Jan Felix Engelhardt

Im Spannungsfeld von Religion, Wissenschaft und Politik

Zur Islamischen Theologie an deutschen Universitäten

Dieser Beitrag ist auch als pdf-Download verfügbar.

 

Die Etablierung und Weiterentwicklung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten entscheidet über eine zentrale Frage in Bezug auf den Islam als Religion, an die bis zu 5 % der deutschen Bevölkerung glauben, von der sie eine spirituelle Orientierung beziehen und die in vielen Fällen auch eine entscheidende kulturelle Kraft und Komponente der eigenen Identität ist: die Frage nämlich, ob es gelingt, die Religion des Islam in den Raum der Universität, in das System Wissenschaft hineinzunehmen und nach wissenschaftlichen Kriterien zu bearbeiten, zu reflektieren und weiterzuentwickeln.1 Denn darum geht es bei der Islamischen Theologie: den Islam als Glauben und religiöse Praxis an der Universität, d. h. unter Beachtung wissenschaftlicher Regeln und im Dialog mit anderen, auch kritischen Wahrheitsansprüchen, aus einer mit dem Glauben verbundenen Perspektive zu reflektieren, muslimische Wissensangebote (neu) zu ordnen und Personen auszubilden, die in Schule, Gemeinde und Gesellschaft über die eigene Religion Islam kompetent Auskunft geben und glaubensgemeinschaftliche Handlungsfelder ausfüllen können. Kurz gesagt geht es der Islamischen Theologie also darum, den Islam akademisch und gesellschaftlich sprechfähig zu machen.

Hier steht das Fach natürlich vor einigen Herausforderungen. Diese sind zum Beispiel die Frage nach dem Umgang mit der islamischen Tradition, die Frage nach der Autonomie des Faches gegenüber religiösen und politischen Anspruchsgruppen, der Umgang mit denjenigen Fragen, die der öffentliche Diskurs über den Islam behandelt, die Berufsperspektiven der Absolventinnen und Absolventen – und schließlich auch die Frage danach, wie sich die Islamische Theologie als Wissenschaft begründen kann. Denn mit der Hereinnahme islamisch-theologischer Wissensproduktion in den universitären Kontext muss die Islamische Theologie, ebenso wie die christlichen Theologien dies getan haben, Antworten auf wissenschaftstheoretische Fragen finden. Also etwa auf die Frage nach einer Begründung des Wahrheitsanspruches des Islam und der Ableitung religiösen Handelns daraus, die sich nicht auf die Feststellung beschränkt: So steht es im Koran, so hat es der Prophet getan. In einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft und in einem Wissenschaftssystem, das auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, also auf die rationale Begründung von Wahrheitsansprüchen aufbaut, ist dies zu wenig, um sich als Theologie im wissenschaftlichen Sinne zu begründen.

Zur Entwicklung des Fachs Islamische Theologie in Deutschland

Institutionell begründet wurde die Islamische Theologie durch die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung religionsbezogener Fächer in Deutschland2 und die darauffolgende Ernennung von fünf Standorten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2010/2011. Ziel war es zum einen, Forschung zum Islam aus einer Glaubensperspektive in deutscher Sprache zu ermöglichen, und zum anderen, die Ausbildung von Islam-Lehrkräften, von Theologinnen und Theologen und glaubensgemeinschaftlichem Personal zu garantieren. Die Islamische Theologie, wie sie vom Wissenschaftsrat konzipiert wurde, ist dabei in zentralen Punkten analog zu den christlichen Theologien gedacht worden: Sie soll den Islam in historischer, systematischer und praktischer Perspektive reflektieren und akademisch weiterentwickeln. Sie soll dies dabei als Teil der Geistes- und Sozialwissenschaften tun, sich also derjenigen Methoden bedienen, die diese Fächer ihr zur Verfügung stellen: historisch-kritische, sozialwissenschaftliche und hermeneutische Methoden.

