Islamkritik und Islamfeindlichkeit

Negative Einstellungen, Ressentiments und offene Ablehnung gegenüber dem Islam und Muslimen haben zugenommen, ebenso zeichnet sich eine zunehmend breite Billigung solcher Haltungen in der Öffentlichkeit ab. Gut 20 Jahre nach den Brandanschlägen in Mölln und Solingen, denen acht Menschen zum Opfer fielen, hat sich die Lage in vieler Hinsicht nicht entspannt, sondern vielmehr verschärft. Nachdem der Integrationsdiskurs in den 1990er Jahren fast zu einem Islamdiskurs geworden war, nach dem 11. September 2001, nach dem Minarettbauverbot in der Schweiz Ende 2009 und der „Sarrazin-Debatte“ 2010 machen die Bastionen rechtspopulistischer Islamschmähung ebenso wie die Fronten der „Kritik an der Islamkritik“ die hochgradige Polarisierung der Islamdebatten in Deutschland und Europa sichtbar. „Multikulturalisten“ und „Islambeschützer“ stehen „Muslimfeinden“ und „Aufklärungsfundamentalisten“ gegenüber. Während die einen in der Anerkennung und dem Respekt vor den Kulturen einschließlich der Religionen den Weg zum Frieden in der Gesellschaft vorgezeichnet sehen und dabei selbst vor der Demontage von demokratischen Grundrechten und Grundwerten nicht zurückscheuen, halten die anderen „den“ Islam für grundsätzlich und bleibend unvereinbar mit den Grundlagen westlicher Gesellschaften und bedienen sich dabei auch fremdenfeindlicher, rassistischer und rechtsextremer Agitationsmuster.

Wo verläuft die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Herabwürdigung, zwischen notwendiger Kritik und Hetze? Wie kann demokratie- und menschenrechtsfeindlichen islamistischen Ideologien und Strategien wirkungsvoll begegnet werden, ohne dass das allen aufgegebene gesellschaftliche Miteinander aus dem Blick gerät? Und: Welche Verantwortung tragen Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung mit Muslimen?

Forschungen und Umfrageergebnisse belegen die Werte unterschiedlicher Indikatoren wie z. B. des GMF-Syndroms („gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“) und zeigen seit Jahren Trendverläufe auf. Dies bietet vorsichtige empirische Anhaltspunkte. Die Zahlen lassen gleichwohl abhängig vom Erkenntnisinteresse, den Frageclustern und den methodischen Entscheidungen viel Interpretationsspielraum, zudem können sie Ursachen und Motive islamfeindlicher und islamkritischer Einstellungen und Verhaltensweisen kaum benennen, geschweige denn plausibel erklären. Deshalb werden sie hier nicht argumentativ angeführt; dies wäre ein eigenes Thema. Ebenso beansprucht dieser Kurzartikel weder phänomenologische Vollständigkeit noch definitorische Endgültigkeit.

Islamfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, Islamophobie

Die Bezeichnung Islamophobie hat sich tendenziell etabliert, ist aber als gezielter Kampfbegriff aufzufassen, der Ängste und daraus resultierende Ablehnung oder Hass geradezu pathologisiert und pauschal als unbegründet hinstellt. Auch der Ausdruck Islamfeindlichkeit ist gängig, kommt aber ohne die psychologisierende Komponente aus. Muslim- oder auch Muslimenfeindlichkeit (vgl. Menschen-, Fremdenfeindlichkeit) stellt von vornherein klar, dass es um eine feindselige Haltung gegenüber (einer bestimmten Gruppe von) konkreten Menschen geht.

Die negativ-stereotype Ablehnung von Muslimen und allem „Islamischen“, die mit diesen Begriffen umschrieben wird, ist dem Rassismus verwandt, jedoch nicht mit ihm identisch. Sie kann von unterschwelligen Vorbehalten über massive Ressentiments bis hin zu direkter Ausgrenzung oder zu verbalen, ja auch tätlichen Angriffen reichen. Sie wird besonders massiv im Internet propagiert, äußert sich aber konkret ebenso im schulischen und beruflichen Umfeld wie auch im Alltag.

