Heiko Erhardt mit Ronja und Jonas Erhardt

Jung, brutal, gutaussehend ... antisemitisch!

Anmerkungen zum ECHO-Skandal

War was?

„Wenn du einer dieser Menschen bist, für den die Gürtellinie eine Grenze ist, du bei bitterbösen Texten auf die Bremse trittst, sind wir die falsche Band, die falsche Band für dich.“1 Worte der Rap-Band „Trailerpark“, Worte, die ausdrücken, was viele Menschen empfinden, wenn sie mit Rap jenseits der „Fantastischen Vier“ konfrontiert werden. Da sind Texte, die provozieren. Die extrem geschmacklos sind. Die unter die Gürtellinie hauen – und das wieder und wieder und mit brutaler Gewalt. Dies zumindest auf den ersten Blick.

Denn wenn man Trailerpark bewusst wahrnimmt, stellt man fest, dass hinter den oft reichlich geschmacklosen und vielfach auch pubertären Texten echte Könner stecken. Texter und Musiker auf jeden Fall, die neben reichlich Unsinn – den sie offensichtlich genießen und mit dem man durchaus Spaß haben kann – auch Tiefgang produzieren: Texte, die zum Nachdenken anregen, und Aussagen, die man politisch diskutieren kann, die aber nie und nimmer in eine rassistische, antisemitische, homophobe oder gar faschistoide Ecke gesteckt werden können. Trailerpark und speziell ihr Mastermind Lukas Strobl (besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Alligatoah“2) zeigen, dass der erste Eindruck täuschen kann und dass es gut ist, beim Hören zu denken. Denn dann erschließen sich die vielfach ironischen Texte mit ihren Anspielungen in vollem Umfang. Und trotzdem: Bei oberflächlichem Hören eine Band, die viele Menschen ratlos oder sogar erschrocken zurücklässt. Die Tatsache, dass Trailerpark vor allem in den Anfangstagen im Grunde nur die Themen Drogen, Kot und Urin kannten, schreckt sicher ab. Und trotzdem verbirgt sich hinter dem Auftritt als Bürgerschreck jede Menge Tiefgang.3

Der Umstand, dass Rap ein Musikgenre ist, das sich älteren Hörern kaum erschließt und das dementsprechend bei der Generation „Ü40“ kaum präsent ist, ist m. E. einer der Gründe, die zu einem der größten Medienskandale der Popkultur seit vielen Jahren geführt haben. Gemeint ist die diesjährige ECHO-Verleihung an Kollegah/Farid Bang, die eine extrem hitzige Diskussion zur Folge hatte und in der Konsequenz dazu führte, dass der ECHO komplett eingestellt wurde – wobei davon auszugehen ist, dass die Musikindustrie nicht auf die Möglichkeit, werbewirksam abzufeiern, verzichten wird, sodass es auch in Zukunft einen ähnlichen Preis, unter anderem Namen und mit anderem Konzept, geben wird.

Hätte man sich in der Szene ausgekannt, hätte man wissen können, wissen müssen, dass man in einem ungeheuer skandalträchtigen Umfeld unterwegs ist. Aber was war genau passiert? Und vor allem: Wie ordnet man dieses Geschehen ein? Hat man es womöglich mit einem Segment von Jugendkultur zu tun, in dem klammheimlich und unbewusst eine antisemitische, rassistische, homophobe und frauenverachtende Subkultur entstanden ist – und das unbeobachtet und unkontrolliert? Die folgenden Ausführungen versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und vor allem zu verstehen, „was denn nun schon wieder mit unserer Jugend los ist“ (was ich mehrfach von besorgten Eltern gefragt wurde).

Was war …

Der ECHO nahm für sich in Anspruch, der bedeutendste deutsche Musikpreis zu sein.4 Auch wenn es häufig so war, dass „echte“ Stars der Verleihung dieses Preises fernblieben, und auch wenn das Konzept, sich weitgehend an den Verkaufszahlen zu orientieren, häufig kritisiert wurde,5 so hatte der ECHO doch eine große mediale Breitenwirkung, war ein Ereignis, das nicht im Winkel stattfand und das nicht zu ignorieren war. Entsprechend groß waren daher auch die Reaktionen, wenn es denn mal zu Kontroversen kam: Im Jahr 2006 wurde die Band „Oomph!“ mit dem Titel „Gott ist ein Popstar“ aufgrund des gesellschaftlichen Klimas – Hintergrund war die Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen – wieder ausgeladen, und in den Jahren 2013 und 2014 gab es eine Auseinandersetzung um die Südtiroler Band „Frei.Wild“.6 Dieser Band wird bis heute eine fragwürdige Nähe zu nationalistischen und „rechten“ Parolen nachgesagt, eine Nähe, von der sich die Band nach meiner Wahrnehmung bis heute allenfalls halbherzig distanziert hat.

