Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Jutta Sperber, Duran Terzi (Hg.)

Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam

Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Jutta Sperber, Duran Terzi (Hg.), Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam (Theologisches Forum Christentum – Islam), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2007, 262 Seiten, 19,90 Euro.


Der Band dokumentiert die vierte Tagung in der Reihe des Theologischen Forums Christentum – Islam, die im März 2006 in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart stattfand und von einem katholisch-evangelisch-muslimischen Team vorbereitet und durchgeführt wurde. Die Tagung lebte, programmatisch eingeleitet durch ein Grundsatzreferat von Jacques Waardenburg, von der Einsicht, dass „Christentum“ und „Islam“ je in sich immer wieder Konstruktionen darstellen und nur in Menschen anzutreffen sind, nicht als abstrakte korporative Größen. Ferner wurde deutlich, dass auch Identitäten, Alteritäten und entsprechende Abgrenzungen je neu inszenierte Vorgänge darstellen, die nicht an ontologischen Gegebenheiten konstituiert werden.

In einer Reihe von historisch orientierten Beiträgen wird deutlich, dass sowohl Identitäten als auch Abgrenzungen nur in ihren historischen Kontexten und Bedingtheiten verstanden werden können: Für den christlichen Part zeichnet dies im Gesamtüberblick Olaf Schumann (Hamburg) nach, von Johannes von Nikiu (um 700) über Johannes von Damaskus und die Reformation (mit einer kleinen Ehrenrettung Luthers, der bei aller Polemik gegen den Koran und die Osmanen dem Islam und Muhammad immerhin mehr Ehre angedeihen ließ als der Damaszener und Philipp Melanchthon, 85-87), Lessing, die Aufklärung und das 2. Vatikanum (Nostra aetate) bis hin zu den ambivalenten Äußerungen Hendrik Kraemers. Das Pendant aus muslimischer Sicht bietet der Münsteraner Professor für Islamische Theologie, Muhammad Kalisch, der die theologischen und rechtlichen Koordinaten für die Unterscheidung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen durch die Geschichte hindurch absteckt. Eines der mutmaßlich wichtigsten Daten in diesem Umfeld, die Grenzziehung zwischen dar al-islam und dar al-harb, ist laut Kalisch „eine reine Konstruktion der islamischen Juristen“, sie sei weder aus dem Koran noch aus der Sunna ableitbar und könne leicht in Frage gestellt und ersetzt werden (65).

Peter Antes weist überzeugend nach, dass die Kreuzzüge ein Unternehmen des Papstes ohne konkrete Absprachen mit dem Oströmischen Reich waren. Seine Spitzenthese lautet: „Die Kreuzzüge sind ein westeuropäisches Unternehmen, das gegen seine eigene Intention durch islamischen Einfluss zur Kultivierung und Bildung der Christen positiv beitrug und daher vor Ort oft viel toleranter gewesen ist ..., als dies in der Theorie vorgesehen war“ (157). Ömer Özsoy kommt in seinen bemerkenswerten Ausführungen über die „Leute der Schrift“ und die „Ungläubigen“ auf der Basis von philologischen Beobachtungen an der Wortwurzel kafara und am Wort islam zu dem Schluss, dass kafara/kufr weniger „ungläubig“ als vielmehr „undankbar“ heiße und insofern ein auch Muslime betreffender Ausdruck sein könne, während islam, wenn es denn „Ergebenheit Gott gegenüber“ heiße, auch Nichtmuslime einschließen könne, womit bisher als eindeutig betrachtete Abgrenzungslinien aufgeweicht würden.

In Ergänzung zu den Ausführungen Schumanns bietet Stefan Schreiner weitere Aspekte der christlichen Reaktion auf und Polemik gegen den Islam, innerhalb derer insbesondere Johannes von Damaskus traditionsbildend gewesen ist. Anders verhielt es sich mit jüdischen Rezeptionen, die dem Auftreten Muhammads auch messianische Hoffnungselemente abgewinnen konnten. In Beiträgen über fundamentalistische Abgrenzungsdiskurse beider Seiten wertet für den christlichen Part Gritt Klinkhammer Material aus der Partei Bibeltreuer Christen und der Christlichen Mitte aus; Bekir Agai leistet dies für fundamentalistische Autoren auf islamischer Seite. Assaad Elias Kattan greift in seinem Text noch einmal die Dynamik von Unterschied, Abgrenzung und Identität auf und warnt vor der ideologisierenden Funktion von Zementierungsprozessen der Unterschiede von Religionen – während zugleich die Unterschiede ihr Recht behalten sollen. Die zusammenfassende Schlussreflexion von Andreas Renz, Klaus Hock und Abdullah Takim zeichnet den inhaltlichen Verlauf der Tagung (und des Tagungsbandes) nach und bietet eine abschließende Auswertung.

Das Buch bietet – wie bereits die Vorgängerbände der genannten Stuttgarter Tagungsreihe – eine Fülle von Material auf hohem Niveau zum Thema Identität und Abgrenzung der beiden großen religiösen Traditionen und ist besonders in der Kombination von Vorträgen und Erwiderungen/Korreferaten eine gewinnbringende Lektüre, die nur empfohlen werden kann.


Ulrich Dehn, Hamburg