Pfingstbewegung

„Feuerkonferenz“ mit Reinhard Bonnke in Stuttgart

(Letzter Bericht: 6/2001, 190ff) Vollmundige Ankündigungen und Versprechungen sind im Vorfeld pfingstlich-charismatischer Großveranstaltungen üblich. Erwartung und Erfüllung werden in der euphorischen Stimmung des inszenierten Events oft eins im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“. Die kritische Bilanz hinterher bleibt meist aus: Wo sind nun die vielen leeren Rollstühle, die auf hunderten Plakaten abgebildet waren, mit denen der Heiler Charles Ndifon in Tübingen angekündigt war? Wo wurde bei der Aktion „Der Schwarzwald brennt“ diese Region tatsächlich entzündet, wie beim „Kick-off“ angekündigt, so dass viele neue Gemeinden aus dem Boden geschossen wären? Die Euphorie beim Event selbst reicht oft aus, um es als gelungen zu bilanzieren, auch wenn die versprochenen Heilungen oder die große Erweckung ausbleiben.

Dieser Effekt ist nicht eingetreten bei der „Feuerkonferenz“ („Full Flame“-Konferenz), die Reinhard Bonnke mit seiner Organisation Christus für alle Nationen (CfaN) vom 14. bis 16. September in der Stuttgarter Schleyer-Halle abgehalten hat. Dafür waren die Erwartungen, vor allem beim Veranstalter selbst, doch etwas zu hoch gespannt. Dies begann schon mit der Anmietung der Halle mit ihren 15 000 Sitzplätzen. Sie blieb zu zwei Dritteln leer. 10000 leere Sitze dämpfen einfach die Begeisterung über die doch immerhin 5000 Besucher, die sich in dieser großen Halle aber fast verloren. Wenn sich dagegen sonntags im Gottesdienst der Biblischen Glaubensgemeinde (BGG) im „Gospel Forum“ in Stuttgart-Feuerbach 2000 bis 3000 Menschen versammeln, ist die Wirkung eine völlig andere: „Unser Haus ist voll, wir sind die Größten, wir sind eine Mega-Church!“

Beim Besuch der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend hatte ich den Eindruck, dass die leeren Sitze vor allem den großen Evangelisten selbst enttäuschten. Dass er die 5000 bis 7000 Besucher als kleines Häuflein empfinden musste, wurde auch durch die immer wieder eingeblendeten Filmclips verstärkt: Man sah die mehrere Fußballfelder umfassenden Plätze, überfüllt mit hunderttausenden von vor Begeisterung außer sich geratenen Schwarzafrikanern vor gigantischen Landschaften zu Füßen Bonnkes. Diese Bilder wirkten auf die im Verhältnis dazu kleine und sehr temperiert jubelnde Schar der Besucher fast niederschmetternd – offenbar auch auf Bonnke. Denn nach einem der Clips sagte er in einem etwas gekränkt klingenden Ton: „Ach, am liebsten würde ich das nächste Flugzeug nehmen, um wieder dort zu sein.“ Der vielleicht erhoffte Protest blieb aus.

Bonnke schrie laut und gestikulierte heftig, wie man es vom „Mähdrescher Gottes“ erwartete. Aber die Rhetorik wirkte aufgesetzt, bemüht. Er kam nicht in Schwung. Die immer wieder eingeforderten Antworten auf kindliche Fragen und das „Halleluja“ und „Amen“ kamen nicht so begeistert, wie er es gewohnt ist. Statt des sonst bekannten gegenseitigen Hochschaukelns zwischen charismatischem Prediger und der Menge fand eher ein gegenseitiges Herunterdämpfen statt.

Zu den Evangelisationsabenden waren die „Verlorenen“ eingeladen, die gerettet werden sollten. Tagsüber, zu den Konferenzen, waren Christen eingeladen, die die Evangelisationsmethoden Bonnkes lernen sollten. Wie bei den meisten Evangelisationsveranstaltungen waren auch hier offensichtlich so gut wie ausschließlich bekehrte Christen da; zum großen Teil wohl Menschen aus pfingstlich-charismatischen Gemeinden der Umgebung. Auch deren Leiter entdeckte ich im Publikum. Aus manchem Gespräch, das ich am Rande aufschnappte, folgerte ich: Mitglieder und Leitende der charismatischen Gemeinden waren gekommen, um einfach einmal zu sehen, was dieser Bonnke, der sich so groß ankündigen ließ, zu bieten hatte. Über das charismatische Spektrum hinaus waren vermutlich auch einige evangelikale Christen aus den Kirchen und Freikirchen der Umgebung da.

