Misha Anouk

Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ

Misha Anouk, Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014, 256 Seiten, 9,99 Euro.

Misha Anouk, gebürtig Mischaël-Sarim Vérollet, ist Poetry-Slammer, Blogger, Autor und kritischer Geist. Seine Eltern sind Zeugen Jehovas, er selbst wuchs in der Gemeinschaft auf und wurde im Alter von 20 Jahren wegen einer nicht bereuten Sünde ausgeschlossen. Anouks Buch „Goodbye Jehova!“ ist eine autobiografisch angelegte Charakterisierung der Zeugen Jehovas. Die eigene Lebensgeschichte wird ergänzt durch eine Fülle von Material zur Lehre und Praxis der Zeugen Jehovas, darunter auch viele aussagekräftige Zitate aus dem sehr umfangreichen Schrifttum der Wachtturmgesellschaft.

Anouk unterscheidet zwischen der Wachtturmgesellschaft als der alles reglementierenden und kontrollierenden Instanz und den einzelnen Menschen, die sich nach den Vorgaben der Organisation richten und oft genug auch an ihnen leiden.

In Bezug auf seine Kindheit kommen die schönen Seiten ebenso zur Sprache wie die schrecklichen. „Man erzählte mir, dass es außerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas eine Welt gab, eine andere, spirituelle Welt, die man nicht sehen konnte. Diese Welt war böse … Deswegen war es besonders wichtig, sagte man mir, dass ich immer brav sei, in den Predigtdienst gehe, zu Jehova bete und ihm gefalle. Damit er bloß nicht auf den Gedanken käme, ich sei auf Satans Seite. Ich wollte Jehova doch nicht traurig machen, oder?“

Neben den Schilderungen seiner kindlichen Ängste und jugendlichen Gewissenskonflikte beeindrucken vor allem die schonungslose Beschreibung seines Ausschlusses und der Schwierigkeiten eines „neuen Lebens in Freiheit“ nach dem Abbruch des Kontakts durch die Familie und nahezu alle Freunde.

„Goodbye, Jehova!“ ist dank des wortgewandten und flotten Stils leicht zu lesen. Anspielungen auf die englische Band „Florence and the Machine“, auf Facebook und Harry Potter machen das Buch auch für ein jüngeres Publikum attraktiv. Schwächen hat das Buch hingegen an den Stellen, wo die Darstellung der Lehrinhalte der Zeugen Jehovas vom Unterhaltsam-Kritischen („Nur 144 000 gesalbte Menschen passen in den Himmel, der scheinbar nur so groß ist wie Osnabrück“) ins allzu Polemische gleitet, und dort, wo anklingt, dass alle Religion letztlich nur ein Mittel sei, den Menschen unfrei zu halten. Angesichts dessen, was der Autor als Religion kennengelernt hat, kann man ihm das jedoch kaum verdenken.

Anders als andere Bücher über die Zeugen Jehovas vereint dieses die Perspektive eines ehemaligen Mitglieds mit der eines Forschenden. Auf diese Weise entsteht ein plastisches Bild der Zeugen Jehovas, das einerseits die Abgründe in Lehre und Vorgaben der Organisation deutlich vor Augen führt und andererseits Verständnis entstehen lässt für die Menschen, die in ihr leben. Viele der Beschreibungen aus dem Gefühlsleben Anouks als Kind und Jugendlicher lassen sich zudem auf andere rigide Religionsgemeinschaften übertragen.


Svenja Hardecker, Stuttgart