Homöopathie als Thema weltanschaulicher Arbeit

Der deutsche Gesetzgeber unterscheidet drei „besondere Therapierichtungen“ (§ 109a AMG), zu denen neben der phytotherapeutischen und der anthroposophischen Therapierichtung auch die homöopathische zählt. Dem Paradigma des „Wissenschaftspluralismus“ folgend, ist Homöopathie in Deutschland (derzeit) als Therapierichtung staatlich anerkannt. Dagegen ordnet der Medizinhistoriker Robert Jütte die Homöopathie den alternativen Heilmethoden zu (Jütte 1996a, 13). Die Frage jedoch, was als alternativ zu bewerten ist, ist dabei immer im historischen und sozialen Kontext zu betrachten und folglich kontingent. Aus diesem Grund hat die Homöopathie eine wechselvolle Geschichte in Bezug auf ihre gesellschaftliche Anerkennung hinter sich.

Historisch erwachsen ist sie aus der Kritik an der ärztlichen Praxis des späten 18. und des 19. Jahrhunderts und trug so von Beginn an ein konfrontatives Moment in sich. In den Auseinandersetzungen zwischen Homöopathie-Anhängern und -Gegnern treffen konträre Wissenschaftsverständnisse und z. T. Weltanschauungssysteme aufeinander. Die Frage nach der weltanschaulichen Relevanz dieser Therapieform wird durch den Umstand erhöht, dass die „Ganzheitsmedizin“, der die Homöopathie ebenfalls zugerechnet wird, sowohl körperliche, geistige, seelische als auch spirituelle Bedürfnisse des Menschen berücksichtigen und so der wahrgenommenen Fragmentierung und Ökonomisierung des Lebens entgegentreten will (Jeserich 2010, 204).

Geschichte der Homöopathie

Die Homöopathie geht auf den Meißner Arzt Samuel Hahnemann (1755 – 1843) zurück, der am Ende des 18. Jahrhunderts ein neues Heilungsprinzip entwickelte und ab 1810 zunehmend propagierte.1  Schon Zeitgenossen Hahnemanns wie Goethes Arzt Friedrich Hufeland wurde deutlich, dass hier ein alternatives System zur herkömmlichen Medizin entstand, das auf anderen Logiken als den rational-naturwissenschaftlichen beruht. Entsprechend wurde der Homöopathie von Beginn an Unwissenschaftlichkeit oder Pseudowissenschaftlichkeit vorgeworfen (Jeserich 2010, 211ff). Ein Grund für die vehemente Ablehnung lag außerdem im unversöhnlichen Auftreten Hahnemanns, der seinen therapeutischen Zugang als den einzig wahren betrachtete und jegliche Abweichung von der „reinen Arzneimittellehre“ missbilligte. Deshalb schuf er 1831 den diskreditierenden Kampfbegriff der „Allopathie“ (griech. állos: „anders“) zur Bezeichnung der „Schulmedizin“, die Krankheitssymptome mit Mitteln behandelt, die diesen entgegenwirken. Ein entsprechendes Echo seitens der etablierten (Hoch-)Schulmediziner ließ nicht lange auf sich warten und hallt bis heute.

Nach einigen unsteten Jahren unterhielt Hahnemann zunächst in Torgau bei Leipzig, ab 1821 in Köthen/Anhalt die erste homöopathische Praxis. In Köthen wurde er vom Herzog von Anhalt-Köthen protegiert und mit Privilegien, wie dem Dispensierrecht, d. h. dem Recht zur Herstellung und Ausgabe von Arzneimitteln, ausgestattet. Hier empfing er bis zu seiner Migration nach Paris zahlreiche gut- und hochgestellte Persönlichkeiten und bildete einen Kreis von Schülern um sich. In Köthen wurde schließlich 1829 der „Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte“ gegründet, der bis in die Gegenwart eine zentrale Rolle in der Propagierung und Etablierung der Homöopathie einnimmt und seit 1832 die „Allgemeine Homöopathische Zeitung“ (AHZ)2  unterhält.

