Gesellschaft

Gründung einer europäischen Akademie für Religionsforschung stößt auf Kritik

Die Gründung einer „European Academy of Religion“ (EuARe) im Juni 2017 in Bologna wurde von bestehenden religionswissenschaftlichen Forschungsvereinigungen scharf kritisiert.

Etwa tausend, auf verschiedensten Fachgebieten mit Religion befasste Wissenschaftler aus 300 verschiedenen Forschungseinrichtungen versammelten sich Ende Juni in Bologna zur Gründungsversammlung der EuARe (www.europeanacademyofreligion.org). Die Konferenz stand unter dem augenzwinkernden – oder aus Sicht bestehender Organisationen ähnlicher Zielsetzung provokativen – Titel „Ex Nihilo Zero Conference“. Ihr soll im März 2018 die erste reguläre Arbeitskonferenz ebenfalls in Bologna folgen. Neben diesen Jahrestagungen an künftig wechselnden Orten wollen die Wissenschaftler gemeinsame internationale Forschungsprojekte planen und ein frei zugängliches Publikationsportal im Internet errichten. Mit der EuARe entsteht nach eigener Darstellung ein europäisches Pendant zur renommierten „American Academy of Religion“ (AAR, www.aarweb.org). Diese hat sich bislang nicht zu der Neugründung geäußert.

Wesentliche Mitverantwortung für die Etablierung der EuARe trug der „Exzellenzcluster Religion und Politik“ der Universität Münster (www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik). Er war vor Ort personell stark präsent. Andere deutsche Universitäten waren hingegen nur vereinzelt vertreten.

Inhaltlich lag der Schwerpunkt im Bereich Christentum und Judentum, daneben ging es auch um Islam, Baha‘i sowie Neue Religiöse Bewegungen. Der Münsteraner Exzellenzcluster veranstaltete eine Vortragsreihe zum Thema der wachsenden religiösen Vielfalt in Europa. Im deutschen Kontext ungewohnt mag die Teilnahme des Präsidenten der französischen Scientologen erscheinen, dessen Religionsgemeinschaft Gegenstand einiger durchaus wohlwollender Vorträge war.1

Der interdisziplinäre Ansatz zeigte sich in einem Programm, das religionswissenschaftliche, -geschichtliche, -psychologische, -soziologische und -rechtliche Themen behandelte. Das naheliegende Ziel eines solchen akademischen Netzwerks ist die Vernetzung von Forschern, universitären und außeruniversitären Forschungszentren, wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Zeitschriften und Verlagen. Eine solche international-interdisziplinäre akademische Vernetzung leisten allerdings auch heute schon die AAR, die trotz des Namens ein weltweites Netzwerk ist, sowie die „European Association for the Study of Religions“ (EASR, gegr. 2000) und die „International Association for the History of Religions“ (IAHR, gegr. 1950).

Trotzdem bedarf es nach Ansicht der Organisatoren noch einer EuARe. Von ihren Pendants unterscheidet diese sich durch ihre ausgeprägt politischen Ziele: Das ganze Unterfangen stand unter der Schirmherrschaft des EU-Parlaments, der italienischen UNESCO-Kommission und der Vertretung der Europäischen Kommission in Italien. Romano Prodi, Ex-Präsident Italiens und der EU-Kommission, zählte zu den Hauptrednern. Daneben waren Diplomaten sowie italienische und EU-Politiker auf der Konferenz als Teilnehmer und Redner vertreten. Hans-Peter Großhans (Professor für Systematische Theologie, Münster), der wesentlich an der Vorbereitung beteiligt war, erklärte dazu, es ließen „sich durch die Akademie Forschungsergebnisse noch besser in Politik und Gesellschaft sichtbar machen – denn wir haben es mit einem drängenden Zukunftsthema zu tun“. Offen blieb dabei, was es für die Unabhängigkeit akademischer Arbeit bedeutet, wenn sie sich so unmittelbar institutionell politisch einbinden lässt und wirken will. Vorläufig muss man hoffen, dass die Vermittlung der Forschungsergebnisse in die politischen Strukturen besser funktioniert als die in die Breite gerichtete Öffentlichkeitsarbeit, denn die Webseite ist einige Monate veraltet.