Diese Kontroversen freilich waren harmlos im Vergleich zu dem, was im Jahr 2018 geschah und was in der Folge zur Einstellung des Preises führte: Die Gangstarapper Kollegah und Farid Bang wurden für ihre CD „Jung, Brutal, Gutaussehend 3“ mit dem ECHO in der Kategorie Hip-Hop/Urban National ausgezeichnet. Diese Auszeichnung war rein von den Zahlen her durchaus gerechtfertigt,7 wurde aber aufgrund der von Kollegah und Farid Bang vertretenen Inhalte heftig kritisiert. Dabei wurden vor allem die Rolle des Bundesverbandes Musikindustrie, der nach kurzer Beratung die Nominierung aufrechterhielt, und der denkbar unsensible Termin (die Preisverleihung fand am 12. April statt, dem Holocaustgedenktag in Israel) kritisiert. Am Abend der Preisverleihung übte Campino, Sänger der „Toten Hosen“, deutliche Kritik an der Entscheidung, und in den folgenden Tagen gaben einige namhafte Künstler ihre bis dahin gewonnenen ECHOs unter Protest zurück. Schließlich wurde der ECHO insgesamt eingestellt.

Doch was war der Anlass für den Protest? Und wie ist dieser zu beurteilen? Der Stein des Anstoßes war zunächst nur ein einziger Satz,8 die von Farid Bang gerappte Zeile: „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“. Die Bedeutung dieser Zeile erschließt sich nur dann sofort, wenn man weiß, dass „definiert“ in der Sprache der Bodybuilder und Fitnessapologeten eine hohe Bedeutung hat9 – geht es doch um die Minimierung des Körperfettanteils. Es handelt sich daher um eine Aussage, die auf Kosten von Auschwitzopfern einen grob geschmacklosen und einfach nur abzulehnenden Vergleich anstellt.10

Der Sängerin Mariah Carey schob man vor Jahren einen ähnlich gelagerten Satz über hungernde und daher dünne Afrikanerinnen unter: „Immer, wenn ich die armen Kinder in Afrika sehe, könnte ich heulen. Ich wäre auch gerne so dünn wie sie, aber nicht mit diesen Mücken und dem Elend.“ Auch wenn dieser Satz aus einer Satiresendung stammt, irrlichtert er in verschiedenen Formen bis heute im Internet umher, und er hat den Ruf von Mariah Carey anhaltend ruiniert.11

Mit einer Ruinierung des Rufes aufgrund eines menschenverachtenden Kommentars hätte es vermutlich auch in diesem Fall sein Bewenden gehabt, wäre es nicht um Auschwitz gegangen. Auch wenn im Text gar nicht von Juden die Rede ist – wenn von Auschwitz die Rede ist, sollte jedem klar sein, dass es um grauenhafte Verbrechen in millionenfacher Zahl geht und um den Versuch, das jüdische Volk als Ganzes auszurotten. Niemand kann so naiv oder so weltfremd sein, dies nicht zu wissen. Von daher handelt es sich um eine Provokation, die nicht nur, aber auch auf das Schicksal der in Auschwitz getöteten Juden anspielt. Und auch dann, wenn man zur Verteidigung anführt, dass von Juden ja gar keine Rede sei, zeigt ein Blick auf weitere Werke von Kollegah, dass er mit antisemitischen Klischees in einer Weise umgeht, die zumindest hoch fragwürdig ist. Die WDR-Dokumentation „Die dunkle Seite des deutschen Rap“12 jedenfalls bringt einige Beispiele, die deutlich machen, dass sich Kollegah immer wieder in einer Weise verhalten hat, die man nicht anders als mit „Antisemitismus“ bezeichnen kann. So taucht in seinem Video „Apokalypse“ von 2016 ein Mann auf, der mit einem Davidstern-Ring eindeutig als Jude gekennzeichnet ist und der als Drahtzieher einer geheimen Bankenverschwörung genau dem antisemitischen Klischee entspricht. Die entschuldigende Behauptung Kollegahs, wonach es sich bei Pentagramm und Hexagramm um uralte magische Symbole handle, erinnert dann auch stark an die Verwendung des Hakenkreuzes in rechtsradikalen Kreisen. Auch hier ist natürlich alles „ganz anders“ gemeint, und der Beobachter fragt sich, wie dreist manche Menschen eigentlich sein können.

Über dieses Video hinaus bezieht Kollegah auch sehr eindeutig zugunsten der Palästinenser Stellung: Sein im November 2016 auf YouTube veröffentlichtes Video „Kollegah in Palästina“ beschreibt eine Reise in die palästinensischen Autonomiegebiete. Dieses Video, das trotz seiner eher sperrigen Länge von 77 Minuten in wenigen Tagen eine Million Klicks erntete, beschreibt den gesamten Konflikt ausschließlich aus der Sicht der Palästinenser – und das in einer Weise, dass man „gut“ (die Palästinenser) und „böse“ (die Juden) recht einfach zuordnen kann. Auch wenn Kollegah mit großem finanziellem Aufwand Menschen zu helfen gesucht hat, bleibt der fahle Nachgeschmack einer einseitigen und von daher antisemitischen Stellungnahme.13

