Friedmann Eißler

Ein Jahr „Islamisches Wort“

Zum Kommunikationsproblem zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft

Für die einen war es ein längst überfälliger Schritt zur gesellschaftlichen Integration von Muslimen, für die anderen ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Angebot, das nicht zur Aufgabe der Grundversorgung der öffentlich-rechtlichen Sender gehört: Am 20.4.2007 wurde zum ersten Mal das „Islamische Wort“ auf der Internetseite SWR cont.ra präsentiert, wo es seither jeweils am ersten Freitag im Monat in zwei Formaten abgerufen werden kann. In Dreiminutenbeiträgen sprechen vier muslimische Autorinnen und Autoren im Wechsel zu Themen des islamischen Glaubens und richten sich dabei sowohl an Muslime als auch an Nichtmuslime. Der damalige SWR-Intendant Peter Voß hatte schon im Oktober 2006 erklärt, durch „religiöse islamische Sendungen im SWR“ einen Beitrag zur Integration muslimischer Mitbürger in Deutschland leisten zu wollen. Mit dem „Islamischen Wort“ solle Muslimen die Möglichkeit gegeben werden, authentisch und durchaus im Verkündigungsstil von ihrem Glauben zu berichten. Verpflichtet ist der Sender dazu laut Staatsvertrag nicht, zumal bislang kein muslimischer Zusammenschluss die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts genießt.

Das Projekt, das unter der redaktionellen Leitung des Islamwissenschaftlers Reinhard Baumgarten steht, zog anfangs heftige Kritik auf sich. Dann mehrten sich positive Rückmeldungen, so dass der Sender im August 2007 eine positive Zwischenbilanz zog. Vertreter muslimischer Verbände hatten das neue Angebot begrüßt und als „guten Anfang“ bezeichnet, dem freilich erweiterte Möglichkeiten muslimischer Äußerungen in Radio und Fernsehen folgen sollten.

Als wechselnde Sprecher wurden unterschiedlich profilierte Persönlichkeiten ausgewählt: Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Bekir Alboğa, Imam und Dialogbeauftragter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Deutschland, die freie Publizistin Hilal Sezgin sowie die Stuttgarter Pädagogin Emina Corbo-Mesic.

Das „Islamische Wort“ hat sich bisher mit Glaubensthemen im engeren Sinne sowie mit den Themen Dialog, Islam und Gewalt, Religionsfreiheit befasst, die jeweils ebenfalls aus dezidiert religiöser Perspektive betrachtet werden. Nicht zuletzt dadurch unterscheidet es sich vom „Forum am Freitag“, dem zweiten inzwischen etablierten Internetangebot mit muslimischen Stimmen, mit dem das ZDF am 6.7.2007 an den Start gegangen ist. Das ZDF setzt in dem wöchentlichen Format in rund zehnminütigen Interviews und zusätzlichen Online-Texten auf Information über die Islamvielfalt in Deutschland, wobei alle maßgeblichen islamischen Kräfte zu aktuellen Themen zu Wort kommen sollen.

Das erste „Islamische Wort“

Begonnen hat das „Islamische Wort“ mit einem Beitrag von Aiman Mazyek zum Thema Barmherzigkeit Gottes. Dieser Text verdient besondere Aufmerksamkeit, da er als Eröffnung intensiv wahrgenommen wurde und weil er bei genauerer Betrachtung die Schwierigkeiten offenbart, die die Kommunikation zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft derzeit besonders erschweren: Gegenseitige Empfindlichkeiten sorgen einerseits dafür, dass mit Bedacht und in Rücksichtnahme auf unterschiedliche Adressaten Formulierungen bevorzugt werden, die allgemein akzeptabel klingen und kritischen Geistern sozusagen von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Andererseits liegen die Interessen der Adressatenkreise offenbar teilweise so weit auseinander, dass der Spagat der Verständigung nur zu dem Preis möglich scheint, dass eine Begrifflichkeit Verwendung findet, die sehr unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Deutungen zulässt. Das gezielte Offenhalten für wesentlich differierende Interpretationen dient allerdings nicht dem gegenseitigen Verstehen. Dem kann entgegnet werden, dass jede Textrezeption einen erheblichen Eigenanteil an Interpretation einschließt.