Eine der wichtigsten strukturellen Analogien der Islamischen Theologie zu ihren christlichen Schwesterfächern ist sicherlich die Einrichtung von islamischen Beiräten. Denn wer in Deutschland von Theologie spricht, spricht eben auch von der Einbindung der Religionsgemeinschaft. So wurden an den Zentren in unterschiedlicher Form Beiräte geschaffen, in denen teils die großen islamischen Verbände, teils auch muslimische Einzelpersonen vertreten sind. Diese Beiräte müssen sich zur religiösen Eignung von einzustellenden Professorinnen und Professoren sowie zu erarbeiteten Curricula der Studiengänge äußern.

Die Islamische Theologie in Deutschland umfasst derzeit sieben vom BMBF und von den jeweiligen Bundesländern geförderte Standorte an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Frankfurt am Main gemeinsam mit Gießen, Münster, Osnabrück, Tübingen, Paderborn und Berlin.3 Hinzu kommen weitere Standorte, die aus den Mitteln des jeweiligen Bundeslandes oder der Universität selbst gefördert werden und zumeist über ein bis zwei Professuren verfügen. Dazu zählen Einrichtungen an der Universität Hamburg sowie an den Pädagogischen Hochschulen in Freiburg, Karlsruhe und Ludwigsburg. Diese Standorte führen religionspädagogische Studiengänge durch oder stellen den islamisch-theologischen Anteil von religionsübergreifenden Studiengängen bereit. An den durch das BMBF sowie den anderweitig geförderten Standorten sind etwa 30 Professuren besetzt, etwa ein Dutzend weitere Professuren sind geplant oder in Besetzungsverfahren.

Die erste Generation von Professorinnen und Professoren ist akademisch zum überwiegenden Teil noch in der Islamwissenschaft und in der islamischen Theologie in unterschiedlichen muslimischen Ländern ausgebildet worden. Mittlerweile haben aber die ersten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die bereits auf Studium und Promotion in der deutschen Islamischen Theologie zurückblicken, Professuren besetzt. Ca. 25 Postdocs und ca. 70 Promovierende forschen an den bestehenden Standorten. Eingeschrieben sind über 2000 Studierende, von denen die Mehrheit ein Lehramtsstudium für die islamische Religionslehre absolviert.4

Der Frauenanteil beim Personal der Islamischen Theologie liegt derzeit unter dem geistes- und kulturwissenschaftlichen Durchschnitt: Wissenschaftlerinnen haben 25 % der theologischen Lehrstühle inne (Durchschnitt 2015 in den Geisteswissenschaften: 35 %)5 und stellen jeweils ca. 35 % der Postdocs und der Promovierenden (Durchschnitt 2015 bei Promotionen in den Kulturwissenschaften: 61 %)6. Die deutliche Mehrheit der Studierenden hingegen ist weiblich. Frauenanteil und universitäre Hierarchieebene in der Islamischen Theologie korrelieren also negativ. Und den Absolventinnen stehen weiterhin geschlechtsspezifische Hürden bei der Berufswahl im Weg, seien sie rechtlicher bzw. politischer Natur – Stichwort Kopftuchverbote im öffentlichen (Schul-)Dienst – oder glaubensgemeinschaftlicher Natur – Stichwort weibliches (Führungs-)Personal in den Gemeinden.7

Die Frage, inwieweit die Islamische Theologie bereits eine Wissenschaft ist, lässt sich aus institutioneller Perspektive sicherlich positiv beantworten. Wenn auch in kleinem Maßstab, so sehen wir doch, dass das Fach institutionell an den deutschen Universitäten etabliert wird, dass Studiengänge eingerichtet sind, dass Promotionsordnungen erlassen werden usw. Allerdings machen Institutionen an sich natürlich noch keine Wissenschaft aus. Wissenschaftliche Fächer zeichnen sich vor allem auch dadurch aus, dass sie über die Autonomie verfügen, über ihre Themen, Inhalte, Fragestellungen, Bestandteile des Studiums, über ihr Personal und auch darüber, wer in dem Fach „etwas gilt“, wer also wissenschaftliche Reputation besitzt und wer nicht, selbst entscheiden können.

