Paranormale Heilung

Ein wissenschaftlicher Vortrag? Besuch einer Veranstaltung des Bruno Gröning-Freundeskreises

(Letzter Bericht: 2/2009, 68f) „Zum Ärzte-Vortrag“ steht groß auf einem Plakat vor dem Mannheimer Bürgerhaus. Ich betrete an einem Mittwochabend (6.11.2013) den Saal. Er ist gut gefüllt. Etwa 80 Besucherinnen und Besucher sitzen bei gedämpftem Licht und unterhalten sich angeregt. Man kennt sich, begrüßt einander. Viele haben sichtbare Gebrechen, einige müssen beim Gehen gestützt werden. Im vorderen Bereich des Raums ist eine Leinwand aufgebaut, ein Tisch mit Blumen und eine Musikanlage stehen bereit. Und ein riesiges Schwarzweiß-Foto steht dort: der Mann mit dem stechenden Blick. Wir befinden uns in einer Veranstaltung des Bruno Gröning-Freundeskreises (BGF).

Außer zu den normalen wöchentlichen Zusammenkünften der örtlichen Bruno Gröning-Freundeskreise wird auf der Homepage (www.bruno-groening.org) weltweit zu Informationsvorträgen von Ärzten und Heilpraktikern der „Medizinisch-Wissenschaftlichen Fachgruppe“ (MWF) eingeladen. Dort halten sie „regelmässig Informationsvorträge über Heilung auf geistigem Wege nach der Lehre Bruno Grönings“. Die Gruppe wurde 1992 innerhalb des Freundeskreises gegründet. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Heilungen auf geistigem Wege wissenschaftlich zu dokumentieren und zu archivieren und diese Ergebnisse in Publikationen und auf Vorträgen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach eigenen Angaben wächst die Gruppe: Findet man auf der Homepage noch die Information, dass der MWF „2003 über 6000 Ärzte und Heilkundler aus über 60 Ländern angehören“, so sprach man bei der Veranstaltung in Mannheim bereits von „mehreren Tausend Medizinern in über 80 Ländern“.

Zurück in den Saal des Bürgerhauses: Nach einer kurzen Begrüßung baten die Organisatoren zunächst darum, alle Handys ganz auszustellen, da sonst der Laptop von den Strahlen gestört werden könne. Diese Erkenntnis war mir neu. Interessant war die Reaktion auf die Frage: „Wer ist durch die flächendeckend in Mannheim und Worms verteilten Flyer zu dieser Veranstaltung gekommen?“ Es meldeten sich drei Teilnehmer. Es ist also davon auszugehen, dass die meisten Besucherinnen und Besucher den Freundeskreis bereits länger kennen und ihn öfter besuchen. Das Publikum war altersmäßig durchaus gemischt, der Frauenanteil überwog. Eindringlich wies die Leiterin des Mannheimer Freundeskreises darauf hin, dass man sich äußerlich („Kutscherhaltung“: Beine und Hände nicht überkreuzt, offene Sitzposition) und innerlich ganz auf den Vortrag und den fließenden Heilstrom einstellen solle. Anschließend begann der Referent des Abends, Dr. med. Gerhard Blättner, seinen Vortrag.

Blättner wird in Publikationen des BGF als Leiter der Medizinisch-wissenschaftlichen Fachgruppe vorgestellt. Bei einer Recherche im Internet fällt er durch einige YouTube-Videos auf, in denen er für Bruno Gröning wirbt und sich bemüht, Heilungen auf dem geistigen Weg medizinisch zu beweisen. Außerdem stößt man auf Interviews, mit denen er in diversen Publikationen des BGF und in Esoterik-Zeitschriften vertreten ist. Als Kontakt gibt er eine Adresse im bayerischen Thalmassing an.

In seinem Vortrag schilderte er zunächst, wie er zum BGF gekommen ist: Er sei selbst auf der Suche gewesen, da ihn die Schulmedizin nicht mehr befriedigte. Von Patientinnen und Patienten habe er erfahren, dass sie zu dieser Gruppe gehen und dort Heilungen erlebt hätten. Das habe ihn zunächst kritisch gestimmt. Letztlich überzeugt worden sei er durch die Spontanheilung seiner schwer kranken Ehefrau nach dem Besuch einer Veranstaltung des BGF.