Dies hätte man wissen können – durchaus auch vor der ECHO-Verleihung. Man hätte auch wissen können, dass Kollegah hinsichtlich Skandalen kein unbeschriebenes Blatt war: Vor allem die Absage der für den Rüsselsheimer Hessentag 2017 geplanten „Rap-Night“14 durch die Veranstalter im Februar 2017 wegen des Vorwurfs des Antisemitismus, der Homophobie und des Frauenhasses hatte zu einem großen medialen Echo geführt. Allerdings muss man auch erwähnen, dass sich Kollegah in einem offenen Brief an „Herr[n] Neumann vom Zentralrat der Juden“15 in einer differenzierten, klaren und durchaus nachvollziehbaren Weise von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen distanziert und zugleich zum Gespräch lädt.16

Da er diesen Brief allerdings auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat, gab es auch die Möglichkeit, den Brief zu kommentieren. Und wenn man die Kommentare liest, wird deutlich, dass das Umfeld, in dem Kollegah sich befindet, durchaus nicht bereit ist zu differenzieren oder eine Distanzierung als solche zu akzeptieren. Von daher stellt sich noch einmal und mit Nachdruck die Frage, wie das ganze Geschehen zu beurteilen ist.

Was ist – und wie man damit umgehen könnte

Zunächst einmal muss man festhalten, dass man für alle Vorwürfe, die gemacht werden, in den Texten vieler Rapper ausreichend Anhaltspunkte finden wird. Zeilen wie „Ich ticke Kokain an die Juden von der Börse“, ein Zitat des Rappers „Haftbefehl“, das im Jahr 2014 den Stein antisemitischer Vorwürfe ins Rollen brachte und das durch die Verwendung in einem „Tatort“ zu heftigen Protesten jüdischer Gemeinden führte, mögen noch als Beschreibung real erlebten Geschehens durchgehen (auch wenn Zweifel bleiben, ob es wirklich um erlebtes Geschehen geht). Andere Zeilen dagegen sind eindeutig – eindeutig antisemitisch17, eindeutig frauenfeindlich18, eindeutig homophob19 und eindeutig gewaltverherrlichend20. Hier kann sich die Szene auch nicht freisprechen, und Distanzierungen wirken häufig halbherzig.

Natürlich gibt es auch andere Beispiele – so etwa die politisch eindeutig links eingestellte Antilopengang, Trailerpark, KIZ oder Rapperinnen wie Sookee, Imam und Lady Bitch Ray21 – aber trotzdem ist es so, dass Texte, die Grenzen eindeutig überschreiten, so häufig vorkommen, dass es kaum noch thematisiert wird.22 Gäbe es nicht die Antisemitismusvorwürfe, würde die ganze Diskussion vielleicht gar nicht mehr geführt, weil die Gewöhnung so groß ist, oder jedenfalls nicht in dieser Schärfe. So aber sind einige Hinweise zum Umgang mit der Problematik notwendig.

Der erste Hinweis betrifft die Form des Gangsta- bzw. Battlerap. Es geht deutlich darum, mit realen oder vermeintlichen Gegnern fertig zu werden, sie im Battlerap sogar zu besiegen. Üblicherweise wird der Gegner dabei „gedisst“, also heftig und unfair beleidigt, wobei es sehr oft – und sehr ermüdend – um Sexualität, speziell um Sex mit der Mutter oder der Freundin des Gegners, geht. Neu – und für Erwachsene häufig kaum greifbar – ist, dass diese „Battles“ in aller Öffentlichkeit im Internet, meist in YouTube-Kanälen, stattfinden. Hier ist eine völlig neue Kultur der Unterhaltungsindustrie herangewachsen, die neben Battlerap auch die Kultur der sogenannten „Influencer“ hervorgebracht hat. Dass manche YouTube-Stars inzwischen ein Jahreseinkommen jenseits der Millionengrenze haben und dass diese Stars von ihren Fans verehrt werden wie Pop- oder Fußballstars, ist eine recht neue Erscheinung, die an Erwachsenen in aller Regel komplett vorbeigegangen ist. Auch das mag erklären, wie groß das Entsetzen war, als ein Teil der Szene plötzlich zur besten Sendezeit im TV präsentiert wurde.

In populären Formaten wie „JuliensBlogBattle“ oder „Rap am Mittwoch“ jedenfalls treten Rapper gegeneinander an. Eine Jury, ein Moderator und/oder die Zuschauer entscheiden nachher, wer Sieger wird. Interessant ist, dass „Rap am Mittwoch“ am 19. April 2018 nach heftigen Protesten aufgegeben wurde – es ging um wirklich schlimme Reaktionen auf einen Suizid – und dass Julien Sewering, Betreiber von „JuliensBlogBattle“, aufgrund eines absolut indiskutablen Auschwitzvergleichs wegen Volksverhetzung bestraft wurde. Die Aussage war allerdings nicht in „JuliensBlogBattle“ erfolgt, sondern in dem Parallelformat „Juliens Battle“. Dort hatte Sewering sich im Jahr 2015 angesichts des Streiks der Lokomotivführer zu der Forderung verstiegen, man möge die streikenden Lokführer allesamt in Auschwitz vergasen, und er wäre bereit, den Zug zu fahren. Da Sewering zwar immer wieder mit sehr harten Formulierungen auffällt, aber in seinen Äußerungen eindeutig Stellung gegen rechts bezieht, ist es umso bemerkenswerter, dass er in einer derart unmöglichen Art aus der Rolle fiel. Seine Einlassung, wonach es sich um eine Rolle und nicht seine persönliche Meinung gehandelt habe, wurde vom Gericht nicht geteilt. Daher wurde er zu einer Bewährungsstrafe und zu einer Geldstrafe verurteilt. Deutlich wird an beiden Beispielen, dass das Umfeld, in dem sich Gangsta- und Battlerapper bewegen, seinen Teil zu den umstrittenen Aussagen beiträgt.