Zwei Ansätze im islamisch-theologischen Feld

Vereinfacht gesagt lassen sich im Fach dabei zwei Ansätze gegenüberstellen, die das Verständnis von Theologie als Wissenschaft charakterisieren: ein kritisch-reflexiver und ein tradierungsorientierter Ansatz. Dabei gibt es natürlich Abstufungen und Mischungen dieser Ansätze, die Gegenüberstellung ist daher bewusst zugespitzt. Einzelne Standorte lassen sich, Tendenzen zum Trotz, nur schwer in Gänze einem der beiden Ansätze zuordnen – die Zuordnung findet eher auf der Ebene der individuellen Forschungsarbeiten statt. Nichtsdestotrotz verdeutlicht die folgende Gegenüberstellung, welche Spannungen im Fach mit Blick auf die Rolle von Tradition für Forschung, Lehre und gesellschaftlichen Transfer existieren und inwiefern externe Interessengruppen versuchen, die jeweiligen Ansätze im Fach zu stärken.

Der kritisch-reflexive Ansatz zeichnet sich erstens dadurch aus, dass er die kritische Überprüfung der islamischen Tradition (im bisher weitgehend ungeklärten Singular) vor deren Bestätigung und Übertragung in den deutschen Kontext stellt. Er mutet der Tradition also Kritik zu, bevor er ihr Relevanz zuweist. Muslimische Theologinnen und Theologen versuchen sich damit von solchen Aspekten vergangener und gegenwärtiger islamischer Wissensproduktion abzugrenzen, die die Tradition zu Ungunsten neuer Fragen, Methoden und Wissensfelder überbetonen. Stattdessen wird die kritische Auseinandersetzung mit Gelehrtenautoritäten und paradigmatischen Lehrmeinungen sowie mit als für selbstverständlich gehaltenen Wissensbeständen und Glaubenspraktiken gesucht. Statt der unhinterfragten Übernahme von Tradition rückt damit die Kritik als zentrales Merkmal moderner Wissenschaften in den Fokus. Dieser Ansatz stellt dabei keine generelle Absage an die Tradition dar; allerdings muss sich die Tradition hier vor dem Kontext islamischer Wissensproduktion in der Gegenwart bewähren. Zweitens weist dieser Ansatz einen hohen Einbezug von Wissensbeständen, Theorien und Methoden anderer Disziplinen auf, insbesondere der Islamwissenschaft, der christlichen Theologien und weiterer Geistes- und Kulturwissenschaften. Drittens basiert er auf einem Legitimitäts- und Authentizitätsverständnis von Theologie, das sich vor allem aus der persönlichen Relevanz des Forschungsobjekts für die Theologinnen und Theologen speist. Durch die Verortung des theologischen Personals innerhalb ihres wissenschaftlichen Bezugsrahmens wird die Legitimität und Authentizität, über den Islam reflektieren und sprechen zu können, hier also individuell hergestellt. Dies ist natürlich eine Denkfigur, die in den christlichen Theologien bereits häufiger skizziert wurde.8

Dem zumindest innerhalb der Professorenschaft der Islamischen Theologie dominanten kritisch-reflexiven Ansatz steht ein tradierungsorientierter Ansatz gegenüber. Dieser zeichnet sich erstens dadurch aus, dass er auf die Übertragung der Tradition durch die Übersetzung, Sammlung und Weitergabe von Wissensbeständen fokussiert ist. Er mutet der Tradition nur zu einem geringen Teil eine kritische Überprüfung zu; stattdessen strebt er die möglichst bruchlose Fortführung islamischer Wissensproduktion an der deutschen Universität an. Hier muss sich der deutsche Kontext islamischer Wissensproduktion vor der Tradition bewähren – das neu etablierte Fach und sein Personal sind es, die sich um Eingang in die Tradition bemühen müssen. Zweitens baut dieser Ansatz die Islamische Theologie hauptsächlich auf Methoden islamischer Wissensordnungen auf und unternimmt weniger interdisziplinäre Bezüge zu verwandten Fächern. Drittens bezieht er die Legitimität und Authentizität des Faches und seines Personals aus der Übernahme der Tradition sowie der Bestätigung glaubensgemeinschaftlicher Auffassungen von islamischer Theologie. Authentizität wird hier also kollektiv hergestellt: Theologinnen und Theologen sind dann authentisch, wenn ihre Forschung und Lehre in der Lebenswelt der Glaubensgemeinschaften verortet sind. Auch diese Konzeption theologischer Authentizität existiert in der christlichen Theologie.9

