Sören Brenner

Ein diffuses Gefühl der Angst

Die Auseinandersetzung um den Bau einer Moschee in Leipzig

In den Erklärungsversuchen zu Ursachen und Hintergründen der „Pegida“-Demonstrationen wird gelegentlich auf das ungleiche Verhältnis zwischen dem großen, diffusen Gefühl der Angst vor muslimischer Überfremdung und den tatsächlichen, kleinen Zahlen muslimischer Migranten im Osten Deutschlands hingewiesen. Fakt ist, in den neuen Bundesländern gibt es zu wenige Migranten mit muslimischem Hintergrund, um erfahrungsgesättigte Aussagen über sogenannte Parallelgesellschaften zu rechtfertigen. Oft gibt es bei den Demonstrierenden deshalb auch Verweise auf Ballungszentren in den westlichen Bundesländern bzw. Befürchtungen einer Entwicklung auf diese Zustände hin.

Es ist daher interessant, einmal auf das Beispiel zu schauen, das die Auseinandersetzung um einen Moscheebau in der größten ostdeutschen Stadt bietet. Seit zwei Jahren versucht die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ), im Zuge ihres 100-Moscheen-Programms (vgl. MD 11/2011, 434) ein Gebetshaus in Leipzig zu errichten. Dazu hat sie ein Grundstück an einem öffentlich gut wahrnehmbaren Platz in Leipzig-Gohlis erworben und bei der Stadt ein Genehmigungsverfahren eingeleitet. Es ist wohl die siebte oder achte Moscheegemeinde in Leipzig, aber die erste, die mit dem geplanten Bau mit zwei (Zier-)Minaretten in einem dicht besiedelten, bürgerlichen Stadtgebiet deutlich Präsenz zeigen würde.

In den Jahren vor „Legida“ und „Pegida“ ist es in Leipzig gelegentlich zu Protesten gekommen, bei denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein Motiv gewesen ist, etwa als die Stadt 2012 ankündigte, Asylbewerber künftig dezentral unterzubringen. 2002 gab es Gegenwind aus der Mitte der Gesellschaft gegen ein Begegnungszentrum der Jüdischen Gemeinde. Anwohner fürchteten unter anderem Belästigungen durch erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Der Thomaskirchenpfarrer Christian Wolff warnte vor einem Wiederaufleben der „trüben Tradition des Antisemitismus“.1

Ablauf der Ereignisse

Angesichts der beiden genannten Beispiele war zu erwarten, dass sich auch gegen den Moscheebau Widerstand formieren würde.