Bessere Disstracks fassen dann Eigenschaften des Gegenübers ins Visier, oder sie greifen das Image, das sich der Gegner gibt, direkt an. So wird der deutsch-vietnamesische Rapper Andy Zirnstein, der sich selbst ironisch „Der Asiate“ nennt, ob dieser Selbstbezeichnung im Battle gegen 4Tune mit folgender Zeile gedisst: „Hey Asiate! Komm doch mal zum Essen vorbei, wir laden dich auf ein Kätzchen ein.“ Das ist ebenso überdreht wie absurd und von daher so, dass sogar erklärte Tierfreunde darüber lachen können.

Neben diese bewusste Herabsetzung des Gegners tritt dann die überzogene Darstellung der eigenen Person – das sogenannte „Boasting“ bzw. „Bragging“. Auch deshalb ist Kollegahs „Bosstransformation“ mehr als nur ein weiteres Fitnessformat, da es darum geht, die behauptete körperliche Überlegenheit auch Gestalt werden zu lassen.23

Zugleich allerdings geht es immer auch ums Gewinnen. Und deshalb kommt es vor allem darauf an, „Punchlines“ zu setzen. Diese „Punchlines“ wirken wie der „Punch“ beim Boxen: Sie sollen den Gegner niederschlagen und auf die Bretter zwingen. Dass dies in den seltensten Fällen eine freundliche Angelegenheit ist, liegt auf der Hand. Es wird aber auch deutlich, dass hier eine Rolle gespielt wird und dass man das, was gesagt wird, vor allem nicht ernst nehmen darf.24 Ironie, Sarkasmus und Übertreibungen, die häufig übers Ziel hinausschießen, gehören im Battlerap zum Geschäft. Und da es relativ einfach möglich ist, einen Rap zu schreiben und ihn dann auf YouTube zu platzieren, gibt es eine ungeheure Vielzahl an Rappern. Logisch, dass da längst nicht alles Gold ist, was glänzt. Und ebenso logisch ist es, dass man, wenn man in der Masse auffallen will, häufig sehr scharfe Geschütze auffahren muss. Insofern ist vieles von dem, was man kritisieren kann, einem Formzwang geschuldet und nicht ohne Weiteres mit den jeweiligen Personen identifizierbar.

Verschärft wird dies noch dadurch, dass die ursprünglich aus amerikanischen Schwarzen-Ghettos stammende Form des „Gangsta-Rap“ auch in Deutschland Einzug gehalten hat. Im „Gangsta-Rap“ geht es thematisch vor allem um Erfahrungen, die Menschen angeblich oder tatsächlich im Ghetto gemacht haben oder machen mussten. So sind die Texte von Themen wie Zuhälterei, Drogendeals und Bandenkriege beherrscht, und das erklärte Ziel ist es, als erfolgreicher und möglichst cooler „Gangsta“ aufzutreten.

Inwieweit diese Ghettoerfahrungen tatsächlich real sind oder ob es sich nicht vielmehr um Fakes handelt, ist umstritten.25 Offensichtlich ist es aber so, dass ein Teil der Gangsta-Rapper von dem rappt, was sie tatsächlich auf der Straße erlebt haben. Und ebenso offensichtlich ist es, dass die Bandenkriege, die in den Texten vorkommen, zumindest in einigen Fällen einen realen Hintergrund haben. Auch wenn der Tod von Tupac Shakur26 immer wieder Stoff für Verschwörungstheorien liefert, ist doch wahrscheinlich, dass er Opfer einer Rivalität zwischen Rappern wurde. Dass es im Nachgang noch weitere Morde gab, die offensichtlich mit dem Mord an Tupac Shakur in Verbindung stehen, zeigt, dass diese Rivalitäten eine breite Wirkung hatten.

Trotzdem: Sieht man sich die deutsche Gangsta-Rap-Szene an, die mit einem gewissen zeitlichen Abstand ab ca. 1995 entstand, dann ist die Frage, wie ernst man die „Ghettoerfahrungen“ nehmen muss, schon erlaubt. Paul Hartmut Würdig, einer der Väter des deutschen Gangsta-Rap, der sich mit Künstlernamen „Sido“ nennt (der Name soll ein Kürzel für „superintelligentes Drogenopfer“ sein), hat zwar seine Kontroversen. Insgesamt aber ist er inzwischen als Ehemann, Vater und erfolgreicher Rapper in einer Weise etabliert, die man einem „Gangsta“ an sich nicht zutrauen würde. Und ob der Bezirk „Prenzlauer Berg“, in dem Sido aufgewachsen ist – wenn auch zu DDR-Zeiten – wirklich ein „Ghetto“ darstellt, kann man getrost bezweifeln.