Es wurde deutlich, dass die Mitgliedschaft von Blättner in der MWF von unterschiedlichen Motivationen bestimmt ist: Zunächst scheint es die Suche nach einer Alternative zur Schulmedizin gewesen zu sein, ausgelöst durch enttäuschende Erfahrungen von Begrenztheit. Diese Erlebnisse hat er als Arzt gemacht, und sie sind vermutlich für jede Medizinerin und jeden Mediziner, ja für jeden nachvollziehbar, der mit Menschen in Grenzsituationen arbeitet. Dass die Schulmedizin nicht alles vermag, ist unbestritten. Sodann ist die Mischung aus Distanz zu Heilungserlebnissen und die gleichzeitige Faszination erkennbar. Diese Erlebnisse können zwar nicht genau eingeordnet werden, sie scheinen aber das Bedürfnis nach einer Alternative zur Schulmedizin befriedigt zu haben. Die persönliche Betroffenheit kommt hinzu: Ein von ihm geliebter Mensch wird – seiner Aussage nach – geheilt. Unbestritten und nachvollziehbar ist die starke persönliche Motivation. Sie gehört in den privat-emotionalen Bereich, über den es mir nicht zusteht, ein Urteil zu fällen. Dies bedeutet jedoch zugleich, dass aus meiner Sicht nicht mehr von einer objektiven, unabhängigen und damit wissenschaftlichen Sicht auf die Dinge die Rede sein kann.

In seinem Vortrag bemühte sich der Referent weiter darum, geistige Heilungen wissenschaftlich zu fundieren. Unter anderem sprach er davon, dass „Geistheilungen mittlerweile von dem Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie bewiesen“ seien, ließ allerdings das Fachgebiet der Placebo-Forschung aus, das für eine unabhängige Sicht der Dinge ergänzend dazugehört hätte. Hier spürte ich deutlich die Divergenz zwischen unabhängiger wissenschaftlicher Forschung und Eigendarstellung. Blättner führte zwei Beispiele von Heilungserlebnissen aus der Praxis an: das einer schwerhörigen Frau und das eines an Osteoporose erkrankten Mannes. Da ich kein Mediziner bin, kann ich die gezeigten „Beweise“ nicht beurteilen. Aus meiner Praxis als Klinikseelsorger weiß ich allerdings um die hohen Ansprüche, die an medizinisch-wissenschaftliche Studien gestellt werden. Ob solche bei der MWF gelten, war für mich nicht transparent. Irritierend fand ich, dass persönliche Daten der Patienten nicht anonymisiert gezeigt wurden. Es mag für die MWF als Bestreben nach Transparenz gelten – ich habe an dieser Stelle datenschutzrechtliche Bedenken.

Der Vorstellung dieser beiden Fälle folgten dann in Mannheim zwei persönliche Heilungsberichte. Sowohl bei diesen Schilderungen als auch bei den Ausführungen von Blättner und den anderen beteiligten Personen wurde eine Systematik augenscheinlich, die sich bei allen wiederholte: Zunächst habe man sich mit großer Skepsis dem BGF und dem Heilstrom genähert, sei dann aber durch das Erleben von Heilung völlig überzeugt worden. Ergänzt wurde diese Systematik durch suggestive Bekundungen: „Heute Abend werden Sie den Heilstrom spüren. Er wird bei Ihnen fließen. Wenn Sie sich einstellen, offen und bereit sind, werden Sie geheilt. Es gibt kein Unheilbar.“ Man hielt sich allerdings sämtliche Hintertürchen offen für den Fall, dass sich Heilungen nicht einstellen sollten: So betonte Blättner, dass die Regelmäßigkeit des Einstellens auf den Heilstrom wichtig sei. Außerdem hob er hervor: „Wie wir das aus der Homöopathie kennen, kann es auch zu Erstverschlimmerungen kommen. Die Beschwerden können schlimmer werden, ja unerträglich. Wenn man aber dann dabei bleibt, wird sich eine Verbesserung, ja Heilung, einstellen.“

Trotz des Betonens, man werde zu nichts gezwungen, und der Versicherungen auf der BGF-Internetseite, man rate nicht von einem Arztbesuch ab, untermauert er mit dieser Aussage einen der stärksten Kritikpunkte gegenüber dem BGF: „Aus medizinischer Sicht besteht die Gefahr, dass eine Verschlimmerung von Krankheiten nicht mehr wahrgenommen wird und andere Hilfsmittel ausgeblendet werden“ (Hansjörg Hemminger auf www.weltanschauungsbe
auftragte.elk-wue.de).

