Gesellschaft

Jüdische Organisationen veröffentlichen Grundsatzerklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus

Nachdem in Berlin am Abend des 7. Juli 2018 zehn Syrer einen jüdischen Landsmann zusammengeschlagen hatten, veröffentlichte das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) am 9. Juli eine Grundsatzerklärung zum Antisemitismus, welche die Politik mit konkreten Vorschlägen und Forderungen in die Pflicht nimmt (https://jfda.de/blog/2018/07/09/grundsatzerklaerung).

Wie schon im April 2018, beim letzten bekanntgewordenen Vorfall, damals im bieder-wohlhabenden Stadtteil Prenzlauer Berg, fand auch diese Attacke inmitten Berlins statt. Auslöser war offenbar ein Davidstern an einer Halskette. Die Zeiten, in denen Juden nur davor gewarnt wurden, mit Kippa durch muslimisch dominierte Stadtteile zu gehen, sind offenbar vorbei. Gewalt aus Judenhass ist überall möglich, die hauptsächliche Tätergruppe aber bleibt gleich. Diesmal nahm die Polizei eine zehnköpfige Gruppe von Syrern, darunter drei Frauen, fest und ließ sie nach der Personalienfeststellung wieder frei. Das Opfer wurde ambulant im Krankenhaus behandelt. In jüngerer Zeit waren mehrere antisemitische Vorfälle an Berliner Schulen bekannt geworden. JFDA-Sprecher Levi Salomon rief schon nach dem Vorfall im April auch Nichtjuden dazu auf, eine Kippa als Zeichen der Solidarität zu tragen.

Die neue Grundsatzerklärung des JFDA wurde von zahlreichen jüdischen Organisationen und Gemeinden sowie Einzelpersonen unterzeichnet, darunter der Grünen-Politiker Volker Beck und der Antisemitismusforscher Günther Jikeli. Im Internet steht die Erklärung weiteren Unterzeichnern offen.

Diese versteht sich als Beitrag zu einer „nachhaltigen Strategie“ gegen Antisemitismus. Demnach sollten die Erfahrungen der Opfer antisemitischer Beleidigungen, Bedrohung und Gewalt ernster genommen werden als bisher und in die Lagebeurteilungen der Behörden Eingang finden – offenbar sehen die Verfasser hier Defizite. Antisemitismus, heißt es weiter, sei ein Angriff nicht nur auf Juden, sondern auf das ganze freiheitlich-demokratische Gemeinwesen, gehe also alle an. Er dürfe auch nicht einfach als eine Unterkategorie von anderen Formen der Diskriminierung wie „Rassismus“ aufgefasst oder zum Beispiel mit Muslimfeindlichkeit zusammengeworfen werden. Für eine Kultur freiheitlichen, friedlichen, demokratischen Zusammenlebens, so die Verlautbarung schließlich, genügten Gesetze und Verfassungstexte nicht. Vielmehr müsse der soziale Zusammenhalt durch normenorientierte Symbole, Rituale und Konventionen ausgedrückt und damit gefördert werden.

Die Erklärung richtet sich an Bundesministerien und Landesregierungen, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, parteinahe politische Stiftungen sowie Wissenschaftler. Hauptadressat soll aber der neue Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, sein.

Konkret wird etwa verlangt, dass für eine staatliche Zusammenarbeit mit religiösen Verbänden künftig ein vorheriges Bekenntnis gegen Antisemitismus zu fordern sei. Dies wird in den Medien als Kritik an staatlicher Kooperation mit problematischen muslimischen Organisationen gelesen, insbesondere an der Anwesenheit zweier vom Verfassungsschutz beobachteter islamischer Organisationen im Beirat des neuen Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

In Kommentaren der Verfasser zu dem Text reden diese nicht um den heißen Brei herum. JFDA-Vorsitzende Lala Süsskind in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung (9.7.2018): „Ich erwarte, dass die Bundesregierung und die Landesregierungen auch den Antisemitismus unter Muslimen als solchen ernst nehmen.“ Der verbreiteten Verharmlosung des muslimischen Antisemitismus, weil dessen öffentliche Diskussion zu Islamophobie führen könne, erteilt sie eine Absage: „Relativierungen, die den islamistischen Antisemitismus verharmlosen, verhindern die Instrumentalisierung des muslimischen Antisemitismus durch Muslimfeinde nicht. Aber sie schaden einer wirksamen Bekämpfung des Antisemitismus und wirken auf die Opfer wie Hohn.“ Der politische Koordinator des JFDA, Carl Chung, sekundierte: „Unter Muslimen ist Antisemitismus offenbar weiter verbreitet als im Durchschnitt der Gesamtgesellschaft. Das muss man sagen können, ohne des ‚Muslim Bashing‘ bezichtigt zu werden“ (Deutschlandfunk, 9.7.2018).

In europäischen Nachbarländern, wo die Lage noch gravierender ist, denkt laut Umfragen inzwischen ein großer Teil der Juden mehr oder weniger konkret über Auswanderung nach. Dazu der Berliner jüdische Musiker und Mitunterzeichner der Erklärung, Andrej Hermlin: „Ich sitze nicht gerade auf gepackten Koffern, aber ich hab‘ vorgesorgt. Ich hab‘ mein Haus in Kenia“ (ebd.).
 

Kai Funkschmidt