährigen Lehrprophetinnen-Daseins versagt geblieben ist. Daher werden Vertreter des UL nicht müde, die christlichen Kirchen und ihre Vertreter verbal zu attackieren und zu verunglimpfen. Theologinnen und Theologen werden als Baalspriester, Priesterkaste oder Verleumdungsbeauftragte diffamiert. Durch die gezielte Abgrenzungsrhetorik und nicht zuletzt durch die übersteigerte Berufung auf interne Harmonie, die ihrerseits Druck verursacht, versuchen „Urchristen“, vom Konfliktpotenzial der eigenen Organisation abzulenken.

Die neu errichtete Gedenkstätte wird zum UL-spezifischen Dokumentationszentrum: Die tendenziösen, ahistorischen Beiträge, Unterstellungen und Behauptungen auf den dort angebrachten Lesetafeln wirken absurd bis skurril. Sie sagen mehr über die UL-Ideologie als über die jeweiligen Gestalten und Personengruppen aus. Dass ausgerechnet eine Gruppierung, die sich in einem „messianischen und sophianischen Zeitalter“ wähnt, auf altbekannte kirchenfeindliche Stereotype zurückgreift, fällt auf sie selbst zurück.

Im Moment sind die führenden „Urchristen“ angesichts einer hochbetagten Lehrprophetin mit Bestandssicherung und Würdigung des Gabriele-Vermächtnisses befasst. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Wie die führenden „Urchristen“ die Zeit nach der von ihnen so hochgelobten „Gestalterin“ bewältigen werden, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.


Matthias Pöhlmann, 05.05.2020


Anmerkungen

  1. https://gabriele-verlag.de/sophia-bibliothek  (Abruf: 8.2.2020).
  2. Martin Kübli (Hg.): Die Gestalterin aus dem Reich Gottes – Gabriele. Ein kleiner Einblick, Marktheidenfeld 2019. Die im Folgenden im Text in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich darauf.
  3. Gabriele Verlag: Gedenkstätte für alle wahren Gottespropheten und Gottesprophetinnen und alle gerechten Männer und Frauen in der Nachfolge des Jesus, des Christus, Marktheidenfeld 2019. Die im Folgenden im Text in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich darauf.