Scientology

Innenansichten: Neue Dokumente aus dem Office of Special Affairs

(Letzter Bericht: 3/2008, 108ff) Im März 2008 wurde auf der Internetseite wikileaks.org unter dem Titel „Church of Scientology Office of Special Affairs and Frank Oliver“ eine 208-seitige Dokumentensammlung online gestellt.1 Dieses Internetportal hat sich der Veröffentlichung geheimer bzw. nur für die interne Verwendung vorgesehener Dokumente insbesondere im Kontext von Regierungs- und Geheimdienstaktivitäten verschrieben. Gemäß dem Selbstverständnis der Internetseite handelt es sich auch bei den Scientology-Dokumenten um einen klassischen Fall von „whistleblowing“, d. h. des Aufzeigens interner Zustände durch einen (ehemals) Aktiven. Und in der Tat ist der Ex-Scientologe Frank Oliver ein wichtiger „Ehemaliger“. Er war nämlich laut der zur Verfügung stehenden Angaben von 1986 bis 1992 Mitarbeiter des „Office of Special Affairs“. Das ist die Scientology-Abteilung, die von vielen Kritikern als ihr „Geheimdienst“ bezeichnet wird. Frank Oliver war zuvor schon in den Medien als Ex-Scientologe aufgetreten2 und gilt als Begründer einer Gruppe, die sich „Former Scientologists Speak Out“ nennt.3 Einige der hier präsentierten Dokumente dürften im Übrigen schon im Jahre 2002 im Zuge eines amerikanischen Gerichtsverfahrens im Zusammenhang mit dem Tod des ehemaligen Scientology-Mitglieds Lisa McPherson Verwendung gefunden haben.4

In diesem Beitrag sollen eine Inhaltsübersicht und ein kurzer Einblick in den Textbestand gegeben werden – im Bewusstsein all der Schwierigkeiten, die Dokumentenveröffentlichungen dieser Art in Hinblick auf die Verifikation und ihren „Wahrheitsgehalt“ darstellen.5 Der besondere Wert der Sammlung liegt vor allem in ihrem Umfang; vergleichbare Dokumente sind bereits bekannt,6 jedoch selten in einer solchen Ausführlichkeit zugänglich. Was beinhaltet nun das Dossier? Am Anfang steht die Dokumentation des Aufstiegs Olivers in der Hierarchie der Scientology-Organisation: Kopien des Scientology-Mitgliedsausweises, der Vertrag, mit dem er sich „für die nächsten Milliarden Jahre“ an die Sea Org, die Eliteinheit von Scientology, bindet. Dazu kommen diverse Zeugnisse für die belegten Kurse, die verschiedenen Inhalten gelten („Erfolg durch Kommunikation“, „Dianetik Seminar“, „Public Relations-Kurs“ etc.). Damit wurde Oliver offensichtlich weit genug ausgebildet, um schließlich für die Mitarbeit im „Office of Special Affairs“ (OSA) ausgewählt werden zu können. Am Ende des Dossiers findet sich dann schließlich das Dokument, in dem er zur „suppressive person“ erklärt wurde. Er habe sich ein „ecclesiastical high crime“ zuschulden kommen lassen, weil er sich unangemeldet von seinen Aufgaben entfernt und noch dazu diverse Dokumente mit sich genommen hätte.

Zwischen diesen beiden Polen findet sich nun eine Vielzahl von Dokumenten höchst heterogenen Inhalts, die während der Tätigkeit Olivers im OSA entstanden sein sollen. Darunter ist auch bereits Bekanntes enthalten, so beispielsweise das „Manual of Justice“, eine schon aus dem Jahr 1959 stammende Scientology-interne 13-seitige Handlungsdirektive Hubbards mit konkreten Vorgaben in Bezug auf den Umgang mit Kritikern. Mit seinen martialischen Passagen gilt dieses Dokument als Bezugspunkt für verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich Scientology.7 Dort finden sich Anweisungen wie etwa: „Niemand unter uns richtet oder bestraft gerne. Trotzdem sind wir vielleicht die einzigen Leute auf der Erde mit einem Recht zu bestrafen – da wir den Schaden, den wir anrichten, in den meisten Fällen wieder beseitigen können.“8 Oder: „Sie bestrafen jemanden. Er geht und schließt sich den Squirrels (bei Hubbard eine Person, die die von ihm entwickelte Technologie in einer anderen Form anwendet oder sie abändert oder andere Techniken propagiert; Anm. F. W.) an. Sie stärken die Opposition. Tun Sie es nicht. Erschießen Sie den Übeltäter im Interesse des öffentlichen Wohls und flicken Sie ihn in aller Stille wieder zusammen. Das ist nicht einmal Barmherzigkeit, das ist gesunder Menschenverstand.“