Ob Bonnke und sein Organisatorenteam wohl bedacht haben, dass sich die Situation in Deutschland, und vor allem im Süden, gegenüber der Zeit von vor 30 Jahren, als er hier seine großen Erfolge feierte, völlig verändert hat? Ob ihm klar war, dass das, was er zu bieten hat, nichts Besonderes und nichts Einmaliges mehr ist? Im Raum Stuttgart gibt es einige große und in vielen Ortschaften kleinere neupfingstliche Gemeinden mit Predigern, „Propheten“, „Heilern“, die einen persönlichen Bezug zu ihren Gemeindegliedern haben und regelmäßig all das anbieten, wofür Bonnke nach seinem Anspruch allein und direkt von Gott beauftragt wurde. Es gibt Heilungsgottesdienste, Glaubenskurse, Bibelschulen für alle Altersgruppen, Jüngerschaftsschulen, Prophetenschulen etc. Bonnke aber behauptet, Gott habe ihn beauftragt, seine Evangelisationsmethode „allen Gemeinden auf der ganzen Welt“ zu lehren. Da er „nur einer“ (so auf dem Einladungsprospekt) sei, habe ihm Gott die Idee mit der Filmserie „Full Flame“ gegeben. Die Premiere der deutschen Fassung sollte in Stuttgart groß gefeiert werden. Der Anspruch Bonnkes, „nur einer“ zu sein, wirkt merkwürdig angesichts dieses Publikums. Hätte er mit den hiesigen Gemeinden und Leitern zusammengearbeitet, als ein besonderer Erntearbeiter unter anderen, hätte er eine sehr viel größere Wirkung erzielen können. Aber das wäre nicht mehr das Konzept „Reinhard Bonnke“!

Heldengeschichen aus Afrika und riesige Zahlen spielten in der Predigt eine große Rolle. Eine der Geschichten mit Zahlenspielen wirkte fast zynisch: Bonnke berichtete von einem Autounfall in Afrika: In der Autoschlange, die sich gebildet hatte, ließ er sich auf das Autodach bitten und predigte. Als er die traurige Nachricht vom Unfallort erfuhr: „10 Tote!“, entgegnete er: „und 70 Neubekehrte!“

Bonnke sagte, Gott habe einen (wieder dieser eine!) gefunden, der akzeptiert habe, in diesem Jahrzehnt 100 Millionen Menschen zu retten. 44 Millionen ausgefüllte Entscheidungskarten habe er seit 2000 schon gesammelt, 56 Millionen fehlten noch. Er sei wohl verrückt, dass er sich darauf eingelassen habe. Aber, so sagte er in infantilisierendem Ton: „Nun sollen wir alle für eine Stunde verrückt sein und ganz große Opfer für Gott bringen.“ Briefumschläge für Geldscheine und grüne Antwortkarten wurden verteilt: 50, 500 und 5000 Euro konnte man als einmalige Geldgabe ankreuzen oder einen monatlichen Beitrag angeben, zu dem man sich verpflichtete. Wir hätten durch die Geldgaben einen großen Anteil daran, aber auch eine große Verantwortung dafür, dass die 100 Millionen Seelen durch ihn und sein Missionswerk zu schaffen seien. So verteilen sich also die Zuständigkeiten und Kompetenzen in seinem Plan, dachte ich mir – und sicher nicht nur ich. Der Rückfluss der Antwortkarten und Briefumschläge war trotz allen Drängens recht zögerlich. Wenn man bedenkt, dass alle diejenigen, die in einer charismatischen oder anderen freien Gemeinde eingebunden sind, normalerweise schon ihren Zehnten abgeben und meist selbst versuchen, missionarisch tätig zu sein, ist das kein Wunder. Trotz allem: Über eine Million Euro seien an dem Wochenende (neben den Konferenzbeiträgen und Erlösen aus dem Filmverkauf) als Spenden eingegangen, so wurde nach der Konferenz bekannt gegeben.