Doch hier, das ist die These, findet eine Pseudoverständigung statt, die nicht zufällig, sondern intendiert ist. Dies beinhaltet indes auch entschieden Selbstkritik. Denn die Mehrheitsgesellschaft erwartet von Muslimen in spezifischer Weise gesellschaftskonforme Äußerungen, ist aber kaum bereit, sich mit genuin islamischen Positionen konstruktiv im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung auseinanderzusetzen. Die Bringschuld darf nicht nur aufseiten der muslimischen Minderheit gesehen werden, die in dieser Lage so etwas wie die Quadratur des Kreises zu vollbringen hat. Hier wäre eine entschiedenere Offenheit für muslimische Glaubensäußerungen wünschenswert und notwendig, die zugleich die Grundoptionen der freiheitlich-demokratischen „westlichen“ Gesellschaft(en) vertritt und in Klarheit auf sie hinweist.

Wir nehmen das erste „Wort“ zum Anlass, um diese Kommunikationsschwierigkeiten sozusagen paradigmatisch am konkreten Text aufzuzeigen. Am Ende sollen dann in einem gerafften Überblick weitere Themen der Reihe aufgegriffen werden.

„Barmherzigkeit und Gnade – Gottes oberstes Prinzip“ (20.4.2007)

Wie jede Handlung mit der Anrufung Gottes begonnen werden soll, so beginnt Mazyek mit jener arabischen Formel, die die Gebete und den Alltag der Muslime stets begleitet: „Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen“. Mit dieser sogenannten Basmala hat die Sendungsreihe nicht nur ihre religiöse Einleitung, sondern zugleich ihr erstes Thema. Sie wird als Bitte um Gottes Segen gedeutet. Damit ist ein Stichwort aufgenommen, das auch der christlichen Hörerschaft gleich zu Beginn ein Gefühl der Vertrautheit vermitteln kann: Das kommt bekannt vor, wir sprechen über Vertrautes.

Gleich im nächsten Absatz ist nach dem Hinweis auf das häufige Vorkommen des Wortes Barmherzigkeit im Koran unter Verwendung eines ausgesprochen protestantischen Konzepts von der unverdienten Güte Gottes die Rede. Dies wird dann allerdings subjektiv einschränkend formuliert, weshalb der ganze Satz Beachtung verdient, der die Barmherzigkeit als Attribut Gottes erklärt: „Es bedeutet, jemandem Wohltat und Güte zu gewähren, vielleicht sogar, ohne dass dieser es unbedingt verdient, es aber trotzdem erhält.“ Es folgt der lapidare Satz: „Und dies beschreibt exakt die Beziehung zwischen Gott und den Menschen.“

Dass Gottes Barmherzigkeit grenzenlos sei, belegt Mazyek mit dem Koranvers Sure 6,12: „Er [Gott] hat sich zur Barmherzigkeit verpflichtet.“ Er sagt nicht dazu, dass dieser Vers in einem eschatologischen Kontext steht, der den Tag der Auferstehung als Tag der Wahrheit und der Entscheidung im Blick hat, an dem Ungläubige „ihrer selbst verlustig gehen“ werden. Auch die nicht erwähnte Parallelstelle Sure 6,54 zeigt, dass es um die Gläubigen geht, die bei entsprechender Hinwendung zu Gott auf Barmherzigkeit hoffen dürfen.

Die Strategie dieses „Islamischen Wortes“ im Blick auf die nichtmuslimischen Adressaten wird schon hier deutlich: Durch das konsequente Aufrufen christlicher Topoi in der Darstellung islamischen Glaubens werden Gemeinsamkeit und Verständigung signalisiert. Die christlichen Hörer werden „abgeholt“.

Dabei sind die Formulierungen mit Bedacht so gewählt, dass christliche Hörerinnen und Hörer ohne islamkundlich geschulten Blick spontan Einverständnis empfinden (können), während zugleich eine genuin islamische Lesart der Begriffe durchgehend offen gehalten wird und daher der durchschnittliche muslimische Hörer dieselben Worte von seinem Hintergrund her mit erheblich abweichenden Konnotationen verknüpfen kann. Das Ganze gleicht einem Vexierbild. Zugespitzt formuliert: Man kann dieses „Islamische Wort“ gleichsam christlich dialogisch als Zeugnis enormer Kompatibilität christlicher und islamischer Grundaussagen lesen – oder als geschickte Verpackung traditioneller und nicht zuletzt gesellschaftspolitisch relevanter islam(ist)ischer Positionen im Kontext der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Dazu folgen weitere Beobachtungen.

Gottes mütterliche Liebe?

