Neuheidentum

„Irminsul“ auf den Externsteinen

In der Silvesternacht 2016/2017 haben Unbekannte auf den Externsteinen im Teutoburger Wald ein Modell der „Irminsul“ errichtet. Die schwere Holzkonstruktion wurde schon am nächsten Tag von der Feuerwehr eilig entfernt, bevor sie Spaziergängern auf den Kopf fallen konnte. Wahrscheinlich rechtsextremistisch motivierte Anschläge auf die Externsteine hat es auch früher schon gegeben (vgl. MD 1/2015, 29f). Die Externsteine sind bei Esoterikern als Kraft- und Kultort beliebt, wurden aber jahrelang auch vom rechtsextremen Segment germanischer Neuheiden zu kultischen Feiern an heidnischen Festtagen genutzt (Sonnenwenden u. Ä.).

Die Irminsul war der Überlieferung nach ein mittelalterliches Stammesheiligtum der Sachsen, das im Rahmen der blutigen Sachsenchristianisierung 772 durch Karl den Großen zerstört wurde. Historisch ist kaum etwas darüber bekannt. Der Begriff bedeutet „Große Säule“ oder „Welt(tragende) Säule“. Ein Zusammenhang mit der Weltesche „Yggdrasil“ ist rein spekulativ. Das Aussehen ist unbekannt. Heute wird sie oft in Form eines geschmückten und geschwungenen T dargestellt. Es ist nicht einmal klar, ob es sich um ein Zentralheiligtum handelte oder ob es bei den Sachsen mehrere Exemplare gab.

Einen historischen Zusammenhang zwischen den Externsteinen und der ursprünglichen sächsischen Irminsul oder überhaupt Hinweise auf eine vorchristliche kultische Nutzung der Externsteine gibt es nicht. Vielmehr finden sich in den Steinen christliche Bildhauerarbeiten aus dem Mittelalter (Kreuzabnahmerelief). Eine ursprünglich heidnische Nutzung wurde erstmals im 19. Jahrhundert von völkischen und ariosophischen Denkern behauptet und insbesondere in der Frühphase von den Nazis propagiert, die die Irminsul als Symbol gegen das christliche Kreuz in Stellung brachten und die Externsteine ähnlich wie den Sachsenhain bei Verden in den ersten Jahren nach 1933 für ihre antikirchliche Propaganda nutzten. Daher kommt wohl auch die Beliebtheit des Ortes bei Rechtsextremisten wie der Artgemeinschaft und dem ariosophischen Armanen-Orden, die beide allerdings seit Jahren kaum noch in Erscheinung treten, wenn sie überhaupt noch existieren.

Der zuständige Landschaftsverband hat Anzeige erstattet, und vor allem wegen dieser Vorgeschichte hat nun auch der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen; weitere Hinweise auf die Täter sind nicht bekannt. Das am 1. Januar 2017 entdeckte Irminsul-Modell war Schwarz-Rot-Weiß angemalt, was Journalisten als Hinweis auf die deutsche Flagge im Dritten Reich deuten, die allerdings Schwarz-Weiß-Rot war.

Rechtsextremisten machen nur einen kleinen Teil der germanischen Neuheiden aus. Die meisten Gruppen versuchen sich seit einigen Jahren aktiv von solchen Personen zu distanzieren. Sie haben den Anschlag scharf verurteilt. Sie sehen darin einen Missbrauch ihrer heidnischen Symbole durch die „Nazitrus“ (der Begriff ist eine Kombination von „Nazi“ und „Asatru“ – „Asen-Treue“, i. e. die Selbstbezeichnung der Neugermanen). Allerdings kann man auch nicht völlig ausschließen, dass die Täter aus den eigenen Reihen kamen, denn ausgeprägte antichristliche Affekte und die Lust an der Provokation sind auch unter nicht nazistischen Neuheiden verbreitet. Heidnische Kritiker wie Martin Marheinecke warnen denn auch davor, die Sache etwa für „einen gelungenen Streich“ zu halten oder darin einen „Anlass zur klammheimlichen Freude“ zu sehen. Der Nutzer FornKrys schrieb in einem Heidenforum: „Ja, ich war anfangs angetan. Das gebe ich zu. Einfach weil es schön aussah. Beim darüber Nachdenken aber und um die Erkenntnis bereichert, dass man das Teil in den Reichsfarben angemalt hat, komme ich auch zu dem Schluß, dass die Aktion nicht sonderlich schlau und für uns ziemlich kontraproduktiv war.“

Tatsächlich hat die Aktion der heidnischen Szene der Asatruar einen erheblichen Imageschaden zugefügt und ihr damit einen Bärendienst erwiesen.


Kai Funkschmidt