Eine Erklärung für den – trotz aller Widrigkeiten – andauernden Erfolg der Homöopathie liegt auch in der günstigen Vernetzung Hahnemanns und seiner Anhänger mit einflussreichen Medizinern, Aristokraten sowie dem wohlhabenden Bürgertum, die sich durchaus positiv auf die Durchsetzung im Diskurs auswirkte (Jütte 1996a, 179ff). Zudem professionalisierte sich die homöopathische Arzneimittelproduktion und mit ihr der Vertrieb, die fachliche Aus- und Weiterbildung sowie das homöopathische Vereins- und Verlagswesen. Hierzu zählt auch die zunehmende Systematisierung der Homöopathika, die im „Homöopathischen Arzneibuch“ (HAB) ihren Ausdruck findet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschritt die Homöopathie weiter den Weg der Institutionalisierung durch die Einrichtung von speziellen Krankenhäusern3  und universitären Professuren.4

In der Zeit von 1933 bis 1945 fiel die Homöopathie unter den Schutz der „Neuen Deutschen Heilkunde“. Nach 1945 konnte sich das homöopathische Vereinswesen von den Folgen der Gleichschaltung und des Krieges nicht gänzlich erholen und verlor wie das homöopathische Krankenhauswesen und die universitäre Ausbildung an Einfluss. Allerdings beförderten die durch die Homöopathie und andere alternativmedizinische Zugänge gestellten Herausforderungen laut Robert Jütte die Professionalisierung der Medizin.5  Als kritisches Gegenüber nimmt die Homöopathie weiterhin Einfluss und wirkt mit ihren Forderungen nach mehr Ganzheitlichkeit in der Medizin in den Diskurs hinein.

Grundprinzipien der Homöopathie

„Daß sie [Krankheiten] einzig geistartige (dynamische) Verstimmungen der geistartigen, den Körper des Menschen belebenden Kraft (des Lebensprincips, der Lebenskraft) sind. Die Homöopathik weiß, daß Heilung nur durch Gegenwirkung der Lebenskraft gegen die eingenommene, richtige Arznei erfolgen kann, eine um desto gewissere und schnellere Heilung, je kräftiger noch beim Kranken seine Lebenskraft vorwaltet“ (zit. nach Jütte 1996b, 156) Die Homöopathie vertritt einen holistischen Ansatz von Heilung. Krankheiten und ihre Symptome seien nicht stofflich, z. B. durch Viren oder Bakterien, bedingt, sondern Resultat einer „verstimmten Lebenskraft“ (Federspiel / Herbst 2005, 159ff) die mithilfe der Selbstheilungskräfte des Körpers bekämpft werden könnten (Jänicke / Grünwald 2006, 102ff). Um diese Kräfte zu aktivieren, hat Hahnemann die Idee entwickelt, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen und dies in die Formel „similia similibus curentur“ gegossen. Das Ähnlichkeitsprinzip geht davon aus, dass Krankheiten mit Substanzen in potenzierter Form geheilt werden, die ähnliche Leiden evozieren. Hahnemann zufolge führt also dasjenige Heilmittel zum Erfolg, das bei einem gesunden Menschen möglichst ähnliche Symptome erzeugt. Die so „wohldosiert gesetzten Krankheitsreize“ würden im Körper „Abwehrleistungen veranlassen“ und ihn in die Lage versetzen, sich schließlich selbst zu heilen (Stumpf 2008, 8). Der Mensch werde schließlich in seiner „Lebenskraft“ normalisiert, weil nicht nur die Symptome, sondern die Ursache der Krankheit an sich bekämpft worden sei. Folglich müsse die homöopathische Arznei dem Gesamtbild des Menschen entsprechen, um erfolgreich zu sein.

Die Wirkung der Homöopathika werde durch die Verfahren der Potenzierung und Dynamisierung des Ausgangsstoffs erreicht. Potenzieren meint die hochgradige Verdünnung der „Urtinktur“ (Jänicke / Grünwald 2006, 104). Damit die „dynamischen Kräfte“ der Substanzen hervortreten, werden sie durch rhythmisches Klopfen „herausgeschüttelt“. Der energetische Zustand in der Verdünnung werde so verändert und die geistige „Arznei-Kraft“ entfaltet (Dynamisierung). Je höher nun die Potenz sei, desto höher sei auch die Wirkkraft (König 1987, 64ff). Die Wirkung, von der Homöopathen überzeugt sind, obwohl sich molekular keine Wirkstoffe mehr nachweisen lassen,6   wird durch das „Gedächtnis des Wassers“ (Nuhn 2005) erklärt, welches die entsprechende Information oder Energie speichere.7  „Stoffliches [werde] Schritt für Schritt in etwas Unstoffliches umgewandelt“ (Stumpf 2008, 10). Je höher die Potenz ausfalle, desto geringer sei der stoffliche und desto höher sei der geistartige Anteil im Heilmittel. Demnach spielen hier Vorstellungen von Geistartigkeit8  und Energie eine wesentliche Rolle, die mit rational-naturwissenschaftlichen Weltbildern nicht vereinbar sind. Nach der Potenzierung und Dynamisierung wird die Lösung auf Trägerstoffe, wie beispielsweise Globuli, gebracht.