  • Zeitgleich mit dem Bekanntwerden des Bauvorhabens der Ahmadiyya-Gemeinde Mitte September 2013 traten Interessengruppen in Erscheinung, die sich einem befürchteten „Durchwinken“ des Bauantrags durch die Stadt entgegenstellten. Auf einem Flugblatt kündigten Gohliser Anwohner an, den Vorgang zum Thema der bevorstehenden Stadtbezirksbeiratssitzung machen zu wollen. Diese sollte am 10.10.2013 stattfinden, fiel aber aus. Stattdessen fand im Leipziger Rathaus eine Pressekonferenz mit Emir Abdullah Uwe Wagishauser, dem Bundesvorsitzenden der AMJ, und Leipzigs Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau statt. Diese sagte, nachdem der Verfassungsschutz die AMJ auf Anfrage der Stadt als unbedenklich eingestuft habe, könne nun auch der Bauantrag erfolgen. Dubrau signalisierte, dass die Stadtverwaltung dem Projekt sehr positiv gegenüberstehe, verwies aber auch auf aufkeimende Proteste im Stadtteil Gohlis.2 Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla (CDU) warf in BILD daraufhin der Bau-Dezernentin fehlendes politisches Feingefühl vor.3
  • Nach zwei gescheiterten Versuchen erfolgte dann am 18.10.2013 die Gründung einer Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“. Ziel der Initiative sei es, sich „kritisch mit dem geplanten Moscheebau in Leipzig-Gohlis zu befassen und Bürgerbedenken zu artikulieren“. Die Bedenken bezogen sich auf kommunalpolitische Verfahrensfragen sowie die Meinung, dass es bereits ausreichend muslimische Gebetsstätten in Leipzig gebe.
  • Der CDU-Ortsverband Leipzig-Nord unterstützte die Bedenken in einer Erklärung zum geplanten Neubau. Das CDU-Mitglied in Leipzig Nord-Katrin Viola Hartung war eine der Initiatorinnen der Bürgerinitiative.4 Hartung warb auch mit einer Online-Petition für Unterstützung gegen den Moscheebau.5 Am 20.10.2013 gab der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU Leipzig eine Presseerklärung ab, in der kritisch hinterfragt wurde, „dass die sehr kleine muslimische Ahmadiyya-Gemeinde in unserer Stadt ein weiteres islamisches Gebetshaus plant“. Weiterhin wurden Bedenken in Bezug auf ein Misstrauen in der Bevölkerung gegen den Islam im Allgemeinen geäußert und eine Instrumentalisierung durch rechtsextreme Agitatoren und linke „Berufsdemonstranten“ befürchtet.6
  • Eine am 31.10.2013 veröffentlichte „gemeinsame Erklärung der Parteien“ wandte sich nun gegen „stereotype rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments“. Erstunterzeichner waren die Vorsitzenden der Stadtverbände sowie Landtags- und Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen, Linkspartei und der Piratenpartei Leipzig.7
  • Am 2.11.2013 hielt die NPD in der Nähe des geplanten Moscheebaus unter dem Motto „Schöner leben ohne Moscheen“ eine Kundgebung ab. Eine Gegendemonstration wurde durch das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ organisiert. Die Bürgerbewegung war auch vertreten. Ein massives Polizeiaufgebot sicherte die Kundgebungen.8
  • Am 7.11.2013 fand in der Michaeliskirche eine Informationsveranstaltung der Stadt Leipzig zum geplanten Moscheebau statt. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), Baudezernentin Dubrau, Emir Wagishauser sowie der Pfarrer der Michaeliskirche Ralf Günther und der Integrationsbeauftragte der Stadt Stojan Gugutschkow standen als Diskussionspartner zur Verfügung. Die Veranstaltung drohte zeitweilig aus dem Ruder zu laufen. Besorgte Bürger und Funktionäre der NPD traten als Kritiker des Moscheebaus in Erscheinung.
  • Die Leipziger CDU verständigte sich am 12.11.2013 auf eine gemeinsame Position. Sie forderte die Stadtverwaltung zur Prüfung alternativer Standorte für den Moscheebau auf. Die Ahmadiyya wurde aufgefordert, deutlich zu machen, „wie ihre Position zu den anderen islamischen Gemeinden, insbesondere ihr Verhältnis zu Sunniten und Schiiten ist, aber auch ihr Verhältnis zu christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie zu unseren jüdischen Freunden in Leipzig“9.
  • In einer Pressemitteilung äußerte sich Katrin Viola Hartung am 13.11.2013 kritisch zu den Zielen der Bürgerinitiative. Auf deren Facebook-Seite hatte es zuvor Aufrufe gegeben, das Bauland mit Schweineblut zu entweihen.
  • Am 14.11.2013 wurden Schweineköpfe auf dem Baugelände drapiert und Blut am Boden vergossen. Der Staatsschutz ermittelt wegen des Anfangsverdachts auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Auch die Leipziger NPD distanzierte sich von dem Anschlag, äußerte aber die Vermutung, er wäre von der „Islam-Lobby“ fingiert.10
  • Im Februar 2014 übergab Martin Meißner von der Initiative „Leipzig sagt Ja“ knapp 6000 Unterschriften, die den Moscheebau befürworten, an Oberbürgermeister Jung. Als dieser sie entgegennahm, kommentierte er die Position der Moscheegegner mit den Worten, sie sei „Ausdruck einer vollkommen falschen Orientierung“. Dagegen wehrte sich Katrin Viola Hartung in der Presse: „Freie Meinungsäußerung in einer Demokratie impliziert, dass einem ‚Ja’ auch ein ‚Nein’ gegenüberstehen darf. Ein ‚Nein’ mit 9200 Unterschriften kann wohl kaum ‚Ausdruck einer falschen Orientierung sein’.“ Sie forderte vom Oberbürgermeister, ihre Liste „mit derselben Würde in Empfang zu nehmen“ wie die Pro-Liste.11
  • Im März 2014 verbreitete der Bürgerverein Gohlis ein Faltblatt zur Ahmadiyya und ihrem Moscheebauvorhaben unter dem Titel „Dialoge für Gohlis“, das u. a. auch von Said Arif, dem Imam der Leipziger Ahmadiyya-Gemeinde, unterzeichnet ist.
  • Am 16.4.2014 übergab die Bürgerinitiative bei einer Stadtratssitzung 10 000 Unterschriften gegen den Bau der Moschee an Oberbürgermeister Jung.

