Islam

Islam-Dossier des Kulturrats

Der Deutsche Kulturrat hat im Januar 2011 das neue Dossier „Islam – Kultur – Politik“ in Berlin vorgestellt. Mit der 40-seitigen, ebenso anspruchsvoll wie ansprechend gemachten Druckschrift (vgl. www.kulturrat.de/dossiers/islam-dossier.pdf) geht es dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände um eine Versachlichung der Debatte über das Zusammenleben in Deutschland, indem es den Islam als kulturpolitisch für Deutschland relevante Größe ernst nimmt und aus unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch bringt. Die Zeitung soll dazu beitragen, Vorbehalte und Ängste gegenüber dem vermeintlich Fremden abzubauen. Dazu gibt eine Vielzahl von Informationen, Artikeln und Interviews auf hochwertig bebilderten Seiten Einblick in die kulturelle Vielfalt des Islam in grundsätzlicher Perspektive wie insbesondere im Blick auf Deutschland. So bekräftigt Bildungsministerin Annette Schavan ihre Sicht des Aufbaus Islamischer Studien an staatlichen Hochschulen. Rauf Ceylan legt die Notwendigkeit der Ausbildung von Imamen in Deutschland dar, Aufgabe und Ziele des islamischen Religionsunterrichts werden erörtert. Ebenso wird die Auseinandersetzung um die Bezeichnung „Islamische Studien“ im Blick auf die schon bestehende „Islamwissenschaft“ erläutert.

Die Vielfalt islamischer Richtungen und Ausdrucksformen ist Thema, aber auch die engen Verflechtungen jüdischer, christlicher und islamischer Traditionen in Vergangenheit und Gegenwart kommen zur Sprache. Die Rolle islamischer Kunst und Kultur kommt in den Blick, das Thema Islam und Medien wird aufgenommen, und es gibt Interviews mit Künstlern und Medienmachern. Über islamische Reformansätze berichtet Katajun Amirpur. Die Aleviten sind mit zwei Beiträgen vertreten.Integrationspolitische Fragen waren nicht ganz zu umgehen, auch auf manche Ergebnisse soziologischer Erhebungen wird einigermaßen differenzierend eingegangen, ausdrücklich wollte man jedoch „die üblichen Fahrrinnen, die sich gerade in den letzten Monaten in den Medien und der Politik durch die ‚Sarrazin-Hysterie’ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites und differenziertes Bild über den Islam, seine Kultur und Politik anbieten“ (Olaf Zimmermann im Editorial).

Der Eindruck einer Hysterie muss allerdings stark gewesen sein, denn der Kritik an „Islamophobie“, „Islam-Bashing“ und „Islamfeindlichkeit“ sowie der Forderung nach Anerkennung des Islam (besonders in dem fehlerhaften und tendenziösen Beitrag „Rechtliche Anerkennung des Islams“ von Aiman Mazyek) wird viel Platz eingeräumt. Dabei scheut sich Kai Hafez nicht, im Blick auf Islam und die Medien das „Feindbild Islam“ gleichsam ursächlich auf die mediale Blickverengung auf Gewalt und Repression zurückzuführen. So hoch problematisch diese Verengung tatsächlich ist, so einseitig gerät die Analyse, wenn die islamische Welt durch wiederholte sprachliche Passivformulierungen (nur) als Opfer dargestellt wird, während die Gewalt – wiederum sprachlich – fast ausschließlich als Problem der „Wahrnehmung“ im „Westen“, im „Denken“, als „Bild“ etc. erscheint. Die schlichte Rückfrage nach dem (wie auch immer zu bestimmenden) Realitätsgehalt der „Gewaltfixierung des medialen Islambildes“ scheint unter diesen Voraussetzungen überflüssig, sie kommt überhaupt nicht vor. Dafür kommt die Idealisierung des Islam im Sinne aufgeklärter Islambetrachtung eines Goethe und eines Lessing wieder einmal zum Zuge. Die Behauptung im Blick auf den „Wettstreit der Religionen“, Lessings Ringparabel und der Koran (in Sure 5,44ff) hätten „die gleiche Botschaft“ (nämlich: „Religionen sind verschieden, weil Gott es so will; Gläubige aller Religionen sollen um das Gute wetteifern; wer glaubt, ergibt sich dem Willen Gottes“), wird zwar durch wiederholte Wiederholung auch Reinhard Baumgartens nicht richtiger, vielmehr setzt sich der Kulturrat dem Vorwurf ideologischer Einseitigkeit aus. Denn auf der anderen Seite werden wichtige Aspekte des Islamismus in unterschiedlichen Spielarten – die unter dem Titelstichwort „Politik“ Berücksichtigung hätten finden müssen – nur am Rande erwähnt. Auch sie gehören indessen offenkundig zum „Islam in Deutschland“. Die salafitischen Prediger, die inzwischen in unterschiedlichen Szenen zunehmenden Einfluss auf Jugendliche ausüben, sowie etwa die massive islamistische Internetpräsenz mit radikalisierenden Inhalten spielen hierzulande eine zwar wenig erquickliche, aber nicht zu übersehende Rolle, die gesellschaftlich wahrgenommen und der entgegengesteuert werden muss.

Es hätte der Publikation sicher gutgetan, wenn Aiman Mazyek nicht als einziger muslimischer Berater der Redaktion zu nennen gewesen wäre. Dennoch: Vielstimmig, durch viele in der Tat kaum bekannte Querverbindungen durchaus informativ und von daher empfehlenswert für alle am Dialog Interessierten ist das Dokument, das nicht nur im Bundestag ausliegen soll, in Bibliotheken und Akademien, sondern auch in Moscheen. Die Herausgabe des Dossiers wurde auf Beschluss des Deutschen Bundestages aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert sowie von der Robert Bosch Stiftung.


Friedmann Eißler