Werner H. Ritter, Bernhard Wolf (Hg.)

Heilung - Energie - Geist. Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft

Werner H. Ritter, Bernhard Wolf (Hg.), Heilung – Energie – Geist. Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft, Biblisch-theologische Studien 26, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, 284 Seiten, 21,90 Euro.


Der vorliegende Band versammelt in seinem Kernbestand verschiedene Beiträge einer Ringvorlesung, die im Wintersemester 2002/2003 an der Universität Bayreuth durchgeführt wurde. Mehr als die Hälfte der vorliegenden Beiträge wurde für die Publikation neu erarbeitet. Das besondere Profil des Bandes ist der multiperspektivische Zugang zur Heilungsthematik, der aus Sicht der Theologie, Religionswissenschaft, Psychologie, Physik, Jurisprudenz und Medizin entwickelt wird.

Mit Hoffnungen und Enttäuschungen der modernen Medizin befasst sich der erste Beitrag des Praktischen Theologen Werner H. Ritter. Unter dem Titel „Heilung, Geist, Heilung als wissenschaftliche Herausforderung“ vertritt er die Ansicht, „dass es in Sachen Heilung zwischen wissenschaftlicher Medizin/Therapie und alternativen Heilverfahren keinen totalen Gegensatz gibt, allenfalls einen relativen“ (27). Daher plädiert er für einen dialogischen Austausch zwischen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Zugängen. Der Humanmediziner Eike Uhlich weist darauf hin, dass das „Heilen“ sich einer genauen Definition entzieht. Er erinnert an die Grenzen des Heilers und des Heilens und stellt fest: „Zur ‚Wiederentdeckung des Heilens‘ ist eben nicht grundsätzlich das gesamte Arsenal modernster High-Tech-Medizin notwendig, sondern sehr oft Zuhören, Reden, Dasein“ (58). Der Arzt Jakob Bösch vertritt, wie man auf seiner Internetseite nachlesen kann, eine „spirituell orientierte Therapie“. In seinem Beitrag befasst er sich mit „Geistig-energetischem Heilen in Medizin und Psychiatrie“. An verschiedenen Stellen wird seine kirchenkritische Haltung deutlich, wenn er die Ablehnung verschiedener spiritistischer Heilungspraktiken in völlig verzerrender Weise als „Arroganz“ brandmarkt, indem er unterstellt: „Es ist die gleiche Haltung und Überzeugung, die auch zu den Inquisitionen und Hexenverbrennungen geführt hat. Aus dieser Haltung heraus werden auch die Geistchirurgen sowie Medien von diesen Kreisen gefürchtet und verurteilt“ (70). Bösch betrachtet im Anschluss an die Anthroposophie Rudolf Steiners die Krankheiten „zumeist als geistige Hilfen auf einem geistig-spirituellen Entwicklungsweg“ (79). Entscheidend für einen Heilungsprozess sei insbesondere die „Heiler-Patient-Beziehung“. Die Treffsicherheit in der Behandlung theologischer Fragen scheint bei Harald Walach zum Thema „Heilung durch ‚Energien’“ nicht gegeben zu sein. So deutet er das in der Apostelgeschichte geschilderte Pfingstwunder unter Berufung auf ein Tantra-Sachbuch (80 Anm. 4) und führt aus seiner Sicht – die eher einer „Bibel-Eis-egese“ gleicht – Begriffe wie „Energien“, „Kraft“, „besondere Begabung“ ins Feld. Dabei übersieht er jedoch, dass die beschriebenen Phänomene im biblischen Sinne nicht ontologisch zu verstehen, sondern relational an das Wirken des Heiligen Geistes gebunden und von ihm nicht zu isolieren sind. An anderer Stelle liefert Walach, der auch Vorstandsmitglied im „Deutschen Kollegium für Transpersonale Psychologie“ ist, ein interessantes Interpretationsmodell für die Heiler-Szene, wenn er konstatiert: „Jede therapeutische Intervention mobilisiert Selbstheilungsprozesse aufgrund psychologischer Effekte wie wir sie vom Placebo-Effekt her kennen“ (104). Eine profiliert skeptische Position vertritt hingegen der Physiker Martin Lambeck in seinem Beitrag über „Energie, Leben, Heilung“. Er bestreitet jegliche „Fernheilung allein durch Denken (Geistheilung)“ (125) und sucht den mittlerweile inflationär verwendeten Begriff „Energie“ als bloße Worthülse zu entlarven. Lambeck plädiert für eine präzise Definition des Energiebegriffs, je nachdem, ob er in naturwissenschaftlichem oder in sonstigem Sprachgebrauch verwendet wird. Beobachtungen zu heutigen Phänomenen steuert der Beitrag des Theologen Bernhard Wolf bei, indem er „Geistiges Heilen als Lebenshilfe zwischen Therapie und Spiritualität“ verortet. Dabei differenziert er zwischen verschiedenen Konzepten des Geistigen Heilens in der heutigen Religionskultur. Mit rechtlichen Fragen alternativer Heilverfahren befasst sich der Beitrag des Juristen Gerhard Dennacker. Er kommt zum Ergebnis: „Wer heilt, hat deshalb das Recht noch nicht auf seiner Seite“ (185). Daher regt er an, „über eine staatliche Aufsicht auf den ‚Psychomarkt‘“ nachzudenken, „um den dort drohenden Gefahren entgegen zu wirken“ (186). Der in Amsterdam lehrende Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad untersucht in seinem Beitrag „Heilung durch die Geister“ den modernen westlichen Schamanismus. Dabei nennt er drei charakteristische Erscheinungsformen gleich zu Beginn: den Neoschamanismus (z.B. Carlos Castaneda), seine Einbettung in spezifische Vorstellungen der New Age-Szene sowie dessen Rezeption in neuheidnischen Gruppierungen wie z.B. Wicca. In seiner Darstellung konzentriert sich von Stuckrad besonders auf die beschreibende Analyse eines neoschamanistischen Heilungsrituals. Der Münchner Alttestamentler Eckart Otto schildert in seinem Beitrag „Magie – Dämonen – göttliche Kräfte“ den Umgang des Alten Testaments mit Erfahrungen des Irrationalen wie Krankheit und Leid im Leben. Der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger begreift „Biblisches Christentum als Heilungsreligion“. Er geht dabei von der Beobachtung aus: „Esoterik wird immer dann frech und munter, wenn im Kernbereich der Religion Gott nur noch für das Jenseits infrage kommt“ (227). So lenkt Berger den Blick auf zentrale Textstellen im Neuen Testament und illustriert das Heilungsgeschehen anhand verschiedener Heilungen und Exorzismen. Mit „Geist, Energie, Person“ steuert der Bayreuther Systematische Theologe Wolfgang Schoberth „Überlegungen zur Gotteslehre“ bei, die nach christlichem Verständnis nur in einer Vielzahl von Metaphern möglich sein könne. Aufgabe der Theologie sei es, „die Orte aufzusuchen und zu benennen, an denen Gott in der Welt und in unserem Leben erfahren wird“ (261). Der letzte Beitrag „Zur Handlungslogik religiöser Heilung“ des Praktischen Theologen Manfred Josuttis problematisiert das neue Interesse an „Heilung“ in den Landeskirchen: „Was im Ernstfall bei Blumhardt und auch in der Gegenwart störend wirkt und unerwünscht ist, wird einigermaßen leichtfertig ins Auge gefasst. Unter dem Konkurrenzdruck von Esoterik und Alternativmedizin will man diese Marktlücke selbst möglichst rasch füllen. Krankenhauspfarrer/innen, animiert durch den Leitbegriff ‚therapeutische Seelsorge‘, wollen nun endlich zur Sache kommen“ (283). Und Josuttis provoziert: „Bis heute haben Pfarrer und Pfarrerinnen, die, in der Regel nach inneren und äußeren Krisen, bei sich die Gabe der Krankenheilung entdecken, mit erheblichen Schwierigkeiten in der Landeskirche zu rechnen“ (270). Vorrangiges Ziel seines Beitrages ist es aufzuzeigen, „dass alle Heilungsverfahren bestimmten Strukturen folgen, die je nach dem vorausgesetzten Wirklichkeitsverständnis mit physiologischen, psychologischen oder eben auch mit religiösen Faktoren rechnen“ (273).