Einwirkungsversuche vonseiten externer Interessengruppen

Beide Ansätze wetteifern um Dominanz im islamisch-theologischen Feld und erfahren dabei Unterstützung von wissenschaftsexternen Interessengruppen. So wird der kritisch-reflexive Ansatz vonseiten politischer, medialer und gesellschaftlicher Akteure gestärkt: Hier wird gefordert, die Islamische Theologie müsse die Tradition auf den Prüfstand stellen, den Islam historisch-kritisch dekonstruieren, die Basis für einen aufgeklärten Islam legen, und dabei dürfe sie keine „closed community“ ohne interdisziplinäre Einflüsse sein.10 Auf der anderen Seite betonen religionsgemeinschaftliche Akteure, dass durch die Islamische Theologie „nicht alles neu erfunden“ werden müsse, sondern dass sie vor allem auf der 1400-jährigen Tradition islamischer Wissensordnungen aufbauen solle, dass Theologie religiöse Identität nicht irritieren, sondern stärken solle, und es wird unterstrichen, dass den Theologinnen und Theologen die Authentizität und Legitimität ihrer Arbeit seitens der Religionsgemeinschaften zugeschrieben werde.11

In beiden Fällen möchten externe Interessengruppen auf die Islamische Theologie einwirken. Hier ist das Fach dem Risiko ausgesetzt, dass seine Autonomie als Wissenschaftsdisziplin eingeschränkt wird. Denn bei entsprechender Einflussnahme seitens Politik und sogenannter Mehrheitsgesellschaft kann sich ein übersteigerter kritisch-reflexiver Ansatz zu theologischem Reformismus entwickeln, der wissenschaftliche Reputation als Leitkategorie der Islamischen Theologie zugunsten politischer und öffentlicher Prominenz über Bord wirft. Ein solcher Reformismus ignoriert den reichen Wissens- und Reflexionsfundus der Tradition weitgehend und versucht, den Islam mit allen theologischen Mitteln in den herrschenden Zeitgeist einzupassen. Er konstruiert eine Modernismus/Fundamentalismus-Dichotomie im Islamdiskurs, die den konservativen, traditionellen Islam als tendenziell fundamentalistisch definiert und aus der gesellschaftlichen Mitte ausgrenzt. Dieser theologische Reformismus antwortet dabei auf das politische Zähmungsinteresse gegenüber der muslimischen Community, das mit der Islamischen Theologie häufig verknüpft wird. Die Kritik an der Tradition und die damit verbundene Absicht einer Aufklärung des Islam entsprechen hier den Erwartungen an eine Theologie, die das in weiten Teilen als problematisch empfundene religiöse Sinnsystem der Muslime in einen gesellschaftlichen Wertekonsens einpassen soll.

Auf der anderen Seite kann eine entsprechende Einflussnahme seitens religionsgemeinschaftlicher Akteure dazu führen, dass der tradierungsorientierte Ansatz in eine Religionsgelehrsamkeit mündet, die sich auf die Verwaltung des geistigen Erbes des Islam beschränkt. Islamische Theologie in Form von muslimischer Religionsgelehrsamkeit birgt das Risiko, wissenschaftliche Reputation als notwendiges Ideal einer universitären Theologie zugunsten religionsgemeinschaftlicher Prominenz zu vernachlässigen. In diesem Falle würde nicht die scientific community der Islamischen Theologie über Ansehen und Stellung von Theologinnen und Theologen entscheiden, sondern deren Akzeptanz und Wertschätzung bei den Religionsgemeinschaften.