In der folgenden Passage beschreitet Mazyek neue Wege, jedenfalls was die muslimische Auslegung betrifft. Über den Wortstamm r-h-m, der im Arabischen das Wort „Barmherzigkeit“ (rahma) ebenso wie „Mutterleib“ (rahim) bildet, wird der barmherzige Umgang Gottes mit seinen Geschöpfen mit der Mutterliebe in Verbindung gebracht. „Das liebevolle, mütterliche Kümmern ums eigene Kind kommt der Beschreibung sehr nah, wie Gott mit seinen Geschöpfen umgeht“, weiß Mazyek. Im Raum christlicher – wie übrigens auch jüdischer – Bibelauslegung ist dies ein bekanntes, geradezu gängiges Motiv, liegt doch im Hebräischen eine genau analoge Wurzelverwandtschaft vor (rachamim – rächäm), die dann gerne in Verbindung mit Bibelstellen wie Jes 49,15 oder 66,13 theologisch gedeutet wird. Das Pikante an der Sache ist, dass der islamischen Tradition diese Auslegung bisher durchaus fremd gewesen ist. An keiner Stelle im Koran und – soweit ich sehe – in der gesamten orthodoxen Tradition wird die Barmherzigkeit Gottes islamisch von der mütterlichen Liebe her interpretiert. Im Sufismus gibt es eine Fülle weitergehender Ausdrucksmöglichkeiten mystischer Gottesnähe. Doch wenn im Hadith vom Mutterleib die Rede ist, dann allermeist im Kontext der totalen Vorherbestimmung des menschlichen Lebens. Rund drei Dutzend prophetische Überlieferungen (Buchari, Muslim) dokumentieren denselben Gedanken: Eine bestimmte Zeit (z. B. 40 Tage) nach der Empfängnis wird ein Engel gesandt, der den werdenden Menschen auf Gottes Geheiß formt und gleichsam pränatal vorprogrammiert (männlich/weiblich? gut/schlecht? Alter, Haarfarbe, Charakter – verdient er/sie am Ende den Himmel oder die Hölle?). „Der Engel schreibt dies alles auf, solange das Kind im Mutterleib ist.“ Die Anleihe an christlicher Bibelauslegung ist selbstverständlich nicht an sich zu kritisieren, wir könnten das erfreut als zeitgemäße Erweiterung des bisherigen Repertoires der muslimischen Attributenlehre zur Kenntnis nehmen. Doch wäre ein Hinweis auf dieses Novum in irgendeiner Form nicht fehl am Platze gewesen. Problematisch ist gleichwohl nicht nur die Tatsache, dass der Gedanke indirekt als genuin islamisch präsentiert wird, sondern vielmehr und vor allem der Abschluss des Gedankengangs, der folgt: „Es ist demnach eher ein mütterliches Verhältnis zwischen Gott und uns Menschen als ein väterliches“ [Hervorhebung F. E.].

Was geschieht hier? In einem einzigen Satz wird die christliche Anleihe für den Islam reklamiert und unter der Hand gegen den christlichen Glauben gewendet. Denn auf rhetorisch elegante Weise wird die „Vaterschaft“ Gottes abgelehnt (und damit implizit die „Sohnschaft“ Jesu Christi) und so ein wesentliches Moment islamischen Glaubens im Gewande einer gedanklichen Annäherung in Anschlag gebracht. Klug ist freilich auch hier die subjektive Einschränkung eher – das heißt, man legt sich nicht fest (denn als mütterlich ist Gottes Verhältnis zum Menschen nach der islamischen Tradition eben doch kaum zu bezeichnen …). Eine negative, abgrenzende Aussage wird vermieden.

Das muss man sich vor Augen führen: Was Christen bei unbedarfter Lektüre erfreut begrüßen werden, verortet sich aus islamkundlicher Sicht nicht nur in der Grauzone traditionell-islamisch ungedeckter Koranauslegung, sondern wird zudem als Spitze gegen das Zentrum christlichen Glaubens gerichtet. Gott hat (wenn überhaupt, mag man ergänzen) eher mütterliche Züge – ganz sicher aber kann er nicht Vater genannt werden, so die Implikation.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Etwas verklausuliert kommt in harmlos erscheinendem Duktus die universale Dimension des islamischen Glaubens zur Sprache: „Wir Menschen mit unserem begrenzten Wissen sind auf Gottes Rechtleitung existenziell angewiesen. Die Rechtleitung hat ihren Ursprung wiederum in Gottes Barmherzigkeit, damit der Mensch nicht irre geht.“