Trotz des Konferenztitels entstand das Netzwerk natürlich nicht ex nihilo, sondern hat eine lange Vorgeschichte. Seit Anfang des Jahrhunderts – zu der Zeit stand Romano Prodi an der Spitze der EU-Kommission – suchte die in Bologna beheimatete „Fondazione per le scienze religiose Giovanni XXIII“ (Johannes XXIII. Stiftung für Religionswissenschaft, gegr. 1953), eine aus Spenden und staatlichen Zuschüssen finanzierte Einrichtung, den Kontakt zu EU-Vertretern, um Zusicherungen über die Zukunft staatlicher Förderung von religionsbezogener Forschung zu erhalten. Ihr Leiter Alberto Melloni war der Hauptverantwortliche für die Planung der jetzigen EuARe-Gründungskonferenz.

Nach Ansicht von Kommentatoren ist die neue Organisation auch als Versuch zu sehen, das institutionalisierte religiöse Analphabetentum der politischen Eliten Europas zu überwinden, deren säkulare Weltbilder ihnen oft den Blick für die nach wie vor prägende Bedeutung von Religion für Kultur und Zukunft Europas verstellen: „[I]nstitutional funding for multi-religious scholarly enterprises is still very hard to obtain. The secularist ideology (and ignorance in matters of religion) of this generation of European leaders still blinds them and their institutions to the rapidly changing landscape of religion in Europe, with considerable political consequences. Very few EU politicians seem to realize that Europe is also living in a post-secular age. The thing to note is the strength of European networks of knowledge and soft power, and their intention to survive the current political turmoil or even the possible collapse of the EU.”2

Die gesellschaftspolitische Relevanz von Religionsforschung vertrat Alberto Melloni offensiv. Beispielsweise sei der beste Kampf gegen den gewalttätigen Islam eine Besinnung auf die Größe der eigenen Tradition. Eine Dosis persischer Poesie des 17. Jahrhunderts bewirke mehr als Deradikalisierungsprogramme.3

In einer scharfen Stellungnahme verurteilten die oben genannten Vereinigungen „European Association for the Study of Religions“ (EASR) und „International Association for the History of Religions“ (IAHR) die neue Organisation.4 Sie vermuten dahinter die Intention, ihre bestehenden Organisationen aus dem Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit und Zuschüsse zu verdrängen. Sie betonen in ihrer Stellungnahme, ihr eigenes Ethos umfasse „all forms of research on religion that are carried out in an impartial and non-confessionally motivated manner”, sprechen also diese akademische Unparteilichkeit der neuen Organisation ausdrücklich ab. Diese gebe nur vor, eine umfassende europäische Religionsforschungseinrichtung zu sein, ja sie schade der Wissenschaft sogar: „[EuARe] is detrimental to the study of religions as an academically rigorous field of research ...“ Der Grund liege darin, dass diese keine „nicht-konfessionelle und global orientierte Wissenschaftlichkeit“ vertrete. Als Beleg verweisen die beiden Organisationen auf die starke Präsenz theologischer und interreligiös-dialogisch orientierter Themen bei der Gründungskonferenz. „Normative theology and engagement in interreligious conversation are legitimate activities in their proper context“, gehörten aber nicht zur Wissenschaft.

Neben der profanen Konkurrenz um Geld und der Frage, wie aktuell und politisch relevant religionswissenschaftliche Forschung sein solle und dürfe, scheint hier also auch der alte Streit auf, in dem große Teile der akademischen Religionswissenschaft die Meinung vertreten, es könne innerhalb religiöser und theologischer Kontexte und Fakultäten keine legitime und akademisch ernst zu nehmende Religionswissenschaft geben. Eine solche sei allein bei ihnen selbst zu verorten.


Kai Funkschmidt


Anmerkungen

1 Vgl. www.ericroux.com/Scientologie-a-l-Academie-Europeenne-des-Religions_a326.html  (Abruf der angegebenen Internetseiten: 9.8.2017).
2 Massimo Faggioli: What the European Academy of Religion Says about Religion (28.6.2017), www.commonwealmagazine.org/what-european-academy-religion-says-about-religion .
3 Vgl. Jenny Taylor: Eurocrats back new European Academy of Religion (7.12.2016), www.lapidomedia.com/news-focus-atheist-eurocrats-academy-religion
4 Gemeinsame Stellungnahme der EASR und der IAHR, http://easr.org/fileadmin/user_upload/content/pdfs/EASR-IAHR_joint_statement_about_the_EuARe.pdf. Auch die North American Association for the Study of Religion (NAASR) hat sich der Stellungnahme angeschlossen.