Einige bestimmende Elemente von Muslimfeindlichkeit sind

• ausgeprägte Ressentiments gegen eine Minderheit von Menschen, die mit religiösen, kulturellen und politischen Argumenten diskriminiert und ausgegrenzt werden;

• die pauschale Stigmatisierung und Diffamierung von Menschen mit muslimischem (oder vermeintlich muslimischem – hier wäre der Übergang zu depersonalisierenden rassistischen Stereotypen zu sehen) Familienhintergrund;

• die Beschwörung populärer Vorurteile, die in beleidigender Form verbreitet werden (Feindbildproduktion und -pflege);

• die Negativfixierung ganz unterschiedlicher (sozialer, integrationspolitischer, kultureller ...) Problemlagen auf „den“ Islam (Religionisierung unterschiedlich gelagerter Konflikte mit monokausalen Erklärungen);

• die essenzialisierende Betrachtungsweise, die „den“ Islam, v. a. in seinem totalitären und militanten Wesen, zu kennen beansprucht (und oft besser zu kennen beansprucht als die Muslime selbst);

• die Weigerung, sachgemäß zwischen Islam, Islamismus und Terrorismus zu unterscheiden (die generalisierende Rede vom vermeintlich „eigentlichen“ Islam, der ausschließlich als fanatische und gewalttätige Herrschaftsideologie wahrgenommen wird);

• die integrationspolitische Entweder-Oder-Haltung;

• eine durchgehende soziale Abgrenzungskonstruktion des nichtmuslimischen „Wir“ und der muslimischen „Anderen“ inklusive entsprechender Praktiken und Diskurse.

Die Komponenten stehen häufig in einer Wechselwirkung und bedingen oder verstärken einander. Ihre Ausprägungen und Wirkungen können in weitverzweigten Netzwerken und Aktionsbündnissen beobachtet werden, die teilweise bildungsbürgerlich-mittelständisch auftreten, vielfach aber einem brutalistischen Vulgärpopulismus huldigen, der ebenso abstoßend wie gefährlich ist. Die herausragende Rolle bei der Verbreitung muslimfeindlicher Agitation spielt das Internet. Einige wenige Webseiten und Akteure seien exemplarisch genannt:

Mittelpunkt eines expandierenden muslimfeindlichen „Netz- und Hetzwerks“ (K. J. Bade) ist die 2004 gegründete einflussreiche Internetplattform Politically Incorrect (PI), die professionell aufgestellt ist und aus dem „bürgerlichen Mittelfeld“ gegen den Islam und die Muslime agitiert. Die Ortsgruppe München von PI wird (erst) seit Frühjahr 2013 vom Verfassungsschutz Bayern beobachtet. Dies gilt auch für den bayerischen Landesverband der rechtspopulistischen, antiislamischen Partei Die Freiheit (Ende 2010 von René Stadtkewitz gegründet). In diesem Zusammenhang ist auch die als Menschenrechtsorganisation auftretende Bürgerbewegung Pax Europa zu nennen, die im Islam als einem totalitären Gesellschaftssystem ebenfalls „eine große Gefahr“ sieht und darüber aufklären will. Wie eng die Querverbindungen sind, zeigt sich an Personen wie Michael Stürzenberger, der in allen bisher genannten Gruppierungen hohe Funktionen einnimmt. Ins Spektrum rechtsextremer deutscher Kleinparteien gehört ebenfalls die Bürgerbewegung pro Deutschland, zu deren wichtigsten Organisationen „pro Köln“ sowie die Parteien „pro NRW“ und „pro Deutschland“ zählen. Weitere einschlägige Beispiele aus dem Internet sind Nürnberg 2.0, ein Internetpranger, der personalisierte Steckbriefe und „Akten“ anlegt, um Personen anzuklagen, die angeblich der Islamisierung Vorschub leisten; Kybelines Weblog mit vielen weiteren Links und diversen weiterführenden Informationen; der Michael Mannheimer Blog, Deus Vult Caritatem oder Gates of Vienna.

Islamkritik

Islamkritik ist eine in den Traditionen religiöser und/oder antireligiöser Religionskritik stehende Variante legitimer und begründeter Kritik an islamisch-religiös fundierten demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Konzepten und Handlungen. Islamkritik zeigt deren historische und gesellschaftliche Hintergründe auf, verweist auf die Rezeptionsgeschichte und die aktuelle Wirkung der menschenrechtswidrigen Auslegung religiöser Doktrinen und kritisiert die Beibehaltung und Fortschreibung solcher Traditionen. (Entsprechend gab und gibt es Christentumskritik usw.) Der theologisch-weltanschauliche Diskurs ist dabei von der sozio-kulturellen Auseinandersetzung mit den ideologischen Aspekten heutiger Islam­interpretationen zu unterscheiden, aber nicht zu trennen.