Das klingt unauffällig, ja, als religiöse Bekundung geradezu selbstverständlich. Sie enthält jedoch eine Reihe von islamtheologischen Aussagen, die im Blick auf ihr ungeklärtes, spannungsvolles Verhältnis zur hiesigen gesellschaftlichen und politischen Ordnung nur beunruhigen können. Um dies nachzuvollziehen, ist im Hintergrund das islamische Offenbarungsverständnis mit zu bedenken, dem zufolge alle Menschen (und von ihnen ist ja ganz allgemein die Rede) von Adam her um Gottes Ein(s)heit und Einzigkeit wissen. Nach Sure 7,172 haben alle Kinder Adams, das heißt alle Menschen, die je noch werden sollten, gleichsam in einem urzeitlichen Akt die Herrschaft Gottes einmütig anerkannt und bezeugt. Aufgrund dieses „Urvertrags“ können die Menschen dereinst am Jüngsten Tag nicht behaupten, sie hätten von der Botschaft Gottes nichts gewusst. Dem entspricht die Auffassung, dass jeder Mensch von der Schöpfung her die Veranlagung zur wahren Gotteserkenntnis und -verehrung mitbringt, also im Grunde im Islam geboren wird (arabisch fitra, vgl. Sure 30,30). Jede Abweichung davon ist Irregehen, wie es auch aus der regelmäßig rezitierten Sure 1,7 hervorgeht. Das begrenzte Wissen weist genau darauf hin: Der Mensch braucht Gottes Weisung, braucht die Offenbarung, um sich als Mensch orientieren zu können. Diese manifestiert sich in der Rechtleitung, die als solche wiederum im Koran Gestalt gewinnt. Mit dem Hinweis auf Gottes Rechtleitung (arabisch huda) ist der zentrale soteriologische Begriff des Islams aufgenommen. Dass wir als Menschen auf sie existenziell angewiesen sind, heißt im Klartext: Der Koran ist der Maßstab für gelingendes Leben, und das gilt auch für die sozialen Bezüge und die gesellschaftlichen Regelungen, insofern der Koran mit seiner rechtmäßigen Interpretation in Sunna und Scharia umfassende Geltung im religiös-privaten wie auch im öffentlich-bürgerlichen und staatlich-politischen Leben beansprucht. Demokratie, Mehrheitsentscheidungen, Menschenrechte? Nur in diesem letztlich durch den Koran gesetzten Rahmen und im Bewusstsein unseres menschlich „begrenzten Wissens“ kann entfaltet werden, was man so nennen kann. Die Rückführung der Rechtleitung auf die Barmherzigkeit schafft schließlich die Brücke zum Thema und profiliert dieses inhaltlich so, dass der wesentliche und letztgültige Ausdruck der göttlichen Barmherzigkeit der Koran selbst ist.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Sätze müssen nicht so gelesen werden. Doch sie halten das traditionelle islamische Verständnis von der öffentlichkeitsrelevanten Dimension der göttlichen Rechtleitung in Form des Korans und seiner rechtlichen Konsequenzen offen. Und sie tun dies offenbar ganz gezielt, denn angesichts der aktuellen Diskussionslage im Blick auf die damit verbundenen Probleme hierzulande wären klarere Worte hilfreich und nötig gewesen. So aber bleibt das Spiel mit den Worten vage und ambivalent, um das Mindeste zu sagen.

Weitere Themen

Zu Mazyeks dialogisch-rhetorischer Dialektik wäre noch manches zu sagen, doch zum Schluss noch ein kurzer Blick auf weitere Sendungen: Die „Notwendigkeit des Dialogs“ (4.5.2007) wird von Bekir Alboğa vom Gebetsverständnis als der Zwiesprache des Menschen mit Gott her entwickelt. Das Gebet ist der paradigmatische Dialog. Wie der Mensch aufgerufen ist, zu Gott zu rufen (Sure 40,60), so soll der Dialog zur Grundlage des menschlichen Miteinanders gemacht werden, damit die Menschen (auch Mann und Frau), die „unterschiedlich erschaffen“ sind, einander kennenlernen.

Im Beitrag vom 5.10.2007 behauptet Alboğa anhand des oft zitierten Koranverses 2,256 ein „allumfassendes Prinzip der Toleranz“ im Islam, denn es heiße dort in dem Vers nicht „Es gibt keinen Zwang im Islam“, sondern „in der Religion“. Dass nach Sure 3,19 und vielen weiteren Stellen die Religion bei Gott der Islam ist und die hier unter der Hand eingeführte Unterscheidung daher zu hinterfragen ist, bleibt dabei unerwähnt. Der Redebeitrag ist in weiteren Punkten problematisch, markiert jedoch eindeutig gewaltsame Missionierung, Todesstrafe für Apostasie, Zwangsheirat und „Ehrenmorde“ als inakzeptabel und als mit islamischen Prinzipien unvereinbar.