Auch die bereits erwähnte Behauptung von „Haftbefehl“, als Drogendealer tätig gewesen zu sein, kann man durchaus als Versuch werten, als ganz harter Bursche zu gelten. Greifbar ist jedenfalls nur eine Tätigkeit als Drogendealer im Alter von 14 Jahren, die er mit dem Freitod seines Vaters begründet und von der er sich – inzwischen selbst Familienvater – heute deutlich distanziert.

Ähnliches kann man auch über Kollegah sagen. Dieser wurde unter dem Namen Felix Blume 1984 im hessischen Friedberg geboren. Später lebte er in Simmern im Hunsrück und legte dort das Abitur ab. Dass er seit 2009 sporadisch an der Mainzer Universität Jura studiert,27 zeigt jedenfalls, dass er ein so gutes Abitur gemacht haben muss, dass es für ein anspruchsvolles Fach wie Jura gereicht hat. Nachdem sein kanadischer Vater die Familie verlassen hatte, kam er nach eigener Darstellung über seinen algerischen Stiefvater mit dem Islam in Kontakt und wurde im Alter von 15 Jahren gläubiger Muslim. Als solcher bekennt er sich auch zur islamischen Variante des Kreationismus und bezieht immer wieder eindeutig proislamisch Stellung. Dies ist als Lebenslauf sicher nicht „normal“ zu nennen, aber mit „Ghetto“ oder dem Aufwachsen in einem mehrheitlich von Migration bestimmten Viertel einer deutschen Großstadt hat das wenig bis gar nichts zu tun.

Von daher muss man auch die Frage stellen, wie es sein kann, dass ein Mensch, der das deutsche Bildungssystem durchlaufen hat, offensichtlich nicht verstanden hat, dass man in dieser Form nicht über Auschwitz reden kann. Diese Frage wird noch verschärft, wenn man beachtet, dass Kollegah nicht der Einzige ist, dessen Leben einen derartigen Verlauf genommen hat: In der Szene bekannt ist auch Denis Cuspert, der unter dem Namen „Deso Dogg“ auftrat und der seit 2013 den dschihadistischen Salafisten in Syrien beitrat, nachdem er sich bereits vorher durch Flucht einem deutschen Haftbefehl entzogen hatte. In Syrien schloss er sich dem IS an, für den er vor allem propagandistisch tätig war28 – ein Engagement, das ihn auf die Liste der „globalen Terroristen“ des US-Außenministeriums brachte. Nachdem sein Tod bereits einige Male gemeldet worden war, geht der BND seit März 2018 davon aus, dass Cuspert am 17. Januar 2018 in der Nähe von Gharanij in Syrien bei einem Kampf getötet wurde. Auch wenn dies ein extremer Einzelfall sein mag, so ist es doch geboten, deutlich hinzusehen und die Frage zu stellen, ob es Möglichkeiten gibt, derartige Fehlentwicklungen zu verhindern.29 Daher noch einmal die Frage, wie die ganze Szene zu beurteilen ist.

Vielleicht ist es gut, wenn man bei aller gebotenen Kritik und bei aller deutlichen Stellungnahme einmal ein paar Jahre in die Vergangenheit zurückgeht. Im November 1997 erschien im Materialdienst ein Aufsatz von mir zum Thema „Gewalt, Satanismus, Rechtsradikalismus in der Rock-Szene“.30 Es ging darin um Entwicklungen vor allem im Bereich des Death Metal und des Black Metal. Anlass waren neben Texten und Videos, die damals absolut schockierend waren, vor allem die „Satansmorde“ von Sondershausen und Witten. Ähnlich wie heute gab es eine breite Front von Menschen, die die komplette Death/Black-Metal-Szene ob dieser Ereignisse abgelehnt haben – zum Teil mit Argumenten, wie sie auch in der aktuellen Diskussion fallen. Heute, 20 Jahre später, haben einige Kriminelle langjährige Haftstrafen verbüßt,31 einige Musiker sind gestorben,32 einige Bands überhaupt kein Thema mehr. Und was ist mit dem Rest? Der feiert jedes Jahr in Wacken oder Leipzig ein großes Festival, das inzwischen so etabliert ist, dass es nicht nur wahrgenommen, sondern in der Regel positiv kommentiert wird.

Anders gesagt: Es gehört zur Jugendkultur, zu provozieren. Es gehört zur Jugendkultur, sich ein Areal zu schaffen, das sich von der Welt der Erwachsenen abgrenzt und das von Erwachsenen in der Regel anders verstanden wird, als es Jugendliche verstehen. Das hat sich seit den ersten lasziven Hüftschwüngen des jungen Elvis – die die Welt der 1950er Jahre nachhaltiger erschüttert haben, als wir es uns vorstellen können – im Grunde nicht geändert.

Die Provokationen werden heftiger. Dies hängt auch damit zusammen, dass unsere Welt in ihrer Bilder- und Wortsprache heftiger geworden ist. Das heißt nicht, dass man sich jede Provokation, jede Geschmacklosigkeit, jede frauenverachtende Äußerung oder gar Antisemitismus gefallen lassen sollte. Giovanni di Lorenzo ist ausdrücklich Recht zu geben, wenn er seinen Leitartikel in der ZEIT vom 26. April 2018 mit den Worten „Ächtung hilft“ überschreibt. Und doch sollte diese Ächtung niemals die Tür zum Gespräch zuschlagen. Ein Gespräch sollte zunächst einmal differenzieren: Es ist ein großer Unterschied, ob man auf einer Bühne steht oder davor. Jugendliche, die eine bestimmte Form von Musik hören, stimmen deshalb noch lange nicht unkritisch allen Inhalten zu.