Seitdem ist es um den Moscheebau ruhiger geworden, was wohl auch daran liegt, dass er bislang noch nicht begonnen werden konnte. Bei den Leipziger Legida-Demonstrationen traten erwartungsgemäß Moscheegegner in Erscheinung, die auch in Dresden bei Pegida mitgelaufen sind. Ihr Transparent in Dresden zeigt eine durchgestrichene Moschee mit zwei Minaretten und den Schriftzug „Leipzig“.12 Im Juni 2015 wurden Widersprüche von Anwohnern durch die Landesdirektion Sachsen abgewiesen. Nachdem diese Hürde genommen ist, kann nun ein Architektenwettbewerb stattfinden, dessen Ergebnis im Herbst 2015 vorliegen soll. Dann kann der Bauantrag gestellt werden.13

Komplizierte Gemengelage

Ein Blick auf den rechten Rand des Parteienspektrums bereichert das Gesamtbild noch um weitere Facetten. In einem ZEIT-Artikel war über Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Landesvorstand im Freistaat Sachsen und Islamwissenschaftler, zu lesen: „Tillschneider erlangte einige Bekanntheit, weil er in der Vergangenheit gegen einen geplanten Moscheebau in Leipzig mobilmachte.“ Auf der Webseite der Legida-Bewegung wurde Tillschneider laut „ZEIT“ als „Mitstreiter“ vorgestellt. Des Weiteren habe der „Akademische Rat am Lehrstuhl für Islamwissenschaft an der Universität Bayreuth vor Kurzem den Arbeitskreis Islam in der AfD gegründet. Tillschneider soll bei einer Veranstaltung des AfD-Nachwuchses damit geprahlt haben, er sei mit den Tätern eines ‚Schweinekopf-Anschlags‘ auf dem Bauplatz einer Moschee befreundet, berichten Teilnehmer. Tillschneider bestreitet das.“14

Über Uwe Wurlitzer vom Leipziger AfD-Stadtverband stand am 4.9.2014 in der ZEIT: „Seit dem Rücktritt des Vize-Landeschefs Thomas Hartung gilt Generalsekretär Wurlitzer als stärkster Mann der Sachsen-AfD. Der Leipziger Stadtverband, den er führt, fiel immer wieder mit schrägen Ansichten über den Islam auf.“15

Dagegen hat die Leipziger SPD ein ganz anders Problem mit dem Islam: „Islamisten unterwandern Leipziger SPD“. Von einem Machtkampf in der SPD berichtet das MDR-Magazin „Exakt“ und stellt eine Verbindung zur Gülen-Bewegung her.16 Es geht um den Verdacht, dass eine große Gruppe von Neumitgliedern mit ganz eigenen Ambitionen die Vorstandswahlen der Leipziger Jusos 2013 beeinflussen wollte und damit einen handfesten Eklat heraufbeschwor, der mittlerweile auch die Stadtfraktion erreicht hat.

Neben diesen Ereignissen gerät fast in Vergessenheit, dass der Verfassungsschutz gegen einen anderen Akteur in der breit gefächerten Leipziger muslimischen Community ermittelt: gegen den aus Syrien stammenden Hassan Dabbagh. Er ist Vereinsvorsitzender und Imam der Leipziger Al-Rahman-Moschee. In einem Wikipedia-Eintrag wird er als einer der wichtigsten Köpfe des Salafismus in Deutschland bezeichnet. Seine Ansprachen werden v. a. über das Internet verbreitet und sollen nichtpraktizierende Muslime zum Glauben führen. Er gilt als Kontaktperson zu islamischen Extremisten. Nina Wiedl beschreibt in ihrem Beitrag „Geschichte des Salafismus in Deutschland“, wie sich Dabbagh in das salafistische Spektrum einordnen lässt.17