Der Sammelband greift ein zentrales Thema heutiger Religionskultur auf. Eine darstellende Analyse der neopentekostalen „Heilungsszene“ („Geist“!) hätte sicherlich die innerchristliche Pluralisierung dokumentieren und – bei aller Differenz – auch Gemeinsamkeiten mit der modernen Esoterik aufzeigen können.

Insgesamt sind die Beiträge von unterschiedlicher Qualität. Mithilfe einer „Bilanz“ der verschiedenen Perspektiven in Form von Schlussthesen und Impulsen für die weitere Diskussion hätte das Buch freilich noch an Konsistenz gewinnen können.


Matthias Pöhlmann


Autoren

Prof. Dr. theol. Ulrich Dehn, geb. 1954, Pfarrer, Religionswissenschaftler, EZW-Referent für nichtchristliche Religionen.

Dr. theol. Andreas Fincke, geb. 1959, Pfarrer, EZW-Referent für christliche Sondergemeinschaften.

Dr. rer. nat. habil. Hansjörg Hemminger, geb. 1948, Weltanschauungsbeauftragter der Ev. Landeskirche in Württemberg, Stuttgart.

Dr. theol. Reinhard Hempelmann, geb. 1953, Pfarrer, Leiter der EZW, zuständig für Grundsatzfragen, Strömungen des säkularen und religiösen Zeitgeistes, pfingstlerische und charismatische Gruppen.

Dr. theol. Matthias Pöhlmann, geb. 1963, Pfarrer, EZW-Referent für Esoterik, Okkultismus, Spiritismus.

Dr. phil. Michael Utsch, geb. 1960, Psychologe und Psychotherapeut, EZW-Referent für religiöse Aspekte der Psychoszene, weltanschauliche Strömungen in Naturwissenschaft und Technik.