Das hier sichtbar werdende Schwarz-Weiß-Denken ist durchgehend prägend für die vorliegenden Dokumente. Das zeigt sich besonders deutlich in den ebenfalls enthaltenen „Office of Special Affairs Network Orders“, die Vorgaben für die Arbeit des Dienstes bieten. Sie sind auf weite Strecken Zeugnisse eines Weltbildes, das dem Freund-Feind-Schema in einer Absolutheit verpflichtet scheint, die überhaupt keine Zwischentöne zulässt. Vom „fight“ ist die Rede, von „enemy action“ und dem paranoid wirkenden Gedanken einer beständigen Bedrohung, die von außen auf die Gemeinschaft zukomme. Dabei ist deutlich, dass die Anwendung der diversen Strategien in erster Linie als Umkehrung der gleichen Angriffe auf Scientology interpretiert wird. So wie Falschmeldungen über Scientology kursieren, ist es auch legitim, Negativpropaganda über die „Feinde“ von außen zu verbreiten. So kann vielleicht ansatzweise eine Erklärung für den immensen Aufwand gefunden werden, mit dem von Seiten Hubbards Aktivitäten dieser Art betrieben wurden.

Von besonderem Wert sind die konkreten Arbeitsdokumente, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit Frank Olivers im OSA stehen. Es geht offensichtlich in erster Linie darum, möglichst viele Einzeldaten über Personen zu sammeln. Als generelle Vorschrift gilt: „Sammelt so viele Fallgeschichten wie möglich über einzelne oder diese Gruppe, insbesondere solche, die zu strafrechtlicher Verfolgung durch staatliche oder internationale Behörden führen können“, wie es in einem „Hubbard-Communication-Office Policy Letter“ aus dem Jahr 1966 heißt.9 Das Interesse der „Agenten“ reicht von Angaben über „Reisegewohnheiten“ und Auskünften zu Kreditkartendaten über das Rückverfolgen von Telefonanrufen bis hin zur Erforschung von Gewohnheiten. Ein besonderes Anliegen war die Diskreditierung der Arbeit der Psychiatrie, die Hubbard aufgrund seiner Entdeckungen als überholt ansah. In diesem Zusammenhang findet sich beispielsweise ein Dokument, in dem es darum geht, die Wiedereinreise eines Psychiaters in die USA unter Heranziehung möglicher juristisch relevanter Vorwürfe zu verhindern.10

Dass dem OSA eine überragende Bedeutung in der Vorstellungswelt Hubbards zukommt, lässt sich aus Zitaten wie dem folgenden erkennen: „Und schließlich übernimmt das Department of Special Affairs die Verantwortung dafür, faulige Flecken der Gesellschaft zu reinigen, um ein sichereres und gesünderes Umfeld für die weitere Expansion von Scientology und für die gesamte Menschheit zu schaffen.“11

Die Absolutsetzung der Scientology-Technik kann zu keinem anderen Ergebnis führen als zu den vorliegenden Anordnungen. Dieser Grundzug wird auch in folgender Passage aus dem schon zitierten „Manual of Justice“ besonders deutlich: „Unsere Bestrafung ist nicht so grenzenlos, wie Sie vielleicht denken. Dianetik und Scientology sind Lehren, die sich selbst beschützen. Wenn sie jemand angreift, dann greift er das gesamte Know-How des Minds an. Schon schlägt die Bank über ihnen zusammen. Manchmal ist es grausam mitanzusehen.“ Diesem Verständnis nach kann es überhaupt keinen anderen Wirklichkeitszugang geben als den von Hubbard veranschlagten.

Der Umgang mit Außenstehenden ist in der Struktur des Umgangs mit den eigenen Mitgliedern gespiegelt. Deshalb haben auch die Dokumente besonderen Wert, die ausführlich auf die notwendigen Qualifikationen für etwaige Mitarbeiter eingehen. Zu diesem Zwecke gibt es ausführliche „Checklists“, um die Job-Qualifikation vollständig zu erfassen. So findet sich im Dossier eine vollständige Checklist für einen „investigation officer“ des OSA (ein so genanntes „Full Hat Checksheet“)12. Darin werden auch die notwendigen Vorausbildungen und Kurse aufgelistet, die für die Erlangung dieses Status notwendig sind, wodurch ein Einblick auch in die innersten Handlungsabläufe und die Hierarchie gegeben ist.13