Ebenso ist es ein großer Unterschied, ob ein Musiker eine Rolle spielt oder ob er sich mit dieser Rolle identifiziert.33 Und es ist ein Unterschied, ob Menschen antisemitische Klischees von einer „jüdischen Weltverschwörung“ verbreiten – die sind immer und in jedem Fall deutlich abzulehnen – ober ob es um die komplexe Frage des Palästinakonfliktes geht. Hier kann man bei aller Klarheit der Position nicht einfach die Diskussion ablehnen und dem Gespräch aus dem Weg gehen.34 Hier muss man argumentieren, hier muss man im Gespräch bleiben. Denn sonst hätten die Scharfmacher auf beiden Seiten gewonnen, was niemand ernsthaft wollen kann.


Heiko Ehrhardt, Hochelheim/Hörnsheim, mit Ronja und Jonas Ehrhardt
 

Anmerkungen

  1. Trailerpark: „Falsche Band“ von der CD „Crack Street Boys 3“. Schon der Titel der CD lässt Arges vermuten …
  2. Alligatoah ist einer der wortmächtigsten und ironischsten Texter seiner Generation. Politisch klar in der Aussage ist z. B. sein Stück „Teamgeist“, in dem er ebenso klar gegen Rassismus wie gegen Antisemitismus Stellung bezieht, etwa mit folgenden Worten: „Du wurdest wegen deiner Mütze verfolgt, jetzt bist du nicht mehr allein, wir tragen Mützen mit Stolz. Wir sind das Mützenvolk, wir singen Mützenlieder. Ich hab‘ den größten Bommel, ich bin der Mützenführer. Aber kauf‘ nicht bei Hutträgern, auch nicht zum halben Preis (Ihh!). Die sind nicht alle gleich, doch fast alle gewaltbereit. Die sind im wahrsten Sinne unterbelichtet. Ich glaube, Hutträger haben uns‘re Brunnen vergiftet. Glaubst du nicht? Google mal die Hutlüge. Oder Hut Süß, hol‘ dir deine Wutschübe. Bei der Hutverbrennung ruft der Büttenredner ‚Wir sind nur besorgte Mützenträger!‘“
  3. Trailerpark und KIZ sind da ähnlich gelagert: Das Image, das sie sich gegeben haben, verdeckt leider die Inhalte, die sie vertreten. Allerdings wird die politische Ausrichtung der Band immer deutlicher, und die analfixierten Dummheiten treten zurück. Übrigens: Dieses Problem teilen sie u. a. mit einem inzwischen durch und durch anerkannten Künstler wie Frank Zappa. Auch im Werk Zappas gibt es geschmacklos-sexistische Entgleisungen, die bei oberflächlichem Hören verdecken, was für ein klar denkender, kritischer Demokrat Zappa war.
  4. Da es den ECHO nicht mehr gibt, wähle ich die Vergangenheitsform. Der Preis hat von 1992 bis 2018 existiert. Dass in diesem 26 Jahren Helene Fischer allein 17 Preise gewinnen konnte, deutet schon an, wie dieser Preis gestrickt war: Kommerz um des Kommerzes willen.
  5. Die Kritik traf allerdings in der Regel den Popbereich und weniger die Sparten Jazz und Klassik. Hier war die Preisvergabe eigentlich immer nachvollziehbar – wenn denn diese Sparten überhaupt noch von Interesse waren.
  6. 2013 wurde die Band nach Protesten anderer Bands wieder ausgeladen, und 2014 verzichtete die Band von sich aus auf eine Teilnahme. 2016 dann – im dritten Anlauf – erhielten „Frei.Wild“ einen Preis, ohne dass es größere Proteste gab.
  7. Die CD erreichte schon vor dem offiziellen Release Goldstatus und in der ersten Woche 30 Millionen Streams – ein absoluter Rekordwert.
  8. Dass dieser Satz gar nicht auf der eigentlichen CD enthalten war, sondern dem Bonustrack „08/15“ entstammt, ändert nichts daran, dass der Satz schlichter Mist ist. Wobei es eine interessante Frage ist, wie die Reaktion ausgefallen wäre, wäre von Guantanamobayinsassen die Rede gewesen.
  9. Körperliche Fitness spielt für Kollegah eine große Rolle. Er hat eine eigene Fitnessline, die unter dem Namen „Bosstransformation“ Ergebnisse verspricht, die eigentlich unmöglich sind, www.boss-transformation.de (Abruf der angegebenen Internetseiten: 2.5.2018).
  10. Wobei die übrigen Zeilen des Textes kein Stück besser sind. Der Text beginnt direkt mit Syrern, die „Dein Mädel vergewaltigen“, und dann folgt der für Battlerap übliche Diss aller möglichen Rivalen, dieser allerdings in selten brutaler und m. E. auch vollkommen misslungener Form. Trotzdem: Stoff zum Aufregen hätte es in diesem Stück genug gegeben – und das auch völlig ohne Antisemitismus.
  11. Vgl. Bernd Harder, Das Lexikon der Großstadtmythen. Unglaubliche Geschichten von Astralreisen bis Zombies, Frankfurt a. M. 2005, 223.
