Gesellschaft

Extremismus in Deutschland - der Verfassungsschutzbericht 2017

Am 24. Juli 2018 hat Innenminister Horst Seehofer gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, auf der Bundespressekonferenz in Berlin den Verfassungsschutzbericht 2017 vorgestellt (www.verfassungsschutz.de/de/download-manager/_vsbericht-2017.pdf ).

Politisch motivierte Kriminalität vonseiten des Rechts- und Linksextremismus, des Extremismus von Ausländern in Deutschland, des Islamismus und der Reichsbürgerszene stellt laut dem neuesten Verfassungsschutzbericht aktuell die größte Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland dar. Die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten belief sich im Jahr 2017 auf 29 855. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr zwar einen Rückgang um 1103 Straftaten, allerdings ist der prozentuale Anteil extremistisch motivierter Straftaten im Vergleich zum Vorjahr von 74,5 auf 75,6 % gestiegen.

Der Großteil dieser Straftatbestände ist dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ zuzuordnen. Dort wurden 19 467 Straftaten erfasst. Allerdings verhalten sich rechtsextreme Gewalttaten rückläufig und sind im Vergleich zum Vorjahr um 34,1 % – von 1190 auf 774 – gesunken. Dennoch schätzt der Verfassungsschutz, dass sich 2017 das rechtsextremistische Personenpotenzial von 23 100 (2016) auf 24 000 erhöht hat. Davon werden 12 700 Personen als gewaltorientierte Rechtsextremisten eingeordnet. Erhöht haben sich die Zahlen subkulturell geprägter Rechtsextremisten sowie der Neonazis.

Rückläufig sind hingegen Mitgliedschaften in den Parteien „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) und „DIE RECHTE“. Sie verloren seit 2016 jeweils 500 Mitglieder. Einzig „Der III. Weg“, mit Sitz in Rheinland-Pfalz, ist von 350 Mitgliedern im Jahr 2016 auf 500 Mitglieder im Jahr 2017 gewachsen. Die ideologischen Aussagen der Partei sind geprägt von historischem Nationalsozialismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und einer fundamentalen Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats.

Eine solche Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats verknüpft sich bei „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ mit einer grundsätzlichen Zurückweisung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Anders als „Die Reichsbürger“ rekurrieren die „Selbstverwalter“ nicht zwingend auf ein „Deutsches Reich“, dennoch können in den Szenen laut Verfassungsschutzbericht nahezu identische Argumentationsmuster nachgewiesen werden. Deutschlandweit lässt sich ein enormer Anstieg der Szene um ca. 65 % beobachten: von 10 000 (2016) auf 16 500 (2017). Der überwiegende Teil der Reichsbürger ist männlich (74 %) und über 40 Jahre alt. Die „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ weisen eine überdurchschnittlich hohe Affinität zu Schusswaffen auf. Im Berichtszeitraum 2017 wurden 977 politisch motivierte Straftaten erfasst, 783 dieser Delikte werden als extremistisch eingeordnet. Da die Delikte dieses Phänomenbereichs 2017 erstmals ausgewiesen wurden, liegen keine Vergleichsdaten zum Vorjahr vor. Der Verfassungsschutz schätzt, dass ungefähr 900 Personen dieser Szene Rechtsextremisten sind. Die Erfassung des Personenpotenzials gilt allerdings noch nicht als belastbar abgeschlossen.

Ein besonders auffälliger Anstieg von Gewalttaten wurde im Spektrum „Politisch motivierte Kriminalität – links“ konstatiert. Gewalttaten gegen Polizei und Sicherheitsbehörden sind im Vergleich zum Vorjahr um 65 % von 687 auf 1135 gestiegen. Dieser Anstieg ist mit dem G20-Gipfel in Hamburg zu erklären – denn allein in Hamburg wurden im Jahr 2017 832 Gewalttaten begangen. Allerdings stellt der Verfassungsschutz auch insgesamt einen Anstieg des Personenpotenzials im Linksextremismus um 3,4 % auf 29 500 Personen fest und klassifiziert 9000 dieser Personen als gewaltbereit.

Im Bereich „Politisch motivierte Ausländerkriminalität – religiöse Ideologie“ wurden im Berichtszeitraum 907 extremistische Straftaten erfasst. 885 dieser Delikte weisen laut Verfassungsschutzbericht einen islamistisch-fundamentalistischen Hintergrund auf. Zudem gab es einen islamistisch-terroristisch motivierten Anschlag in Hamburg. Das Personenpotenzial des Phänomenbereichs „Islamismus“ schätzt der Verfassungsschutz auf 25 810. Ein Anstieg lasse sich vor allem im salafistischen Milieu verzeichnen. Zugleich wird beim Salafismus ein deutlicher Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private beobachtet, was etwa durch das Verbot der öffentlich sichtbaren Straßenmissionierung mittels Koranverteilungsaktionen der Vereinigung „Die Wahre Religion“ (DWR) erklärt wird.

Als fünften Bereich der politisch motivierten Kriminalität erfasst der Bundesverfassungsbericht den Bereich „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern“, in dem Organisationen gelistet werden, die Ideologieelemente aus dem Rechts- und Linksextremismus verbinden und zum Teil separatistische Bestrebungen aufweisen. Die für die innere Sicherheit Deutschlands besonders relevanten Organisationen seien die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C) sowie die „Ülkücü-Bewegung“. Insgesamt schätzt der Verfassungsschutz das Personenpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen im Jahr 2017 auf 18 050 Linkextremisten, 1500 Separatisten und 11 000 Rechtsextremisten.

Mit dem Extremismus verbinden sich zudem ein zunehmender Antisemitismus und eine wachsende Israelfeindlichkeit. Antisemitismus ist laut Verfassungsschutzbericht ein Merkmal sämtlicher islamistischer Organisationen in Deutschland. Er ist zudem ein charakteristischer Aspekt aller Beobachtungsobjekte aus dem rechtsextremistischen Spektrum, die im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Die Beobachtungsobjekte des linksextremistischen Spektrums beschreibt der Verfassungsschutz hingegen nicht als durch Antisemitismus und/oder Israelfeindlichkeit geprägt.

Horst Seehofer bewertet die sicherheitspolitische Situation in Deutschland im Vorwort des Berichts insgesamt als eine Herausforderung für die Demokratie, die in unserem föderalen Verfassungsstaat „einen harmonisierten Rechtsrahmen für die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes mit wirksamen Befugnissen“ erfordere, denn „Bereiche unterschiedlicher Sicherheit und blinde Flecken“ könne man sich nicht erlauben.
 

Hanna Fülling