Den Schlussteil des Dossiers bildet eine äußerst umfangreiche Liste derjenigen Personen und Gruppierungen, die in der Scientology-Diktion als „suppressive persons“ zu gelten haben.14 Dieses Verzeichnis aus dem Jahr 1991 wurde offensichtlich immer wieder revidiert und ergänzt, wie dem einleitenden Blatt zu entnehmen ist. Sein Umfang ist beeindruckend und zeugt von der höchst problematischen Wirklichkeitssicht dieser Scientology-Abteilung. Das gilt vor allem im Hinblick auf den Energieaufwand, der in diese Form der Tätigkeit floss. Es ist bemerkenswert, dass es sich bei der Tätigkeit des OSA nicht um eine einfache Unterabteilung einer weitverzweigten Organisation handelt, sondern um ein bedeutendes Arbeitsfeld, dessen Begründung unmittelbar in der Persönlichkeitsstruktur Hubbards gesehen werden kann. Ein fast schon zwanghaft wirkendes Bedürfnis nach Kontrolle wird hier offensichtlich.

Es wäre Sache von Scientology, zu diesen Dokumenten Stellung zu beziehen – und zwar jenseits der omnipräsenten verschwörungstheoretischen Erklärungen. Das „Office of Special Affairs“ ist Teil von Scientology und kann nicht mit beschwichtigenden Phrasen abgehandelt werden. Es ist in diesem Zusammenhang vor allem auf den eminenten Unterschied zwischen dem Außenauftritt von Scientology mit seinen besänftigenden offiziellen Stellungnahmen15 und der offensichtlichen internen Realität hinzuweisen. Auf jeden Fall bestätigen die vorliegenden Dokumente bereits bekannte Vorbehalte.

Nachtrag

Nach Fertigstellung dieses Artikels wurde auf der Seite wikileaks.org nun auch eine weitere bedeutende Dokumentensammlung online gestellt

(http://wikileaks.org/wiki/Church_of_Scientology_collected_ Operating_Thetan_documents). Hierbei handelt es sich um die internen Dokumente zu den verschiedenen Stufen der Ausbildung des „Operating Thetan“. Der Inhalt dieser Dokumente ist zwar mehr oder minder bereits bekannt (insbesondere durch das so genannte „Fishman Affidavit“, 1993), jedoch ist wieder auf die Vollständigkeit der Dokumentation hinzuweisen. Zudem finden sich hier wertvolle handschriftliche Ergänzungen Hubbards zu den einzelnen Angaben, so dass diese 612 Seiten starke Sammlung für jede zukünftige Beschäftigung mit den Lehrinhalten von Scientology zu einem wertvollen Arbeitsinstrument werden sollte.


Franz Winter, Wien
 

Anmerkungen

1 Einzusehen in einem pdf-file unter: https://secure.wikileaks.org/wiki/Church_of_Scientology_Office_of_Special_Affairs_and_Frank_Oliver

2 Eine Auswahl aus seinen Auftritten in diversen Dokumentationen über Scientology findet sich auf: www.xenu-directory.net/critics/oliver1.html.

www.xenu-directory.net/critics/oliver1.html.

4 Vgl. www.whyaretheydead.net/lisa_mcpherson/bob/A-015-071202-Oliver-V2.html.

5 Vgl. die Bemerkungen von Michael Utsch, Verbot von Scientology, in: MD 10/2007, bes. 382, über den Fall eines deutschen „Fake“-Aussteigers.

6 Vgl. z. B. die Materialien auf www.gerryarmstrong.org/.

7 So z. B. im Verfassungsschutzbericht Bayerns aus dem Jahr 2007, 203f (www.stmi.bayern.de).

8 Die deutschen Übersetzungen sind übernommen aus: www.ingo-heinemann.de/Handbuch-des-Rechts.htm

9 S. 155 im pdf-file.

10 S. 30 im pdf-file.

11 Zu finden in einer generellen Aufgabenbeschreibung des OSA auf S. 23 im pdf-file.

12 S. 41-77 im pdf-file.

13 Das ist übrigens auch ein bereits bekannter Text; vgl. www.gerryarmstrong.org/50grand/cult/osa-inted-508r.html

14 S. 164-206 im pdf-file.

15 Vgl. z. B. http://faq.scientology.org/page38b.htm und die Angaben im Zusammenhang mit dem berüchtigten Ausdruck „fair game“ (Freiwild) für Scientology-Aussteiger.