Bonnke verkündigte, nicht nur in Afrika sollten Hunderttausende gerettet werden. Er sei sicher, dass, noch bevor die Feuerkonferenz vorüber sei, auch Stuttgart, Baden-Württemberg, Deutschland, Europa brennen werden! Nach den Bildern von wogenden Meeren „geretteter“ Afrikaner konnte diese Ankündigung nicht den gewünschten Glauben und Jubel auslösen.

Nach eineinhalb Stunden Veranstaltung tauchte erstmalig ein Bibelvers auf: „Adam, wo bist du?“ brüllte Bonnke wieder und wieder in den Zuschauerraum. Die zentrale biblische Aussage, die er nun mit großer Dramatik vortrug, dass der christliche Gott einer sei, der die Menschen suche und retten wolle, war für dieses Publikum, die Autorin dieses Berichts eingeschlossen, unstrittig, aber auch nicht neu. Dazu, wie die Rettung im Einzelnen vor sich geht und wie man, so gerettet, sein Leben bewältigt, gab es keine Hinweise. Das Ausfüllen einer Antwortkarte wird wohl nicht alles lösen. Oder doch? Bonnke versprach: „Jesus ist stark. Wenn er kommt, ändert sich alles. Deine Ehe wird wieder gut. Du bekommst einen guten Job, alles wird neu. Ab heute ist Schluss mit allem, was nicht klappt!“

Es folgte der Bekehrungsaufruf: Wer das wolle, solle sich jetzt melden und nach vorne kommen. Sehr zögerlich kam eine kleine Schar nach vorne. Bonnke sprach eine Art Übergabegebet, das das ganze Publikum Satz für Satz gehorsam nachzusprechen hatte. Er schickte die „Neubekehrten“ zu so genannten „Seelsorgern“ in roten T-Shirts, die ihnen ein kleines Bonnke-Heft in die Hand drückten.

Anschließend verkündete Bonnke, dass auch Kranke geheilt werden sollen. Heute wolle Gott insbesondere Tumore heilen. „Wer will geheilt werden?“ Zu meiner großen Überraschung schnellten jetzt die Hände massenhaft nach oben. Zwei alte Damen, die bisher bewegungslos da gesessen und offenbar nur auf diesen Augenblick gewartet hatten, streckten ihre Finger kerzengerade nach oben. Aber auch viele junge, gesund aussehende Menschen strömten nach vorne. Mindestens ein Drittel des Publikums war jetzt auf einmal unterwegs. Allerdings sah ich selten hochgespannte Erwartung in den Gesichtern und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies nicht der erste Heiler war, der von diesen Menschen aufgesucht wurde. Die Haltung, mit der viele nach vorne gingen, erschien eher pragmatisch, konsumorientiert: „Das nimmst du jetzt auch noch mit. Vielleicht hilft es ja doch. Schaden kann es jedenfalls nicht. Wenn schon die Predigt nicht so besonders war, vielleicht kann er als Heiler doch mehr als andere.“ Bonnke forderte auf, die Hände auf die kranke Stelle zu legen. Dann betete er den Heiligen Geist herbei und zählte viele Krankheiten auf, die angeblich jeweils just in diesem Augenblick geheilt wurden. Sofort wurden Heilungszeugnisse eingefordert und „Geheilte“ auf die Bühne gescheucht. Die „Erfolge“ auch dieser Aktion blieben hinter den Erwartungen zurück: Ein Knie, das sich nicht mehr biegen lassen wollte, bog sich jetzt zum Gebet. Ein junger Mann, der bei der Arbeit Rückenschmerzen hatte, durfte die Beweglichkeit seines Rückens vorführen. Wieder wirkte Bonnke etwas ungeduldig und genervt. Nur bei einem der „Geheilten“ fragte er nach dem Namen; nur eine, eine Südamerikanerin, „schaffte“ es, dem bereitstehenden Helfer in die Arme zu sinken, nachdem Bonnke ihr, wie allen „Geheilten“, mit Nachdruck die Hände aufgelegt hatte. Wer heute nicht gesund geworden sei, solle morgen noch einmal kommen, sagte Bonnke.

Die Menschen, die ich hinterher auf der Straße und in der Straßenbahn traf, wirkten nicht begeistert und erfüllt. Zwei junge Frauen mit „Full-Flame“-Dauerkarten um den Hals fuhren schweigend und etwas mürrisch zu ihrem Nachtquartier. Ob der Feuermacher, der aus Afrika angereist war, sie wohl noch in Brand gesetzt hat?


Annette Kick, Stuttgart