Eine solche Religionsgelehrsamkeit dürfte allerdings bei der Mehrheit der Theologinnen und Theologen auf Ablehnung stoßen. Obschon Vertreterinnen und Vertreter des Faches sich in hohem Maße den theologisch-religiösen Bedürfnissen ihrer außeruniversitären muslimischen Anspruchsgruppe zuwenden, nehmen sie für sich in Anspruch, dass das von ihnen erarbeitete Wissen mit eingeübten Wissens- und Handlungsroutinen der muslimischen Glaubensgemeinschaften brechen kann. Hier wird der Anspruch auf Autonomie des theologischen gegenüber dem glaubensgemeinschaftlichen Feld deutlich. Dieser findet darin seinen Ausdruck, dass zwar thematische Impulse aus dem glaubensgemeinschaftlichen Feld begrüßt werden, die weitere Bearbeitung der Themen aber nach der spezifischen Logik der islamisch-theologischen Wissenschaftsdisziplin erfolgen soll. Ähnliches gilt für die Themenfindung und die Legitimität theologischen Forschens und Sprechens: Eine Mehrheit der Theologinnen und Theologen bezieht Fragen und Themen ihrer eigenen Arbeit sowie des Faches auch aus den Fragestellungen der muslimischen Community in Deutschland – zu der sie sich allerdings selbst zählt. Durch die Affiliation mit der außeruniversitären Zielgruppe des Faches wie auch durch die Bezugsetzung zum Rahmen der Forschung – dem muslimischen Glauben – können sich persönliches theologisches und glaubensgemeinschaftliches Erkenntnisinteresse damit vereinen. Das Interesse der Theologen trifft also im Idealfall auf das Interesse der Glaubensgemeinschaften und wird nicht von diesen vorgegeben.

Festhalten lässt sich, dass starke externe Einflussnahmen auf die Islamische Theologie zur Aufgabe wissenschaftlicher Kriterien führen und die weitere Ausdifferenzierung des Faches behindern können. Wenn öffentliche oder religionsgemeinschaftliche Prominenz wichtiger wird als wissenschaftliche Reputation, dann wird die Islamische Theologie bestellbar und zu einer Dienstleistungswissenschaft ohne eigenes Profil.

Damit kommt den Universitäten mit islamisch-theologischen Einrichtungen die entscheidende Rolle zu, diese vor externen Einflussnahmen zu schützen. Die Universitäten sollten sich als Orte verstehen, an denen über Religion unabhängig und nach akademischen Kriterien reflektiert und gestritten werden kann – und zwar im Dialog mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern glaubensungebundener Fächer –, und dafür Sorge tragen, dass eine islamische Wissensproduktion in diesem Raum die notwendige Denk- und Bewegungsfreiheit hat. Nur dann wird die Islamische Theologie auch dazu befähigt, die Herausforderung des Transfers ihres wissenschaftlichen Wissens in die Gesellschaft und die muslimische Community als Teil dieser Gesellschaft anzugehen. Dieser Transfer ist der entscheidende Faktor, an dem die Islamische Theologie sowohl von gesellschaftlich-politischer als auch von glaubensgemeinschaftlicher Seite aus gemessen wird.

Fazit

Deutlich wird damit, dass eine als Theologie ausdifferenzierte islamische Wissensproduktion vor ähnlichen Spannungen steht wie die christlichen Theologien: zwischen Autonomie und Heteronomie, zwischen akademischer Reflexion der eigenen Religion, glaubensgemeinschaftlich angebundener Wissensproduktion und Fundamentalismusprophylaxe. Wie ihre christlichen Schwesterdisziplinen auch steht die Islamische Theologie vor der Herausforderung, Theologie als Wissenschaft zu betreiben, ohne sich von den Bedürfnissen, Erwartungen und Realitäten der Glaubensgemeinschaften loszulösen und diese damit gegen sich in Stellung zu bringen. Dort, wo die Islamische Theologie Selbstverständlichkeiten entzaubert, Traditionen dekonstruiert, den Wahrheitsanspruch der eigenen Religion repositioniert, muss sie dies in einer Sprache tun, die den Eindruck entkräftet, moderne Theologie betreibe Raubbau an der Religion. Vielmehr steht die Islamische Theologie dann in der Pflicht aufzuzeigen, inwiefern als unbequem empfundene Erkenntnisse die Religion des Islam im hiesigen Kontext stärken, zur Verortung muslimischer Identität beitragen und die Kommunikabilität des Islam in öffentlichen Diskursen erhöhen.