Bei der Veranstaltung folgten einige Ausführungen über Bruno Grönings Leben und Wirken seitens der Leiterin des BGF Mannheim. Deutlich zu spüren war das Bemühen, den Mythos „Bruno Gröning“ weiter zu stärken: „Er war ein Wunderheiler durch und durch, ein außergewöhnlicher Mensch, hatte nie ein böses Wort und hat sich nie mit Menschen gestritten. Er hat verschollenes altes Wissen reaktiviert und heilt durch die göttliche Kraft. Diese hat er den Heilstrom genannt.“ Es wurde zwar deutlich gemacht, dass nicht Bruno Gröning selbst heile, sondern Gott, aber praktisch führt m. E. der Weg zu Gott im BGF nur über Bruno Gröning. Er ist Mittler und Heilsbringer, er spielt nach wie vor die dominierende Rolle. Für Kritik an seiner Person oder seinem Wirken ist kein Platz.

Ebenso wenig war in dem gesamten „Ärztevortrag“ in Mannheim Platz für Rückfragen oder ein Gespräch. Denn der informelle Teil näherte sich um 21 Uhr mit Verweis auf die nächsten Termine (Gemeinschaftsstunden, Filmvorführung „Das Phänomen Bruno Gröning“) seinem Ende. Dann, zu der Zeit, als der Heilstrom am stärksten sein soll („um 9 Uhr morgens und um 9 Uhr abends“), luden die Veranstalter ein, sich in offener äußerer und innerer Haltung einzustellen. Beim Gehen wurde um eine Spende gebeten.

Abschließend erlaube ich mir, zusammenfassend einige kritische Fragen zu stellen:

1. Handelt es sich bei der Tätigkeit der MWF tatsächlich um eine unabhängige wissenschaftliche Erforschung des Phänomens der angeblichen geistigen Heilung im BGF? Der Leiter der MWF, Dr. G. Blättner, jedenfalls ist persönlich sehr mit dem BGF verbunden, sodass ich seine Unabhängigkeit in Zweifel ziehe. Es wäre interessant zu eruieren, ob das bei anderen Mitgliedern der Heilberufe, die dem MWF nahestehen, ähnlich ist.

2. Sind die angeführten Quellen nicht eher dem esoterischen als dem wissenschaftlichen Umfeld zuzuordnen? Ich hätte im Kontext eines „Ärztevortrags“ erwartet, dass z. B. Studien von Universitäten angeführt werden. Der Sonderdruck aus der Zeitschrift „Matrix 3000“ mit dem Titel „Es gibt kein Unheilbar“, der bei der Veranstaltung verteilt wurde, beruft sich jedoch lediglich auf Zeitschriftenartikel aus dem Esoterikmarkt: Hier werden Quellen wie das „Reiki-Magazin“ oder „Fliege. Helfen – Heilen – Horizonte“ angeführt, deren wissenschaftliche Reputation eher gering ist; zumindest handelt es sich um eine eher einseitige Auswahl.

3. Schließlich wurden für mich die sich wenig wandelnden, sondern eher sich verhärtenden Muster des BGF deutlich. Die starke Erfahrungsbezogenheit, das exklusive Selbstverständnis, gepaart mit der Aufforderung zum regelmäßigen Praktizieren und der Möglichkeit einer medizinisch höchst umstrittenen „Erstverschlimmerung“, lassen Kritik von außen quasi nicht zu. Das bestätigte der Verlauf des besuchten Abends, an dem kein Raum für (kritische) Rückfragen war. Unter einem wissenschaftlichen Diskurs stelle ich mir etwas deutlich anderes vor.


Oliver Koch, Frankfurt a. M.