Auseinandersetzungen

Die Homöopathie musste von Beginn an mit Kritik umgehen. Ein wesentliches Argument, welches nach wie vor von außen gegen die Homöopathie vorgebracht wird, ist ihre mangelnde Wissenschaftlichkeit, die u. a. mit der Geschlossenheit des Systems begründet wird. D. h., dass die Grundprinzipien der Homöopathie von ihren Vertretern nicht hinterfragt, sondern als gesetzt angenommen werden, sich damit jedoch jedweder wissenschaftlichen Validierung entziehen. Die Aussagen Hahnemanns gewinnen damit den Status eines heiligen Textes. Hinzu kommen die mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht in Einklang zu bringenden Vorstellungen von energetischen Zuständen und Informationsspeicherung. Gegner führen die Wirkung von Homöopathika daher auf den Placebo-Effekt, Autosuggestion oder die Selbstheilungskraft des Körpers zurück (Jütte 1996a, 187ff). In der „Marburger Erklärung zur Homöopathie“ (1992) haben 16 Heidelberger Mediziner die Homöopathie als Aberglauben und Irrlehre bezeichnet und stehen damit in einer langen Tradition. Im medizinischen Diskurs wird fernerhin die Privilegierung der Homöopathie als besondere Therapierichtung gegenüber anderen Therapieformen und die finanzielle Besserstellung der homöopathisch arbeitenden Ärzte in Bezug auf die Erstattungshöhe der Behandlungen (z. B. der Erstanamnese) durch die gesetzlichen Krankenkassen gegenüber ihren nichthomöopathischen Kollegen bemängelt. Festzustellen bleibt, dass die Homöopathie ein Bestandteil des konventionellen Gesundheitssystems ist und damit ein Teil des Marktes, den sie kritisiert (Jeserich 2010, 204).

Auch innerhalb der Homöopathie gibt es Auseinandersetzungen. Es existieren unterschiedliche Auslegungen und Schulen. Die „klassische Homöopathie“ legt die Texte Hahnemanns sehr eng aus und folgt strikt seinen Prinzipien. Daneben gibt es Zugänge, die die Verbindung mit anderen Therapieansätzen erlauben, sowie die „naturwissenschaftlich-kritische Richtung“, die an der Fortentwicklung der Homöopathie interessiert ist (Jeserich 2010, 212ff). Unterschiedliche Ausprägungen bestehen zudem in Bezug auf die Höhe der zu verabreichenden Potenzen oder in der Frage nach der Verabreichung von Komplexmitteln. Somit kann kaum von der Homöopathie an sich gesprochen werden.

Einschätzung

Hahnemann grenzte sich deutlich von der „Allopathie“ ab – über jeden Zweifel erhaben, vertrete nur er die „wahre Heilkunst“. Sofern dieser exklusivistische Anspruch von homöopathisch arbeitenden Ärzten und Heilpraktikern geteilt wird, birgt das mit Blick auf ernsthafte Krankheiten ein großes Konfliktpotenzial. Dessen ungeachtet kommt die Homöopathie dem Bedürfnis des Einzelnen nach mehr „Menschlichkeit“ und „Sichtbarkeit“ im Gesundheitswesen entgegen, dem Wunsch nach sanften Heilmitteln, und sie drückt eine Skepsis gegenüber etablierten Systemen aus, die unsere Zeit gemeinhin prägt.