  12. Die Dokumentation steht bis zum 28.3.2019 frei zum Download unter: www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/die-story/video-die-dunkle-seite-des-deutschen-rap-100.html     
  13. Wobei diese antisemitische Darstellung des Konflikts um Palästina auch außerhalb der Rapszene viele Befürworter findet. Juliane Wetzel macht in „zeitzeichen“ 3/2018 deutlich, wie sehr Antisemitismus in Deutschland von Trigger-Ereignissen im Nahen Osten abhängt. Und 40 % der Deutschen können laut ZEIT vom 26. April 2018, 4, „gut verstehen, dass man angesichts der israelischen Politik etwas gegen die Juden hat“. An diesem Punkt Kritik allein an einem einzelnen Rapper zu üben, ist von daher reichlich scheinheilig.
  14. Neben Kollegah sollten noch Farid Bang, Eko Fresh und Azad auftreten.
  15. Gemeint ist Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen.
  16. Vgl. den Abdruck des offenen Briefes auf seiner Facebook-Seite: www.facebook.com/kollegah/posts/1392828554090274 . Das Gespräch fand am Telefon statt, ohne dass es zu einer Verständigung gekommen wäre.
  17. So das bereits erwähnte Kollegah-Video „Apocalypse“, in dem es am Ende zum Kampf zwischen Gut und Böse kommt. Dieser findet auf dem Tempelberg statt, und die Mächte des Bösen werden aus einem Londoner Finanzhochhaus gesteuert. Hier werden alle Klischees von der vermeintlichen jüdisch-kapitalistischen Weltherrschaft aufgefahren.
  18. Der an sich fröhlich klamaukige Rapper „Entetainment“, der mit einer Entenmaske auftritt und damit wirklich harmlos wirkt, textet z. B. in seinem Stück „Lizenzen des Killers: „Vergewaltigung‘n sind glaube ich tabu, doch ich steh‘ auf Rape wie Rap mit ‘nem e oder Raupe ohne u“. Ist das schlechter Klamauk, Provokation oder einfach dumm? Wie auch immer man urteilt: Diese Form von Sexismus ist anders als der macht- und geldgestützte Altmännersexismus eines Harvey Weinstein. Im Battlerap geht es meist um pubertäre Allmachtsfantasien, die schon durch ihre bloße Form ziemlich peinlich wirken.
  19. „Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass Homophobie im Rap zu einem Stilmittel geworden ist“ – so die bewusst queer-feministische Berliner Rapperin Sookee, zit. nach www.queer.de/detail.php?article_id=21442 . Sookee selbst zeigt mit ihrem Video „Queere Tiere“ deutlich, dass es auch anders geht. Und die eingangs erwähnten Trailerpark haben mit „Dicks sucken“ ein Stück geschrieben, das sich in ironischer Weise von jeder Form von Homophobie absetzt.
  20. Der Umstand, dass der amerikanische Gangsta-Rapper „Tupac“ vermutlich im Rahmen eines Bandenkrieges erschossen wurde, spricht eine eindeutige Sprache.
  21. Die 1980 geborene Reyhan Şahin, die unter dem Namen „Lady Bitch Ray“ auftritt, ist ein absoluter Sonderfall: Auf der einen Seite stehen ihre Texte, die häufig platt pornografisch sind, und auf der anderen Seite steht ihre akademische Karriere. Sahin hat mit einer Arbeit über „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuches in Deutschland“ promoviert. Sie ist bis heute als Lehrbeauftragte der Universität Hamburg gelistet.
  22. Dies gilt auch für Dimitri Chpakov, der unter den Künstlernamen „Sun Diego“ und „SpongeBOZZ“ auftritt und der aus seinem jüdischen Glauben kein Geheimnis macht. Seine im Februar 2018 erschienene Biografie, die in der gesamten Diskussion um Antisemitismus im Rap ausgesprochen erhellend ist – Chpakov war sogar über Jahre hinweg ein enger Freund von Kollegah – trägt den programmatischen Titel „Yellow Bar Mitzwah – die sieben Pforten vom Moloch zum Ruhm“, und das zugehörige Video verwendet dezidiert jüdische Symbolik. Trotzdem gibt er sich große Mühe, als „harter Junge“ mit kriminellen Kontakten zu erscheinen.
  23. Übertrieben maskuline Körperlichkeit wird von Alligatoah in seinem Stück „Alligatoah“ wunderschön aufs Korn genommen: „Ich stell mich auf den Kopf und fülle mein Gehirn mit Blut, ich bin so gut man könnte denken, ich bin wirklich gut … Denn ich hab ne harte Schale doch darunter eine weiche Seite, dann wieder ne harte und dann kommen nur noch Eingeweide.“
  24. Erstaunlich viele Battlerapper zeigen ihr Gesicht gar nicht. Sie tragen eine Maske (Cro, Antifuchs, SpongeBOZZ, Entetainment und der frühe Sido) oder zumindest ein Bandana, das den unteren Teil des Gesichts verdeckt. Dies auch deshalb, weil sie eben als Person hinter ihre Rolle zurücktreten wollen.