Beim Thema Mission („Aufruf zum Glauben“ vom 1.2.2008) hebt der Kölner Dialogbeauftragte wieder auf eine subtile Unterscheidung ab: Die Rechtleitung und damit die Hinführung zum Islam sei „ausschließlich Sache Gottes“ (Sure 28,56; ferner wird noch einmal Sure 2,256 zitiert: Kein Zwang in der Religion). Die Muslime seien einzig und allein dazu aufgerufen, die Menschen „zu dem einzuladen, was sie für den rechten Weg halten“. Mit dieser Auffassung der „Da’wa“, was er mit „umwerbende Einladung“ übersetzt, meint Alboğa sich gegen das Missionsverständnis „vieler christlicher Missionare“ abgrenzen zu müssen. Als ein Schlüsselvers wird Sure 3,64 zitiert, der auch als Grundlage des „Offenen Briefes“ von 138 muslimischen Gelehrten und religiösen Führern an die Weltchristenheit vom 13.10.2007 dient und dessen Titelstichwort gibt (A Common Word): „Sprich: O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem Wort, das gleich ist zwischen uns und euch: dass wir keinen anbeten denn Gott und dass wir Ihm keinen Nebenbuhler zur Seite stellen . . .“

Gegenüber dem etwas angestrengt belehrenden Ton des Imams klingt Hilal Sezgin leicht und warmherzig, wenn sie sich anhand eines Ausspruchs des Propheten („Binde dein Kamel fest, und dann vertraue auf Gott“) Gedanken über göttliche Fügung, praktisches Handeln und Gottvertrauen macht. „Von Gottvertrauen und gebundenen Kamelen“ (6.7.2007) ist eine praktische und ehrliche Meditation über ein islamisches Ora et labora.

Emina Corbo-Mesic macht die unvermeidliche Maria zum Thema ihres ersten Beitrags (1.6.2007) und spricht in weiteren Sendungen über Bildung und Frieden. Unerheblich, dass Maria die einzige Frau ist, die im Koran überhaupt mit Namen genannt wird, wirkungsvoller erscheint die fast schon gebetsmühlenartig wiederholte Feststellung, dass Maria eine ganze Koransure gewidmet ist (Sure 19 trägt ihren Namen) und zu den „4 besten Frauen“ gehört. Hier ist alles gleichsam in Watte gepackt, Probleme sind weit weg, wenn überhaupt vorhanden. Es wirkt, als sei die Welt der muslimischen Familie fern aller Tagespolitik der Bezugsrahmen.

Fazit

A. Mazyek hatte keine leichte Aufgabe, das mit Spannung erwartete erste „Islamische Wort“ für eine äußerst heterogene Hörerschaft zu präsentieren. Er hat in ausgefeilter Rhetorik einen Balanceakt der Bedürfnisbefriedigung zweier völlig unterschiedlicher Auditorien gemeistert. Die Konzeption als religiöse Äußerung und die auf Gemeinsamkeiten, Einverständnis und Annäherung zielende Darstellung sind fraglos legitim. Doch geht der Autor offensichtlich so weit, dass sich der informierte Hörer dem Eindruck der Ambivalenz, ja, der Doppelbödigkeit der Rede kaum entziehen kann. Was bezweckt Mazyek damit? Ist ein bewusst offener Prozess anvisiert, der mindestens zwei kulturell-religiösen Lebenswelten gerecht werden will, wobei jeder am Ende das hineininterpretieren oder heraushören kann und soll, was er möchte? Oder hält er die wohl mehrheitlich christlichen Hörerinnen und Hörer für naiv – oder gar zum Narren? Die Strategie scheint auf den ersten Blick aufzugehen. Alle christlichen Hörerinnen und Hörer, die ich befragen konnte, reagierten ähnlich: Das höre sich „sehr christlich“ an, da klinge doch „viel Evangelisches“ durch, in den Worten könne man sich „wiederfinden“. Meines Erachtens werden hier jedoch, wie die Lektüre gezeigt hat, gezielt unterschiedliche Standards im Spiel gehalten. Es dient dem Dialog und dem praktischen Integrationsprozess nicht, das Auditorium in dieser Weise einerseits zu „bedienen“ und andererseits zugleich im Unklaren zu lassen. Im Gegenteil, dies wird Vorurteile und Ängste eher befördern als zerstreuen.

Erfreulich ist, dass sich diese Ambivalenz in den weiteren Beiträgen nicht in demselben Maße durchzieht, zumal die beitragenden Frauen den Part der unpolitischen Traditionspflege übernommen zu haben scheinen. Das „Islamische Wort“ dient daher aufs Ganze gesehen der religiösen Erbauung von Muslimen, in mancher Hinsicht ist Normalität eingekehrt. Es ist zu hoffen, dass die Sendung mittelfristig tatsächlich zur besseren Verständigung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland beiträgt.


Friedmann Eißler