Aus christlicher Sicht gibt es durchaus divergierende Einschätzungen zur Homöopathie, die freilich stark von individuellen Haltungen der Autoren zu den Grundannahmen der Homöopathie abhängig sind. Der katholische Priester Jörg Müller (2004) sieht beispielsweise die Wirksamkeit der Homöopathie als erwiesen an, hegt „keinerlei Bedenken gegen die Homöopathie“ und unterstellt ihr „keineswegs dubiose, spiritistische Quellen“. Dagegen stehen Positionen, die mehr das rational-kritische Moment in den Vordergrund stellen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse betonen und die Glaubenssätze der Homöopathie infrage stellen.

Außer Frage sollte stehen, dass Homöopathie ein Weltanschauungssystem mit entsprechenden Praktiken ist. Ihre Heilmethode fußt auf systemimmanenten Beobachtungen, die nicht falsifizierbar sind. In der Anwendung von Homöopathika sollte dies mitbedacht und kritisch gefragt werden, ob man als Patient die homöopathische Vorstellungswelt von energetischen Zuständen und Informationsübertragung teilen kann.


Jeannine Kunert, 01.10.2019

 

Quellen

www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Zulassungsarten/ BesondereTherapierichtungen/_node.htm (Abruf: 15.7.2019).

www.mpip-mainz.mpg.de/strukturelle_Gedaechtnis_von_Wasser (Abruf: 18.7.2019).

Rüdiger Dahlke (2007): Das große Buch der ganzheitlichen Therapien, München.

Krista Federspiel / Vera Herbst (2005): Die Andere Medizin. „Alternative“ Heilmethoden für Sie bewertet, Stiftung Warentest, Berlin.

Christof Jänicke / Jörg Grünwald (2006): Alternativ heilen. Kompetenter Rat aus Wissenschaft und Praxis, München.

Florian Jeserich (2010): Spirituelle / religiöse Weltanschauungen als Herausforderung für unser Gesundheitswesen: Am Beispiel der Homöopathie, in: Raymond Becker u. a. (Hg.): „Neue“ Wege in der Medizin. Alternativmedizin – Fluch oder Segen?, Heidelberg.

Robert Jütte (1996a): Geschichte der Alternativen Medizin, München.

Robert Jütte (1996b): Wo alles anfing: Deutschland, in: Martin Dinges (Hg.): Weltgeschichte der Homöopathie, München.

Reinhard König (1987): Sanfte Heilverfahren, Neuhausen.

Jeannine Kunert (2019): Homöopathie in der Kontroverse. Zur aktuellen Debatte, in: MD 8/2019, 283-291.

Jörg Müller (2004): Alternative Heilverfahren. Therapeutischer Anspruch und Bewertung aus christlicher Sicht, Stuttgart.

Peter Nuhn (2005): Das Gedächtnis des Wassers, in: Pharmazeutische Zeitung 49, www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-492005/das-gedaechtnis-des-wassers (Abruf: 18.7.2019).

Werner Stumpf (2008): Homöopathie für Kinder, München.

 

Anmerkungen

1  Bereits im Jahr 1784 veröffentlichte Hahnemann seine Ideen zur Medizinhygiene und medizinischen Prophylaxe als handlungsbestimmende Grundhaltung von Medizinern. Als „Geburtsstunde der Homöopathie“ gilt die Schrift „Versuch über ein neues Princip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen“ im „Journal der practischen Arzneykunde“ von 1796.

2  Die Zeitschrift beinhaltet fachliche Artikel zur Forschung, Praxis und Kasuistik und stellt zugleich das Vereinsorgan des Zentralvereins dar. Auch findet sich eine Rubrik „Arzneimittelprüfungen und -bilder“.

3  In Stuttgart entstand bspw. durch die Förderung von Robert Bosch das später gleichnamige Krankenhaus.

4  Zu nennen sind hier Ernst Bastanier in Berlin (1939) und Alfons Stiegele in Stuttgart (1942).

5  Seit 1990 leitet Robert Jütte in Stuttgart das Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung.

6  Ab einer Potenz von D23 ist die Verdünnung so hoch, dass naturwissenschaftlich betrachtet (nach der sogenannten Avogadro-Konstante, d. h. der Messung der Teilchenzahl pro Stoffmenge) keine wirksamen Moleküle mehr enthalten sind.

7  Als weiterer Erklärungshorizont wird mitunter die Quantenphysik herangezogen.

8  In esoterischen Kreisen wird in diesem Kontext auch vom Feinstofflichen (im Gegensatz zum Grobstofflichen) gesprochen.