Pia Lamberty / Katharina Nocun

Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik

Pia Lamberty / Katharina Nocun: Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik, Quadriga Verlag, Köln 2022, 304 Seiten, 22 Euro.

Durch die bundesweite Razzia mit zahlreichen Festnahmen von Mitgliedern der Reichsbürgerbewegung im Advent 2022 wurde deutlich, wie weitflächig sich bedrohliche Überzeugungen verbreitet haben, die sich aus Verschwörungserzählungen speisen. Im Jahr 2020 veröffentlichten die Psychologin Pia Lamberty und die Publizistin Katharina Nocun ihr gemeinsames Buch „Fake Facts“, das sich einige Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste hielt. Darin wurden Verschwörungserzählungen analysiert, die eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ witterten und angebliche Gründe lieferten, um dringend gegen die Eindämmungsmaßnahmen zu protestieren. Schon damals wurden die Autorinnen bei ihren Recherchen auf esoterische Glaubenslehren aufmerksam. Im Mai 2021 folgte „True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“.

Im Herbst 2022 erschien nun die Warnung vor der „radikalen Gedankenwelt“ der Esoterik. Was mit dem Kauf eines „magischen“ Amuletts beginne, könne in einer kostspieligen Dauerschleife aus Esoterik-Seminaren, Coachings und Lebensberatung enden. Aus einem vermeintlich harmlosen Hobby könne schnell bitterer Ernst werden, wenn „Betroffene in eine Schuldenfalle und gar nicht so selten in die emotionale Abhängigkeit getrieben werden“ (9). Zu den vielen Beispielen, die die Autorinnen in ihrem neuen Buch beschreiben, zählt die „Barcode-Verschwörung“. Angeblich sollen die Strichcodes auf Produkten toxische Strahlung absondern. Dagegen könnten aber aufgedruckte Symbole helfen – sogenannte „Entstörer“. Anschaulich berichten die Autorinnen über einen Besuch in einem Berliner Bio-Supermarkt, wo sie bei einigen Bio-Produkten die „Entstör“-Zeichen neben den (harmlosen) Balken-Etiketten fanden.

Das Buch formuliert erfahrungsnah und flüssig, häufig sind Sachverhalte mit persönlichen Erfahrungen und Geschichten Betroffener durchmischt. Leider werden die Gedankengänge eher assoziativ als systematisch verbunden. Die Kapiteleinteilung orientiert sich an den alltäglichen Berührungspunkten mit esoterischen Überzeugungen in Bezug auf Nahrungsmittel, bei alternativen Krebstherapien, spiritistischen Psycho-Angeboten, Life-Coachings, wirtschaftlich lukrativen Schnellballsystemen („Schenkkreis“) sowie Verbindungen zu rechtsextremen Ideologien und Gruppierungen. Den besonderen Möglichkeiten der Esoterik im digitalen Zeitalter ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Interessierte, die mehr Orientierung im undurchsichtigen Esoterik-Markt suchen, werden außer aktuellen Beispielen in diesem Buch wenig Hilfe finden. Drei gravierende Schwächen schmälern den Wert der aktuellen Beobachtungen.

Fehlende Esoterik-Definition: In einem Sachbuch einer Psychologin, die vor „Esoterik“ warnt, darf eine präzise Definition erwartet werden. Eine solche sucht man aber in dem Buch vergeblich. Sehr vage werden im Anfangskapitel als fünf Kernelemente esoterischen Denkens „Selbstoptimierung, das Selbst als höchste Instanz, ein holistisches Weltbild, magisches Denken und der Glaube an eine gerechte Welt“ breit beschrieben. Weder kommt die wichtige Unterscheidung zwischen Systemesoterik und Gebrauchsesoterik zur Sprache, noch werden zentrale religionswissenschaftliche und theologische Einsichten zum Thema aufgegriffen und referiert. Auch die Definition des Magie-Begriffs geht nicht über das vage Alltagsverständnis hinaus. Das hat zur Folge, dass sehr grobschlächtig z. B. unterschiedliche Richtungen des Schamanismus oder der Alternativmedizin als „esoterisch“ abqualifiziert werden. Ohne eine präzise fachliche Eingrenzung des Themas kann ein Sachbuch nur an der Oberfläche bleiben.

Unklares Wissenschaftsverständnis: Anstelleeiner Definition von Esoterik wird der neugierige Leser im ersten Kapitel zu einem Selbsttest mit dem „Esoterik-Neigungs-Inventar“ eingeladen, um die eigene Anfälligkeit für esoterische Überzeugungen mit zehn Fragen zu testen. Dabei täuschen die Autorinnen ihre Leserinnen und Leser bewusst, weil die Fragen ganz allgemein darauf abzielen, wie offen man grundsätzlich für neue Erfahrungen und wie gewissenhaft man ist. Das erläutern sie aber erst ein paar Seiten später, um Lesenden vor Augen zu führen, wie leicht sich jede Person durch persönliche Bestätigungen im Hinblick auf Offenheit und Gewissenhaftigkeit täuschen kann. Die persönliche Weltsicht, die sich bestätigt habe, so argumentieren die Autorinnen, wirke wie ein Filter für die wissenschaftlichen Fakten. Das Wissen darüber soll helfen, kritisch zu sein und ungewöhnliche Versprechen gründlich zu prüfen. Leider haben die Autorinnen es versäumt auszuführen, was sie mit „Weltsicht“ meinen. Existenzielle Vorentscheidungen? Kulturelle Prägungen? Oder religiös- philosophische Glaubenssysteme? Auch hier fehlt es an wissenschaftstheoretischem Tiefgang.

Fehlende Handlungsempfehlungen für Betroffene: Die Autorinnen beklagen, dass esoterischer Glaube gefährlich werden könne und damit ein milliardenschwerer Markt am Leben erhalten werde. Damit haben sie Recht. Immer wieder werden in dem Buch auch Episoden von Betroffenen eingeflochten, die durch ihren erwartungsvollen Glauben wirtschaftliche, seelische und körperliche Schäden erlitten haben. Diese Gruppe dürfte auch das angepeilte Kaufpublikum sein, das sich hier Hilfe und Unterstützung erhofft. Leider werden diese Erwartungen enttäuscht. Denn außer differenzierten Beschreibungen von Phänomenen, die in der Weltanschauungsarbeit schon lange bekannt sind, und deutlichen Warnungen davor werden keine Hilfen gegeben. Diese sind womöglich einem Folgeband vorbehalten, der vielleicht schon in Arbeit ist.


Michael Utsch, 05.01.2023