Islamkritik ist keine Pauschalkritik, sondern thematisiert sachbezogen und genau mit dem Anspruch auf Wahrnehmung des jeweiligen Selbstverständnisses unter anderem

• die Infragestellung der Säkularität des Rechtsstaates als Grundlage und Bedingung für Pluralismus und Religionsfreiheit;

• den von unterschiedlichen islamischen Lagern formulierten monopolistischen politischen Geltungsanspruch „des Islam“ (als grundlegendes Ordnungskonzept von Gesellschaft, Staat und Politik), der auf dem Wege des Dschihad – entweder „friedlich“ oder „militant“ – durchzusetzen sei;

• die Strategien zur Erweiterung und Festigung schariarechtlicher Einflussnahmen auf muslimische Akteure und Gemeinden (Etablierung von Scharianormen, zunächst im Sinne „kollektiver Minderheitenrechte“);

• den Umgang mit Leitbegriffen wie Bildung, Dialog, Menschenrechte, Religionsfreiheit, Frieden, Toleranz, Integration etc., insoweit die Verwendung in innerislamischen Kontexten signifikant von den gesamtgesellschaftlichen Diskursen abweicht;

• die Geschlechtertrennung bzw. die Diskriminierung von Frauen;

• die Legitimationsstrukturen, die Gewalt gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen rechtfertigen;

• die strafrechtliche oder zivilgesellschaftliche Sanktionierung des Religionswechsels;

• die strafrechtliche oder zivilgesellschaftliche Sanktionierung der Kritik an islamischen Lehren, Praktiken oder des Propheten Muhammad als „Blasphemie“.

Sie nimmt auch Stellung gegen die Instrumentalisierung des Islamophobiebegriffes, um „den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären“ (Pascal Bruckner), die mit der pauschalen Diffamierung notwendiger Kritik als unbegründete Aggression gegen Menschen einhergeht (Selbstviktimisierung), sowie freilich auch gegen die taktische Ausbeutung islamkritischer Positionierungen im Interesse populistischer und rechtsreaktionärer Einflussgewinnung (z. B. „pro-Bewegung“).

Eine Kritik am Islam als Religion bzw. als System mit Aspekten einer totalitären Herrschaftsideologie distanziert sich und ist nicht zu verwechseln mit der feindlich-aggressiven Stigmatisierung von Personen, die daran glauben. Grundsätzlich leitend ist die Unterscheidung von Person und Sache. Es geht ihr um den Erhalt und die Stärkung errungener Freiheiten des Individuums im Rahmen von Rechtsstaat und Demokratie. Diese Freiheiten bestehen nicht voraussetzungslos. Vom Staat ist die politische Anerkennung des religiös-weltanschaulichen Eigensinns zu erwarten. Sie findet in der positiven Neutralität des Staates ihren spezifischen Ausdruck. Auf der anderen Seite ist die religiöse Aneignung der säkularen Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung gefordert. So müssen die Religionen ihren Anhängern ermöglichen, trotz und in ihrer partikularen religiösen Identität Mitbürgern mit anderen Überzeugungen und Identitäten gleichberechtigt zu begegnen. Dies schließt eine partielle Suspendierung der religiösen Wahrheitsfrage im Hinblick auf das Zusammenleben in der religiös-weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft notwendig ein. Für die Kirchen besteht keinerlei Grund, sich diesbezüglich in überlegener Stellung zu wähnen. Dies aus der Mitte der eigenen Tradition zu reflektieren, ist jedoch auch Muslimen zuzumuten.

Stellungnahme

Integration, wie immer sie verstanden wird, ist keine „Einbahnstraße“. So ist Kultur immer auch ein offenes Projekt, kein autoritativ zu bestimmender Zustand. Deshalb betreffen die Herausforderungen nicht nur „die anderen“, sondern alle. Das gemeinsame gesellschaftliche „Wir“ mitzugestalten und mitzuprägen, ist Aufgabe auch christlicher Verantwortung.