Bei der Frage, wie sich die gefühlte Bedrohung durch muslimische Migranten und tatsächliche problematische Szenarien miteinander in Beziehung setzen lassen, geht es auch um das Verhältnis von Islamfeindlichkeit und Islamkritik. Die Leipziger Situation macht dabei deutlich: Eine schwer durchschaubare Gemengelage führt dazu, dass sich „besorgte Bürger“ auf Verdachtsmomente stützen, die häufig aus der Luft gegriffen sind und kulturfeindliche bis rassistische Vorurteile transportieren. Andererseits aber findet tatsächlich mehr Auseinandersetzung mit muslimischen Gruppen statt, als im öffentlichen Diskurs zu den Pegida-Demonstrationen im Allgemeinen wahrgenommen wird.

Die Angst von Menschen, die sich selbst nicht als fremdenfeindlich, rassistisch oder „islamophob“ beschreiben würden, stellt ein Potenzial dar, das sowohl von rechten „Scharfmachern“ ausgenutzt werden kann als auch eine Basis für eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Islam in Deutschland bieten könnte. Dabei muss aber klar sein: Einer islamfeindlichen Grundeinstellung ist jedes Argument recht. Cornelius Pollmer sprach in der „Süddeutschen Zeitung“ (17.12.2014) von „präventiver Xenophobie“ als einer Verweigerungshaltung gegenüber der Komplexität gesellschaftlicher Phänomene. Die kritische Auseinandersetzung darf kein Öl ins Feuer gießen und muss trotzdem Aufklärung leisten. Damit erhält besonders die kirchliche Bildungsarbeit eine wichtige Funktion.


Sören Brenner, Halle


Anmerkungen

  1. www.zentralratdjuden.de/de/article/74.protest-gegen -neue-synagoge.html  (Abruf der Websites in diesem Beitrag: 12.2.2015, wenn nicht anders angegeben).
  2. Vgl. www.lvz-online.de/leipzig/citynews/kein-protzbau-moschee-in-leipzig-gohlis-mit-zwei-zier-minaretten-stadt-wirbt-um-toleranz/r-citynews-a-210165.html .
  3. Vgl. Erik Trümper, Moschee-Streit in Leipzig-Gohlis, in: Bild Leipzig, 31.10.2013.
  4. Vgl. www.cdu-leipzig.de/view.69/items/der-cdu-ortsverband-leipzig-nord-bewertet-den-geplanten-neubau-einer-moschee-in-leipzig-gohlis-kritisch.
  5. www.openpetition.de/pdf/unterschriftenformular/keine-moschee-in-leipzig-gohlis-buergerinitiative-gohlis-sagt-nein
  6. Vgl. Leipziger Volkszeitung (LVZ), 22.10.2013.
  7. Vgl. http://piraten-leipzig.de/2013/10/fuer-religionsfreiheit-und-toleranz-leipzig-muss-vorangehen-gemeinsame-erklaerung-der-parteien
  8. Vgl. Sven Heitkamp, in: Sächsische Zeitung, 4.11. 2013; Dirk Knofe, www.lvz-online.de/proteste-in-go hlis-am-2-november/r-fotodetail-galerie-28270-113 9261.html
  9. www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2013/11/Moschee bau-in-Gohlis-Mit-der-CDU-hinein-in-die-Bildungsdebatte-52133 .
  10. Vgl. Bild Leipzig, 15.11.2013; www.spiegel.de/politik/deutschland/leipzig-anschlag-auf-gelaende-von-geplanter-ahmadiyya-moschee-a-933823.html
  11. Bild Leipzig, 17.2.2014.
  12. Idea-Spektrum 2/2015, 28.
  13. Vgl. www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Landesdirektion-genehmigt-Leipziger-Moschee-Neubau, 29.6.2015  (Abruf: 8.7.2015).
  14. www.zeit.de/2014/52/pegida-dresden-wutbuerger-nationalismus-afd/seite-3

  15. Frauke und die 13 Zwerge, in: Die ZEIT, 4.9.2014.
  16. MDR „Exakt“ vom 26.6.2013 und als Manuskript www.mdr.de/exakt/guelen106-download.pdf.
  17.  Vgl. Nina Wiedl,  www.academia.edu/7626176/Geschichte_des_Salafismus_in_Deutschland.