  25. In diesen Kontext passt auch der Prozess um Ewa Malanda, die als Rapperin unter dem Namen „Schwesta Ewa“ auftritt und der Zuhälterei, Menschenhandel und Steuerhinterziehung vorgeworfen wurden. Auch wenn der Vorwurf des Menschenhandels nicht aufrechterhalten werden konnte – die Zeuginnen gaben an, sich freiwillig prostituiert zu haben – so wurde Ewa Malanda doch wegen Körperverletzung, Steuerhinterziehung und sexueller Verführung Minderjähriger zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das von ihr eingeleitete Revisionsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
  26. Der enorm erfolgreiche Rapper, der mehr als 75 Millionen CDs verkauft hat und den das angesehene Magazin „Rolling Stone“ unter die 100 größten Musiker aller Zeiten rechnete, wurde am 13. September 1996 im Alter von 25 Jahren in Las Vegas erschossen.
  27. Entgegen anderslautender Behauptungen hat er allerdings kein Examen abgelegt. Er ist also kein „Jurist“ im Vollsinn des Wortes. Wohl aber ist vorstellbar, dass er aufgrund seiner juristischen Kenntnisse seine Provokationen immer so weit abfedert, dass sie letztlich nicht justiziabel sind.
  28. Bereits 2012 waren von ihm veröffentlichte Dschihad-Songs, in denen er zum Heiligen Krieg aufrief und Osama bin Laden verherrlichte, durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert worden. Später erscheint er dann auch in Propagandavideos des IS.
  29. Kollegah wie Cuspert widerlegen auf jeden Fall eindrucksvoll die These, dass es sich beim Antisemitismus um ein „importiertes“ Problem handle – so Josef Jofee in der ZEIT vom 26. April 2018, 4. Überhaupt wird jede Darstellung des Problems daran zu messen sein, ob es gelingt, einen Weg zwischen Skylla („Antisemitismus ist Ergebnis einer verfehlten Einwanderungspolitik speziell der Kanzlerin) und Charybdis („Kritik an Zugewanderten, speziell an Flüchtlingen, ist in jedem Fall rassistisch“) zu finden. Leider gibt es in der Auseinandersetzung derzeit viele Stimmen, die der einen oder der anderen Seite zuneigen.
  30. MD 11/1997, 321-334, und ähnlich Heiko Ehrhardt, Wir wollen nur deine Seele. Die dunklen Seiten der Rockmusik, in: Peter Bubmann/Michael Landgraf (Hg.), Musik in Schule und Gemeinde. Grundlagen – Methoden – Ideen, Stuttgart 2006, 432-443.
  31. So etwa der Mörder und bis heute bekennende Rassist Christian „Varg“ Vikerness, der von 1993 bis 2009 inhaftiert war und auch danach mehrfach vor Gericht stand, und Hendrik Möbius, der wegen des Mordes an Sandro Beyer und weiterer Straftaten insgesamt rund zehn Jahre im Gefängnis saß.
  32. Der bekannteste ist sicher der Slayer-Gitarrist Jeff Hanneman, der 2013 mit 49 Jahren an Leberzirrhose verstarb.
  33. Das berühmteste Beispiel ist sicher der „Schock-Rocker“ Alice Cooper. Dieser wird bis heute in evangelikalen Veröffentlichungen mit schöner Regelmäßigkeit unter die besonders schlimmen „satanischen“ Musiker gerechnet. Dass er nach einer Phase schwerer Alkohol- und Drogenabhängigkeit seit 1984 überzeugter Christ ist und dies u. a. auch damit begründet, dass sein Vater, Großvater und Schwiegervater Priester gewesen seien, die für ihn gebetet hätten, zeigt, dass es wirklich „nur“ eine Rolle ist, die er – durchaus perfekt – spielt. Dies ist heute weitgehend anerkannt.
  34. Dies gilt umso mehr, als die Kritik an der jüdischen Palästinapolitik ja nicht auf den Rap beschränkt ist. Es ist gerade ein halbes Jahr her, dass diese Diskussion anhand der für Juni 2018 geplanten Konzerte des früheren Pink-Floyd-Bassisten Roger Waters geführt wurde. Auch dieser nimmt sehr klar Stellung zugunsten der Palästinenser, engagiert sich mit hohen finanziellen Mitteln in den Autonomiegebieten (vor allem im Projekt Cinema Jenin), und – anders als Kollegah – ist er Unterstützer der internationalen BDS-Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, mit Boykotten und Sanktionen gegen die Politik Israels vorzugehen. Nachhaltig dürfte dieses Engagement Israel mehr schaden als ein Satz eines deutschen Rappers. Und trotzdem: Eine breitenwirksame Reaktion blieb aus. Dies zeigt, dass hier durchaus unterschiedlich gewichtet wird und dass ästhetische Kriterien eine wesentliche Rolle spielen.