Dass die deutsche Bevölkerung charakteristischerweise oder auch nur mehrheitlich muslimfeindlich sei, lässt sich nicht belegen. Allerdings ist sie zunehmend dem Islam gegenüber kritisch eingestellt und hat dabei einen ideologisch rechten und muslimfeindlichen Rand mit deutlichen Verbindungen in den Rechtsextremismus ausgebildet. Die Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an islamisch begründeten Positionen und zu ächtender Hetze gegen Personen(gruppen) ist somit fortwährend geboten. Die Kritik ist weder „aufklärungsfundamentalistisch“, noch zielt sie auf eine Zwangsmodernisierung von Muslimen. Sie tritt für die Religionsfreiheit im umfassenden Sinne ein. Doch setzt der kritische Diskurs die Wandlungsfähigkeit der Diskursteilnehmer voraus. Diese nun Muslimen pauschal abzusprechen, wäre – abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen – angesichts der Geschichte des Islam töricht und im Blick auf die gesellschaftliche Situation gefährlich. Gerade die reformerischen, progressiven, neue Ansätze wagenden Kräfte brauchen, auch wenn sie zahlenmäßig noch so wenig und marginalisiert sind, gleichsam soziale Verstärker, sie brauchen Anwälte in der Gesellschaft, die nicht durch Pauschalisierungen die orthodoxen und radikalen Kräfte stärken, sondern zu reflektiven Haltungen und zu Veränderungsprozessen in der offenen Gesellschaft ermutigen. Im weitesten Sinne liberale Einstellungen und Äußerungen dürfen nicht pauschal mit dem Totschlagargument der Unaufrichtigkeit (taqiyya) oder als „unislamisch“ diskreditiert werden, will man nicht den Radikalen in die Hände spielen und jeden Dialog im Keim ersticken. Integrationspolitisch sinnvoll ist nicht das Entweder-Oder-Prinzip, sondern ein Mehr-oder-Weniger-Prinzip (Albert O. Hirschman).

Allerdings kann kein Zweifel über die Kräfteverhältnisse der islamischen Diskurse bestehen: Das orthodox-fundamentale Koranverständnis aller dominanten Islamrichtungen kennt keinen (im wissenschaftlichen Sinne) historischen, geschweige denn historisch-kritischen Zugang zu den Grundtexten des Islam und steht daher der sachlich notwendigen Relativierung bestimmter zeitgebundener Koranaussagen entgegen. Es wird sehr viel darauf ankommen, dass die Muslime hier zwischen überlieferter Geschichte und verpflichtender Wahrheit unterscheiden lernen und so die Voraussetzung für die eigenständige, religiös begründete Aneignung der Grundlagen unserer Gesellschaft schaffen. Alle darauf gerichteten Anstrengungen gilt es zu unterstützen. Ziel ist ein gesellschaftlich solidarisches Wir aus „überzeugter Toleranz“ (W. Huber), die den kritischen Umgang mit Tendenzen der Aushöhlung oder/und Infragestellung der freiheitlich-säkularen Gesellschaftsordnung nicht aus-, sondern einschließt.


Friedmann Eißler


Literatur

Klaus J. Bade, Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, „Islamkritik“ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Schwalbach/Ts. 2013
Wolfgang Benz, Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet, München 2012
Friedmann Eißler, Was ist „vehemente Islamkritik“? Gegen die Verwilderung der Streitkultur, in: MD 8/2011, 283f
Hartmut Krauss (Hg.), Feindbild Islamkritik. Wenn die Grenzen zur Verzerrung und Diffamierung überschritten werden, Osnabrück 2010
Muslimfeindlichkeit – Phänomen und Gegenstrategien. Beiträge der Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz am 4./5.12.2012 in Berlin, hg. vom Bundesministerium des Innern im Auftrag der DIK, Berlin 2013
Tilman Nagel, Kann es einen säkularisierten Islam geben?, in: Aktuelle Analysen 26, hg. von R. C. Meier-Walser und R. Glagow, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München 2001, 9-19
Thomas von der Osten-Sacken/Oliver M. Piecha, Islamophobie – Parallele in den Abgrund, Essay vom 3.1.2011, www.perlentaucher.de/artikel/6664.html 
Thorsten Gerald Schneiders (Hg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2010
Selbstbestimmung statt Gruppenzwang – Abschlusserklärung der Kritischen Islamkonferenz 2013, http://kritische-islamkonferenz.de 


Internet

Politically Incorrect (PI-News): www.pi-news.net 
Partei „Die Freiheit“: http://diefreiheit.org/home 
Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) – für europäische Werte und Freiheiten: www.buergerbewegung-pax-europa.de 
Bürgerbewegung pro Deutschland: www.pro-deutschland-online.de 
Nürnberg 2.0 Deutschland – Netzwerk demokratischer Widerstand: http://wiki.artikel20.com 
Europäische Werte – Kybelines Weblog: www.kybeline.com 
Michael Mannheimer Blog. Islamisierung stoppen – Grundrechte garantieren – Demokratie stärken: http://michael-mannheimer.info 
DEUS VULT CARITATEM (DVC): www.deusvult.infoGates of Vienna : http://gatesofvienna.net