 

1   Dieser Beitrag ist die Verschriftlichung eines Vortrags zum Thema an der evangelischen Akademie Schwerte. Für weiterführende Literatur zum Thema siehe Jan Felix Engelhardt: Islamische Theologie im deutschen Wissenschaftssystem. Ausdifferenzierung und Selbstkonzeption einer neuen Wissenschaftsdisziplin, Wiesbaden 2017.

2   Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, Berlin 2010.

3   Das BMBF fördert diese Standorte mit insgesamt 44 Millionen Euro. Vgl. BMBF: Islamische Theologie in Deutschland verankern, Pressmitteilung vom 19.1.2016.

4   Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Islamische Theologie, www.bmbf.de/de/islamische-theologie-367.html (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 12.12.2019).

5   Vgl. Statistisches Bundesamt: Frauenanteil in Professorenschaft 2015 auf 23 % gestiegen, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/07/PD16_245_213.html.

6   Vgl. Statistisches Bundesamt: Promovierende in Deutschland. Wintersemester 2014/15, Wiesbaden 2016, 27.

7   Vgl. dazu Aysun Yaşar: Frauen und Frauenbild in der islamischen Theologie, in: Martin Rothgangel / Ednan Aslan / Martin Jäggle (Hg.): Religion und Gemeinschaft. Die Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive, Göttingen 2013, 83-91.

8   Vgl. etwa Andreas Feldtkeller: Religionswissenschaft innerhalb und außerhalb der Theologie, in: Gebhard Löhr (Hg.): Die Identität der Religionswissenschaft. Beiträge zum Verständnis einer unbekannten Disziplin, Frankfurt a. M. 2000, 85f.

9   Vgl. Jürgen Werbick: Teilnehmer- und Beobachterperspektive: Wissenschaftstheoretische Reflexionen, in: Mouhanad Khorchide / Marco Schöller (Hg.): Das Verhältnis zwischen Islamwissenschaft und islamischer Theologie, Münster 2012, 37f.

10  Vgl. etwa Alexander Wendt: Keine falsche Harmonie mehr, in: Focus, 22.2.2015; Hans-Thomas Tillschneider: Nicht ohne die nötige Traditionskritik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.2.2013; Sabine Schmidtke: Theologie kann Religionswissenschaft nicht ersetzen, in: Der Tagesspiegel, 3.1.2011. Längst werden die impliziten Annahmen und Auswirkungen dieser Forderungen auf gesellschaftliche Diskurse, kollektive Identitäten und politische Mechanismen kritisch analysiert, bspw. von Schirin Amir-Moazami: Die „muslimische Frage“ in Europa. Politische Aporien der Anerkennung unter liberal-säkularen Bedingungen, in: Philipp Hubmann / Martin Gronau / Marie-Luise Frick (Hg.): Politische Aporien. Akteure und Praktiken des Dilemmas, Wien 2016, 111-136; Ruggero Vimercati Sanseverino: Was ist Islamische Theologie? Für eine akademische Glaubenswissenschaft des Islams, in: Frankfurter Zeitschrift für islamisch-theologische Studien 3 (2016), 174-176. Vgl. auch die vorausgreifende Analyse Tezcans zur Islampolitik und zur Genese des muslimischen Subjekts in Levent Tezcan: Das muslimische Subjekt. Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz, Konstanz 2012.

11  Vgl. bspw. Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion: Stellungnahme zu den Diskussionen über Herrn Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und sein Buch „Islam ist Barmherzigkeit“, Köln 2013; Engin Karahan: Islamische Theologie an deutschen Universitäten, www.academia.edu/4861163/Islamische_Theologie_an_deutschen_Universitaten_-_Die_Problematik_der_fehlenden_Vertretung_der_muslimischen_Gemeinschaften, 2-4; Mustafa Yoldaş: Fachkompetenz für muslimische Theologen. Eine Stellungnahme der SCHURA zur Errichtung einer Professur in islamischer Theologie, in: Ursula Neumann (Hg.): Islamische Theologie. Internationale Beiträge zur Hamburger Debatte, Hamburg 2002, 146-149.