Matthias Pöhlmann

„Illegale Fortbildungsstätte!“ - Vor 70 Jahren wurde die „Apologetische Centrale“ geschlossen

Das Johannesstift in Berlin-Spandau am 10. Dezember 1937: Gegen 10.30 Uhr fahren vier Fahrzeuge mit 30 bis 40 Mitarbeitern der Geheimen Staatspolizei zum Haus der Apologetischen Centrale (AC). Deren Leiter, Walter Künneth, war an diesem Vormittag nach Hannover aufgebrochen, um sich dort mit dem Betheler Pastor Friedrich von Bodelschwingh zu treffen. Der verantwortliche Gestapo-Kommissar erläutert den verdutzten elf Mitarbeitern, dass das Institut „aufzulösen und zu verbieten“ sei. Danach nehmen die Beamten eine eingehende Hausdurchsuchung vor. Der AC-Mitarbeiter Günter von Skarzinski berichtet einen Tag später über den dramatischen Vorfall: „Die Mitarbeiter der Apo[logetischen Centrale] haben sich in der Zeit von ½ 11 bis ½ 6 Uhr in dem ihnen zugewiesenen Raum unter Bewachung aufgehalten, haben sich aber in der Zwischenzeit telefonisch Essen bestellen können. Beim Fortgang haben die Beamten sämtliche Räume der Centrale versiegelt, sodaß den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Zutritt nicht möglich ist. Es wurden auch einige Akten mitgenommen, doch ist kein Protokoll angefertigt worden, um welche Akten es sich handelt ... Die Beamten haben auch in der Privatwohnung von Herrn Dr. Künneth eine Haussuchung vorgenommen und einen Koffer mit Material beschlagnahmt. Um was für Akten es sich handelte, konnte nicht angegeben werden.“

Die gewaltsame Schließung der Stelle, die 1921 innerhalb des Verbandsprotestantismus als kirchliche Dokumentations- und Informationsstelle für Weltanschauungsfragen ins Leben gerufen worden war, ging auf das Betreiben des damaligen NS-Reichskirchenministeriums zurück. In dem Institut erblickten die Machthaber eine illegale Fortbildungsstätte der Bekennenden Kirche oder – wie es ein „Lagebericht der Zentralabteilung II 1 des Sicherheitshauptamtes des Reichsführers SS für Januar 1938“ konstatierte – „die Zentralstätte der evangelischen Schulungsarbeit“. Seit 1933 hatte Künneth zunächst einen Anpassungskurs gegenüber den neuen Machtverhältnissen verfolgt und noch 1936 in einem persönlichen Schreiben dem „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, seine „politische Zuverlässigkeit“ versichert. Ein Jahr zuvor hatte sich der bayerische Theologe aber auch kritisch mit dem Werk „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ des NS-Ideologen Alfred Rosenberg auseinandergesetzt. Unter Künneths Führung geriet die Centrale mit dem von den „Deutschen Christen“ dominierten Centralausschuß zunehmend in Konflikt, der das NS-Reichskirchenministerium schließlich zum Einschreiten aufforderte. Mit der Schließung der Spandauer Stelle fiel der Gestapo das gesamte Archiv in die Hände. Es umfasste zu dieser Zeit Material „über etwa 500 verschiedene Weltanschauungsgruppen“, darunter Freidenker, „Sekten“ und zahlreiche völkisch-religiöse Gruppen. 1938 wurde das gesamte Vermögen – neben dem gesamten Aktenmaterial auch die 2000 Bücher umfassende Bibliothek – „zugunsten des Preußischen Staates eingezogen“. Protest gegen die Schließung regte sich in der Kirche nur vereinzelt. Am schärfsten reagierte die Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare, die am Verhalten der sog. intakten Landeskirchen in einem Schreiben vom 31. Dezember 1937 heftige Kritik übte: „Wir hätten es nach der ... willkürlichen Versiegelung der Apologetischen Centrale als selbstverständlich angesehen, daß die dem Lutherischen Rat angeschlossenen Kirchen, die heute allein noch in Deutschland als kirchliche Körper Gewicht haben, nicht nur jede für sich beim Reichskirchenministerium mit allem Ernst persönlich vorstellig geworden wären, sondern daß darüber hinaus auch der Weg in die Gemeinden gegangen worden wäre durch eine gemeinsame Kanzelkundgebung, die mit unüberhörbaren deutlichen Worten Recht Recht, Unrecht Unrecht, Willkür Willkür nennt ... Wer eine Position wie die Apologetische Centrale preisgibt, wird gezwungen sein, über kurz oder lang noch wichtigere Positionen aufzugeben. Der Kampf um die Apologetische Centrale ist ein Frontabschnitt, den man unter keinen Umständen preisgeben darf.“

Der Protest verhallte. Mit der Schließung der Apologetischen Centrale war die traditionsreiche publizistisch-apologetische Arbeit innerhalb des Verbandsprotestantismus vollständig zum Erliegen gekommen.

23 Jahre später wurde die Weltanschauungsarbeit in Stuttgart neu aufgenommen. Das neue Institut unter der Leitung Kurt Huttens erhielt 1960 die eher umschreibende Bezeichnung Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Der Begriff „Apologetik“ hatte zu dieser Zeit keinen guten Klang. Die Rahmenbedingungen und die Ausrichtung der Arbeit hatten sich grundlegend verändert. Neue weltanschauliche Herausforderungen traten hervor, und die Weltanschauungsarbeit erhielt jetzt neue Schwerpunkte. Es war aber kein Zufall, dass dem ersten Kuratorium der EZW die beiden früheren Leiter der Apologetischen Centrale, Carl Gunther Schweitzer (1889-1965) und Walter Künneth (1901-1997), angehörten. Seit 1997 ist die EZW nach ihrem Umzug von Stuttgart wieder in Berlin ansässig.

Rückblickend lassen sich für die 16 Jahre währende Arbeit der Apologetischen Centrale Licht- und Schattenseiten, apologetische Aporien – auch Irrwege – und politischen Umständen geschuldete Anpassungsstrategien erkennen. Auch das gehört zur Geschichte der evangelischen Apologetik. Damit ist dieses Arbeitsfeld für die Kirche keineswegs diskreditiert. Klärungen und Hilfestellungen für die Sprach- und Auskunftsfähigkeit des christlichen Glaubens im Kontext religiös-weltanschaulicher Vielfalt sind mehr denn je gefordert – für Kirche und Gemeinden und nicht zuletzt für jeden einzelnen Christen, um im Gespräch mit der Zeit Rechenschaft abzulegen über die Hoffnung, die in uns ist (vgl. 1 Petr 3,15).


Matthias Pöhlmann